24


Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, als ich das Haus der Witwe Pepper verließ, aber es war bereits dunkel geworden, und auf der Straße hörte man die nächtlichen Rufe der Betrunkenen. Als ich meine Uhr hervorzog - klammheimlich zu dieser Stunde, in der man binnen einer Sekunde einen solchen Wertgegenstand an geschickte Finger verlieren konnte -, sah ich, dass es noch nicht einmal sieben durch war, obwohl es mir mehr wie nach Mitternacht vorkam. Ich hielt die nächste Droschke an, um mich nach Hause fahren zu lassen.

Es gab viel zu tun. Ich wusste von Peppers Geschäften mit diesem mysteriösen Mr. Teaser, ich wusste, dass er mit drei Frauen verheiratet gewesen war - und es hätte mich kaum überrascht, auf weitere seiner Witwen zu stoßen. Was aber lag Cobb an Pepper? Welche Verbindung bestand zwischen Pepper und der East India Company? Oder zwischen ihm und Cobb? Was hatte all dies mit Foresters Geheimversteck und Eller-shaws dringendem Wunsch, das Gesetz von 1721 aufgehoben zu sehen, zu tun? Bedeutete die Gegenwart von Celia Glade, dass die Franzosen bei alledem ihre Finger im Spiel hatten, oder war ich nur zufällig einer Spionin über den Weg gelaufen, einer von vermutlich Hunderten, die überall in der Metropole unterwegs waren, Informationen sammelten und sie nach Hause weiterleiteten, wo klügere Köpfe dann entschieden, ob sie etwas Verwertbares darstellten.

Auf all diese Fragen hatte ich keine Antwort, und ich wusste auch nicht, wie ich eine finden sollte. Ich wusste nur, wie müde ich war und dass ein unschuldiger, hilfsbereiter Mann, der gutmütige Carmichael, wegen dieser Betrugsgeschäfte hatte sterben müssen. Ich wollte nicht, das noch jemandem etwas zustieß. Vielleicht war es an der Zeit, den Widerstand gegen Cobb aufzugeben. Meine Bemühungen, ihm entgegenzuwirken und auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen, hatten nur dazu geführt, dass ein Freund von mir im Gefängnis saß. Ich wollte nicht riskieren, dass das noch anderen drohte.

Während ich über all dies nachsann, steigerte ich mich in eine ausgesprochen wütende Erregung hinein, und trotzdem gelang es mir unverständlicherweise, meine Gefühle im Zaum zu halten, als ich meine Räume betrat und dort einen Besucher vorfand, der mich erwartete.

Es war Cobb.

Sein Wohlergehen konnte mir kaum gleichgültiger sein, aber ich merkte sofort, dass er nicht gut aussah. Er wirkte eingefallen und ziemlich verstört. Sowie ich die Eingangshalle betrat, erhob er sich, legte die Hände zusammen und machte ein paar zögernde Schritte auf mich.

»Ich muss mit Ihnen reden, Weaver. Auf der Stelle.«

Ich will nicht behaupten, dass mein Zorn auf ihn augenblicklich schwand, aber die Neugier zügelte mein Temperament. Edgar hatte mir schwere Vorwürfe gemacht, weil ich einen Botenjungen zu Cobbs Haus geschickt hatte. Nun kam Cobb persönlich in das meine.

Ich führte ihn in meine Wohnung, damit wir ungestört miteinander sprechen konnten, und nachdem ich die Kerzen angezündet hatte, schenkte ich mir ein Glas Portwein ein, ohne ihm auch eines anzubieten, obwohl seine Lippen zuckten und seine Hände zitterten und ich merkte, dass er sich mehr als alles andere in der Welt einen stärkenden Schluck wünschte.

»Es überrascht mich, Sie hier vorzufinden«, sagte ich.

