Für den nächsten Abend lud ich Elias zu einem Treffen in das Haus meines Onkels ein. Wir waren die drei Personen, die am meisten von diesen Machenschaften betroffen waren - abgesehen von Mr. Franco, auf den ich später noch zurückkommen werde. Da saßen wir also im Arbeitszimmer meines Onkels und tranken seinen Wein - wobei es in Elias' Fall wohl passender wäre, davon zu reden, dass er ihn kippte, denn Elias hatte seine Schwierigkeiten damit, die dringend notwendige Klarheit im Kopf mit der grenzenlosen Verfügbarkeit von Cla-ret im Hause eines Weinhändlers in Einklang zu bringen.
»Es ist mir nicht gelungen, etwas über den Mann, diesen Mr. Jerome Cobb, in Erfahrung zu bringen«, sagte mein Onkel. Er wirkte klein und zerbrechlich und wurde ständig von Hustenkrämpfen geschüttelt. Obwohl er direkt neben dem Kaminfeuer saß, wärmte er sich zusätzlich noch mit einigen Lagen schwerer Decken und einem Schal um den Hals. Seine Stimme war nur noch ein pfeifendes Keuchen, was mich sehr um seine Gesundheit besorgt sein ließ. »Ich habe mich erkundigt, äußerst diskret natürlich, aber die Erwähnung seines Namens rief stets nur ratlose Blicke hervor.«
»Könnten die, bei denen du dich erkundigt hast, ihn eventuell nicht kennen wollen?«, fragte ich. »Möglicherweise haben sie solche Angst vor Cobb, dass sie es sich auf keinen Fall mit ihm verderben möchten.«
Mein Onkel schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich bin nicht all die Jahre Kaufmann gewesen, um mich von jedem Schwindel täuschen zu lassen - oder es zumindest nicht zu merken, wenn jemand unsicher wird. Nein, der Name Cobb war denen, die ich gefragt habe, gänzlich unbekannt.«
»Was ist mit seinem Neffen, der beim Zollamt arbeitet?«, bohrte ich weiter.
Wieder ein Kopfschütteln. »Es stimmt, dass er dort arbeitet. Er verdient gut und ist sehr zurückhaltend. Mehrere, mit denen ich gesprochen habe, kannten ihn flüchtig oder hatten ihn schon mal gesehen, vermochten mir aber nichts weiter über ihn zu sagen.«
Elias, der sich nach jedem Schluck den Mund mit dem Handrücken abwischte, nickte mit Nachdruck. »Ich kann auch nur wenig mehr beitragen. Ich konnte in Erfahrung bringen, dass sein Diener bei einer Auktion für eine erkleckliche Summe ein eigenes Haus ersteigert und die Darlehnsraten für drei Jahre im Voraus bezahlt hat. Das war vor sechs Monaten. Ansonsten habe ich nichts gehört. Aber jeder, der in London einigermaßen vermögend ist, erweckt doch irgendwann Aufmerksamkeit. Seit uns bekannt ist, dass er sich an deine Fersen geheftet hat, habe ich ein paar der vornehmsten Arme der Stadt zur Ader gelassen, ein paar der bestgestellten Zähne gezogen und einen ziemlich erhabenen Nierenstein entfernt. Ich hatte sogar das Vergnügen, eine Creme gegen einen Ausschlag auf einem Paar der elegantesten Brüste in London aufzutragen, aber niemand von Bedeutung hat den Namen je gehört. Und du weißt, wie schnell alles in der Welt der Schönen und Reichen die Runde macht, Weaver. Ein Mann wie dieser Cobb, der nicht nur von sich behauptet, reich zu sein, sondern mit seinem Geld auch unzweifelhaft etwas bewegt, kann nicht plötzlich in der Hauptstadt auftauchen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Und trotzdem ist es ihm gelungen, sich ganz und gar bedeckt zu halten.«
»Es scheint, dass er über keine weitere Dienerschaft verfügt als diesen unangenehmen Kerl, und nach dem, was ich so gesehen habe, hat er nicht einmal einen eigenen Koch«, konnte ich beisteuern. »Also muss er zum Essen ausgehen. Irgendwer muss ihn doch irgendwo in irgendeinem Speiselokal in der Stadt gesehen haben.«
»Ein scharfsinniger Schluss«, bemerkte Elias. »Ich denke, in dieser Hinsicht werde ich das eine oder andere in Erfahrung bringen können. Ich werde meine Anstrengungen verdoppeln. Es gibt da den sehr modebewussten Sohn eines Herzogs - den dritten von vier Söhnen, also ohne große Aspirationen, ihr versteht -, der nicht weit von Cobbs Haus entfernt wohnt. Ich behandle die ziemlich schmerzhaften Furunkel an seinem Allerwertesten. Bei meinem Besuch werde ich ihn mal danach aushorchen, was er mir so über seinen Nachbarn erzählen kann.«
»Du wirst uns hoffentlich nur seine Beobachtungen mitteilen und keine weiteren Einzelheiten«, warf ich ein.
