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Während meiner Jugend suchte ich leider allzu oft die Nähe zu Spieltischen jeglicher Art und musste mit Entsetzen zusehen, wie Fortuna so manche Münze, die, genau genommen, nicht einmal mir gehörte, in fremde Hände spielte. Als ein Mann von etwas reiferen Jahren, der an der Schwelle zur dritten Dekade seines Lebens steht, wusste ich es dann durchaus besser, als mich mit Würfeln und Karten abzugeben. Dieses Teufelszeug ist zu nichts nutze außer dazu, einen Mann in trügerischer Hoffnung zu wiegen, bevor seine Träume am Boden zerschmettert werden. Leichten Herzens jedoch machte ich bei jenen Gelegenheiten, bei denen das Silber eines anderen meine Börse füllte, eine Ausnahme - umso leichter noch, wenn jener andere in Machenschaften verstrickt war, die dafür sorgten, dass der Wurf oder die Karten zu meinen Gunsten ausfielen. Jene, die es mit der Moral ganz genau nehmen, mögen der Meinung sein, es stürze die Seele in den tiefsten Abgrund, wenn man dem Zufall so auf unlautere Weise ein wenig nachhalf, und dass ein Taschendieb, ein Mörder, selbst ein Vaterlandsverräter besser sei als ein Betrüger am Spieltisch. Möglicherweise haben sie damit nicht einmal unrecht, doch handelte ich im Dienste eines großzügigen Auftraggebers, und das dämpfte meines Ermessens das Schlagen des Gewissens.

Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, setzt im November des Jahres 1722 ein, runde acht Monate nach den die Parlamentswahl begleitenden Geschehnissen, über die ich bereits an anderer Stelle berichtet habe. Die brackigen Wogen der Demokratie waren in jenem Frühjahr über London und somit auch über das ganze Land hinweggespült und hatten uns alles andere als geläutert daraus hervortreten lassen. Wie die Gladiatoren waren Männer im Dienste dieses oder jenes Kandidaten oder dieser oder jener Partei zum Kampf angetreten, doch im Herbst sah es so aus, als wäre nichts von Bedeutung dabei herausgekommen, und mit Hilfe gegenseitiger Patronage hielten Whitehall und das Parlament das Heft so fest in der Hand wie eh und je. Dem Königreich stand während der kommenden sieben Jahre keine neue Wahl mehr ins Haus, und im Nachhinein fragte man sich, warum eigentlich die vorangegangene solche Wogen geschlagen hatte.

Auch ich war keineswegs an Leib und Seele unbeschadet aus den politischen Tumulten hervorgegangen, doch meinem Ruf als privatem Ermittler war dies im Gegenteil eher zuträglich. Ich genoss eine gewisse anerkennende Erwähnung in den Zeitungen, und obwohl das Meiste, was die Schreiberlinge über mich zu berichten wussten, ganz und gar grotesk anmutete, hatte mein Name weitere Verbreitung erfahren. Seit jener Zeit konnte ich mich nicht über einen Mangel an Klienten vor meiner Tür beklagen. Gewiss gab es einige, die sich nun von mir fernhielten, weil sie befürchteten, meine Taten hätten auf unerwünschte Weise Aufmerksamkeit erregt. Viele andere erwogen jedoch mit weit mehr Wohlwollen die Möglichkeit, sich meiner Dienste zu versichern, denn ich galt als ein Mann, der aus dem Zuchthaus von Newgate entkommen war, sich in hitzigsten Faustkämpfen bewiesen, den Mächtigsten im Lande die Stirn geboten und damit gezeigt hatte, aus welchem Schrot und Korn er war. Ein Mann, dem dies gelungen war, sagte man sich, würde gewiss auch einen Halunken stellen, der einem Ehrenmann noch dreißig Pfund schuldete, oder den Namen des Wüstlings herausbekommen, der sich mit dem Gedanken trug, eine ungebärdige Tochter zu entführen, oder den Schuft, der eine Uhr gestohlen hatte, seiner verdienten Strafe zuführen.