»Es überrascht mich selbst auch, aber es musste sein. Ich muss von Mann zu Mann mit Ihnen reden. Ich weiß, dass Sie Grund hatten, wütend auf mich zu sein, und Sie müssen mir glauben, dass ich mir wünschte, es wäre nie so weit gekommen. Hammond hat Sie in Verdacht, etwas vor uns geheim zu halten, und ich teile seine Ansicht. Aber ich bin ohne ihn hergekommen, um Sie zu bitten, mir zu sagen, was Sie uns noch nicht erzählt haben. Ich drohe weder Ihnen noch Ihren Freunden. Ich möchte nur, dass Sie mir alles erzählen.«

»Ich habe Ihnen alles berichtet.«

»Was ist mit ihm?«, fragte er. Dann sprach er geflüstert den Namen aus. »Pepper.«

Ich schüttelte den Kopf. »Über seinen Tod habe ich noch nichts in Erfahrung gebracht.«

»Aber was ist mit seinem Buch?« Er beugte sich zu mir vor. »Haben Sie da etwas herausbekommen?«

»Buch?«, fragte ich, recht überzeugend, wenn ich behaupten darf. Cobb hatte nie etwas von diesem Buch erwähnt, also tat ich so, als wüsste ich von nichts.

»Ich flehe Sie an. Wenn Sie irgendeine Ahnung haben, wo es sein könnte, müssen Sie es mir noch vor der Zusammenkunft der Anteilseigner bringen. Ellershaw darf es auf keinen Fall in die Finger kriegen.«

Das war ein ziemlich überzeugender Auftritt gewesen, und ich gebe zu, tatsächlich eine Spur Mitleid mit ihm empfunden zu haben, aber eben nur eine Spur, denn ich musste sogleich wieder an Mr. Franco im Gefängnis denken. Cobb mochte im Augenblick eine bedauernswerte Figur abgeben, aber er war immer noch mein Feind.

»Dann erzählen Sie mir doch etwas über dieses Buch. Ich weiß nichts darüber. Sie schicken mich wie Don Quichote auf die Suche nach etwas, jagen mich einem Mann hinterher, dessen Namen ich nicht aussprechen darf, und nun soll ich auch noch ein Buch finden, von dem noch nie mit einem Wort die Rede war. Wenn Sie mir eher davon erzählt hätten, wäre ich vielleicht schon längst mit Ihnen fertig.«

Er blickte hinaus in die Düsternis hinter meinem Fenster. »Hol's der Teufel. Wenn Sie es nicht finden konnten, dann kann es keiner.«

»Oder Ellershaw weiß, was es mit diesem Buch auf sich hat und warum es von solchem Wert für Sie ist, und hat es bereits an sich genommen, weil er den Vorteil besitzt, es zu erkennen, wenn er es sieht. Es könnte sogar sein, dass ich das Buch in Händen gehabt habe, aber ich weiß ja nichts darüber.«

»Quälen Sie mich nicht weiter. Schwören Sie, dass Sie nichts von dem Buch wissen?«

»Ich sage Ihnen doch, ich habe keine Ahnung.« Das war natürlich alles gelogen, aber wenn Cobb Verdacht schöpfte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

Er schüttelte den Kopf. »Dann geht es eben nicht anders.« Er erhob sich von seinem Stuhl. »Es geht dann eben nicht anders, und ich kann nur beten, dass bis zur Aktionärsversammlung der Anteilseiger alles so bleibt, wie es ist.«

»Ja, wenn Sie mir mehr gesagt hätten«, bemerkte ich achselzuckend.

Entweder hatte er es nicht gehört oder er hatte es nicht hören wollen. Er öffnete die Tür und verließ meine Wohnung.

Als ich am nächsten Morgen im Craven House ankam, wurde mir sogleich mitgeteilt, dass Mr. Ellershaw mich in seinem Büro erwarte. Ich war eine Viertelstunde zu spät dran und befürchtete schon, er wolle mich wegen meiner Unpünktlichkeit zur Rede stellen, aber es ging ihm um nichts dergleichen. Bei ihm war ein wichtig dreinblickender junger Mann mit einem Maßband in der Hand und einer gefährlich aussehenden Reihe von Nadeln zwischen den Lippen.

»Sehr schön«, begrüßte mich Ellershaw. »Da sind Sie ja.

Weaver, würden Sie so gut sein, Mr. Viner bei Ihnen Maß nehmen zu lassen? Ich habe hier genau das Richtige für die Versammlung der Anteilseigner.«

»Selbstverständlich«, sagte ich und blieb in der Mitte des Raumes stehen. Schon legte der Schneider mit geübten Bewegungen das Maßband bei mir an.