»Es ist mein Wunsch, der Gesundheit des Menschen dienlich zu sein«, sagte Elias. »Wie kannst du es mir da verdenken, wenn mir beim Anblick eines Hinterteils voller Furunkel das Herz höher schlägt?«
»Das ist deine Sache.«
»Ich sage es nicht gern, Weaver, aber ich will es trotzdem loswerden. Dieser Cobb ist offenbar ein Mann von Macht und List. Solltest du dir nicht einen Verbündeten suchen, der es an Einfluss und Gerissenheit mit ihm aufnehmen kann?«
»Du meinst Jonathan Wild, diesen Halunken«, sagte mein Onkel mit sichtlichem Widerwillen. Es erforderte einige Anstrengung, aber er schaffte es, sich in seinem Sessel vorzubeugen. »Ich will nichts davon hören.«
Wild war nicht nur der bekannteste private Ermittler der Stadt, sondern auch der gerissenste Dieb des ganzen Landes, vielleicht sogar der Welt, und sehr wahrscheinlich der ganzen Weltgeschichte. Soweit mir bekannt war, hatte niemand jemals ein so weit reichendes Verbrecherimperium wie er aufgebaut, und das, während er sich die ganze Zeit als ein Wohltäter des Volkes aufspielte. Die Mächtigen der Stadt wussten entweder nichts von der wahren Natur seiner Geschäfte oder zogen es vor, die Augen davor zu verschließen, wenn es ihren Zwecken dienlich war.
Wild und ich waren zweifellos Konkurrenten, doch wir hatten einander in der Vergangenheit schon mal zugearbeitet. Zudem hegte ich einen gewissen Respekt vor Abraham Mendes, Wilds Adjutanten, der nicht nur ein Nachbar von mir, sondern auch Jude war - so wie ich.
»Um die Wahrheit zu sagen, habe ich diese Möglichkeit bereits in Erwägung gezogen. Ungünstigerweise betreiben Wild und Mendes ihre Geschäfte zur Zeit von Flandern aus und werden frühestens in zwei oder drei Monaten zurückerwartet.«
»So viel Zeit haben wir nicht«, bemerkte Elias.
»Ich wäre sowieso dagegen.« Mein Onkel lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück. »Je weniger du mit dem Mann zu tun hast, umso besser.«
»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen, Onkel«, sagte ich. »Wenn Wild hier wäre, bliebe mir nichts anderes übrig, als zumindest seinen Rat einzuholen, wenn nicht sogar um seine Hilfe zu bitten. Das wäre mir ganz und gar nicht angenehm. Trotz unseres gelegentlichen Zusammentuns gefiele es mir nicht im Geringsten, ihn um einen Gefallen zu bitten, denn damit würde ich ihm eine gewisse Macht über mich einräumen.«
»Richtig«, pflichtete mein Onkel mir bei. »Dennoch bin ich Ihnen für jeden Vorschlag dankbar, Mr. Gordon. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.«
»Ich kann Ihnen ja kaum helfen«, sagte Elias. »Meine eigenen Finanzen und meine Zukunft hängen ebenso am seidenen Faden wie die Ihren.«
»Trotzdem stehe ich in Ihrer Schuld, Sir«, beharrte mein Onkel.
