28


Elias saß in meinem Wohnzimmer und leerte genüsslich eine Flasche Portwein, die ich am Morgen erst geöffnet hatte. Er schmiegte sich in meinen bequemsten Sessel und hatte die Füße auf den Tisch gelegt, an dem ich meine Mahlzeiten einzunehmen pflegte.

»Ich bin ziemlich unglücklich mit alledem«, sagte er.

»Das bezweifle ich nicht.« Ich trat gerade in dunklen Breeches und einem dazu passenden dunklen Hemd ins Zimmer. Dann schlüpfte ich in eine ebenso dunkle Jacke, die zwar nicht den Zweck eines richtigen Überziehers erfüllte, denn sie war leichter, als es dem Wetter entsprach und lag enger am Körper an. Sie würde mich aber ausreichend vor der Kälte schützen, und ich musste mich nicht mit einem schweren Kleidungsstück belasten, das mir nur hinderlich sein konnte.

»Ich nehme nicht an, dass du mich begleiten möchtest«, sagte ich. »Und wenn, dann wüsstest du wahrscheinlich nicht, wie du dich verhalten solltest. Obwohl dir der Sinn nach Abenteuern steht, musst du stets bedenken, dass man uns dabei ertappen könnte, und ich bezweifle, dass du dich im Gefängnis gut aufgehoben fühlen würdest.«

Er nahm die Füße vom Tisch. »Das stimmt schon, aber es laufen allerhand miese Burschen herum. Und was soll ich so allein mit mir anfangen, bis du wieder da bist?«

»Wenn du möchtest, kannst du hier auf mich warten.«

»Aber es ist doch kein Portwein mehr da.«

»Du weißt, dass ich immer mehr als eine Flasche im Haus habe.«

»Oh. Dann bleibe ich hier.«

Es war den ganzen Tag bitterkalt gewesen, doch mit dem Einbruch der Nacht hatte es sich sonderbarerweise ein wenig erwärmt, so dass sich die Kälte draußen durchaus ertragen ließ. Der dunkle Himmel war wolkenverhangen, und es fielen immer wieder pappige Schneeflocken, die den Schmutz auf den Londoner Straßen in eine schlammige Masse verwandelten. Unter weniger dringlichen Umständen hätte ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen gesetzt, um mich vor Dreckspritzern zu bewahren oder nicht aus Versehen in einen Haufen Kot zu treten, aber an diesem Abend war mir nur danach, entschlossenen Schrittes voranzustreben.

Ich sprach ein stummes Stoßgebet. Am nächsten Tag würde die Versammlung der Anteilseigner einberufen, und wenn es mir nicht gelang, bis dahin Mr. Franco zu befreien und Peppers Pläne zu finden, waren meine sämtlichen Bemühungen möglicherweise vergebens gewesen. Auf jeden Fall musste ich mir Zutritt zu dem Haus verschaffen, das Cobb und Hammond benutzt hatten.

Ich war schon in allerhand Häuser eingebrochen, einmal sogar in eine von französischen Spionen besetzte Festung, aber ich musste davon ausgehen, dass man Vorkehrungen gegen einen Einbruch getroffen, vielleicht sogar Fallen aufgestellt hatte, und das gefiel mir gar nicht. Daher wollte ich mich der Hilfe derer versichern, die ganz genau wussten, wie man in das Haus gelangte.

Nachdem ich in die Sparrow Street eingebogen war, blieb ich stehen und schaute mich nach allen Seiten um. Ich lehnte mich gegen eine Mauer und zog den Hut tief in die Stirn, damit niemand mein Gesicht sehen konnte. Die Dunkelheit verlieh mir zusätzlichen Schutz, und ich glaube nicht, dass jemand mich erkannt hätte. Es war gegen zehn Uhr, und aus ein paar Fenstern fiel hier und dort noch etwas Licht auf die Straße, die im Übrigen trotz der Finsternis alles andere als menschenverlassen dalag. Es waren noch einige Passanten unterwegs, und ab und zu fuhr eine mit Laternen beleuchtete Kutsche vorbei, aber das würde mich nicht an meinem Vorhaben hindern. So hoffte ich jedenfalls.

Ich zog meine Börse hervor und ließ sie auf einen nicht mit Schnee oder Schmutz bedeckten Pflasterstein fallen. Ein paar Pennies fielen heraus und erzeugten das klimpernde Geräusch, das ich beabsichtigt hatte.

Augenblicklich war ich von einem Dutzend dunkler Gestalten umringt.

»Nimm den Stiefel von deiner Börse, Mann, sonst bekommst du meinen zu spüren.«

»Das will ich gerne tun, vor allem, da es eure Börse ist und nicht meine. Ich werde sie euch nämlich schenken.« Ich hob den Blick und erkannte den Straßenbengel wieder. Es war jener Luke, den ich bei meinem ersten Besuch in dieser Straße aus Edgars Fängen befreit hatte.