»Wofür ist das?«, fragte ich.

»Arme hoch«, sagte Viner.

Ich hob die Arme.

»Keine Sorge, keine Sorge«, sagte Ellershaw. »Mr. Viner kann Wunder bewirken, nicht wahr, Sir?«

»Ja, die reinsten Wunder«, murmelte Viner mit den Nadeln im Mund. »Das wär's.«

»Sehr schön. Nun ab mit Ihnen, Weaver. Sie haben doch allerhand zu tun, nicht wahr?«

Aadil war an diesem Tag nirgendwo zu sehen, und ich fragte mich schon, ob er sich überhaupt blicken lassen würde. Er musste gemerkt haben, dass ich ihn im Haus der zweiten Mrs. Pepper gesehen hatte, und konnte nun nicht mehr länger so tun, als sei er ein unbeteiligter, lediglich mir gegenüber feindselig eingestellter Arbeiter. Er hatte sich in die Karten blicken lassen, und obwohl ich keinen Zweifel daran hatte, dass er weiterhin für Forester arbeitete, konnte es durchaus sein, dass seine Tage im Craven House gezählt waren.

An diesem Abend wollte ich mich um das letzte Glied in der Kette kümmern, die mich zu dem offenbar so charmanten Pepper führen sollte, oder vielmehr seinem Mr. Teaser, auf den mich Peppers Twickenhamer Witwe gebracht hatte. Ich wollte gerade das Gelände der East India Company verlassen, als Ellershaw mich noch einmal zu sehen wünschte.

In seinem Büro traf ich wiederum den tüchtigen Mr. Viner an. Tüchtig, sage ich, weil er bereits ein Gewand nach den mir erst am Morgen abgenommenen Maßen gefertigt hatte. Er hielt mir einen akkurat zusammengelegten Stapel aus hellblauem

Stoff hin, während Ellershaw, der in genau der gleichen Farbe gewandet war, grotesk Pose annahm.

Ich begriff sofort - und bereute im gleichen Moment, angeregt zu haben, dass man Gewänder für Männer aus Stoff in dieser femininen Farbe herstellen könnte. Ellershaw hatte sich meinen Vorschlag zu Herzen genommen und sich entschlossen, auf diese Weise den heimischen Markt zu erobern, wenn es ihm schon nicht gelang, das Parlament umzustimmen.

»Ziehen Sie doch mal an«, sagte er und nickte mir eifrig zu.

Ich starrte erst ihn und dann seinen Aufzug an. Es ist schwer zu beschreiben, wie unglaublich albern er darin aussah - und wie albern wir beide nebeneinander darin aussehen würden. Aus solchem Stoff konnte man bestimmt hübsche Hauben fertigen, aber ein Männergewand für Männer in der Farbe der Eier der Singdrossel war wirklich nur für die unerschrockensten Dandys vorstellbar. Aber ich konnte nun ja wohl schlecht die Nase rümpfen und erklären, dass die Farbe ganz und gar nicht nach meinem Geschmack war. So elegant geschnitten das Gewand auch sein mochte - in der Öffentlichkeit konnte ich mich guten Gewissens nicht damit blicken lassen.

»Das ist aber sehr freundlich«, sagte ich mit schwacher Stimme.

»Nun ziehen Sie es doch schon an. Wir wollen doch mal sehen, ob Viner so gute Arbeit wie immer geleistet hat.«

Ich sah mich im Büro um. »Ist hier irgendwo eine Nische?«

»Ach, nun tun Sie doch nicht so verschämt. Los, los. Ich will dieses Gewand an Ihnen sehen.«

Also zog ich mich bis auf Hemd und Socken aus und legte dieses scheußliche blaue Gewand an. Aber sosehr ich es auch verabscheute - ich war beeindruckt, wie gut das in Eile zusam-mengeschneiderte Ding saß.

Viner kroch um mich herum, zupfte hier und zupfte da und wandte sich schließlich sichtlich zufrieden Ellershaw zu. »Sehr gut«, sagte er, als würde er Ellershaw für etwas preisen und nicht sich selber.