Elias erhob sich, um eine Verbeugung vor ihm zu machen. »Doch jetzt bitte ich Sie, uns zu entschuldigen, denn ich muss ein paar Worte unter vier Augen mit meinem Neffen wechseln.«
»Oh«, sagte Elias, der nun begriff, dass das Lob meines Onkels ein etwas plump eingeleiteter Hinauswurf gewesen war. Er blickte kummervoll in sein halb volles Glas Claret und fragte sich - sein trauriger Gesichtsausdruck verriet ihn -, ob es ein unverzeihlicher Verstoß gegen die Etikette wäre, es in einem Zug zu leeren. »Selbstverständlich.«
»Beim Hinausgehen richten Sie bitte meinem Kompagnon von mir aus, dass er Ihnen eine Flasche mit auf den Weg geben soll. Er wird schon wissen, welche die richtige ist.«
Diese Ankündigung ließ Elias wieder erstrahlen. »Sie sind zu gütig, Sir.« Noch einmal machte er eine tiefe Verbeugung und zog von dannen.
Nachdem er fort war, saßen wir uns einige Minuten lang schweigend gegenüber. Schließlich ergriff ich das Wort. »Ich muss dir sagen, wie leid es mir tut, dass ich dir das angetan habe.«
Er schüttelte den Kopf. »Du hast mir gar nichts angetan. Dir ist Unrecht geschehen, und es war nicht deine Schuld. Ich wünschte nur, dass ich dir helfen könnte.«
»Und was ist mit dir? Wie wirst du diese Heimsuchung überstehen?«
Er führte einen Becher mit dampfend heißem Glühwein an die Lippen. Es war so viel Honig darin, dass man es im ganzen Zimmer riechen konnte. »Mach dir deswegen keine Gedanken. Dies ist nicht das erste Mal in meinem Berufsleben, dass es mir an Geld mangelt. Und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Ein gewiefter Kaufmann weiß, wie er sein Überleben sichert. Sieh zu, dass du es auch so hältst.«
»Und was ist mit Mr. Franco? Hast du von ihm etwas gehört?«
»Nein. Es könnte sein, dass er noch gar nichts von seinem Unglück ahnt.«
»Vielleicht braucht er ja auch nie davon zu erfahren?«
»Nein, das halte ich nicht für recht. Er wird vielleicht nie herausbekommen, dass sein Schicksal aufs Engste mit dem deinen verknüpft ist, aber falls er deinetwegen ins Schuldgefängnis geworfen wird, sollte er doch wenigstens eine Ahnung haben, warum.«
Damit hatte mein Onkel natürlich recht, das musste ich ihm eingestehen. »Wie gut kennst du Mr. Franco eigentlich?«
»Nicht so gut, wie ich ihn gerne kennen würde. Weißt du, er lebt noch nicht lange hier. Er ist verwitwet, und er und seine zauberhafte Tochter haben Saloniki den Rücken gekehrt, um die Freizügigkeit des Lebens in England zu genießen. Nun ist die Tochter wieder in Griechenland. Ich begreife bis heute nicht, warum du ihr nicht nachdrücklicher den Hof gemacht hast«, fügte er hinzu.
