Es gab nun wohl kaum noch einen Grund, mich um Mr. Franco zu sorgen. Die Franzosen mochten zwar allerlei Listen und Tricks auf Lager haben, aber für den Augenblick waren sie geschlagen, so dass Mr. Franco nicht länger um seine Tochter oder um sich selber fürchten musste. Elias, meiner Tante und auch mir drohte allerdings immer noch der Schuldturm.
Mr. Franco konnte als freier Mann in einer Kutsche die Heimfahrt antreten, doch ich lehnte es ab, ihn zu begleiten. Es war schon spät, ich war an Körper und Seele erschöpft, und der kommende Tag würde wieder allerhand Anstrengungen für mich bereithalten. Ich brauchte eine Pause, um mich zu besinnen, bevor ich mich zu Bett legte. Binnen eines Tages würde alles sich regeln, aber damit dies auch nach meinem Wohlgefallen geschah, musste ich mit Sorgfalt gewisse Vorkehrungen treffen.
Daher nahm ich eine Droschke zum Ratcliff Highway und betrat in der Dunkelheit der frühen Morgenstunden, wenn selbst das Palaver und das Getöse von London sich auf ein leises Wimmern und Greinen reduziert, ebenjene Taverne, in der Mr. Blackburn mich an seinem fulminanten Wissen hatte teilhaben lassen.
Derby, der Wirt, stand hinter seinem Tresen. Mr. Blackburn hatte ihn mir als seinen Schwager vorgestellt, und auch er erinnerte sich an meinen Besuch mit Blackburn, so dass es mir gelang, ihn dazu zu bewegen, seinen natürlichen Argwohn zu überwinden und mir zu verraten, wo ich seinen Verwandten finden könnte. Es wäre nicht seine Art, erklärte er, jemandes Wohnort kundzugeben, ohne vorher dessen Einwilligung eingeholt zu haben, aber es könne wohl nichts schaden, wenn er mir Blackburns Arbeitsplatz nannte. Sein Schwager hätte eine vorübergehende Tätigkeit bei einer bekannten Brauerei angenommen, deren Bücher auf Vordermann gebracht werden mussten, und wäre sehr darauf bedacht, seine Arbeit zügig zu erledigen, so dass er jeden Tag ab sieben Uhr früh in den Geschäftsräumen der Brauerei anzutreffen sei.
Ich bestellte mir bei dem guten Mann ein Frühstück und genoss das noch warme Brot einer nahe gelegenen Backstube zu einer Schale mit Nüssen und Rosinen, die ich mit einem kleinen kühlen Bier hinunterspülte. Alsdann begab ich mich zur New Queen Street, wo ich den eifrigen Mr. Blackburn umgeben von unzähligen Kassabüchern in einem fensterlosen Raum vorfand. Aber mir kam er wie der glücklichste Mensch vor, den ich je gesehen habe.
»Ach, Sie sind's, Mr. Weaver«, begrüßte er mich. Er erhob sich und verbeugte sich vor mir, soweit ihm dies bei der Enge seines Arbeitsplatzes möglich war. »Wie Sie sehen, bin ich, ganz wie eine Katze, wieder auf den Füßen gelandet, Sir. Die East In-dia Company mag versuchen, meinen Namen in den Schmutz zu ziehen, aber am Ende kommt doch immer die Wahrheit ans Licht, und die ehrlichen Menschen, für die ich hier arbeite, werden meinen guten Ruf wiederherstellen.«
»Er ist ein ausgezeichneter Buchhalter«, rief gut gelaunt einer seiner Kollegen.
»So eine Ordnung hat es in unseren Büchern noch nie gegeben«, fügte ein anderer hinzu.
Ich merkte sofort, dass Blackburn einen Ort gefunden hatte, an dem sowohl seine Dienste als auch seine Marotten geschätzt wurden. Ich brauchte mir also kein solch schlechtes Gewis-sen mehr zu machen, weil ich ihn um seine Stellung gebracht hatte. »Ich freue mich zu hören, das es Ihnen so gut geht.«
»Es geht mir wunderbar«, versicherte er. »Diese Bücher, Sir, sind die reinste Katastrophe. Es ist, als hätte ein Wirbelwind sämtliche Zahlen durcheinandergepustet und jede Menge Fehler hineingeweht, aber das bekomme ich schon wieder in den Griff. Ich muss sagen, dass es mir eine Freude ist, festzustellen, dass diese fehlerhafte Buchführung lediglich die Folge von Nachlässigkeit und Unkenntnis ...«
»Ganz erbärmlicher Unkenntnis«, rief sein Kamerad dazwischen.
»Und nicht von böser Absicht darstellt«, beendete Black-burn seinen Satz mit etwas leiserer Stimme. »Hier liegt keine betrügerische Absicht vor, es gibt keine irreführenden Ausgabenbelege und sonstige Tricks, mit denen man eine bewusste Fälschung vertuschen will.«
»Genau über so etwas wollte ich mit Ihnen sprechen«, sagte ich. »Ich habe eine Frage zu einem Sachverhalt, den Sie einmal erwähnt haben. Erinnern Sie sich noch, dass Sie davon gesprochen haben, mein Arbeitgeber hätte Sie einmal ersucht, den Verlust einer bestimmten Summe in den Büchern zu kaschieren, und dass Sie, nachdem Sie sich geweigert hatten, feststellen mussten, dass er das Geld nichtsdestotrotz an sich genommen hatte?«
»Daran erinnere ich mich noch sehr gut«, bestätigte er. »Aber irgendwie kann ich mich nicht besinnen, Ihnen davon erzählt zu haben.«
Ich zog es vor, gar nicht erst darauf einzugehen. »Können Sie mir die Summe nennen?«
Er dachte kurz über mein Anliegen nach. »Ich denke nicht, dass die East India Company mir mehr Schaden zufügen kann, als sie es bereits getan hat.«
Also erzählte er mir alles, was ich wissen wollte, und in diesem Augenblick fand ich meine Vermutungen bestätigt und glaubte, endlich alles verstanden zu haben. Doch erst musste ich noch den Beweis erbringen, und der anbrechende Tag würde zeigen, ob ich meinen Gegnern überlegen war oder sie sich als schlauer erwiesen, als ich ihnen je zugetraut hätte.
Nach meiner Unterredung mit Blackburn lenkte ich meine Schritte nach Spitalfields, wo ich wiederholte Male an eine bestimmte Tür klopfen musste, bis sie mir endlich von einem unterwürfigen Wesen, das sowohl eine Bedienstete, eine Tochter oder auch eine Ehefrau darstellen mochte, geöffnet wurde. Ich erklärte ihr, dass ich dringend mit dem Hausherrn zu reden hätte und nicht warten könne, worauf sie einwandte, ein Mann wie der Herr des Hauses bräuchte seinen Schlaf. »Was ich ihm bringe, ist besser als eine durchschlafene Nacht«, versicherte ich ihr. Als sie merkte, dass ich mich nicht abweisen ließ, gab sie ihren Widerstand auf und bat mich herein. Sie führte mich in ein spärlich erhelltes, schäbiges Zimmer, in dem sie mich ohne eine Erfrischung warten hieß. Auch ich selber musste gegen den Schlaf ankämpfen.
Endlich erschien Devout Hale in der Tür. Er trug einen Morgenmantel und seine Nachtmütze, und obwohl die Verheerungen seiner Krankheit von dem fahlen Licht ein wenig gemildert wurden, sah man ihm doch deutlich an, wie sehr es ihn mitnahm, zu dieser frühen Stunde geweckt worden zu sein.
»Mein Gott, Weaver, was um alles in der Welt führt dich denn um diese Zeit hierher? Wenn du nicht den König höchstpersönlich mitgebracht hast, will ich es gar nicht hören.«
»Nicht den König«, sagte ich, »aber etwas, was dem König sehr viel wert sein dürfte. Setz dich, und ich werde dir in groben Zügen alles erzählen, was du wissen musst, um es zu verstehen.«
Er nahm mir gegenüber in gebeugter Haltung Platz. Offenbar hatte er Schwierigkeiten, Luft zu holen. Dennoch war er schon bald hellwach und lauschte meinem Bericht. Ich er-zählte ihm alles, was ich bisher für mich behalten hatte. Ich erzählte ihm, dass Pepper sich als weitaus gewiefter erwiesen habe, als jeder geglaubt hatte, dass er ein Gerät zum Spinnen von Baumwolle ersonnen habe, die dadurch so fein wie Seide würde und das die Handelswege der East India Company überflüssig machen könnte und dass Franzosen, Engländer und sogar Abgesandte des indischen Moguls versucht hätten, an die Pläne dafür zu gelangen - ein jeder im Interesse seines eigenen Landes.