»Ja, in der Tat. Sehr gut. Ganze Arbeit, Viner. Wie immer.«

»Stets zu Diensten.« Der Schneider machte eine tiefe Verbeugung und verließ dann wie auf ein unsichtbares Zeichen hin das Büro.

»Bereit?«, fragte Ellershaw.

»Bereit wofür, Sir?«

»Damit loszuziehen. Diese Gewänder sind doch nicht für unser Privatvergnügen. Das bringt uns nicht weiter, oder? Wir müssen darin gesehen werden. Ganz London soll uns in diesen Gewändern bewundern.«

»Ich hatte heute Abend eigentlich eine ziemlich dringende Verabredung. Wenn Sie mir nur früher etwas davon gesagt hätten, aber so, wie die Dinge jetzt stehen, bin ich mir nicht sicher, ob ich noch ...«

»Was immer das auch für eine Verabredung sein mag - Sie werden es nicht bereuen, Sie zu versäumen«, erklärte er mit solcher Zuversicht, dass ich nicht eine Sekunde lang an seinen Worten zweifelte.

Ich verzog den Mund zu einem Grinsen, aber ich muss ausgesehen haben wie jemand, der gerade an etwas erstickt.

»Na bitte. Dann nichts wie los.«

In seiner Kutsche klärte Ellershaw mich darüber auf, dass wir in die Gärten von Saddler's Wells führen, um uns an gutem Essen und bewundernden Blicken zu weiden. Dann aber fügte er geheimnistuerisch hinzu, ich müsse mich dort auf eine unangenehme Überraschung vorbereiten. Bei unserer Ankunft konnte ich jedoch nichts Unerfreuliches entdecken - abgesehen von unserem Aufzug und den ungläubigen Blicken und kichernden Bemerkungen, die uns zuteil wurden. Überall brannten Feuer, um trotz der Kälte das Speisen unter freiem Himmel zu ermöglichen, aber sämtliche Gäste zogen es vor, im Saal zu sitzen.

Obwohl es noch früh war, hatte sich schon eine stattliche Anzahl Menschen eingefunden, um das teure, wenn auch nicht besonders schmackhafte Essen an diesem beliebten Ort der Zerstreuung zu genießen. Ich muss schon sagen, dass unser Eintreten allerhand Aufmerksamkeit erregte, aber Ellershaw begegnete jedem missbilligenden Blick mit einer höflichen Verbeugung. Er führte mich an einen Tisch und bestellte Wein und Käsepasteten. Ein paar Gentlemen traten näher, um ihn zu begrüßen, aber Ellershaw wirkte mit einem Male reserviert, tauschte nur Gemeinplätze mit ihnen aus und sah davon ab, mich vorzustellen. Rasch waren wir wieder unter uns.

»Ich frage mich, ob das ein sonderlich guter Einfall gewesen ist«, bemerkte ich.

»Keine Sorge, mein Bester. Das wird schon noch.« Wir blieben etwas über eine Stunde an unserem Tisch sitzen, lauschten dem Kammerorchester, dessen musikalische Darbietung auf Dauer allerdings schwer zu ertragen war. Ich ergab mich in mein Schicksal, bis ich plötzlich jemanden an meiner Seite gewahrte. Ich blickte auf und sah zu meiner Überraschung keinen Geringeren als Mr. Thurmond vor mir.

»Sie sehen ja beide unmöglich aus«, sagte er.

»Ah, Thurmond.« Sichtlich erfreut setzte Ellershaw sich auf seinem Stuhl in Pose. »Gesellen Sie sich doch zu uns.«

»Lieber nicht, glaube ich«, sagte er, zog sich aber dennoch einen Stuhl heran und setzte sich zu uns an den Tisch. Er nahm sich ein Glas und schenkte sich kräftig von unserem Wein ein. Mich verblüffte, wie ungezwungen er sich gab. »Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie damit erreichen wollen. Glauben Sie etwa, dass Sie beide ganz allein eine neue Mode kreieren können? Wer würde denn schon so ein Gewand tragen wollen?«