»He«, sagte einer seiner Kumpane. »Ist das nicht der Kerl, der es dem eingebildeten Edgar mal so richtig gezeigt hat?«

»Das ist er«, bestätigte Luke. Er beäugte mich misstrauisch, als wäre ich ein Leckerbissen, der von jemandem gereicht wurde, der in dem Ruf stand, Lebensmittel zu vergiften. »Was sollte das dann? Haben Sie uns mit dem Klimpern der Münzen auf dem Pflaster anlocken wollen?«

»Du hast es erfasst«, sagte ich. »Ich muss etwas mit euch besprechen. Gleich, was ihr dazu sagt, und gleich, ob ihr mir helft oder nicht, die Börse gehört euch.«

Luke nickte einem seiner Begleiter, einem kleinen Jungen mit laufender Nase, aufmunternd zu. Ich schätzte ihn auf höchstens sieben oder acht Jahre, doch als er nähertrat, sah ich, dass er doch älter war, aber offenbar an einer Wachstumshemmung litt. Blitzschnell bückte er sich, schnappte die Börse und stellte sich wieder zwischen die anderen.

»Sie wollen, dass wir was für Sie tun?«, fragte Luke.

»So ist es. Als ich das erste Mal hier war, habe ich euren Freund Edgar gefragt, warum er so eine Abneigung gegen euch hat. Er sagte mir, ihr wäret Einbrecher, wüsstet, wie man in das Haus hinein- und wieder hinausgelangt, ohne sich erwischen zu lassen.«

Die Jungen lachten, am meisten ihr Anführer Luke. »Das mag er nicht«, kicherte er. »Er kriegt dann immer eine Stinkwut.«

»Vor allem, weil sie glauben, ihr Haus wie eine Festung gesichert zu haben«, betonte ich.

Luke nickte verständig. »Genau. Ich gebe ja zu, dass wir das eine oder andere Mal geklaut haben, aber vor allem geht es uns um den Spaß. Viel können wir ja sowieso nicht mitgehen lassen, weil die dauernd zu Hause sind und mit der Muskete im Schoß auf uns warten. Aber wir schleichen uns trotzdem immer wieder hinein, und sie wissen nicht, wie.«

»Ich würde gerne euer Geheimnis erfahren«, sagte ich. »Ich möchte nämlich auch ins Haus.«

»Ist aber unser Geheimnis.«

»Schon, aber ich habe auch das eine oder andere Geheimnis. Vielleicht könnten wir ja tauschen.«

»Und was für ein Geheimnis kennen Sie?«

Ich lächelte. Ich wusste, dass er nun Blut geleckt hatte. »Mr. Cobb ist fort. Mr. Hammond wird auch bald nicht mehr hier sein. Ich bin sicher, dass spätestens einen Tag nach seinem Verschwinden die Gläubiger kommen werden, um sich das Haus unter den Nagel zu reißen. Wenn aber ein paar schlaue junge Burschen genau wissen, wann sie zuzuschlagen haben, können sie sich frei im Haus bewegen und sich ungestraft alles nehmen, was ihr Herz begehrt.«

Luke tauschte Blicke mit ein paar seiner Kameraden aus. »Sie lügen doch nicht, oder?«

Ich gab ihm meine Karte. »Wenn ihr euch belogen fühlt, kommt zu mir. Ich gebe euch fünf Pfund, wenn ich die Unwahrheit gesagt habe. Ich bin hier, um euch zu helfen, und ich hoffe, dass ihr mir meine Großzügigkeit nicht mit Zweifeln vergeltet.«

Luke nickte. »Ich weiß auch was über Sie«, sagte er. »Ich habe keinen Grund zu glauben, dass Sie mich anlügen, und wenn Sie sich geirrt haben, werden Sie es wiedergutmachen. Also abgemacht.« Er drehte sich zu seinen Freunden um, die allesamt feierlich nickten. Ich schmeichelte nicht mir selber, indem ich mir einbildete, mit ihrem Kopfnicken würden sie Lukes Einschätzung meines Charakters bestätigen. Vielmehr war es wohl die erfreuliche Aussicht, sich in einem so eleganten Haus nach Herzenslust bedienen zu können.«

»Wollt ihr mir jetzt zeigen, wie man hineinkommt?«

»Ich mach's. Ich hoffe, Sie hängen nicht zu sehr an den Sachen, die Sie jetzt anhaben, denn die werden bald nicht mehr viel wert sein.«

Ein Mann wie ich, der aus dem berüchtigtsten Gefängnis Londons ausgebrochen war, dürfte sich kaum von dem Gedanken an einen Nagel, der sich in seiner Hose verfängt oder von etwas Ruß an seinem Ärmel abschrecken lassen. Meine größte Sorge war, dass ein geheimer Durchgang, in den ein Junge passte, für einen Erwachsenen vielleicht zu eng sein könnte, aber sie erwies sich als unbegründet. Luke führte mich um die Straßenecke herum zu einem kleineren Nachbargebäude. Es handelte sich um ein gepflegtes, anständiges Gasthaus, wie ich sofort erkannte - keines, in dem gemeinhin Tunichtgute wie mein Freund Luke verkehrten.