»Man hat mir gesagt, ich müsse diese Aufzeichnungen für die britische Krone sicherstellen, da es sehr wichtig für unser Land sei, dass die East India Company nicht geschwächt würde. Ich halte mich für einen Patrioten, Hale, aber am meisten liegen mir die Menschen dieses Landes am Herzen, seine Verfassung, die Freiheiten und Möglichkeiten, die es uns bietet - und nicht seine großen Handelshäuser. Nur zu gerne habe ich die Pläne der Franzosen vereitelt, doch das bedeutet nicht, dass ich nicht mit eigenen Augen die Gefahr erkenne, die davon ausgeht, wenn man die Zügel des Königreiches Männern überlässt, denen nur an Geld und ihrem Profit gelegen ist.«
»Was willst du dann mit diesen Aufzeichnungen tun?«, fragte er.
»Ich werde sie den Männern und den Frauen zukommen lassen, die diesem Königreich nicht mit finsteren Machenschaften, sondern mit ihrer Hände Arbeit dienen.« Ich griff in meine Tasche, zog Peppers Oktavband hervor und gab ihn ihm. »Ich übergebe dies den Seidenwebern.«
Hale sagte nichts. Er zog die Petroleumlampe näher zu sich heran und begann, in dem Büchlein zu blättern. »Du weißt, dass ich nicht lesen kann.«
»Dann musst du dich an die wenden, die es können, aber selbst sie wird es wohl einige Zeit kosten, bis sie den Inhalt entschlüsselt haben. Und doch werden du und deine Männer irgendwann dahinterkommen, und dann werdet ihr in der Lage sein, nach eurem Gutdünken eure Bedingungen zu diktieren. Ich bitte dich lediglich darum, den Schatz mit deinen Arbeitern zu teilen, nicht darum, das zu werden, was du verachtest. Dieses Buch enthält die Verheißung von Reichtum, der über die Generationen erhalten bleiben wird, und ich hoffe, du wirst mir dein Wort geben, ihn großzügig zu verteilen und dich nicht von Gier packen zu lassen.«
Er nickte. »Ja«, hauchte er ein wenig kurzatmig. »Ja, das kann ich tun, Weaver. Es mag mir zu meinen Lebzeiten nicht viel einbringen, aber ich werde mein Bestes versuchen. Doch sag mir - möchtest du nicht etwas davon für dich beanspruchen?«
Ich lachte. »Solltest du dennoch zu Geld kommen und mir ein Geschenk machen wollen, können wir das zu gegebener Zeit bereden, aber nicht jetzt. Ich will das Geld nicht mit dir gemeinsam anlegen. Wie du dich erinnern dürftest, habe ich dich um einen Gefallen gebeten, darum, mich in einer Aufgabe zu unterstützen, die ich zwar gehasst habe, aber dennoch erfüllen musste. Das hast du getan und keinerlei Gegenleistung von mir verlangt - was auch gar nicht in meiner Macht gestanden hätte. Ich gebe dir dies an Stelle dessen, was ich dir schuldig geblieben bin, und ich hoffe, du siehst damit meine Schuld dir gegenüber als beglichen an.«
»Unter diesen Bedingungen schlage ich ein«, sagte er. »Gott segne dich.«
Mir würden vor meiner nächsten Unterredung kaum mehr als ein paar Stunden Zeit für Schlaf bleiben, aber ich war entschlossen, mir zu gönnen, was ich brauchte. Ich sandte nach Elias, dass er mich um elf an diesem Vormittag in meiner Wohnung aufsuchen möge, was uns Zeit genug geben sollte, uns auf die Anteilseignerversammlung vorzubereiten. Was ich Celia Glade sagen würde, wenn sie Peppers Aufzeichnungen von mir verlangte, hatte ich mir noch nicht zurechtgelegt.
Vielleicht würde ich ihr einfach die Wahrheit sagen. Und doch hätte ich mir nichts mehr gewünscht, als ihrem Wunsch zu entsprechen, und sei es nur, um festzustellen, ob es in ihr etwas zu entdecken gab, was nicht mit Winkelzügen und Versteckspielen zu tun hatte.
Um halb elf erschien sie auch pünktlich auf der Bildfläche. Zum Glück war ich nach einer Stunde Schlaf schon wieder wach und angekleidet - und wenn ich mich auch nicht im Vollbesitz meiner Verstandeskraft befand, war ich doch immerhin auf alles vorbereitet, was sie zu mir sagen mochte.
»Sie sind also in das Haus eingedrungen?«, wollte sie wissen.
Ich erwiderte ihr Lächeln so herzlich, wie es mir möglich war. »Es ist mir gelungen, Mr. Franco zu befreien, doch die Pläne habe ich nicht finden können. Edgar wusste von nichts, und Hammond hat sich das Leben genommen. Ich habe alle Räume gründlich durchsucht, aber ich habe keine Spur davon entdeckt.«
Sie erhob sich rasch, wobei ihre Röcke flatterten wie Blätter an einem windigen Herbsttag.
»Sie haben sie nicht finden können«, wiederholte sie nicht ohne eine Spur Skepsis.
»Nein, tatsächlich nicht.«
Sie stand, die Fäuste in die Hüften gestemmt, vor mir und musterte mich. Vielleicht bemühte sie sich, verärgert zu wirken - oder sie war es wirklich -, aber in diesem Augenblick erschien sie mir als so atemberaubend schön, dass ich drauf und dran war, alles zuzugeben. Doch ich widerstand der Versuchung.
»Sie sind nicht ehrlich zu mir«, erklärte sie.
Ich erhob mich ebenfalls, um von Angesicht zu Angesicht mit ihr zu sprechen. »Madam, es tut mir leid, dass Sie mich zu einem so trivialen Vergleich zwingen, aber in diesem Fall muss ich sagen, dass die Sauce für die Gans auch als Sauce für den
Ganter herhalten muss. Sie behaupten, ich würde die Wahrheit vor Ihnen verbergen? Bei wie vielen Gelegenheiten sind Sie nicht aufrichtig mir gegenüber gewesen? Wie oft haben Sie mich belogen?«
Ihre Züge entspannten sich ein wenig. »Ich habe immer versucht, ehrlich mit Ihnen zu sein.«
»Sind Sie überhaupt Jüdin?«, verlangte ich zu wissen.
Sie seufzte. »Selbstverständlich bin ich das. Glauben Sie, ich würde so etwas erfinden, um mir Ihr Vertrauen zu erschleichen?«
»Der Gedanke ist mir durchaus gekommen. Wenn Sie wirklich sind, wer Sie zu sein behaupten, warum verfallen Sie dann in unbedachten Augenblicken in einen französischen Akzent?«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Wahrscheinlich gefiel es ihr nicht, so bloßgestellt zu werden, aber ich wusste, dass sie nicht umhinkonnte, mir Anerkennung zu zollen, weil ich ihr dahintergekommen war.
»Alles, was ich Ihnen von meiner Familie erzählt habe, entspricht der Wahrheit«, sagte sie. »Außer, dass ich meine ersten zwölf Lebensjahre in Marseille verbracht habe - ein Ort, wie ich hinzufügen darf, an dem Juden meiner Sorte seitens der Juden der Ihren nicht besser angesehen sind als hier. Aber was bedeutet diese Geringfügigkeit schon?«
»Sie hätte vielleicht gar nichts bedeutet, wenn Sie sie nicht vor mir verschwiegen hätten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe es Ihnen verschwiegen, weil ich von den Umtrieben der Franzosen wusste und nicht wollte, dass Sie auf den Verdacht kommen, ich könne etwas damit zu schaffen haben. Weil ich Ihnen nicht alles sagen konnte, wollte ich das vor Ihnen verbergen, was Sie zu einer verkehrten Mutmaßung hätte verleiten können.«
»Und indem Sie das taten, haben Sie nur umso mehr meinen Argwohn geweckt.«
»Ja, so ist es leider, nicht wahr?«
Wie in unausgesprochenem gegenseitigen Einvernehmen setzten wir uns wieder.
»Und die Geschichte aus Ihrer frühen Jugend? Das mit dem Tod Ihres Vaters, seinen Schulden - und Ihrem Beschützer?«
»Auch das stimmt alles. Ich habe lediglich zu erwähnen versäumt, dass dieser Mann über nicht unerheblichen Einfluss im Ministerium verfügte und seitdem noch einflussreicher geworden ist. Er war es, der meine Talente erkannt hat und mich ersucht hat, meinem Land zu dienen.«
»Indem Sie meine Freunde verführen und derlei Dinge?«
Sie blickte verschämt zu Boden. »Glauben Sie allen Ernstes, ich hätte mich Mr. Gordon hingeben müssen, um an die Informationen zu gelangen, die ich brauchte? Er mag ein guter Freund und ein wackerer Gefährte sein, aber er ist nicht recht dafür geschaffen, einer Frau einen Wunsch abzuschlagen. Ich hätte mir sein Interesse an mir zum Vorteil machen können, aber ich wollte nicht, dass ein Schatten über eine Freundschaft fällt, weil ich mich auf seine Avancen einlasse - dafür achte ich Sie zu sehr.«
»Welche Freundschaft meinen Sie? Meine zu Elias oder meine zu Ihnen?«
Sie grinste breit. »Nun, beide natürlich. Und nachdem wir diese Dinge jetzt geklärt haben, können wir vielleicht über das Buch reden, das Sie möglicherweise ja doch gefunden haben.«
Ich merkte, wie ich schwankte. Doch selbst, wenn ich ihr ihre Geschichte abnahm - wozu ich durchaus geneigt war -, bedeutete das noch lange nicht, dass ich das Buch der East India Company in die Hände spielen wollte. Sie mochte sich im Recht wähnen, und ihr Auftrag gab ihr allen Grund, Peppers Pläne besitzen zu wollen, aber mein Sinn für Gerechtigkeit sprach dagegen.