»Das kann man noch nicht sagen«, erwiderte Ellershaw. »Vielleicht niemand, vielleicht jedermann. Aber wenn Sie und Ihresgleichen entschlossen sind, unsere Einfuhrmöglichkeiten zu beschränken, werden Sie feststellen, dass wir nicht minder be-reit sind, dafür zu sorgen, dass Ihre Maßnahmen ohne Wirkung bleiben. Der Handel nimmt weltumspannende Formen an, Mr. Thurmond, und Sie können nicht mehr länger so tun, als würde das, was in London geschieht, keine Auswirkungen auf Bombay haben oder, vielleicht noch wichtiger, andersherum.«

»Wie kann man nur so töricht sein«, sagte Thurmond. »Sie hoffen, sich mit diesem Unsinn retten zu können? Da täuschen Sie sich. Selbst wenn Ihre Kluft Beliebtheit erlangt, werden blaue Gewänder ein oder zwei für Sie gute Jahre lang in Mode sein, aber danach stehen Sie wieder da, wo Sie jetzt stehen. Sie mögen sich einen Aufschub verschaffen, aber mehr auch nicht.«

»Im Textilhandel sind ein oder zwei Jahre eine Ewigkeit«, widersprach Ellershaw. »Ich lehne es ab, weiter in die Zukunft zu schauen. Was mich betrifft, so lebe ich von einer Versammlung der Anteilseigner zur nächsten, und wenn in sechs Monaten alles vor die Hunde geht, kann ich es auch nicht ändern.«

»Diese Einstellung ist absurd - wie auch Ihre Aufmachung.«

»Glauben Sie, was Sie wollen, Sir. Sie können von mir aus gerne der East India Company den Kampf ansagen. Soweit ich informiert bin, ist das das Einzige, was Ihre Wiederwahl retten kann. Aber wir werden sehen, was länger überlebt - die East India Company oder Ihre kratzende Wolle. Ich kenne die Antwort. Aber ist der junge Mann, der gerade hereinkommt, nicht der Erbe des Herzogs von Norwich? Und ich glaube, die fröhliche Runde, die er um sich schart, stellt so etwas wie die Vorreiterschaft dar, was die neueste Mode betrifft.«

Thurmond wandte sich um, und schon klappte ihm vor Überraschung und wohl auch vor Entsetzen die Kinnlade herunter. Das war Ellershaws Heilige Dreifaltigkeit - das Trio, mit dem er Moden kreierte, allesamt gut aussehende, selbstgefällige junge Männer in Begleitung dreier ebenso eleganter Damen. Jeder der Männer trug ein Gewand aus blauer indischer Baumwolle, und auch die Abendkleider der Damen waren aus diesem Stoff genäht, so dass die sechs im Gehen einen einzigen azurfarbenen Wirbel abgaben. Alles im Saal starrte die Neuankömmlinge und dann uns an, und ich begriff sofort, dass der Spott, der uns bei unserem Eintreffen gegolten hatte, nun in Neid umgeschlagen war.

Ellershaw nickte zufrieden. »Jeder Mann im Raum überlegt sich nun, wie er am schnellsten seinen Schneider erreichen kann, damit der ihm auch so ein Gewand anfertigt.«

Thurmond stieß sich vom Tisch ab. »Das ist nur eine kurzlebige Torheit«, sagte er.

Aber Ellershaw hatte nur ein Lächeln für ihn übrig. »Ich bin Geschäftsmann, mein lieber Sir, und ich habe mein ganzes Leben in der Erkenntnis zugebracht, dass keine Mode von ewiger Dauer ist.«

Ellershaw blieb den ganzen Rest des Abends bei blendender Laune. Dies sei der große Wurf, erklärte er, und die Versammlung der Anteilseigner bräuchte er nun nicht mehr zu fürchten. Das fand ich ziemlich optimistisch, aber ich konnte seine Begeisterung nachvollziehen. Wir waren und blieben der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wurden von so mancher jungen Dame und so manchem jungen Dandy mit wohlwollenden Kommentaren bedacht. Ellershaw sonnte sich in seinem Erfolg, und so fiel es mir nicht schwer, mich unter der Vorgabe, hundemüde zu sein, zu entschuldigen.

Ich begab mich sogleich nach Hause, um mich ein wenig schlichter und weniger auffällig zu kleiden. Danach verließ ich meine Wohnung wieder und nahm eine Droschke zum Blooms-bury Square, wo Elias wohnte.