Das war das täglich Brot meiner Arbeit, doch es gab auch eine Klientel, die eine ungewöhnlichere Verwendung für mich hatte, und eben aus diesem Grunde fand ich mich an jenem Abend im November in Kingsley's Coffee House ein, einem Etablissement von einst zweifelhaftem Rufe, das inzwischen jedoch einen recht lebhaften Publikumsverkehr verzeichnete. Kingsley's war unter den bon ton seit einiger Zeit als Spielsalon sehr en vogue und dürfte diesen Ruf wohl noch für mindestens eine weitere Saison genießen. Mit Verstand gesegnete Londoner würden dieser Art Amüsement nicht allzu lange frönen, doch für den Augenblick schöpfte Mr. Kingsley mit beiden Händen sein Glück ab.

Während der Tagesstunden war es durchaus nicht unüblich, dass ein Gast kam, um seinen Kaffee oder Kakao zu genießen und dabei gemütlich Zeitung zu lesen oder sich vorlesen zu lassen, doch nach Sonnenuntergang hätte es eines eisernen Willens bedurft, um sich noch auf trockene Worte zu konzentrieren. Zu dieser Stunde wurde Kingsley's von mehr Huren als Spielern bevölkert, und es waren durchaus die begehrenswertesten ihres Standes darunter. Nach hinfälligen, spindeldürren Metzen aus Covent Garden oder St. Giles suchte man bei Kingsley's vergeblich. Ja, in den Gesellschaftsspalten hieß es sogar, Mrs. Kingsley inspiziere höchstpersönlich eine jede Kandidatin, um sich zu vergewissern, dass sie auch dem Standard ihres Hauses entsprach.

Es gab Musikanten, die fröhliche kleine Melodien zum Besten gaben, zu denen ein ungewöhnlich schlanker Tänzer sein Gesicht, das einem Totenschädel glich, und seinen skelettartigen Körper zu den unnatürlichsten Posen und Fratzen verzerrte - und dabei von den meisten Anwesenden mit Missachtung gestraft wurde. Im Ausschank befanden sich Claret, Portwein und Madeira mittlerer Qualität, die auch die Gaumen der Genießer nicht beleidigten, denn diese Gäste waren viel zu sehr durch den Genuss anderer Dinge abgelenkt. Und der Anlass für diese Ablenkung waren - die Spieltische.

Es wäre schwer zu sagen, was Kingsleys Spieltische aus der Obskurität zur Berühmtheit erhoben hatte. Sie unterschieden sich kaum von denen in anderen Spelunken, und doch dirigierten die feinsten Herrschaften von London ihre Kutscher nach dem Theater, nach der Oper, nach dem Gesellschaftstanz oder sogar nach der Spätandacht dahin, wo das Leben tobte - zu Kingsley's, jenem Tempel des Glücksspiels. Am Pharo-Tisch spielten gut situierte Gentlemen aus den Ministerien, unter ihnen auch niemand Geringeres als ein Mitglied des Unterhauses, der für seine opulenten Gesellschaften berühmter war denn für seine Fähigkeiten als Vertreter einer gesetzgebenden Körperschaft. An einem anderen Tisch sah ich den Herzog von N. beim Piquet verlieren. Mehrere bezechte Beaus bemühten sich, der bekannten Komödiantin Nance Oldfield beizubringen, wie man sich die Gesetzmäßigkeiten des Risikos zu Nutze machte, und man konnte ihnen nur Glück dabei wünschen, denn im Spiel war wie in der Liebe alles möglich. Es amüsierte mich außerordentlich zu beobachten, wie die Reichen ausgenommen und die aus der Gosse vermögend wurden, doch was ich dabei dachte, spielte eine untergeordnete Rolle. Das Silber in meiner Börse und die Banknoten in meiner Rocktasche gehörten nicht mir, und ich durfte sie nicht nach meinem Gusto einsetzen. Sie waren dazu bestimmt, einen gewissen Herrn in größte Verlegenheit zu stürzen, der jüngst den Gentleman gedemütigt hatte, in dessen Auftrag ich mich in einen Wettstreit begeben sollte, bei dem Täuschung und Arglist gefragt waren.

Ich verbrachte eine Viertelstunde damit, durch Kingsley's Räumlichkeiten zu schlendern, mich in dem Licht der zahllosen Lüster zu sonnen und an ihrer Wärme zu ergötzen, denn der Winter war in diesem Jahr früh und mit Macht gekommen, und draußen war alles bitterkalt und mit einer Frostschicht überzogen. So gewärmt und in Stimmung gebracht - wozu die Musik und das Gelächter und die Verlockungen der Schönen der Nacht das ihrige getan hatten, um meinen Kopf in einen Rausch zu versetzen -, begann ich alsdann, meinen Plan zu schmieden. Ich nippte an einem verdünnten Madeira und nahm unauffällig meinen Mann ins Visier. Dies war ein leichtes Unterfangen, denn ich hatte mich als Geck der affigsten Sorte verkleidet, und wenn die Gäste Notiz von mir nahmen, dann nur von einem Mann, der es darauf anlegte aufzufallen. Auf welche Weise kann man sonst sein wahres Ich gründlicher verbergen?