»Ich muss noch einmal wiederholen, dass ich die Pläne nicht gefunden habe.«
Sie schloss die Augen. »Es scheint Ihnen nichts auszumachen, wenn die Franzosen diesen Webstuhl bekommen?«
»Es würde mir wohl etwas ausmachen, und ich hoffe, dass ihr Vorhaben auf ganzer Linie misslingt, aber ich bin ein Patriot, Madam, kein Diener der East India Company. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe unserer Regierung ist, eine bedeutende Handelsgesellschaft vor dem Erfindungsreichtum eines Einzelnen zu beschützen.«
»Ich hätte Ihnen niemals einen solchen Vertrauensbruch zugetraut«, sagte sie. Ihre Anmut war zwar nicht gänzlich verschwunden, nun aber unter der roten Maske des Zorns verhüllt. Wir sprachen hier nicht über irgendeine Angelegenheit, in die sie zufällig verstrickt war. Ich erkannte in Celia Glade eine überzeugte Verfechterin ihrer Sache. Es war für sie von allergrößter Bedeutung, dass nur die britische Regierung, und nur sie allein, über Peppers Erfindung verfügen durfte, und sie begriff zweifellos, dass ich dies zu verhindern trachtete.
»Es ist kein Vertrauensbruch«, sagte ich. »Es geht um Gerechtigkeit, Madam, und wenn Sie nicht gar so uneinsichtig wären, würden auch Sie das verstehen.«
»Sie sind es, der hier uneinsichtig ist.« Ihre Stimme klang eine Spur versöhnlicher. Sie mochte mein Handeln nicht nachvollziehen können, sagte ich mir, aber sie begriff, dass ich nur redliche Absichten damit verfolgte. »Ich hatte geglaubt, Sie würden mir inzwischen vertrauen oder mir zumindest zugutehalten, dass ich nur das Beste will. Doch ich merke, dass Sie sich von niemandem dreinreden lassen wollen. Das ist schade, aber offenbar wollen Sie nicht einsehen, dass wir in einer sich verändernden Welt leben.«
»Und Sie wollen nicht einsehen, dass ich nicht der East In-dia Company dienlich sein kann, nur um Ihnen einen Gefallen zu tun. Ich habe einiges über mich ergehen lassen müssen, Madam, und ich habe gelernt, dass es besser ist, für eine gerechte Sache zu leiden, als sich mit einem Stück Zucker dafür belohnen zu lassen, der falschen gedient zu haben. Sie mögen damit fortfahren, Erfinder der Verfolgung auszusetzen und sie notfalls umzubringen - ich kann es nicht verhindern -, aber Sie dürfen nicht auf den Fehler verfallen zu glauben, ich würde mich freiwillig diesem Kreuzzug anschließen.«
Ein höhnisches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Wo war Ihr unbeugsamer Wille, als Sie sich von Cobb für seine Zwecke missbrauchen ließen, Sir? Nun wissen wir Diener des Königs, was wir von Ihnen zu halten haben. Sie sind für eine Sache, die Ihnen zutiefst zuwider ist, zu jedem Einsatz bereit, wenn es nur darum geht, Ihnen nahestehende Menschen zu schützen. Glauben Sie nicht, dass wir das vergessen werden.«
»Und wenn Sie mir schon einmal vorhalten, was ich unter Zwang tue«, sagte ich, »dann bitte ich Sie, sich auch zu erinnern, dass Cobb sich nun in Gewahrsam befindet und Ham-mond tot ist. Denjenigen, die mich ihrem Willen unterwerfen wollten, ist es nicht so wohl ergangen, wie sie es sich erhofft hatten.«
»Die traurige Wahrheit ist, dass ich immer sehr viel von Ihnen gehalten habe, Mr. Weaver. Ich glaube, vieles wäre ganz anders gekommen, wenn Sie ähnliche Hochachtung vor mir gehabt hätten. Ich spreche nicht davon, mich zu begehren, wie ein Mann eine Hure begehrt, deren Namen er sich nicht einmal zu merken braucht, sondern davon, mir solche Gefühle entgegenzubringen, wie ich sie für Sie zu empfinden bereit gewesen bin.«
Und dann verließ sie mich. Mit einem majestätischen Rauschen ihrer Röcke ließ sie mich nach diesem abschließenden Monolog stehen - welch eine passende Schlussszene für ein tragisches Theaterstück. Sie hatte ihren letzten Satz mit solchem Nachdruck vorgebracht, dass ich glaubte, unsere Wege würden sich nun auf immer trennen, und begann meine Worte, wenn auch nicht mein Handeln, bereits zu bereuen. Aber ich ahnte ja nicht, dass diese Unterredung mit Miss Celia Glade nicht einmal die letzte an diesem Tag sein würde.
Elias traf mit nur einer halben Stunde Verspätung ein, womit man bei ihm von ausgesprochener Pünktlichkeit reden konnte. Mich störte sein Zuspätkommen auch gar nicht so sehr, denn es gab mir noch ein wenig Zeit, mich nach Celia Glades Besuch zu sammeln und die Traurigkeit zu vergessen, die mich danach umfangen hatte.
Nachdem Elias aber nun einmal da war, drängte ich auf raschen Aufbruch, und wir nahmen einen Wagen zum Craven House.
»Wie sollen wir uns denn Zugang zu der Aktionärsversammlung verschaffen?«, wollte er von mir wissen. »Wird man uns nicht gleich an der Tür abweisen?«
Ich lachte nur. »Wer würde eine solche Versammlung schon besuchen, wenn er nichts damit zu schaffen hätte? Für einen Außenstehenden kann es nichts Uninteressanteres geben als eine Zusammenkunft der Anteilseigner der East India Company.«
Das war gewiss nicht übertrieben, obwohl es sich in den vergangenen Jahren gezeigt hatte, dass solchen Versammlungen durchaus vermehrtes öffentliches Interesse entgegengebracht wurde, und so manche Teilnehmer hatten sich dabei schon so sehr die Köpfe heißgeredet, dass sogar in den Zeitungen darüber berichtet wurde. In jenem Jahr 1723 jedoch würde jeder um eine Zeile verlegene Zeitungsschreiberling wohl eher in den langweiligsten Kaffeehäusern des Covent Garden die Ohren gespitzt haben, als im Craven House auf etwas Berichtens-wertes zu hoffen. Hätte einer von ihnen sich jedoch an diesem Tage in die Versammlung verirrt, wäre er für seinen Optimismus reich belohnt worden.
Wie ich vorhergesagt hatte, erhob niemand Zweifel, dass wir mit Fug und Recht an der Versammlung teilnahmen. Wir waren beide wie Gentlemen gekleidet, also fielen wir unter den ungefähr hundertfünfzig dunkel gewandeten Herrschaften, die den Versammlungssaal füllten, nicht weiter auf - außer höchs-tens dadurch, dass wir jünger waren und nicht so stattliche Bäuche vor uns hertrugen wie die meisten übrigen Anwesenden.
Die Versammlung fand in einem Raum statt, der speziell für jene vierteljährlichen Ereignisse hergerichtet worden war. Ich hatte diesem Raum bereits einmal einen Besuch abgestattet, und dabei hatte er die freudlose Wirkung eines verlassenen Theatersaales auf mich gehabt. Nun aber war er von Leben erfüllt, wenn auch die Geschehnisse auf der Bühne vorerst träger, schwerfälliger Natur waren. Nur wenige der Anteilseigner schienen sich sonderlich für das zu interessieren, was hier verhandelt werden sollte. Sie standen herum und schwatzten miteinander; mehrere von ihnen waren auf ihren Stühlen eingeschlafen. Ein Mann - einer der wenigen, die jünger als ich waren - schien sich wach zu halten, indem er lateinische Verse repetierte. Manche aßen mitgebrachte Speisen, und ein besonders unerschrockenes Sextett hatte sogar ein paar Weinflaschen und Zinnkrüge dabei.
Es gab eine erhöhte Plattform, auf der ein Podium stand. Als wir den Raum betraten, ließ sich einer der leitenden Angestellten gerade über die Meriten eines bestimmten Gouverneurs in den Kolonien aus, welche wohl in Frage gestellt worden waren. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei jenem Gouverneur um den Neffen eines der größten Anteilseigner, was zu einer, wenn nicht gerade hitzigen, so doch wenigstens als lauwarm zu bezeichnenden Debatte Anlass gab.