Da Cobb gesagt hatte, Elias' Schicksal hinge von meinem Wohlverhalten ab, hatte ich es eine Weile lang nicht gewagt, ihn zu besuchen, aber da Elias nun ebenfalls für Ellershaw tätig war, sagte ich mir, dass eine kurze Visite kein zu großes Risiko barg. Und ich wollte, so weit möglich, noch an diesem Abend sämtliche offenen Fragen klären.

Ich wurde von Mrs. Henry, seiner sehr freundlichen und aufmerksamen Vermieterin, empfangen, die mir einen Sessel und ein Glas Wein anbot. Meine Gastgeberin war eine überaus attraktive Frau von etwa vierzig oder ein wenig darüber, und ich wusste, dass Elias eine freundschaftliche, wenn nicht gar amouröse, Beziehung zu ihr unterhielt. Er pflegte ihr von fast allen unseren gemeinsamen Abenteuern zu erzählen - jedenfalls denen, die für die Ohren einer Dame geeignet waren. Ich hatte befürchtet, sie würde mir böse sein, weil ich Elias in meine Probleme mit hineingezogen hatte, aber sie trug keinen Groll in ihrem Herzen oder ließ es sich zumindest nicht anmerken.

»Ich bedanke mich für die Einladung, Madam«, sagte ich mit einer Verbeugung, »aber ich fürchte, für eine Plauderei bleibt mir keine Zeit. Mr. Gordon und ich haben wichtige Dinge zu bereden, und ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie ihn sogleich holen würden.«

»Ich glaube, das kommt gerade ein wenig ungelegen«, sagte sie.

»Oh, ich gehe gerne selber die Treppe hinauf, Mrs. Henry. Sie brauchen sich meinetwegen nicht zu bemühen, wenn Sie im Moment etwas anderes ...«

Ich beendete den Satz nicht, weil Mrs. Henrys Ohren die Farbe von reifen Erdbeeren angenommen hatten. Als sie sah, dass es mir nicht entgangen war, hüstelte sie verlegen in die Hand. »Vielleicht möchten Sie doch lieber ein Glas Wein mit mir trinken«, versuchte sie es noch einmal.

Ich bemühte mich, ein freundliches Lächeln aufzusetzen -nicht, um ihr zu zeigen, dass mich Elias' skandalöses Benehmen nicht mehr kümmerte, sondern eher, dass mich seine Torheiten nicht länger überraschten. »Madam«, sagte ich, »Ihnen mag es unangenehm sein, ihn zu stören, aber ich kann Ihnen versichern, dass er keinen Anstoß daran nehmen wird, wenn ich ihn hole.«

»Ich weiß nicht recht, wie er es aufnehmen wird«, sagte sie leise.

»Ach, gefallen wird's ihm bestimmt nicht, aber was sein muss, muss sein.« Ich verbeugte mich noch einmal und ging die Treppe zu Elias' Räumen hinauf.

Oben angekommen, legte ich das Ohr an die Tür - wohlverstanden nicht, um irgendeine lüsterne Neugier zu befriedigen; wenn ich ihn schon bei etwas unterbrechen musste, dann wenigstens nicht im allerverkehrtesten Moment. Aber ich hörte nichts, was mir sagte, ob dies der rechte Augenblick war. Also klopfte ich, laut genug, damit mein Freund wusste, dass dies eine dringliche Angelegenheit war, aber wiederum auch nicht so heftig, dass er gleich Hose und Hemd überstreifte und aus dem Fenster kletterte - was er meines Wissens schon bei mindestens zwei Gelegenheiten getan hatte, um einem aufdringlichen Gläubiger aus dem Wege zu gehen.

Einen Augenblick lang rührte sich nichts; dann vernahm ich scharrende Geräusche und das Knarren des Türzargens. Die Tür öffnete sich nur einen Spalt breit, und eines von Elias' wachsamen braunen Augen schielte aus der Dunkelheit seines Zimmers auf die Treppe hinaus. »Was ist denn los?«, verlangte er zu wissen.