»Hören Sie gut zu, Sir. Das ist ein Geheimweg, und ich will nicht, dass Sie ihn uns kaputt machen, denn sonst werde ich böse. Wir gehen hier schon seit ein paar Monaten ein und aus, und der Mann, dem das Haus gehört, hat nie auch nur einen Mucks von uns gehört. Also seien Sie leise.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

»Und wann steht das Haus nun leer?«

»Morgen bei Sonnenuntergang. Wenn alles läuft, wie ich hoffe, werden sich Mr. Hammond, Edgar und jeder andere, der sich noch darin aufhält, dann irgendwo verstecken und nicht wagen, hierher zurückzukehren. Vorausgesetzt«, fügte ich hinzu, »dass sie mir heute Nacht nicht in die Quere kommen.«

»Und wenn nicht alles so läuft, wie Sie hoffen?«

»Dafür sorge ich schon. Ich brauche Ihnen nur mit ein paar Wörtchen zuzuflüstern, dass ich ihr Geheimnis kenne.«

»Dass das französische Spione sind, meinen Sie?«

Ich sah ihn erstaunt an. »Woher weißt du das denn?«

»Sie wissen doch, dass ich in dem Haus gewesen bin, und ich habe Augen und Ohren. Und lesen kann ich übrigens auch.«

In dem Gasthaus gab es eine Tür, die zum Keller führte. Das Schloss war alt und primitiv, und ich hätte es ohne Weiteres aufbrechen können, aber das überließ ich Luke, damit er merkte, dass ich ihn als Anführer akzeptierte. Als die Tür offen war, erklärte er mir kurz und bündig den Weg. Dann verabschiedete er sich von mir, und die Jungen rannten davon.

Ich betrat das Haus, schloss die Tür hinter mir und verriegelte sie Lukes Anweisungen entsprechend auch wieder, falls die Bewohner des Hauses kamen, um nachzusehen. Dann setzte ich mich zehn Minuten lang auf die Treppe, bis sich meine Augen so gut es ging an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Durch die Tür war nur wenig Licht eingefallen, aber es hatte gereicht, um mir einen Überblick zu verschaffen und die Markierungspunkte zu finden, die Luke mir genau beschrieben hatte.

Ich stieg die Treppe hinunter und tastete mich vorsichtig über den staubigen Kellerboden bis zu einem alten Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand vor, auf dem nur ein paar Töpfe standen. Ich stellte die Töpfe auf den Boden und zog das Regal ein Stück vor. Dahinter fand ich das nur mit ein paar dünnen Brettern abgedeckte Loch in der Mauer, von dem Luke gesprochen hatte.

Ich hatte befürchtet, mich ab hier auf allen vieren bewegen zu müssen, aber ich stand vor einem unterirdischen Gang mit glatten Wänden, der hoch genug war, dass ich darin in leicht gebückter Haltung gehen konnte, und breit genug, dass ich mit den Schultern dabei nicht die Mauern berührte. Ich hätte sogar eine Kerze vor mir hertragen können, aber die besaß ich leider nicht. Ich hatte keine Ahnung, wozu dieser Durchgang je gedient haben sollte, und erst viele Jahre später, als ich ein paar von meinen Freunden mit dieser Geschichte ergötzte, hat mich ein Gentleman, der sich eingehend mit der Architekturgeschichte Londons befasst hatte, darüber aufgeklärt, dass das große Haus, in dem Hammond und Cobb gewohnt hatten, von einem Mann mit einer ausgesprochen zänkischen und eifersüchtigen Frau gebaut worden war und dass diesem Mann auch das Nachbarhaus gehörte, in dem er seine Geliebte unterbrachte, die er dann zu später Stunde, wenn seine Frau schlief, ungezwungen besuchen konnte. Und wenn die Ehefrau am nächsten Morgen die Diener fragte, ob ihr Mann in der Nacht das Haus verlassen habe, konnten diese in aller Unschuld sagen, das sei nicht der Fall gewesen.

Im Gegensatz zu mir war der Vorbesitzer des Hauses gewiss so klug gewesen, auf seine nächtlichen Stollengänge eine Kerze mitzunehmen, und bestimmt waren früher auch die Wände noch sauber gewesen oder vielleicht zumindest regelmäßig gereinigt worden. Nun aber befand sich alles im Zustand des Verfalls, und Luke hatte mich nicht umsonst wegen meiner Kleider gewarnt. Sooft ich im Dunkeln gegen die Wände stieß, rieselte irgendein feuchter Unrat auf mich herab. Ich hörte auch Ratten umherhuschen und griff dauernd in Spinnennetze, aber das war eben der Schmutz, an den man sich zwangsläufig gewöhnte, wenn man in einer so großen Stadt lebte. Ich war fest entschlossen, mich davon nicht abschrecken zu lassen.

Es kostete mich zehn Minuten, den Stollen zu durchqueren - mit einem Licht hätte es wohl nur eine oder zwei gedauert. Ich hielt im Gehen ständig eine Hand vor mich ausgestreckt, und irgendwann berührte ich damit wiederum morsches Holz, das ich, Lukes Anweisung entsprechend, zur Seite schob. Die Tür befand sich auf einer eisernen Laufschiene und ließ sich leicht bewegen. Ich trat hindurch und schob sie wieder zu. Ich konnte zwar im Dunkeln nichts sehen, hörte aber, wie der Riegel mit einem satten Geräusch einrastete, und nun wusste ich, was Luke damit gemeint hatte, als er sagte, wenn man es nicht wüsste, würde man in diesem Verschlag nie eine Türöffnung vermuten.