Ich trug einen smaragdgrünen, mit Goldtressen geschmückten Rock, derart übermäßig drapiert, dass er schon beinahe untragbar war, und dazu ein Wams von der gleichen Farbe, doch nicht dazu passendem Schnitt, an welchem messingne Knöpfe von beinahe der Größe einer Untertasse glänzten. Mein Beinkleid war aus dem feinsten Samt, und an meinen Schuhen war unter der übergroßen Silberschnalle kaum noch das glänzende Leder zu erkennen. Die spitzenbesetzten Rüschen an meinen Ärmelaufschlägen quollen daraus hervor wie Blumenbuketts, und damit auch niemand, der mein Gesicht schon einmal gesehen haben mochte, mich wiedererkannte, trug ich obendrein eine gewaltige Allongeperücke, wie sie in jenem Jahr unter den aufgeblasensten Stutzern große Mode war.

Als ich den Zeitpunkt und die Umstände günstig wähnte, näherte ich mich dem Tisch, an dem Cacho gespielt wurde, und nahm mein Opfer näher in Augenschein. Er war ein Mann in meinem Alter, sehr teuer gekleidet, doch ohne die auffällige Haartracht und die grellen Farben, mit denen ich mich kostümiert hatte. Sein Gewand war von einem gesetzten Dunkelblau mit roten Tressen, geschmackvoll mit Goldfäden durchwirkt, und stand ihm recht gut. Unter seiner Kurzhaarperücke erkannte man ein angenehmes Gesicht. Er konzentrierte sich mit der Ernsthaftigkeit eines Gelehrten auf die drei Spielkar-ten in seiner Hand und äußerte etwas in ungefähre Richtung des Dekolletes der Dirne auf seinem Schoß. Sie lachte darauf, was, wie ich vermutete, mehr oder weniger die Art und Weise war, auf die sie sich die Gunst ihres Kavaliers zu sichern trachtete.

Der Mann hieß Robert Bailor. Ich meinerseits war von einem Mr. Jerome Cobb verpflichtet worden, dem Mann, der von Bailor bei einem Glücksspiel ausgenommen worden war. Wie mein Auftraggeber argwöhnte, hatte dieser Umstand mehr mit Betrug denn mit Glück zu tun. Dies entsprach jedenfalls der Vorgeschichte, die mir berichtet worden war, in der meinem Auftraggeber nach seinem beträchtlichen Verlust zu Ohren gekommen war, dass besagter Bailor in dem Rufe eines Spielers stand, der das Prinzip des Zufalls ebenso wenig schätzte wie die Forderung zu einem Duell. Mr. Cobb hatte von Bai-lor Genugtuung verlangt, war aber von diesem in überheblicher Form abgewiesen worden, worauf ihm, Cobb, keine andere Wahl blieb, als seinerseits zu dem Mittel der Tücke zu greifen.

Da er dazu jemanden benötigte, der die schmutzige Arbeit für ihn übernahm, hatte Mr. Cobb sich an mich gewandt und mir seine unerquickliche Lage geschildert, bei welcher Gelegenheit er mich auch darüber ins Bild setzte, dass meine Reputation ihn zu mir geführt hatte. Meine Aufgabe war simpel. Mr. Cobb instruierte mich, einen Zweikampf mit Bailor am Spieltisch zu provozieren. Doch sei ich nicht der Einzige, den er zu diesem Zwecke in seine Dienste gestellt habe, sondern ein bestimmter Bediensteter von Kingsley's, dem das Austeilen der Spielkarten an den Tischen oblag, solle mir zuarbeiten, indem er dafür sorgte, dass ich verlor, wenn ich zu verlieren wünschte, und, noch wichtiger, dass ich gewann, wenn ich gewinnen wollte. Sowie es mir gelungen war, Mr. Bailor vor einer möglichst großen Menschenmenge öffentlich zu demütigen, sollte ich ihm so heimlich, dass kein anderes Paar Ohren es hörte, zuflüstern, er habe nun den langen Arm von Mr. Cobb zu spüren bekommen.