»Was soll schon los sein«, erwiderte ich verstimmt. »Wir haben viel zu tun. Das ist los. Du weißt, wie ich es hasse, dich bei deinen Tändeleien zu stören, aber je rascher wir das alles hinter uns bringen, umso besser.«

»Oh, zweifellos, zweifellos. Aber morgen würde es mir viel eher passen.«

Ich schnaubte verächtlich. »Elias, also wirklich. Ich begreife ja das Bedürfnis, deinen Vergnügungen nachzugehen, aber du musst doch verstehen, dass jetzt nicht die Zeit dafür ist. Wir müssen noch heute Abend handeln. Du kannst darauf wetten, dass Cobb morgen wieder etwas Neues wird von mir hören wollen, und ich habe ihm schon viel mehr erzählt, als mir lieb ist. Wir müssen zusehen, dass wir etwas über Absalom Pepper und seine Verbindung zu diesem Mr. Teaser herausbe .«

»Psst!«, zischte er wütend. »Du darfst hier nicht darüber sprechen. Ich kenne all die Namen. Aber gut, Weaver, wenn es dir so dringend ist, dann warte im Rusted Chain gleich um die Ecke auf mich. Ich werde in ungefähr einer halben Stunde dort sein.«

Ich schnaubte noch einmal. Wenn Elias sich nicht von einer seiner Liebschaften trennen wollte, wurden aus einer halben Stunde leicht deren zwei oder mehr - nicht, weil er etwa verantwortungslos war, sondern eher weil er ein wenig zur Vergesslichkeit neigte.

Elias und ich waren schon seit ein paar Jahren befreundet, und ich kannte seine Gewohnheiten. Er würde nie eine Dirne mit auf sein Zimmer nehmen, schon, um Mrs. Henry (die sich mit der Zeit auch an seine Sperenzchen gewöhnt hatte) nicht zu verletzen, aber auch nie eine Frau von Stand, denn die fände seine Räumlichkeiten zu unaufgeräumt und es zudem peinlich, unter einem Dach mit seiner Vermieterin mit ihm zu tändeln. Also dürfte sich in diesem Augenblick eine Schauspielerin, eine Bedienung aus einer Taverne oder die Tochter eines Handwerkers in seinem Bett befinden - eine Frau mit genug Anstand jedenfalls, mit der Elias die Straße hinuntergehen konnte, ohne anzügliche Pfiffe zu ernten, aber auch keine so feine Dame wiederum, dass sie sich weigern würde, sich mit ihm zu zeigen.

In diesem Wissen unternahm ich einen gewagten, wenn auch keinen noch nie da gewesenen Schritt. Ich drückte mich gegen die Tür und schob Elias sanft beiseite, damit er seinen Widerstand aufgab.

Zu meiner Überraschung fand ich Elias vollständig bekleidet vor. Er trug sogar noch sein Wams. Ich musste stärker gegen die Tür gedrückt haben, als ich vorgehabt hatte, denn er stolperte plötzlich und fiel auf den Hintern.

»Hast du den Verstand verloren?«, schrie er mich an. »Du musst sofort von hier verschwinden.«

»Tut mir leid, dass ich dich umgestoßen habe«, sagte ich und konnte dabei kaum ein Grinsen unterdrücken. Es würde mehr als den üblichen Krug Ale und ein Stück Fleisch brauchen, um ihn wieder zu besänftigen, aber es half ja nichts. Unerschrocken machte ich einen Schritt auf sein Schlafzimmer zu, aber ich brauchte die Tür gar nicht erst zu öffnen, denn sein weiblicher Besuch lag nicht im Bett, sondern saß, die zarten Finger um den Stiel eines Weinglases geschmiegt, in einem seiner bequemen Sessel.

Als sie mich sah, begannen sowohl ihre Lippen als auch ihre Finger ein wenig zu zittern, obwohl sie sichtlich bemüht war, ungerührt von meinem Eindringen zu erscheinen. Entweder war es ihr peinlich oder sie war wütend auf mich oder sie fürchtete sich vor mir.

»Ich würde Sie bitten, Platz zu nehmen«, sagte sie. »Aber ich bin hier nicht die Gastgeberin.«

Ich brachte kein Wort hervor, stand nur wie angewurzelt und mit offenem Mund da wie ein Idiot. In Elias' Sessel saß Celia Glade.

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