Elias und ich suchten uns Plätze in einer der hinteren Reihen. Mein Freund fläzte sich auf seinen Stuhl und zog sich sogleich den Hut ins Gesicht. »Ich kann es nicht ertragen, wenn sich nichts rührt«, sagte er. »Sei doch bitte so gut, mich zu wecken, wenn irgendwas passiert.«
»Du kannst ja auch wieder gehen«, versetzte ich. »Aber wenn du bleibst, darfst du nicht einschlafen. Ich brauche jemanden, der mich unterhält.«
»Sonst fallen dir selber gleich die Augen zu, nehme ich an. Sag mir, Weaver, was du dir hiervon eigentlich versprichst.«
»Dessen bin ich mir nicht ganz sicher. Vielleicht wird das, was wir bis jetzt bewerkstelligt haben, gar keine merklichen Auswirkungen haben, aber es ist doch inzwischen einiges geschehen. Und vor allem geht es heute um das Schicksal von Mr. Ellershaw. Forester wird etwas gegen ihn vorbringen, und selbst wenn Celia Glade nicht die Hand im Spiel hat und sich sogar die Angelegenheit mit Cobb sich letzten Endes als irrelevant erweist, möchte ich doch mit eigenen Augen sehen, wie die Dinge sich entwickeln.«
»Und dafür muss ich wach bleiben? Du bist mir ein schöner Freund.«
»Und du? Du willst die Frau, die ich begehre, zu dir ins Bett locken«, merkte ich an.
»Ich dachte, wir wären übereingekommen, nicht mehr davon zu sprechen?«
»Außer, wenn ich versuche, dich dazu zu bewegen zu tun, was ich von dir erwarte. Dann gedenke ich die Angelegenheit sehr wohl aufs Tapet zu bringen.«
»Das ist ziemlich niederträchtig von dir. Wie lange gedenkst du mich noch so zu quälen?«
»Solange du lebst, Elias. Wenn ich es nicht mit Humor betrachte, könnte ich ganz schön sauer werden.«
»Dann sage ich lieber nichts mehr dazu. Aber mir ist aufgefallen, dass du von meiner Lebensspanne sprichst und nicht von deiner. Hast du ein Rezept für Langlebigkeit entdeckt, das ich noch nicht kenne?«
»Ja. Nicht zu versuchen, die Frau ins Bett zu bekommen, auf die dein Freund ein Auge geworfen hat. Du solltest es bei Gelegenheit einmal ausprobieren.«
Er wollte etwas erwidern, aber ich hob die Hand. »Warte«, sagte ich. »Das möchte ich mir anhören.«
Einer der Anteilseigner, dem die Aufgabe zugefallen zu sein schien, als eine Art Zeremonienmeister zu fungieren, war gerade dabei, die Versammlung darüber zu informieren, dass Mr. Forester von der Geschäftsleitung etwas äußerst Wichtiges mitzuteilen habe.
Ich mutmaßte, dass die Anwesenden nun eine ausführliche Darlegung betreffs der Länge der bei Transportkisten verwendeten Nägel erwarteten, denn niemand schenkte der Sache besondere Aufmerksamkeit. Die Schläfer schliefen, die Speisenden speisten, die Schwätzer schwatzten, der Lateinrepetitor repetierte. Ich aber wartete gespannt darauf, was sich auf dem Podium tun würde.
»Gentlemen«, hob Forester an, »ich fürchte, es gibt zwei wichtige Dinge, auf die ich heute zu sprechen kommen muss. Das eine verheißt Gutes für die Zukunft des Unternehmens, wenn wir es nur richtig anzupacken wissen. Das andere ist eher unangenehmer Natur, und obwohl ich es nur sehr ungern überhaupt erwähne, fürchte ich doch, dass es meine Pflicht ist, dies zu tun. Doch zunächst zum erfreulichen Punkt.«
Forester gab einem Bediensteten, den ich bislang noch nicht wahrgenommen hatte, ein Zeichen, und dieser eilte sogleich mit einem golden, rot und schwarz lackierten, orientalisch anmutenden Kästchen zu ihm hin. Auf dem Deckel saß ein Griff in Form eines Elefanten. Forester hob den Deckel ab und gab ihn dem Bediensteten zurück. Dann nahm er eine eng gewickelte Rolle Stoff aus dem Behältnis und reichte dem Mann auch das leere Kästchen. Es hätte sehr gut auch ohne dieses dekorative Kästchen getan, aber Forester schätzte wohl dramatische Auftritte, und ich ahnte bereits, dass uns eine faszinierende Vorführung ins Haus stand.
»In meiner Hand halte ich die Zukunft der East India Company«, verkündete Forester. »Wie ich Ihnen wohl nicht zu sagen brauche, war es einer der niederschmetterndsten Augenblicke in der Geschichte unseres Unternehmens, als das Parlament ein Gesetz verabschiedete, das den Verkauf in-discher Stoffe hierzulande sehr problematisch gestaltete. Es wird nur noch wenige Wochen dauern, bis wir gezwungen sind, diese Stoffe den Bürgern unseres Landes vorzuenthalten. Trotz unserer Bemühungen, den Markt für die Stoffe, die wir weiterhin verkaufen dürfen, zu erweitern, ist es doch eine traurige Wahrheit, dass es der East India Company nicht gelungen ist, einen entsprechenden Gegenangriff auf die Interessen der Wollmanufakturen in die Wege zu leiten, so dass wir nun bald einem Umsatzverlust zu vergegenwärtigen haben dürften. Aber dazu komme ich später noch ausführlicher.«
Zweifellos wollte Forester die gesamte Verantwortung Eller-shaw aufbürden, und wenn dieser nicht glaubwürdig eine bevorstehende Gesetzesänderung ankündigen konnte, würden seine Tage bei der East India Company wohl gezählt sein.
»Es ist gewiss schlimm, was im Unterhaus passiert ist«, fuhr Forester fort, »und es gibt Gerüchte, uns stünden noch einschneidendere Entwicklungen bevor. Wir haben alle schon von einem neuen Webgerät gehört, mit dem angeblich amerikanische Baumwolle zu so feinen Fäden gesponnen werden könne, dass sie von indischer Seide nicht mehr zu unterscheiden sei - ebenso leicht, bequem und elegant. Die hiesigen Färbereien arbeiten seit Jahren an der Verfeinerung ihrer Verfahren, so dass ein Großteil der indischen Ware bereits jetzt in diesem Königreich weiterverarbeitet wird. Würden diese Betriebe sich nun auf die mittels jenem geheimnisvollen Wunderwerks zu Fäden gesponnene amerikanische Baumwolle umstellen, wäre es dem Käufer unmöglich, den Unterschied zu erkennen. Gewiss würden die Fachleute des Craven House einen Qualitätsverlust ausmachen können, doch nicht der Mann auf der Straße. So ein Gerät könnte das Ende unseres Handels mit orientalischen Rohmaterialien bedeuten.«
Das brachte die Menschenmenge ganz schön auf Trab. Pfiffe und Pfuirufe erfüllten den Saal. Selbst Elias, der sich betont ge-langweilt gegeben hatte, war nun hellwach. »Er hat die ganze Zeit davon gewusst«, flüsterte er.
»Ich bin hier, um Ihnen zwei Dinge mitzuteilen, Gentlemen. Zunächst, dass es dieses Wunderding tatsächlich gibt. Ich habe gesehen, wie es arbeitet.« Forester wurde niedergeschrien und musste ein paar Minuten warten, bis sich die Menge so weit beruhigt hatte, dass er fortfahren konnte. Als es endlich so weit war, konnte man ihn wegen des Lärms trotzdem nur schwer verstehen. »Ja, es ist wahr. Das Wunderding gibt es. Doch das Zweite, was ich Ihnen zu sagen habe, ist, dass dies nicht einen Augenblick der Niederlage, sondern des Triumphes darstellt. Das bewusste Gerät ist stets als ein Feind des Unternehmens erachtet worden, doch nun haben wir es in unserem Besitz, und damit können wir es nach unserem Gutdünken und zu unserem Gewinn einsetzen. Das, meine Freunde, bedeutet Reichtum über all unsere Vorstellungen hinaus.«
Alles lauschte ihm wie gebannt. »Denken Sie doch nur einmal darüber nach. Wir setzen den Handel mit Indien fort. Wir haben hier unsere Vertriebswege, und ganz Europa begehrt indische Stoffe. Aber wir erweitern unsere Handelsbeziehungen mit Indien nicht, sondern setzen stattdessen vermehrt auf Baumwolle aus nordamerikanischer Fertigung. Wir importieren die Baumwolle aus Amerika, lassen den Kokon hierzulande und auf Werkzeugen der East India Company zu Fäden spinnen und ihn dann färben und verkaufen das Produkt auf dem heimischen Markt. Anstatt uns mit der hiesigen Textilfer-tigung anzulegen, verweben wir uns mit derselben, wenn Sie mir dieses Wortspiel nachsehen. Ja, die Wollspinner werden uns weiterhin Ärger machen, aber sie können nicht länger behaupten, wir würden den hiesigen Arbeitern das Brot wegnehmen. Nein, wir werden neue Arbeitsplätze schaffen und die Helden aller Arbeitssuchenden werden. Und da wir über das Werkzeug verfügen, werden wir von überzogenen Lohnforderungen verschont bleiben. Mit diesen Geräten werden wir die absolute Macht über die Textilindustrie erlangen, Gentlemen: indische Seide für die Auslandsmärkte, amerikanische Baumwolle für den Binnenmarkt.«
Alles schrie aufgeregt durcheinander. Die Männer sprangen auf, zeigten hierhin und dorthin, fuchtelten mit den Händen, nickten beifällig oder schüttelten die Köpfe. Aber alle schienen von dem Gedanken ausgesprochen eingenommen zu sein.