Von ihm und seinen Kameraden hatte ich auch erfahren, dass mich besagte Tür in die Wirtschaftsräume führen würde. Stets darauf bedacht, nichts umzustoßen, machte ich vorsichtig einen weiteren Schritt und fand mich tatsächlich in einer schwach erhellten Küche wieder.

Es schien eine Besonderheit dieses Hauses zu sein, dass die Küche sich im Keller befand, aber dies hatte wohl den Bedürfnissen des ursprünglichen Besitzers entsprochen. Mir sollte es gleich sein. Ich orientierte mich, wischte mir den gröbsten Schmutz von den Kleidern und stieg eine Treppe hinauf.

Bevor ich das Gewölbe betreten hatte, hatte ich noch gehört, wie der Nachtwächter die elfte Stunde ausrief, also konnte ich davon ausgehen, dass die meisten Bewohner des Hauses schliefen - obwohl ich natürlich nicht einmal annähernd wusste, aus wem diese Bewohnerschaft alles bestand. Irgendwie mussten Hammond und Edgar Mr. Franco ja gegen seinen Willen hier gefangen halten. Andererseits brauchte es vielleicht gar keine körperliche Gewalt, ihn festzuhalten. Schließlich war auch ich auf Cobbs Wünsche eingegangen, ohne dass er äußerlich erkennbaren Druck auf mich ausgeübt hatte. Ich hoffte jeden-falls, dass es sich auch hier so verhielt. Wenn es im Haus außer Mr. Franco nur die beiden gab, würde mein Vorhaben vielleicht von Erfolg beschieden sein - und das ohne jegliches Blutvergießen. Falls es aber im Hause bewaffnete Männer gäbe - Diener der französischen Krone etwa -, konnte es leicht gefährlich werden, und dann stand es um mich längst nicht so gut. Aber es gab nur einen Weg, das herauszufinden, also drehte ich oben an der Treppe am Türknauf und betrat den Wohnbereich des Hauses.

Es war ein geräumiges Haus, und obwohl Celia Glade angedeutet hatte, dass Cobb und Hammond es nicht riskieren würden, sich eine Dienerschaft zu halten, konnte ich mir kaum vorstellen, wie sie ohne einen Butler, einen Koch, ein Küchenmädchen und eine Waschfrau ausgekommen sein sollten. Aber es war niemand zu entdecken.

Im Erdgeschoss verschaffte ich mir einen raschen Überblick, wobei ich jeden meiner Schritte mit Bedacht setzte und es tunlichst vermied, mich durch ein Knarren der Bodendielen zu verraten. Aber nichts rührte sich, es schien niemand wach zu sein, und auch aus dem Stockwerk darüber war nichts zu hören.

Den Raum, den ich für Cobbs Arbeitszimmer hielt, durchsuchte ich schon ein wenig gründlicher nach den bewussten Plänen, konnte aber keine Spur von einem kleinen Oktavband entdecken, wie ihn Pepper zu benutzen gepflegt hatte. Ich fand überhaupt keine privaten Unterlagen - es sah so aus, als wäre das Zimmer aufgeräumt worden. Natürlich konnte es jede Menge Verstecke für das Büchlein geben, die mir bei meinem ersten Überblick noch entgangen waren, doch was sollte ich tun - es war stockfinster, und ich durfte kein Geräusch machen. Sowie ich Hammond erst in meiner Gewalt hatte, würde ich Mittel und Wege finden, den Verwahrort der Pläne in Erfahrung zu bringen.

Nachdem ich das Erdgeschoss so weit als möglich durch-sucht hatte, begab ich mich weiter in die obere Etage. Ich fragte mich, wo Edgar wohl seine Schlafkammer hatte. Als Diener stand es ihm eigentlich nicht zu, im oberen Stockwerk zu nächtigen, aber für diese Ausnahme mochte es zwei Gründe geben. Da Edgar offenbar der einzige ständig im Haus befindliche Bedienstete war, musste er sich natürlich in der Nähe seiner Herrschaft - die inzwischen ja nur noch aus einer Person bestand - aufhalten, falls diese in der Nacht etwas benötigte. Aber ich ging nun vielmehr davon aus, dass es sich bei Edgar gar nicht um einen Diener handelte, jedenfalls nicht auf die Weise, die es den Anschein hatte. Mit anderen Worten - auch er war, wie Cobb und Hammond, ein Agent der französischen Krone. Wenn das stimmte, musste ich mich vor ihm besonders in Acht nehmen.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich die Treppe erklommen hatte, aber schließlich kam ich doch unentdeckt oben an. Ich ging davon aus, dass es hier drei voneinander abgetrennte Räumlichkeiten gab. Ich wandte mich zunächst nach links und tastete mich den Flur entlang, bis ich vor der ersten Tür stand. Ich drehte den Knauf ganz langsam herum, aber es half nichts - ich verursachte trotzdem ein leises, knirschendes Geräusch von Metall, das auf Metall rieb. Aber für mich hörte es sich an wie Kanonendonner.