»Sie und ich hätten nicht zueinander gepasst, Onkel.«
»Ach was, Benjamin. Ich weiß, dass du immer noch ein Auge auf Miriam ...«
»Nein, das habe ich nicht«, widersprach ich ihm so überzeugend, wie ich vermochte. Und ich meinte es weitgehend ehrlich. »Mit ihr bin ich unwiderruflich auseinander.«
»Das scheint auch auf mich und die Lady zuzutreffen«, sagte er. »Ich höre sehr wenig über sie und nichts von ihr. Seit ihrer Konvertierung hat sie sämtliche Verbindungen zu unserer Familie abgebrochen.«
»Vor allem die zu mir.«
Er sah mich skeptisch an, denn er glaubte nicht, dass Miriams Glaubenswechsel und ihre Eheschließung das endgültige Ende unserer Freundschaft bedeutet hatten. Er sollte es auch gar nicht glauben. »Ich schätze, da ist nichts mehr zu flicken.«
»Nein«, sagte ich. »Nun kehren wir zu Mr. Franco zurück.«
Mein Onkel nickte. »Früher war er ein mäßig erfolgreicher Markthändler, hat es aber nie wirklich zu etwas gebracht. Er lebt bescheiden, hat sich meines Wissens aus dem Geschäftsleben zurückgezogen und begnügt sich mit Lektüre und Konversation.«
»Und«, musste ich zu meinem großen Bedauern hinzufügen, »falls er gerade genug zusammengespart hat, um einen einigermaßen bequemen Ruhestand genießen zu können, würde eine plötzliche Schuldenlast all sein Glück zerstören.«
»Genauso ist es.«
»Dann sollte ich wohl doch besser mal mit ihm reden.«
Mr. Franco besaß ein hübsches, geschmackvoll eingerichtetes Haus an der Vine Street, nur einen kurzen Spaziergang von meiner Wohnung und der meines Onkels entfernt. Es war zwar denkbar, sogar naheliegend, dass er um diese Uhrzeit entweder Gäste hatte oder ausgegangen war, doch ich traf ihn allein in seinem Haus und, so schien es, hocherfreut über die unerwartete Gesellschaft. Er führte mich in sein Wohnzimmer, wo er mir einen bequemen Sessel und einen Glühwein anbot.
»Es freut mich außerordentlich, Sie zu sehen, Sir«, versicherte er mir. »Ich hatte schon befürchtet, dass wir uns nach Gabriellas Abreise nach Saloniki nie wieder begegnen würden. Ich erwarte Sie übrigens bald zurück, worüber ich sehr froh bin, denn ein Mann sollte seine Familie um sich haben. Das ist ein großer Segen im zunehmenden Alter.«
Mr. Franco lächelte mir herzlich zu, und ich hasste mich selber und Cobb für das, was ich ihm gleich würde mitteilen müssen. Er war ein freundlich aussehender Mann, dessen rundes Gesicht eine gewisse körperliche Plumpheit vermuten ließ, von der aber keine Rede sein konnte. Wie mein Onkel ging er nicht mit der Londoner Mode und trug seinen Bart sauber gescho-ren, was die Aufmerksamkeit seines Gegenübers auf seine gütigen, klugen Augen lenkte.
Er war auf vielerlei Weise ein ungewöhnlicher Mann. Mein Onkel war nicht zuletzt so erpicht darauf gewesen, dass ich Mr. Francos Tochter den Hof machte, weil dieser im Gegensatz zu vielen anderen respektablen Londoner Juden eine Liaison seiner Tochter mit einem Mann, der sein Geld mit privater Ermittlungsarbeit verdiente, nicht als Beleidigung seiner Familie erachtete. Im Gegenteil: Mr. Franco freute sich darüber, dass ich es unter den Nichtjuden der Stadt zu einiger Bekanntheit gebracht hatte und betrachtete meinen Erfolg - ein wenig zu optimistisch, wie ich finde - als ein Vorzeichen von besseren Zeiten für uns Juden.