Ich konnte das alles kaum fassen. All meine Bemühungen waren umsonst gewesen. Die East India Company befand sich bereits im Besitz von Peppers Erfindung, würde davon profitieren und die Arbeiter Londons zu ihren Lohnsklaven machen. Ein wenig Trost spendete mir nur, dass Foresters Offenbarung bedeutete, dass Cobbs französische Auftraggeber im Wettstreit um Peppers Webstuhl unterlegen waren - und mit ihnen Celia Glade und die britische Regierung. Die East India Company hatte die Nase vorn.
Nach einigen Minuten heillosen Durcheinanders, in dem Forster sich vergeblich um Ruhe bemühte, ertönte plötzlich ein durchdringender Ruf.
»Wartet!«, rief eine Stimme. »Wartet ab, nicht so schnell!« Es war Ellershaw. Er betrat den Saal mit einer Selbstzufriedenheit, die ich noch nie an ihm beobachtet hatte. Er trug ein neues, gepflegtes Gewand, in dem seine Haltung zwar immer noch zu wünschen übrig ließ, aber er strahlte dennoch eine Autorität aus, die ich beinahe als königlich bezeichnet hätte.
Er strebte der Plattform zu und dann dem Podium.
»Sie müssen warten«, sagte Forester zu ihm. »Ich habe Ihnen noch nicht das Wort erteilt.«
»Doch, das haben Sie«, erwiderte Ellershaw. »Was wir hier diskutieren, ist zu wichtig, als dass ich mich durch Formalitäten aufhalten lasse.«
»Das mag ja so sein«, versetzte Forester verächtlich. »Aber ich lasse es nicht zu, dass ein Verrückter das Wort ergreift, von dem jedermann weiß, dass sein klares Denken von einer skandalösen Krankheit beeinträchtigt ist.«
Ein Raunen ging durch die Menge, und ich sah so viele der Anwesenden mit den Köpfen nicken oder sich etwas zuflüstern, dass mir dämmerte, wie weit das Gerücht, Ellershaw hätte infolge der französischen Krankheit den Verstand verloren, bereits die Runde gemacht hatte. Doch nun begann ich zu ahnen, was für einen listigen Geniestreich Ellershaw sich ersonnen hatte.
»Jedermann weiß es, wie? Nun, ich weiß es nicht, und es hat mir auch noch kein Arzt, der sich die Zeit genommen hat, mich zu untersuchen, gesagt - außer einem Quacksalber, der sich gerne das Maul zerreißt. Aber da erkenne ich ja hier in diesem Raum den Arzt, der mich untersucht hat. Sie da, Sir!« - er zeigte auf Elias -, »stehen Sie doch bitte auf und sagen es dieser Versammlung, wenn Sie glauben, an mir eine Krankheit festgestellt zu haben, die zu einer Verwirrung des Geistes führen könnte.«
Elias zögerte, aber Ellershaw ließ nicht locker, und das Gemurmel im Saal nahm für meine Ohren bedrohliche Formen an.
»Du tust besser, was er sagt«, flüsterte ich.
Elias stand auf und räusperte sich. »Ich habe den Gentleman untersucht«, erklärte er, »und kein Anzeichen für ein solches Leiden vorgefunden, und auch für nichts anderes, das zu einem Delirium führen könnte.«
Wieder ging ein Raunen durch die Menge, und Ellershaw konnte sich nur Gehör verschaffen, indem er mit einem dicken Buch so laut wie mit einem Hammer auf das Pult schlug.
»Da hören Sie es!«, rief er. »Gerüchte, die jeder Grundlage entbehren. Wenn wir uns nun wieder dem zuwenden, um das es hier eigentlich geht, würde ich gerne ein paar Worte über diese künstlich erzeugte Seide verlieren, von der Forester gesprochen hat.« Er wandte sich ihm zu. »Wenigstens müssen
Sie uns gestatten, den Stoff in Augenschein zu nehmen. Sie behaupten, es wäre so fein wie indische Seide, aber wir haben nur Ihr Wort darauf, dass es kein grober, schwerer Stoff ist, dem das Publikum sich verweigern wird. Es hat schon unzählige neue Entwicklungen gegeben, die angeblich unseren Niedergang einläuten sollten, aber keine davon ist auch nur einen Pfifferling wert gewesen.«
Forester wollte Ellershaw unterbrechen, aber der trat einfach vor und nahm Forester den Stoffballen ab. Sodann untersuchte er ihn, indem er mit der Hand darüberstrich, den Stoff gegen das Licht hielt und sogar daran schnüffelte. Schließlich hielt er inne und schien in Gedanken verloren.
»Selbst Sie, Sir, der Sie mir immer im Weg gestanden haben, müssen zugeben, dass dieser Stoff Sie überzeugt«, sagte Forester, und seine Stimme wurde ganz brüchig vor lauter Selbstgefälligkeit. »Können Sie daran irgendeinen Fehler finden?«
Ellershaw schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, das kann ich nicht«, sagte er.
Aber ich wusste, dass Ellershaw noch einen Trumpf im Ärmel zurückhielt, denn er klang keineswegs so, als müsse er klein beigeben. Er setzte ein Lächeln auf und sprach so laut, dass jeder im Raum es deutlich hören konnte. Dies war kein privater Disput mehr - Ellershaw stand nun auf einer Bühne und trug seinem Publikum etwas vor.
»Nein, ich kann keinen Fehler daran finden, denn dies ist indische Seide, Sie Dummkopf. Sie verschwenden mit diesem Unsinn nur unsere Zeit.«
Wieder brach ein Tumult los, dem Forester Einhalt zu gebieten versuchte. »Der Stoff ähnelt so sehr dem Original, dass selbst ein Mann wie Ellershaw kaum einen Unterschied feststellen kann. Beweist das nicht den Wert dieser Erfindung?«
Nun war es an Ellershaw, ein so lautes Lachen von sich zu geben, dass es den ganzen Saal erfüllte. »Man hat Sie hereingelegt, Sir. Jemand hat Sie aufs Kreuz gelegt. Ich sage, dies ist indische Seide, und wenn Sie ein wahrer Mann des Craven Houses wären - immerhin haben Sie ja so wie ich in Indien Ihre Dienste geleistet -, würden auch Sie es merken.« Er rollte ungefähr zwei Fuß von dem Stoff ab und hielt sie seinen Zuschauern hin. »Sie brauchen diesen Stoff nicht einmal zu berühren, Gentlemen, um festzustellen, dass Forester sich im Irrtum befindet.«
Einen Moment lang kehrte Ruhe ein, während alles versuchte, den Stoff auf sich wirken zu lassen. Was sollten sie daran erkennen? Ich wusste es nicht. Aber dann rief eine Stimme: »Na, der ist doch in Indien bearbeitet worden. Ich kenne das Muster.«
»Ja, ja«, rief ein anderer. »Es gibt keinen Färber in diesem Land, der das nachahmen kann. Es ist indische Seide!«
Nun ging es im Saal drunter und drüber. Sie konnten es nun alle erkennen, und die, die den Unterschied nicht merkten, gaben sich den Anschein, im Bilde zu sein. Alles zeigte auf den Stoff und lachte. Buhrufe wurden laut.
Diesmal gelang es Ellershaw jedoch, rasch wieder einigermaßen Ruhe herzustellen. Die Unfassbarkeit dessen, was sich soeben abgespielt hatte, verlangte nach gesitteter Ordnung. Forester blieb zwar auf der Bühne stehen, wirkte aber verwirrt und hilflos. Er war rot im Gesicht und zitterte am ganzen Leibe. Er wollte wohl nichts lieber, als dieser Erniedrigung zu entfliehen, aber er ließ sie über sich ergehen, um nicht noch peinlicher dazustehen.
Wie hatte es dazu kommen können? Ich erinnerte mich an Aadil, den indischen Agenten, der vorgeblich Forester zuarbeitete. Stattdessen hatte er offenbar mitgeholfen, ihm diese Niederlage zu bereiten. Forester hatte Peppers Erfindung an sich bringen wollen, was dem indischen Exporthandel geschadet hätte. Also hatte der Inder zurückgeschlagen und Foresters Plan vereitelt, indem er Forester indische Seide als in England bearbeiteten Stoff unterschob - und dabei genau wusste, dass der Tag kommen musste, an dem der Schwindel aufflog.