Aufs Schlimmste vorbereitet öffnete ich die Tür und lugte ins Zimmer. Der Raum ging zur Vorderfront hinaus und war, soweit ich sehen konnte, bewohnt - es gab Bücher, und auf dem mit Papieren bestreuten Schreibtisch stand ein halb geleerter Becher Wein. Mit etwas mehr Glück als bei der ersten öffnete ich die Tür zum Schlafgemach. Unter der Bettdecke erkannte ich die Umrisse eines Körpers. Ich riskierte es, eine Kerze anzuzünden. Die Gestalt wälzte sich herum, wachte aber nicht auf. Ich atmete erleichtert aus. Es war Mr. Franco.

Ich schloss die Tür wieder, damit uns niemand hörte. Es tat mir leid, dass ich meinen Freund aus seinem Schlummer rei-ßen musste, aber es ging ja nicht anders. Ich legte ihm die Hand auf den Mund und wollte ihn gerade wachrütteln, als er mit einem Male die Augen weit öffnete.

Ich wusste nicht, ob er mich erkannte, also flüsterte ich ihm rasch ein paar beruhigende Worte zu. »Ganz ruhig, Mr. Franco. Ich bin es, Weaver. Nicken Sie mit dem Kopf, wenn Sie mich verstanden haben.«

Er nickte, also zog ich die Hand fort.

»Tut mir leid, Sie so zu erschrecken«, flüsterte ich so leise wie möglich. »Aber ich wusste mir keinen anderen Rat.«

»Ich verstehe«, sagte er und richtete sich auf. »Aber was tun Sie hier?«

»Ich bekomme alles in den Griff«, sagte ich. »Schon morgen werden diese Männer keine Gefahr mehr für uns sein. Eigentlich ist das jetzt schon der Fall, nur wissen sie es noch nicht. Aber wenn wir Sie gründlich schlagen wollen, müssen wir mit etwas verschwinden, was einen großen Wert für sie darstellt.«

Mr. Franco begriff sofort. »Die Pläne für den Webstuhl«, sagte er.

»Sie wissen Bescheid?«

Er nickte. »Sie haben kein Hehl daraus gemacht, wonach ihnen der Sinn stand. Ich habe befürchtet, dass sie mich umbringen wollten, sowie sie ihr Ziel erreicht hatten, also können Sie sich vorstellen, wie froh ich bin, Sie zu sehen.«

»Wieso hat man Sie überhaupt hier festgehalten?«

»Wissen Sie, wer diese Männer sind?«

»Französische Spione«, sagte ich. »Ich habe es auch jüngst erst erfahren.«

»Genau. Sie waren sehr darauf bedacht, dass niemand dahinterkam, aber Hammond schien zu ahnen, dass das Geheimnis in Gefahr war. Er fürchtete, dass Sie, sobald Sie es herausfänden, Gesandte des Königs oder jemanden von der Regierung hinzuziehen würden, um mir Schutz zu gewähren. Hammond hat Angst vor Ihnen, Sir. Er hat Angst, die Fäden nicht mehr in der Hand zu haben, und da er sich nicht anders gegen Sie zu wehren wusste, hat er mich als Geisel genommen.«

»Aber mit welchem Druckmittel hält er Sie hier gefangen?«

»Er hat meine Tochter bedroht, Sir. Er behauptet, in Saloniki Verbündete zu haben, die ihr etwas zuleide tun könnten. Ich brachte es nicht über mich, Gabriella in Gefahr zu bringen, also war ich gezwungen, stattdessen notfalls Sie zu opfern. Ich flehe Sie an, mir zu vergeben.«

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Seien Sie nicht albern. Ihre Tochter hat doch erst recht nichts mit alledem zu tun, und ich hätte es nicht ertragen, wenn Sie meinetwegen ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten. Es ist meine Schuld, dass Sie hier sind - nein, sparen Sie sich Ihre Worte. Ich übernehme nicht die Verantwortung für das, was diese Männer getan haben, noch mache ich mir Vorwürfe, aber ich habe Sie in all das mit hineingezogen, und so bin doch letztlich ich verantwortlich.«

»Aber Sie sind hier, und dank Ihrer Findigkeit ist Ihnen diese Verantwortung von den Schultern genommen.«

»Davon kann erst die Rede sein, wenn wir uns alle wieder wohlauf am Duke's Place einfinden und diese Schurken entweder tot sind oder im Tower sitzen. Zunächst muss ich die Pläne für diesen Webstuhl finden und Sie hier herausbekommen. Haben Sie eine Ahnung, wer sich noch im Haus aufhält und wo?«

»Ich glaube, Mr. Hammond hält mich nicht für so gefährlich, dass er meinetwegen etwas versteckt. Ich habe ihn zu Edgar, seinem Diener, sagen hören, dass er die Pläne, die in einem Oktavband aufgezeichnet sind, ständig bei sich trägt. Das dürfte es für Sie nicht leicht machen, sie an sich zu bringen.«

»Einerseits schon, andererseits vereinfacht es auch einiges. Es bedeutet, dass ich meine Zeit nicht mit einer nutzlosen Suche zu vergeuden brauche. Also, wer hält sich außer uns und Hammond und Edgar noch im Haus auf?«