Ich stellte mich also an den mit rotem Samt bezogenen Spieltisch und versenkte mich einen Augenblick lang in den Anblick von Bailors Gespielin, wonach ich einen weiteren Moment lang meinen Blick auf Bailor selber ruhen ließ. Mr. Cobb hatte mich über alle ihm bekannten Eigenarten seines Widersachers belehrt; zu diesen gehörte, dass Bailor es überhaupt nicht schätzte, wenn Fremde ihn anstarrten, und dass er dies in ganz besonderem Maße bei Stutzern hasste. Ein glotzender Geck würde ganz gewiss seine Aufmerksamkeit erregen.

Bailor legte seine drei Karten offen; seine beiden Mitspieler taten es ihm nach. Bailor grinste und zog den Stapel Münzen auf dem Tisch zu sich heran. Dann richtete er bedächtig den Blick aus seinen schmalen Augen auf mich. Es war so hell im Raum, dass ich deren blassgraue Farbe und die roten Äder-chen, die sie durchzogen, erkennen konnte. Letztere waren ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Mann bereits zu lange am Spieltisch gesessen, dem Weine im Übermaß zugesprochen und dringend eine Mütze Schlaf nötig hatte.

Obwohl seine buschigen Augenbrauen und die etwas platte Nase mit den großen Nasenlöchern das Gesamtbild ein wenig störten, erweckten jedoch die starken Wangenknochen, das kantige Kinn und die kräftige Statur den Eindruck eines Mannes, der einen Ausritt mehr schätzte als ein Steak oder Bier. Er hatte somit etwas Gebieterisches an sich.

»Wenden Sie den Blick woanders hin, Sir«, sagte er zu mir, »oder ich muss Ihnen die Manieren beibringen, die Ihre Erziehung vermissen lässt.«

»Ach, was sind wir denn heute wieder gleich so grob, mein Bester«, erwiderte ich und ahmte dabei einen schottischen Akzent nach, denn mir war zu verstehen gegeben worden, dass Bailor außer Laffen vor allem die Bewohner des Nordens unserer Insel nicht ausstehen konnte. Somit erfüllte ich sämtliche Voraussetzungen, um seinen Zorn zu erregen. »Ich habe mir bloß einen kleinen Seitenblick auf das Mädgen erlaubt, das Sie bei sich haben. Falls Sie sie nicht länger brauchen, um Euch den Schoß zu wärmen, könnten Sie sie vielleicht eine Weile mir überlassen.«

Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. »Ich glaube kaum, dass du etwas mit einer Frau anzufangen wüsstest, Sawny«, sagte er zu mir und nannte mich dabei bei dem Spitznamen, den die Schotten als so erniedrigend empfinden.

Ich hingegen tat so, als wäre ich über derartige Kränkungen erhaben. »Wenn's nach mir ginge, würde ich sie nich' kalt werden lassen, während ich beim Kartenspiel sitze. Wenn's nach mir ginge, nich'.«

»Sie beleidigen mich, Sir«, sagte er. »Nicht nur mit Ihren dreckigen Worten, sondern allein schon durch Ihre Person, die ein Schlag ins Gesicht dieser Stadt und dieses Landes ist.«

»Dazu kann ich nich' sagen. Das müssen Sie selber wissen. Was iss denn nun? Kann ich die Metze nun haben oder nich'?«

»Nein«, sagte er ganz ruhig. »Das können Sie nicht. Stattdessen werde ich Sie zu einem Zweikampf herausfordern.«

Bei diesen Worten ging ein Raunen durch den Saal. Eine Menschenmenge hatte sich neugierig um uns geschart. Wir hatten etwa zwanzig oder dreißig Zuschauer - elegant gekleidete, zynisch grinsende Stutzer zogen ihre grell geschminkten Begleiterinnen näher zu sich heran und flüsterten aufgeregt untereinander; die Fächer der Damen flatterten wie ein Rie-senschwarm Schmetterlinge.