»Freunde, Freunde«, rief Ellershaw. »Beruhigen wir uns wieder. Dieses Missverständnis ist nicht lustig, sondern sollte uns zur Warnung dienen. Mr. Forester hatte recht - auch ich habe von dieser neuen Erfindung Kunde genommen, und er tat gut daran, sich zu vergewissern. Kann man es ihm zum Vorwurf machen, dass ein skrupelloser Halunke - zweifelsohne, um aus seiner Unwissenheit Profit zu schlagen - ihn betrogen hat? Mr. Forester hat uns gerade daran gemahnt, stets auf der Hut zu sein, und dafür schulden wir ihm Dank.«
Es verblüffte mich, wie schnell Ellershaw die Wogen geglättet hatte. Schon brach der Saal in Jubel und Applaus aus, und Forester durfte sogar in Ehren von der Bühne abtreten. Er würde wohl seinen Abschied aus der Geschäftsführung nehmen müssen, konnte aber zumindest mit dem Anschein von Würde den Saal verlassen.
Nachdem er gegangen war, kehrte Ellershaw aufs Podium zurück. »Ich weiß, dass meine Redezeit um ist, aber darf ich noch ein paar Worte sagen, da ich nun schon gerade hier oben stehe?«
Der Mann, der Forester der Versammlung vorgestellt hatte, nickte mit Nachdruck. Ellershaw war nun der Held des Tages. Hätte er um Erlaubnis ersucht, den Raum in Brand zu stecken, wäre ihm auch diese Bitte gewährt worden.
»Gentlemen, ich habe nicht übertrieben, als ich sagte, dass wir uns vor solchen neuen Erfindungen in Acht nehmen müssen, doch befürchte ich, dabei auch mit ein wenig Eigenlob nicht gegeizt haben. Sehen Sie, ich bin wachsam gewesen. Gerüchte von neuen Bestrebungen sind dazu da, dass man ihnen nachgeht, und es hat tatsächlich Pläne für einen neuartigen Webstuhl gegeben, zwar keinen, der aus Baumwolle indische Seide herzustellen vermag, aber doch einen Schritt in diese Richtung gebracht hätte. Und ich glaube, es war im vollen In-teresse der East India Company, dass diese Erfindung vereitelt würde, damit sie nicht eines Tages Weiterentwicklungen nach sich zieht, die dann tatsächlich unseren Markt gefährden könnten. Ich habe daher keine Mühe gescheut, um das einzige existierende Exemplar der Pläne für dieses Teufelswerkzeug an mich zu bringen.« Er griff in seine Jackentasche und zog ein kleines Oktavbändchen hervor.
Selbst aus der Entfernung konnte es keinen Zweifel geben. Dies war das Notizbuch, das ich am Morgen Devout Hale übergeben hatte.
»Nun weiß ich zwar, dass es in jüngster Zeit ein wenig Unzufriedenheit mit meinen Diensten hier gegeben hat«, fuhr Eller-shaw fort. »Es sind Stimmen laut geworden, die meinten, ich hätte mehr tun können, um dem Treiben der Wollmanufakturen etwas entgegenzusetzen und die neuen gesetzlichen Bestimmungen zu unterbinden, die uns während der kommenden Jahre ganz gewiss vor so manche Herausforderung stellen werden. Ich glaube nicht, dass diese Kritik gerechtfertigt war. Ich bin unermüdlich in meinen Bestrebungen gewesen, diese Gesetzgebung zu verhindern, aber irgendwann waren mir dann doch die Hände gebunden, denn das Parlament ist den Interessenvertretern des Wollhandels seit undenklichen Zeiten sehr gewogen. Doch ich zweifle nicht daran, dass wir verlorenen Boden wieder wettmachen werden, und wir werden auch keine Mühe scheuen, um uns neue Märkte zu erschließen und gleichzeitig unsere Rechte und Privilegien unerbittlich zu verteidigen. Indem es mir gelungen ist, diesem neuen Webstuhl Einhalt zu gebieten, glaube ich bewiesen zu haben, was ich dem Unternehmen wert bin.«
Sein Publikum schien ihm darin zuzustimmen, denn es brach in rasenden Jubel aus. Ellershaw sonnte sich in seinem Ruhm, und als der Beifall abgeebbt war, konnte er endlich zu seinem Schlusswort ansetzen.
»Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, das alles ganz allein vollbracht zu haben. Ich habe viele Helfer gehabt, und ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen, die mir ihre Unterstützung gewährt haben, bedanken. Unser Unternehmen hat einen neuen Fürsprecher, einen Mann, der ursprünglich die Interessen der Wollindustrie wahrgenommen hat, nun aber unsere Sache im Parlament vertreten wird. Ich möchte Sie alle bitten, Mr. Samuel Thurmond einen herzlichen Empfang zu bereiten. Mit Beginn dieser Parlamentsperiode hat er sich auf unsere Seite geschlagen, und er hat mir zugesagt, seinen ganzen Einfluss geltend zu machen, damit dieses widerwärtige Gesetz endlich rückgängig gemacht wird.«
Der alte Mann erhob sich und winkte fröhlich grinsend mit seinem Hut. Dies war weder der halsstarrige Greis, den Ellershaw mit Drohungen einzuschüchtern versucht hatte, noch der Ränkeschmied, der sich heimlich mit Forester getroffen hatte. Ich sah einen weisen Mann vor mir, der in seinen letzten Lebensjahren sich und wohl auch dem Sohn, den Ellershaw erwähnt hatte, ein paar Annehmlichkeiten gönnen wollte. Nun ging mir auf, dass Ellershaw seine Drohungen nur zum Schein ausgestoßen hatte, dass die Auseinandersetzung in den Gärten von Saddler's Wells ebenfalls nur zum Schein stattgefunden hatte - alles, damit Forester und ich glaubten, Ellershaw und Thurmond wären Erzfeinde. Und ich begriff, dass meine Anwesenheit im Craven House dazu diente, Forester weiszumachen, seine Pläne liefen Gefahr, von einem Außenstehenden, der als geheimer Ermittler in das Unternehmen eingeschleust worden war, aufgedeckt zu werden -während er irrtümlicherweise glaubte, in Thurmond einen Verbündeten gegen Ellershaw zu haben. Der Argwohn gegen mich sollte ihn unsicher machen, ihn zu überstürztem Handeln treiben, um sich damit selber ein Bein zu stellen, wodurch er für Ellershaw die Bühne frei machte, auf der dieser seinen Triumph feiern konnte.
Alles im Raum war förmlich von einem Freudentaumel ge-packt; Ellershaw musste unzählige Hände schütteln, und viele der Anwesenden klatschten Thurmond auf den Rücken, um ihn wie einen Helden in ihrem Kreise willkommen zu heißen. Das ganze Theater stieß mir ein wenig unangenehm auf, denn schließlich verdankte er sein hohes Ansehen der Tatsache, dass er seine langjährigen Verbündeten hintergangen hatte. Was würde ihn davon abhalten, eines Tages auch dem Craven House in den Rücken zu fallen? Aber vielleicht spielte das für sie überhaupt keine Rolle. Hatte Ellershaw nicht klar und deutlich erklärt, dass diese Männer von einer Verkaufssaison, von einer Anteilseignerversammlung zur nächsten lebten? Was bedeutete ein möglicher Verrat in ferner Zukunft gegen den Triumph des Augenblicks?
Mich begannen diese Beifallsbekundungen anzuwidern, und ich wollte Elias sagen, dass ich es hier nicht länger aushielte, doch als ich aufblickte, gewahrte ich, wie Thurmond gerade die Hand eines ganz unerwarteten Gastes schüttelte. Es war kein anderer als Moses Franco.
Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, während ich zu begreifen versuchte, warum er hier war und wieso er auf offenbar so freundschaftlichem Fuße mit Thurmond und mehreren anderen Angehörigen des Craven House verkehrte. Dann sah ich, wie Mr. Franco sich verabschiedete und dem Ausgang zustrebte. Er öffnete die Doppeltür und schloss sie ebenso rasch wieder hinter sich, doch mir blieb gerade noch genug Zeit zu beobachten, dass ihn draußen jemand erwartete, bei deren Kleidung und Bewegungen nach es sich nur um Celia Glade handeln konnte.
Ich sagte Elias, dass ich gleich wiederkäme und wollte mich gerade selber zur Tür durchdrängen, als Ellershaw mich bei der Schulter griff. Er erwiderte meinen erstaunten Gesichtsausdruck mit einem so selbstsicheren, wissenden Grinsen, wie ich es von ihm noch nicht kannte.
»Dass ich mich nicht öffentlich bei Ihnen bedankt habe, soll nicht bedeuten, dass ich Ihren Beitrag weniger zu schätzen wüsste als den Thurmonds«, sagte er.
Ich ignorierte sein Salbadern und schob mich zur Tür hinaus. Zum Glück sah ich gerade noch, wie die beiden den Gang hinunter und zu einem kleinen Nebenraum gingen, von dem ich wusste, dass er erst jüngst frei geräumt worden war. Sie mussten sich entweder unbeobachtet gefühlt haben oder scherten sich nicht darum, wenn jemand sie zusammen sah, denn sie schlossen nicht einmal die Tür hinter sich, und als ich an der Schwelle ankam, überreichte Celia Glade Mr. Franco gerade einen Geldbeutel.
»Was sind das für geheime Geschäfte?«, sagte ich mit so lauter Stimme, dass sie beide zusammenzuckten.