»Niemand. Nur die beiden.«

»Und wo schlafen sie?«

»Edgar schläft nebenan.« Er zeigte zur linken Wand. »Dadurch wollen sie wohl erreichen, dass ich mich unter ständiger Beobachtung fühle, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Hammond schläft noch ein Stockwerk höher in dem großen Schlafzimmer. Die Treppe hoch und rechts. Dort finden Sie die Tür zum Wohnzimmer, von dem das Schlafzimmer abgeht. Tagsüber bewahrt Hammond das Buch in seiner Westentasche auf, aber ich weiß nicht, wo er es nachts lässt.«

»Das werde ich schon herausfinden«, sagte ich. »Hauptsache, er weiß es. Glauben Sie, dass Sie sich leise aus dem Haus schleichen können?«

»Ja«, sagte er, aber seine Stimme klang zögerlich.

»Sie fürchten, dass ich versage. Sie fürchten, dass sie mich überwältigen und, wenn sie feststellen, dass Sie fort sind, es an Ihrer Tochter auslassen?«

Er nickte.

»Dann bleiben Sie hier. Sie werden ja hören, was passiert. Ich bitte Sie nur, sich verborgen zu halten, bis ich Sie holen komme. Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie Ihre Tochter schützen wollen, aber ich bin sicher, dass auch Sie verstehen werden, dass ich verhindern möchte, dass Ihnen etwas zustößt.«

Er nickte ein weiteres Mal.

Also schüttelte ich die Hand des Mannes, der mir stets zur Seite gestanden hatte, wie ich es mir von meinem Vater gewünscht hätte. Er war kein Kämpfer, vielleicht mangelte es ihm auch einfach an Courage, aber ich hatte dennoch großen Respekt vor ihm. Er war eben der Mann, der er war, nicht geschaffen für die Heimsuchungen, die er hatte erdulden müssen, und trotzdem hatte er sie tapfer auf sich genommen. Um sich selber machte er sich keine Sorgen, sondern nur um seine Tochter. Meine Gefühle waren ihm wichtiger als die seinen. Wie sollte ich da nicht den Hut vor ihm ziehen?

Wir umarmten einander, und dann verließ ich sein Zimmer mit der Entschlossenheit, das, was ich hier zu tun hatte, ein für alle Mal zu Ende zu bringen.

Nachdem ich Mr. Franco vorerst in Sicherheit wähnen konnte, begab ich mich zu Edgars Räumen. Leise öffnete ich die Tür seines Wohnzimmers. Es war schlicht eingerichtet und wirkte irgendwie unbewohnt. Dann drehte ich mit nervenzermürbender Langsamkeit den Knauf an seiner Schlafzimmertür und betrat die dunkle Kammer.

Auch hier standen nur wenige Möbel. Ich trat ans Bett heran und war darauf vorbereitet, Edgar auf die gleiche Weise zu wecken wie Mr. Franco - wenn auch nicht ganz so behutsam. Aber es gab niemanden zu wecken, denn das Bett war zwar benutzt, aber leer, und das konnte nur eines bedeuten - Edgar wusste, dass ich mich im Haus aufhielt.

Mein erster Gedanke war, dass ich zurück zu Mr. Francos Zimmer eilen musste. Trotz seiner Besorgtheit um seine Tochter ging es jetzt doch in erster Linie darum, ihn unversehrt hinauszuschaffen. Den französischen Agenten durfte keine Zeit für kleinliche Vergeltungsschläge bleiben. Man würde sie entweder stellen, oder sie mussten ihr Heil in der Flucht suchen. Gabriella würde nichts geschehen.

Als ich mich jedoch vom Bett abwandte, sah ich mich einer dunklen Gestalt gegenüber, in der ich sofort Edgar erkannte. Er stand breitbeinig da und hielt in der einen Hand eine Pistole und in der anderen eine Art Dolch.

»Du blöder Jude«, sagte er. »Ich habe dich hereinpoltern hören. Ein Bär hätte weniger Lärm gemacht.«

»Ein großer Bär oder ein kleiner Bär?«

»Willst du dich etwa mit Scherzen aus dieser Lage befreien?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, ich könnte es versuchen.«

»Das ist schon immer dein Problem gewesen. Du bist viel zu eingenommen von deiner eigenen Gewitztheit und kannst dir einfach nicht vorstellen, dass jemand es darin mit dir aufnehmen kann. Nun erzähle mir mal, was du hier willst. Bist du wegen der Pläne gekommen?«

»Ich bin deinetwegen hier. Nach meinem Besuch im Haus von Mutter Tripper habe ich festgestellt, dass ich über gewisse Neigungen verfüge, die ich nicht länger verleugnen kann.«

»Du willst mich doch hoffentlich nicht mit diesem Unsinn verwirren. Ich weiß, dass du wegen der Pläne für den Webstuhl hier bist. Denkst du, mir liegt auch nur das Geringste an Franco? Er kann sich verstecken oder er kann davonlaufen, ganz wie er will, obwohl ich denke, dass es besser für ihn wäre, sich aus dem Staub zu machen. Die Frage ist jetzt, wer dich geschickt hat. Was wissen die Briten? Hat man Cobb gefangen genommen oder konnte er entkommen? Du kannst es mir jetzt sagen, oder wir reden oben darüber. Sowie wir erst Hammond geweckt haben, kannst du dich darauf verlassen, dass er nicht zögern wird, alles aus dir herauszuquetschen, was er von dir hören möchte.«

Über Hammonds Fähigkeit, etwas aus mir herauszuquetschen, vermochte ich nichts zu sagen. Vielmehr konnte ich mich darüber freuen, dass Edgar mir genau das verraten hatte, was ich zu wissen bedurfte. Dass Hammond nämlich noch schlief.