»Ein Duell, meinen Sie?« Ich lachte laut auf. Ich wusste genau, was er meinte, tat aber, als hätte ich nicht verstanden, worauf er hinauswollte. »Wenn Sie sich so leicht in Ihrer Ehre kränken lassen, werde ich Ihnen gerne zeigen, wer von uns beiden der Mann iss. Dachten Sie an Messer oder Pistolen? Sie dürfen mir glauben, dass ich für beides eine Schwäche habe.«

Er antwortete mit einem abschätzigen Grollen und warf den Kopf in den Nacken, als könne er nicht glauben, dass es immer noch einen so rückständigen Menschen gäbe, der einen Wettstreit mit Waffen ausfechten wollte. »Ich habe kein Verständnis für solche barbarischen Gepflogenheiten. Ein Duell mit den Karten, Sawny, wenn es recht ist. Kennst du das Spiel?«

»Cacho? Ja, iss mir bekannt. Ein Spiel für Mädgens und für Knaben, denen noch keine Haare auf der Brust wachsen, aber wenn Sie Spaß daran finden, werde ich mich gerne der Herausforderung stellen.«

Die beiden Gentlemen, die bis eben mit ihm am Tisch gesessen hatten, erhoben sich, damit ich auf einem der Stühle Platz nehmen konnte. Dies tat ich und warf dem Bediensteten, der für das Austeilen der Karten zuständig war, einen äußerst diskreten Blick zu. Er war ein untersetzter Mann mit einem Muttermal auf der Nase - genau der, den Mr. Cobb, mein Auftraggeber, mir beschrieben hatte. Er erwiderte flüchtig meinen Blick. Es verlief alles nach Plan.

»Noch ein Glas von dem Madeira«, rief ich in der Hoffnung, dass ein Bediensteter mich hören würde. Dann zog ich eine mit einem feinen Schnitzmuster verzierte Schnupftabaksdose aus Elfenbein aus der Tasche und entnahm ihr mit geziert langsamen Bewegungen eine Prise des scheußlichen Zeugs. An Mr. Bailor gewandt fragte ich: »An welche Summe hatten Sie gedacht, mein Bester? Fünf Pfund? Oder übersteigen zehn Ihre Verhältnisse?«

Seine Freunde lachten. Er zog eine höhnische Grimasse. »Zehn Pfund? Sind Sie verrückt? Sind Sie je bei Kingsley's gewesen?«

»Nun, dies ist mein erster Besuch in London. Warum fragen Sie? Ich kann Ihnen versichern, dass ich in meinem Heimatland einen vorzüglichen Ruf genieße.«

»Woher soll ich wissen, aus welcher Gosse von Edinburgh du kommst ...«

»Es iss nich recht, mich so anzusprechen«, unterbrach ich ihn. »Sie müssen wissen, dass ich der Laird von Kyleakin bin«, erklärte ich stolz und hatte dabei keine Ahnung, wo Kyleakin lag oder ob der Ort bedeutend genug war, um von einem Laird, einem Gutsherren, geführt zu werden. Ich wusste bloß, dass die Hälfte der Schotten in London von sich behaupteten, der Laird von irgendwas zu sein, dieser Titel seinem Träger aber mehr Spott einbrachte als Respekt.

»Es ist mir gleich, welchen Sumpf Sie Ihren Heimatort schimpfen«, sagte Bailor. »Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass hier bei Kingsley's niemand um weniger als fünfzig Pfund spielt. Falls Sie eine solche Summe nicht aufbringen können, verschwinden Sie von hier und hören auf, mir die Atemluft zu verpesten.«

»Ich spucke auf Ihre fünfzig Pfund. Für mich ist das nicht mehr als ein roter Heller.« Ich zog eine Brieftasche hervor, der ich zwei Banknoten zu je fünfundzwanzig Pfund entnahm.

Bailor inspizierte sie, um sie auf ihre Echtheit zu überprüfen, denn mit Falschgeld oder dem Schuldschein eines bankrotten Laird von Kyleakin würde er nichts anfangen können. Die beiden Noten stammten jedoch von einem angesehenen Londoner Goldschmied, so dass mein Gegner nichts daran auszusetzen hatte. Nun zog er seinerseits zwei Banknoten hervor, die nun ich wiederum an mich nahm, um sie zu überprüfen, obwohl ich keinen Grund zu der Annahme hatte, es könne etwas faul damit sein - und dieser Umstand mir auch hätte gleichgültig sein können. Ich verfolgte lediglich die Absicht, ihn noch mehr gegen mich aufzubringen, indem ich mir Zeit nahm. Dementsprechend betrachtete ich mir sein Geld von allen Seiten, hielt es gegen das Kerzenlicht und saugte es mit meinen Augen förmlich auf, um den Druck genauestens zu überprüfen.