»Mr. Weaver«, begrüßte mich Mr. Franco freudevoll. »Wie froh ich bin, Sie zu sehen, da wir dies alles nun hinter uns haben. Ich weiß, dass Sie nicht umhinkönnen, sich ein paar Fragen zu stellen, aber seien Sie versichert, dass ich tief in Ihrer Schuld stehe, Sir, und nichts als Hochachtung für Sie empfinde.«
Der Ausdruck auf meinem Gesicht musste ihm gesagt haben, dass ich wohl doch mehr wusste, als ihm lieb war, denn er wandte sich sogleich Celia Glade zu. »Er ist doch über alles im Bilde, oder?«
Sie errötete. »Ich fürchte, noch keine Gelegenheit gehabt zu haben, ihn davon zu unterrichten.«
»Sie sind ein Agent?«, entfuhr es mir.
Celia Glade legte mir die Hand auf den Arm. »Lassen Sie Ihre Verstimmung nicht an ihm aus. Wenn Sie jemandem Vorwürfe machen können, dann mir.«
»Worauf Sie sich verlassen können. Wie konnten Sie es wagen, meine Gefühle und meine Loyalität so zu missbrauchen? Sie haben ja keine Ahnung davon, mit was für Schuldgefühlen ich mich wegen der Einkerkerung dieses Mannes gequält habe! Und nun erfahre ich, dass er die ganze Zeit in Ihren Diensten gestanden hat.«
Franco hielt in einer abwehrenden Geste beide Hände in die Höhe, was allerdings angesichts des Geldbeutels zwischen seinen Fingern die gewünschte Wirkung ein wenig verfehlte. Trotzdem war ihm an der aufsteigenden Röte in seinem Gesicht anzusehen, dass er sich äußerst unwohl in seiner Haut fühlte und offenbar ein sehr schlechtes Gewissen hatte. Diese Aufrichtigkeit ließ meinen Zorn abebben, und ich wusste einen Augenblick lang nicht, was ich tun oder sagen sollte.
Celia Glade nutzte meine Verunsicherung sogleich zu einer Erklärung. »Nicht ihm sollte Ihr Verdruss gelten«, sagte sie. »Ihm ist ähnliche Unbill widerfahren wie Ihnen. Auch er ist gegen seinen Willen gezwungen gewesen, Cobb zu gehorchen.«
Nun ergriff Mr. Franco wieder das Wort. »Nach meiner Ankunft in London habe ich mein Geld leider recht unglücklich angelegt - unter anderem in Mr. Peppers Erfindung, und das hat Cobbs Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Es gelang ihm, meine Schulden aufzukaufen, wie er es auch bei Ihnen und Ihren anderen Freunden gemacht hat, und er hat dann von mir verlangt, dass ich die Bekanntschaft Ihrer Familie suche.«
»Ihre Tochter steckte also auch mit darin?«, sagte ich, ohne meine Verachtung zu verhehlen.
»Nein«, sagte er. »Ich konnte es nicht über mich bringen, ein so liebreizendes Wesen dazu zu bewegen, Sie zu hintergehen, also musste ich auch ihr etwas vorspielen. Doch darf ich hinzufügen, dass ich einer Verbindung zwischen Ihnen beiden nicht im Wege gestanden hätte, wenn Sie beide mehr Gefallen aneinander gefunden hätten.«
»Zu freundlich von Ihnen«, kommentierte ich verbittert.
Er schüttelte den Kopf. »Als ich merkte, dass Sie beide nicht zueinanderfanden, habe ich meine Tochter nach Saloniki geschickt, um sie aus all diesem Irrsinn herauszuhalten. Ich schäme mich sehr, Sir, genötigt gewesen zu sein, Sie zu täuschen. Ich hoffe nur, dass Sie mir nicht mehr mit sol-cher Abscheu begegnen werden, wenn Sie erst die ganze Geschichte gehört haben.«
»Anstatt Mr. Franco zum Objekt Ihrer Entrüstung zu machen, sollten Sie ihm eher dankbar sein, wie Sie gleich feststellen werden«, sagte Celia Glade. »Um Ihretwillen hat er Kontakt zum Ministerium aufgenommen und sich erboten, die Seiten zu wechseln und mit uns zusammenzuarbeiten.«
»Das ist richtig«, sagte Franco. »Ich wusste, dass Cobb ein Schuft war und Sie ein Mann von Ehre. Daher habe ich mich, nachdem meine Tochter sicher im Ausland weilte, entschlossen, meine Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen, indem ich für und nicht gegen meine neue Heimat arbeitete. Leider bestand eine der Bedingungen darin, dass Sie von alledem nichts erfahren durften.«
»Und wieso?«
Celia Glade lachte. »Aber das liegt doch auf der Hand. Sie sind ein viel zu ehrlicher Mensch, als dass man Ihnen in einer so zwiespältigen Angelegenheit wie dieser die Entscheidung darüber anvertrauen durfte, was Recht und was Unrecht ist. Wir wussten, dass Sie niemals freiwillig den Franzosen dienen würden und dass Sie sich, wenn Ihnen die Wahl blieb, allemal auf die Seite Ihres Königreiches geschlagen hätten. Aber weniger sicher waren wir uns darin, ob man sich auf Sie verlassen könne, wenn es für Sie zu einem Widerspruch zwischen dem, was Sie als das Beste für Ihr Land erachteten und dem, was wir dafür hielten, käme.«
Ich schnaubte verächtlich. »Also haben Sie mich als Ihre Marionette benutzt.«
»Ich wünschte, das wäre anders gewesen«, räumte Franco kleinlaut ein.
»Mr. Weaver, Sie leben lange genug auf dieser Welt, um zu wissen, dass wir nicht immer nach den Prinzipien handeln können, an die wir glauben, und dass wir bisweilen unsere eigenen Ideale im Sinne einer höheren Sache zu opfern haben. Wenn ich erführe, dass meine Regierung mich so in ihrem Sinne eingesetzt hätte, würde ich mich nicht darüber beklagen. Dies wäre mir immer noch lieber, als meinem Land Schaden zuzufügen.«
»Ja, das ist Ihre Betrachtungsweise«, sagte ich, »aber nicht die meine. Ich weiß es besser, als dass ich glauben könnte, die Regierung schnitte gut dabei ab, wenn Sie die East India Company unterstützt. Zwei große Machtblöcke können nie friedlich nebeneinander herleben, und es wird der Tag kommen, an dem der eine bestrebt sein muss, den anderen zu unterwerfen.«
»Dieser Tag mag kommen«, pflichtete Celia Glade mir bei, »wenn die Regierung Grund findet, mit dem Craven House unzufrieden zu sein. Aber im Moment sind die Franzosen unsere Gegner, und die Franzosen wollen die East India Company zerdrücken, um damit unsere Weltmacht zu zerstören. In der Politik kann es nicht immer darum gehen, was moralisch richtig und für sämtliche Zeiten gut für alle Menschen ist. Es geht um das geringere Übel, darum, was hier und heute getan werden muss.«
»Eine ganz schön verquere Art und Weise, ein Land zu führen«, sagte ich. »Sie sind auch nicht besser als die Männer der East India Company, indem Sie nur von einer Parlamentsperiode bis zur nächsten denken.«
»Nur so kann ein Land geführt werden«, sagte Celia Glade. »Jede andere Art der Politik führt ins Verderben.«
Nach einem Augenblick des Schweigens wandte sie sich Franco zu. »Ich denke, Sie haben sich Mr. Weaver so gut als möglich erklärt. Würden Sie uns nun allein lassen, damit wir ein Wort unter vier Augen wechseln können?«
Er verbeugte sich und entschwand aus dem Zimmer. Celia Glade schloss die Tür hinter ihm und entblößte ihre weißen Zähne zu einem bezaubernden Lächeln.