»Hat dir je jemand gesagt«, fragte ich ihn, »wie sehr du einer Ente ähnelst? Die Sache ist nämlich die, dass ich eine Schwäche für Enten habe. Als ich noch ein Junge war, hat mir ein gut meinender Verwandter einmal eine als Geschenk mitgebracht. Und nun, Jahre später, treffe ich dich wieder, und du bist dieser Ente wie aus dem Gesicht geschnitten, so dass ich nicht umhin kann, dir meine Freundschaft anzubieten. Komm, lass uns unsere Waffen ablegen und uns einen Teich suchen, an dessen Ufer ich Brot und Käse essen kann, während du auf dem Wasser herumpaddelst. Ich würde dir gerne ein paar Krumen zuwerfen.«

»Halt dein verdammtes Lästermaul«, fuhr er mich an. »Ham-mond wird dich so gründlich zu befragen wissen, als hättest du eine Bleikugel im Bein.«

Da mochte er recht haben. »Einen Augenblick. Es gibt drei Tatsachen das Leben der Enten betreffend, die ich hier als von größter Wichtigkeit erachte. Zunächst sucht sich das Entenweibchen stets einen besonders zärtlichen und fürsorglichen Erpel für die Entenkinder. Zweitens«, hob ich an, aber mir fiel kein zweiter Punkt ein. Also musste ein Punkt genügen, und nun machte ich mir den Ratschlag von Mr. Blackburn zunutze - nämlich, was die rhetorische Wirkung der Serie betraf. Nachdem ich Edgar nun drei Punkte angekündigt hatte, würde er auch die nächsten beiden hören wollen. Also konnte ich den Moment nutzen, um ihn mit etwas anderem zu überrumpeln.

Und dieses Etwas bestand in einem kräftigen Hieb in die Magengrube. Ich hätte einen Schlag auf die Nase oder den Mund vorgezogen, einen Schlag, bei dem Blut spritzte oder Zähne flogen, aber ein Hieb in die Magengrube ließ den Gegner sich zusammenkrümmen, was bedeutete, dass, selbst wenn es ihm gelänge, die Pistole abzufeuern, der Schuss nach unten gehen würde.

Aber er schoss gar nicht, und obwohl er die Pistole auch nicht losließ, hatte ich sie ihm entwunden, ehe er auch nur zu Boden gesunken war. Ich steckte sie ein, und als Edgar sich aufraffen wollte, versetzte ich ihm noch einen Tritt in die Rippen. Er rutschte über den Boden und verlor dabei seinen Dolch, den ich ebenfalls an mich nahm, um damit seine Bettdecke in Streifen zu schneiden. Wie meine praktisch denkenden Leserinnen und Leser vermutlich schon erraten haben, benutzte ich diese, um Edgar an Händen und Füßen zu fesseln. Während ich das tat, bekam er noch ein paar Tritte in den Unterleib - nicht aus Grausamkeit oder aus bösem Willen, sondern damit er sich nicht durch Schreie bemerkbar machen konnte, bis ich ihn mit einem weiteren Stoffstreifen auch noch geknebelt hatte.

Als er mir vollkommen wehrlos zu Füßen lag, verwies ich ihn darauf, dass er gemeint hatte, ich würde mich nicht mit einem Scherz aus meiner Lage befreien können. »Wie man sich doch täuschen kann«, sagte ich. »Du fragst dich vielleicht gerade, ob ich den Konstablern sagen werde, wo sie dich finden können. Nein, das werde ich nicht tun. Irgendwann morgen werden Luke und die anderen Jungen sich an diesem Hause gütlich tun, und ich überlasse es ihnen, sich um dich zu kümmern.«

Edgar grunzte und zappelte, aber ich beachtete ihn gar nicht weiter und überließ ihn sich selbst.

Ein Stockwerk höher lief alles wie am Schnürchen. Wie zu erwarten gewesen war, schlief Hammond, und es kostete mich kaum Mühe, ihn zu überwältigen. Mit der einen Hand hielt ich ihn am Kinn, während ich ihm mit der anderen Edgars Klingenspitze in die Brust drückte, und zwar tief genug, dass es zu bluten und, wie ich an Hammonds Gesicht ablesen konnte, zu schmerzen anfing, doch nicht tiefer.

»Gib mir die Pläne«, verlangte ich.

»Niemals.« Seine Stimme blieb ruhig und gleichmäßig.