»Legen Sie das Geld auf den Tisch«, sagte er nach einer Weile. »Wenn Sie jetzt nicht zu einem Schluss gekommen sind, werden Sie sich nie entscheiden, solange Sie nicht einen Ihrer Seher aus den Highlands hinzuziehen. Was ich damit sagen will - mein Ruf ist hier über jeden Zweifel erhaben, Ihrer ist es nicht. Wir fangen also mit fünfzig Pfund Einsatz an, aber wir erhöhen in Schritten von mindestens zehn Pfund. Sind wir uns darin einig?«

»Jawohl. Doch nun wollen wir beginnen.« Ich legte meine linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Tisch. Das war das zuvor vereinbarte Zeichen für den Geber, dass ich diese Runde zu verlieren wünschte.

Selbst zu jenen Zeiten, als ich noch häufig beim Kartenspiel anzutreffen war, hat mir Cacho nie rechten Genuss bereitet, denn bei diesem Spiel muss man zu viele auf unbekannten Faktoren beruhende Entscheidungen treffen. Mit anderen Worten ist das Spiel mehr eine Frage des Zufalls als des Geschicks, und an so etwas habe ich kein Interesse. Cacho wird mit vierundzwanzig Karten gespielt - nur das Ass bis zur Sechs jeder Farbe. Jeder Spieler bekommt eine Karte, macht seinen Einsatz, und das wird dann zweimal wiederholt, bis jeder Spieler drei Karten auf der Hand hat. Da das Ass als niedrige Karte zählt, gewinnt eben nicht der Spieler mit dem vermeintlich besten - oder in unserem Falle dem besseren - Blatt.

Ich bekam ein Herzass. Kein guter Start in diesem schlichten Spiel, in dem eine einzige hohe Karte oft schon zum Sieg genügt. Ich aber grinste, als hätte ich die Karte erhalten, die ich mir am meisten wünschte, und warf zehn Pfund in die Mitte des Tisches. Auch Bailor ließ sich nicht lumpen, und mein verbündeter Geber reichte mir eine weitere Karte. Die Karodrei. Wieder kein glücklicher Griff, aber ich warf noch zehn Pfund in den Topf, und Bailor tat es mir nach. Meine letzte Karte war die Pikvier. Ein Blatt, mit dem man nur verlieren konnte. Aber wir legten beide unsere zehn Pfund dazu, und dann verlangte Bailor mein Blatt zu sehen. Ich hatte nichts von Wert anzubieten, aber er präsentierte ein Cacho, drei Karten von der selben Farbe. Mit einem Handstreich hatte er mich um achtzig Pfund erleichtert - etwa die Hälfte dessen, was ich mit Glück in einem Jahr verdiene. Aber da es sich ja nicht um mein Geld handelte, und ich instruiert worden war, es zu verlieren, weinte ich ihm kaum eine Träne nach.

Bailor lachte so dreckig wie der Schurke in einem Marionettentheater und wollte wissen, ob ich mich mit einer Revancherunde noch tiefer ins Unglück zu stürzen wünschte. Ich sagte ihm, dass mich seine schäbige Herausforderung nicht schrecke, und gab wiederum dem Geber das Zeichen, dass er mich verlieren lassen sollte. Entsprechend war ich kurz darauf um weitere achtzig Pfund ärmer. Nun fing ich an, die Miene eines von den Ereignissen schwer getroffenen Mannes zu ziehen, fluchte leise vor mich hin und schluckte hastig meinen Wein.

»Ich würde mal sagen«, hob Bailor an, »dass Sie in diesem Duell unterlegen sind. Nun sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen. Verschwinden Sie wieder zurück in den Norden, malen Sie sich meinetwegen blau an, aber behelligen Sie nicht länger unsere gesitteten Gestade.«

»Noch habe ich nicht verloren«, versetzte ich. »Es sei denn, Sie sind ein solcher Feigling, dass Sie einen Rückzieher machen.«

»Ich wäre ein merkwürdiger Feigling, wenn ich einen Rückzieher davor machte, Ihnen Ihr Geld abzuknöpfen. Dann spielen wir also noch eine Runde.«

Obwohl ich anfänglich gewisse Skrupel gehabt hatte, mich auf einen solchen Schwindel einzulassen, packte mich nun ein Gefühl der Abscheu gegen Bailor, und ich freute mich außerordentlich darauf, ihm seine Niederlage beizubringen. »Nun aber Schluss mit dem Kinderkram«, sagte ich, zog drei Hundertpfundnoten aus meiner Brieftasche und knallte sie auf den Tisch.