»Nun? Sind Sie mir böse?«
»Sie sprechen so mit mir, als gäbe es etwas zwischen uns, weswegen mein Zorn Ihnen etwas anhaben würde. Für mich sind Sie nichts als eine Frau, die ihre Umgebung geschickt zu manipulieren weiß.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das nehme ich Ihnen nicht ab. So denken Sie nicht über mich, und Sie sind mir wirklich böse. Dass ich Ihnen während der vergangenen Wochen immer einen Schritt voraus gewesen bin, hat Ihren Stolz verletzt, doch ich denke, Sie werden mich in einem wohlwollenderen Licht betrachten, wenn Sie das alles erst einmal auf sich haben wirken lassen. Vorausgesetzt natürlich, dass Sie das nicht schon längst tun. Ich glaube, Sie mögen mich mehr, als Sie zugeben wollen.«
Ich antwortete nichts darauf. Ich wollte es ihr weder eingestehen noch sie anlügen. Stattdessen stellte ich ihr eine Frage. »Sie haben angedeutet, die Franzosen hätten Aadil auf dem Gewissen. Haben sie auch Carmichael getötet? Und was ist mit Pepper?«
»Was Carmichael betrifft, so haben wir Informationen, die uns zu dem Verdacht führen, dass einer von Ellershaws Leuten dahintersteckt.«
»Wie bitte?! Und mit so etwas lassen Sie ihn ungeschoren davonkommen?«
»Sie müssen verstehen, was für Risiken wir sonst eingehen würden. Es handelt sich hier um den Kampf zweier Nationen um die Weltmacht, um ein Imperium, wie es die Welt noch nicht gekannt hat. Ja, wir beanspruchen diese Macht für uns, und dazu müssen wir um jeden Preis verhindern, dass unser Feind sie an sich reißt. Wollen Sie etwa, dass Frankreich sich zur vorherrschenden Weltmacht aufschwingt? Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie gut es den Menschen unter englischer Herrschaft geht - hier und in den Kolonien? Soll ich Ihnen von dem Leben in den katholischen Ländern des Kontinents erzählen?«
»Ich bin darüber durchaus im Bilde.«
»Ich empfinde nichts als Hass Ellershaw gegenüber, und wie auch Sie wünsche ich mir, dass er für seine Taten bestraft wird, aber wir befinden uns in einem Krieg, einem sehr realen Krieg mit erheblichen Konsequenzen, erheblicheren Konsequenzen gar, als sie je ein Krieg, der von großen Armeen auf dem Schlachtfeld ausgefochten wurde, nach sich gezogen hat. Da hilft es nichts - wir müssen uns mit einem Schurken wie Ellershaw eben abfinden, so, wie ein König sich mit einem Scheusal abfinden muss, wenn dieses Scheusal zufälligerweise, wie es so oft der Fall ist, einen vorzüglichen Heerführer abgibt.«
»Also bleibt er ungestraft?«
»Wir können ihn nicht zur Rechenschaft ziehen. Selbst wenn wir Beweise hätten - die uns fehlen -, wäre es unklug, etwas gegen ihn zu unternehmen.« Sie grinste mich an. »Und keine von Ihren brachialen Methoden, wenn ich bitten darf. Ich glaube nicht, dass das Ministerium es auf sich beruhen lassen würde, falls Mr. Ellershaw unglücklicherweise etwas zustoßen sollte, und ich wäre dann nicht in der Lage, schützend die Hand über Sie zu halten. Sie müssen sich schon auf andere Weise an ihm rächen.«
Sie schien meine Gedanken lesen zu können. Ich wandte mich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen von ihr ab. »Und was ist mit Absalom Pepper? Wer hat ihn auf dem Gewissen? Wird derjenige seiner Strafe zugeführt werden?«
»Mir fällt auf, dass Sie mir den Rücken zugekehrt haben, um mir diese Frage zu stellen. Sie sind sich Ihrer Sache wohl selber nicht ganz sicher?«
Ich empfand schon eine gewisse Bewunderung für sie, aber ich musste unbedingt Gewissheit haben. Ich wandte mich ihr wieder zu. »Wer hat ihn umgebracht?«
»Ich glaube, Sie kennen die Antwort«, sagte sie mit einem ihrer verschmitzten Lächeln, mit denen sie immer wieder meine
Wut aufreizte, die ich aber gleichzeitig als unwiderstehlich empfand.
»Wenn ich es wüsste - würde ich dann nicht der Gerechtigkeit Genüge tun?«
»Ich denke, das würden Sie.«
»Und Sie werden mich nicht davon abhalten?«
»Nein.«
»Und das Ministerium wird damit einverstanden sein?«
»Das Ministerium wird nichts davon erfahren.«
Ich verengte die Augen zu Schlitzen und sah sie scharf an. Wollte Sie mich in einen Hinterhalt locken? »Und Sie werden trotzdem keinen Versuch unternehmen, mich aufzuhalten?«
»Sie dürfen nicht glauben, dass meine Ergebenheit mich blind macht. Ich würde alles dafür tun, um zu verhindern, dass Frankreich die Macht erlangt, die unser Königreich erstrebt, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich nicht in der Lage wäre zu erkennen, was diese großen Handelshäuser sich anmaßen. Sie haben recht damit, sich zu fragen, was geschieht, wenn deren Macht allzu groß wird, und ich gehe darin mit Ihnen überein, dass es ratsam ist, ihre Macht zu beschneiden, solange wir noch die Mittel dazu besitzen. Also können Sie tun, was Sie wollen, und ich werde in meiner Eigenschaft als Vertreterin der Krone ganz offiziell keine Notiz davon nehmen. Aber ich denke, Sie wissen, dass Sie rein privat meinen Segen dazu haben.«
Ich war vollkommen verblüfft. »Es scheint so, Miss Glade, dass Sie und ich doch mehr Sinn für Gerechtigkeit teilen, als ich ursprünglich angenommen hatte.«
»Wie können Sie daran gezweifelt haben? Ich weiß, dass Sie handeln, wie Sie es für richtig halten, und weil Sie damit auch meinem Wunsch entsprechen, werde ich Sie so weit als möglich unterstützen. Was Ihre Schulden und die Ihrer Freunde betrifft, können Sie gewiss sein, dass das Ministerium diese Angelegenheit aus der Welt schaffen wird. Die zwanzig Pfund, die man Ihnen zugesagt hat, kann ich Ihnen jedoch nicht bezahlen.« Als sie den letzten Punkt aussprach, sah sie mich besonders verschmitzt an.
»Ich werde mich bemühen, mit dem Verlust zu leben.«
»Er wird sogar noch größer, als Sie glauben, denn ich erwarte von Ihnen als Zeichen Ihrer Wertschätzung, dass Sie mir ein hübsches Schmuckstück kaufen«, sagte sie und nahm mich bei der Hand. »Und zum Zeichen deiner Zuneigung«, fügte sie noch hinzu.
Ich wollte nicht spröde wirken, aber so ganz hatte ich noch nicht Vertrauen zu der Dame gefasst, und ich war mir immer noch nicht sicher, ob sie mich nicht doch zu hintergehen trachtete. Dementsprechend fiel meine Reaktion auf ihre, mir allerdings sehr willkommenen, wie ich zugeben muss, Avancen eher zurückhaltend aus.
Sie konnte nicht umhin, mein Zögern zu spüren. »Nun zieren Sie sich doch nicht so, Mr. Weaver. Wollen Sie denn immer nur Frauen wie Mrs. Melbury umwerben, deren Sinn für Anstand und Schicklichkeit dann doch nur dazu führt, dass sie Sie stehen lassen? Sie müssten doch überglücklich sein, nicht nur eine Frau Ihres eigenen Volkes getroffen zu haben, sondern dazu auch noch eine, die Ihre Neigungen teilt.«
»Sie sind ganz schön dreist«, sagte ich und musste dabei ebenfalls grinsen, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte.
»Wenn es Dreistigkeit ist, in trauter Zweisamkeit mit einer gleichgesinnten Seele die Wahrheit auszusprechen, bekenne ich mich dieses Vergehens gerne schuldig. Ich weiß, dass das, was Sie mit mir erlebt haben, Ihnen ein falsches Bild von mir vermittelt haben könnte.« Sie berührte meine Hand mit einer Zärtlichkeit, die ich gleichzeitig überraschend und erregend fand. »Vielleicht werden Sie an mich denken, wenn Ihre Wunden verheilt sind und wir einen neuen Anfang wagen können.«
»Das werde ich vielleicht tun.«
»Gut«, sagte sie, »aber warten Sie nicht zu lange damit, denn sonst zwingen Sie mich, meinerseits den nächsten Schritt zu unternehmen, und dieser Schritt könnte darin bestehen, dass ich mich in einer weniger persönlichen Angelegenheit an Sie wende. Ich kann Ihnen nämlich versichern, dass das Ministerium allen Grund hatte, mir zu meinem Eingreifen zu Ihren Gunsten zu applaudieren, und nun ist überall die Rede von Weaver und wie man ihn dazu bewegen könnte, seinem König dienlich zu sein.«
Ich zog meine Hand fort. »Ich glaube nicht, dass ich in einer solchen Eigenschaft dem König dienen möchte. Wie Sie selber festgestellt haben, bin ich nicht allzu geneigt, meinen Gerechtigkeitssinn Erwägungen der Zweckdienlichkeit unterzuordnen.«
»Es könnte eine Zeit kommen, in der das Königreich Ihrer Dienste bedarf, ohne Sie damit in einen Konflikt zu stürzen. Ich hoffe, dass Sie sich uns dann nicht verschließen werden.«
»Und falls ich daran nicht interessiert bin, darf ich trotzdem Ihre Nähe suchen?«
»Ja, aber warten Sie bitte nicht zu lange damit.«
Ich hätte nicht sagen können, zu was dieses Gespräch geführt haben würde, wenn es in privaten Räumen stattgefunden hätte, aber ein leeres Büro im Craven House erschien mir kaum als der passende Tempel, um der Liebesgöttin Venus zu huldigen, vor allem nicht, während nebenan eine Anteilseignerversammlung in vollem Gange war. In dem einvernehmlichen Wissen, dass wir nicht lange voneinander getrennt sein würden, verabschiedeten wir uns. Celia Glade beglückwünschte sich gewiss bereits zu ihrer Eroberung, und auch ich legte einen munteren Schritt vor, als ich zurück zu Elias ging, um ihm Bericht zu erstatten.