Ich schüttelte den Kopf. »Hammond, Ihr habt euch mich ausgesucht. Ihr habt gewusst, wer ich bin, als ihr mich zu einem Teil eures Planes machtet. Also weißt du, zu was ich fähig bin. Ich werde notfalls Finger abschneiden, Augen ausstechen, Zähne herausreißen. Ich glaube nicht, dass du das Zeug hast, solche Torturen zu ertragen. Aber ich zähle jetzt bis fünf, und dann werden wir es wissen.«

Er wartete nicht einmal darauf, bis ich zu zählen angefangen hatte. »Unter meinem Kissen«, stieß er hervor. »Aber es spielt keine Rolle, ob du das Original hast oder nicht. Eine gute Abschrift ist bereits außer Landes geschafft worden, und damit haben wir die Macht, den Textilhandel der East India Company zunichtezumachen.«

Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass diese Abschrift abgefangen worden war und er sich keine Hoffnung mehr auf ein Gelingen seiner Mission machen konnte. Ich nahm das Messer von seiner Brust, behielt allerdings sein Kinn fest gepackt und zog das in raues Kalbsleder gebundene Büchlein unter seinem Kopfkissen hervor. Wie ich von einer seiner Witwen wusste, waren es solche Oktavbände, die Pepper für seine Notizen benutzt hatte. Ich blätterte den Band rasch durch, und als ich die in alle Einzelheiten gehenden Zeichnungen sah, wusste ich auch, dass dies genau das war, wonach ich gesucht hatte.

Hammond jedoch bewies unerwartete körperliche Stärke. Er entwand sich meinem Griff und drehte sich zur Seite, wobei er sich, wenn auch nur oberflächlich, an der Klinge schnitt, und dann war er mit einem Satz am anderen Ende des Zimmers. Ich steckte das Büchlein ein und zog meine Pistole, konnte im Stockfinstern aber kaum zielen. Zumindest erging es Ham-mond nicht besser, falls er sich selber auch mit einer Schusswaffe zu wappnen gedachte.

Ich trat einen Schritt vor, um meinen Widersacher besser sehen zu können. Da stand er mit vor Angst weit aufgerissenen Augen in der Dunkelheit. Das Nachtgewand hing ihm lose um den Leib, als wäre er ein Gespenst. Als er den Arm hob, glaubte ich einen Augenblick lang, er hätte tatsächlich eine Pistole und hätte um ein Haar auf ihn geschossen, aber dann erkannte ich, dass er keine Waffe, sondern nur ein dünnes Glasröhrchen in der Hand hielt.

»Von mir aus kannst du auf mich schießen«, fauchte er, »aber das wird dir nicht viel nützen. Wie du siehst, bin ich schon tot.« Das Röhrchen fiel mit einem leisen Geräusch zu Boden. Er hätte sich wohl einen Abgang unter dramatischem Splittern von Glas gewünscht.

Man hat mich manchmal als zynisch bezeichnet, und vielleicht war es auch wirklich kein schöner Zug von mir, dass ich argwöhnte, er hätte nur so getan, als würde er Gift geschluckt haben, aber ich wollte dennoch auf Nummer sicher gehen.

»Gibt es noch etwas, das du mir sagen möchtest, bevor du vor deinen Schöpfer trittst?«, fragte ich.

»Du Dummkopf, weißt du denn nicht, dass ich das Gift genommen haben, damit weder du noch sonst jemand mich zwingen kann, noch etwas zu verraten?«

»Gewiss«, sagte ich. »Darauf hätte ich selber kommen sollen. Aber möchtest du dich in der Zeit, die dir noch bleibt, nicht wenigstens bei mir entschuldigen? Oder ein anerkennendes Wort über meine Durchsetzungskraft verlieren?«

»Weaver, du bist der Teufel höchstpersönlich. Was bist du doch für ein Unmensch, dass du dich über einen Sterbenden lustig machst?«

»Sonst kann ich ja nicht mehr viel tun«, sagte ich und hielt weiterhin die Pistole auf ihn gerichtet. »Ich darf nicht riskieren, dass du vielleicht gar kein Gift geschluckt hast und mich damit überlisten willst, aber ich werde auch keinen kaltblütigen Mord begehen, indem ich dich erschieße. Mir bleibt nichts, als abzuwarten und zuzusehen, aber du könntest in deinen letzten Augenblicken wenigstens etwas zu mir sagen.«

Er schüttelte nur den Kopf; dann sank er zu Boden. »Man hat mir gesagt, dass es schnell wirkt«, keuchte er. »Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir für Konversation noch bleibt. Und ich werde dir bestimmt nichts von unseren Plänen sagen oder davon, was wir zu erreichen versucht haben und was uns bereits geglückt ist. Ich mag ein Feigling sein, aber ich werde nicht mein Land verraten.«

»Dein Land oder die neue französische East India Company?«

»Ha!«, stieß er hervor, »da magst du recht haben. Die Zeiten, in denen man seinem König treu war, sind vorbei. Die großen Handelsunternehmen sind es, denen wir nun dienen müssen. Aber ich werde dir nichts über mein Land verraten, sondern

über das deine und darüber, wie du an der Nase herumgeführt worden bist.« »Und das wäre?«

Hammond aber vermochte mir nicht mehr zu antworten, denn er war bereits tot.

Загрузка...