Bailor zögerte nur einen kurzen Augenblick, ehe er den Einsatz entsprechend verdoppelte. Nun legte ich die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Tisch - das Zeichen, dass ich jetzt gewinnen wollte, denn es wurde Zeit, diesem Mann die Quittung zu präsentieren.

Ich erhielt meine erste Karte - die Kreuzsechs. Ein vielversprechender Anfang, dachte ich und legte noch zwei Hunderter auf den Stapel. Einen Moment lang befürchtete ich, Bailor könnte entweder Verdacht schöpfen oder kalte Füße bekommen, aber er hatte ja selber darauf bestanden, die Herausforderung anzunehmen, und konnte nun nicht klein beigeben, ohne das Gesicht zu verlieren. Also tat er es mir nicht nur nach, sondern legte gleich noch einen weiteren Hunderter hinzu, was auch ich wiederum mir nicht nehmen ließ.

Es ging in die zweite Runde, und ich bekam die Piksechs. Ich bemühte mich, mein Frohlocken zu verhehlen. Beim Cacho sind drei Sechsen das beste Blatt. Der Mann, den mein Auftraggeber bezahlte, hatte vor, mir den Weg zum Gewinn zu ebnen. Ich legte weitere zweihundert auf den Tisch. Bailor tat dasselbe - erhöhte den Einsatz aber nicht noch einmal von sich aus. Es überraschte mich nicht, dass er langsam unsicher wurde. Wir hatten nun beide jeweils achthundert Pfund in die Waagschale geworfen, und die zu verlieren, würde einen herben Schlag für ihn bedeuten. Er verfügte über einige Mittel, wie mir gesagt worden war, doch nicht über unermessliche, und niemand bis auf die reichsten unter den Lords und Handelsherren konnte ohne mit der Wimper zu zucken solche Summen dreingeben.

»Sie wollen diesmal nicht erhöhen, mein Bester?«, höhnte ich. »Bekommen Sie schon weiche Knie?«

»Halt dein schottisches Lästermaul«, fluchte er.

Ich grinste, denn ich wusste, dass er nichts anzubieten hatte, und das würde auch dem Schotten, der ich zu sein vorgab, nicht entgangen sein.

Und dann bekam ich meine dritte Karte. Die Karozwei.

Ich musste gegen das Verlangen ankämpfen, dem Geber zuzuraunen, dass er sich geirrt hatte. Gewiss hatte er mir eine Sechs zugedacht. Da nun so viel von dem Geld meines Auftraggebers auf dem Tisch lag, bekam ich ein äußerst ungutes Gefühl angesichts der Aussicht, es zu verlieren. Doch rasch beruhigte ich mich wieder, als ich erkannte, dass ich mich lediglich auf einen weit spektakuläreren Ausgang gespitzt hatte, als der Geber ihn plante. Ein Sieg mittels dreier Sechsen hätte viel zu sehr nach dem Betrug ausgesehen, den wir ja schließlich auch gemeinsam durchgeführt hatten. Mein Mitverschwörer brauchte Bailor nur eine noch schlechtere Karte zukommen zu lassen, und unser Wettstreit wäre durch diese eine Karte mit höherem Wert entschieden. Doch der Verlust würde meinen Gegner dadurch nicht minder schwer treffen, dass er durch eine solche Lappalie herbeigeführt worden war.

Um uns herum hatten sich immer mehr Zuschauer versammelt, und es wurde stickig am Tisch von der Wärme ihrer Körper und ihres Atems. Doch es lief alles so, wie mein Auftraggeber es sich vorgestellt hatte. Ich warf dem Geber einen Seitenblick zu, den dieser mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfnicken quittierte. Ihm war nicht entgangen, wie sehr ich mich erschrocken hatte. »Noch einmal hundert«, sagte ich. Mehr wollte ich nicht aufs Spiel setzen, denn das Geld von Mr. Cobb ging langsam zur Neige, und ich wollte noch etwas in der Hinterhand behalten, falls Bailor noch einmal zu erhöhen trachtete. Das tat er auch, beließ es jedoch bei fünfzig Pfund, womit mir allerdings nur noch zwanzig, höchstens dreißig Pfund von Mr. Cobbs Geld blieben.

Bailor grinste mich an. »Nun wollen wir mal sehen, wer der Bessere ist, Sawny.«

Ich erwiderte sein Grinsen und legte meine Karten offen. »Nicht so glanzvoll, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich habe schon mit weniger gewonnen.«

»Kann sein«, erwiderte er, »aber diesmal hättest du mit mehr verloren.« Dann zeigte er sein Blatt - ein Cacho, und nicht bloß ein Cacho, sondern eines mit einer Sechs, einer Fünf und einer Vier. Besser konnte man es nur mit drei Sechsen treffen. Ich hatte verloren, und zwar nicht zu knapp.

Mir wurde schwindlig. Irgendetwas war schiefgegangen, ganz fürchterlich schiefgegangen. Ich hatte alles so gemacht, wie Mr. Cobb es mir aufgetragen hatte. Der Geber hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er Mr. Cobbs Mann war. Ich hatte die Zeichen wie verabredet gegeben. Und doch musste ich nun zurück zu dem Mann, der mich in seine Dienste genommen hatte, und ihm gestehen, dass ich über tausend Pfund seines Geldes verloren hatte.

Ich warf dem Geber einen Blick zu, dem dieser auswich. Bailor hingegen sah mich so unverhohlen lüstern an, dass ich einen Augenblick lang das Gefühl hatte, er wolle mich, und nicht seine Hure, mit in seine Gemächer nehmen.

Ich erhob mich vom Tisch.

»Wohin soll's denn gehen, Sawny?«, fragte einer von Bailors Freunden.

»Ein Hoch auf den Laird von Kyleakin«, rief ein anderer.

»Noch eine Runde«, ließ Bailor sich vernehmen. »Oder wollen wir das Spiel als beendet ansehen, mit dir als Verlierer?« Er wandte sich wieder seinen Kumpanen zu. »Vielleicht sollte ich meinen Gewinn dazu verwenden, ganz Kyleakin zu kaufen und seinen derzeitigen Verwalter vor die Tür zu setzen. Ich schätze, dass auf diesem Tisch ein Batzen mehr liegt, als ich dazu benötigen würde.«

Ich sagte nichts, hatte nur den Wunsch, aus diesem Cof-fee House zu verschwinden, bei dessen Geruch nach verschüttetem Wein, Schweiß und den Düften der Damen sich mir nun der Magen umdrehte. Ich wollte, dass mir die winterliche Abendkälte ins Gesicht schlug, damit ich einen klaren Kopf bekam, um meinen nächsten Schritt planen zu können, vor allem aber, um mir darüber klar zu werden, was schiefgegangen war und wie ich dem Mann unter die Augen treten sollte, der mir ein kleines Vermögen anvertraut hatte.

Ich musste mehr zur Tür geschlurft als gegangen sein, denn ehe ich die Klinke drücken konnte, war Bailor mit rotem, vor hämischer Siegesfreude glühenden Gesicht und mit seinen Kumpanen im Schlepptau schon wieder hinter mir. Im ersten Augenblick glaubte ich, er wolle mich herausfordern, noch auf eine andere Weise meine Kräfte mit den seinen zu messen, was mir tatsächlich nur recht gewesen wäre, hätte es mir doch einiges von meiner Seelenlast genommen, es ihm mit der Faust heimzuzahlen.

»Was ist noch?«, fuhr ich ihn an. Lieber sollte er sich an meinem Elend weiden als glauben, ich wolle mich davonstehlen. Obwohl man mich unter meiner Verkleidung nicht erkennen konnte und somit nichts, was ich tat, meinen guten Ruf beschmutzen könnte, war es mir als Mann doch zuwider, vor einem anderen davonzulaufen.

Einen Moment lang sagte er gar nichts und sah mich nur an. Dann beugte er sich vor, als wolle er mich auf die Wange küssen, aber stattdessen flüsterte er mir etwas ins Ohr. »Mr. Weaver«, sprach er mich bei meinem richtigen Namen an, »ich glaube, Sie haben soeben den langen Arm von Jerome Cobb zu spüren bekommen.«

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