»Nachdem die Verbindung zwischen Ihnen und meiner Tochter in die Brüche gegangen war, hatte ich schon befürchtet -nein, nein, lassen Sie mich ausreden. Ich weiß, dass Sie etwas dazu sagen möchten, aber es ist nicht nötig. Ich weiß, wie schön und wie anmutig meine Tochter ist, also brauche ich es nicht von Ihnen zu hören, und ich weiß auch, dass nicht jede schöne und anmutige Frau jedermanns Vorstellung von einer idealen Ehefrau entspricht, sonst würden wir in einer sehr sonderbaren Welt leben. Ich fühle mich dadurch keineswegs gekränkt. Sie und meine Tochter werden beide die passenden Partner finden, und besonders Ihnen wünsche ich, dass Sie schon recht bald Ihr Glück finden, denn ein Mann sollte die Freuden der Ehe genießen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Ich deutete in meinem Sessel eine Verbeugung an.
»Wenn ich nicht irre, gab es da doch auch eine Verbindung zu der Schwiegertochter Ihres Onkels«, fragte er forschend. »Steht diese Frau vielleicht zwischen Ihnen und meiner Tochter?«
Ich seufzte. Würde man mich denn nie mit diesem unerquicklichen Thema in Ruhe lassen? »Zu einer gewissen Zeit hatte ich in der Tat den großen Wunsch, die Dame zu meiner Frau zu machen«, gab ich zu, »doch sie hat ihr Glück anderweitig gesucht und steht zwischen niemandem und mir.«
»Sie ist zur Church of England übergetreten, wie ich höre.«
Ich nickte nur.
»Aber wenn ich recht unterrichtet bin, ist sie inzwischen schon wieder verwitwet?«
»Sie sind korrekt unterrichtet«, konnte ich nur bestätigen.
Er lachte leise. »Und gehe ich auch recht in der Annahme, dass Sie nicht den Wunsch verspüren, dieses Thema weiter zu erörtern?«
»Bitte seien Sie frei, jedes Thema Ihrer Wahl mit mir zu erörtern, Mr. Franco. Ich weiß, dass ich keinen Anstoß daran nehmen kann, wenn ein Mann von Ihrer Herzensgüte ein offenes Wort mit mir sucht.«
»Ach, legen Sie nur die Förmlichkeiten ab, denn ich erwarte nichts Dergleichen von Ihnen, Sir. Als Sie und Gabriella Ihre Verbindung nicht vertieft haben, befürchtete ich schon, auch wir könnten nun nicht länger Freunde bleiben. Ich hoffe, das ist nicht der Fall.«
»Auch ich habe mich geschmeichelt gefühlt, mich Ihren Freund nennen zu dürfen, obwohl Sie, wenn Sie gehört haben, was ich Ihnen zu berichten habe, sich vielleicht wünschen werden, mich nie in Ihr Haus eingeladen zu haben. Ich fürchte, dass ich Sie, auch wenn es mir widerstrebt, nicht über alle Einzelheiten in Kenntnis setzen kann, aber die Sache ist die, Sir, dass jemand droht, Ihnen Schaden zuzufügen, um damit wiederum mir zu schaden.«
Er beugte sich vor, und ich erschrak beim Knarren seines Sessels. »Uns beiden Schaden zuzufügen? Wie darf ich das verstehen?«
Es war mir im höchsten Maße unangenehm, aber ich musste ihm, so gut es ging, erklären, dass meine Feinde ein paar mir am Herzen liegende Menschen aufs Korn genommen hatten, deren Finanzen sie durcheinanderbrachten. »Es scheint, dass man wegen meiner häufigen Besuche in Ihrem Hause auf den Gedanken gekommen ist, wir würden einander äußerst nahestehen.«
»Aber mit meinen Finanzen ist alles in Ordnung.«
»Haben Sie Schulden, Mr. Franco?«
»Wer hat keine?« Seine Stimme klang schon ein wenig beunruhigt.
»Natürlich. Aber diese Männer haben höchstwahrscheinlich sämtliche Ihrer Schulden, derer sie habhaft werden konnten, aufgekauft. Würde es Sie in eine schlimme Zwangsage bringen, wenn Ihre sämtlichen Schulden auf einen Schlag eingefordert würden?«
Ein paar Augenblicke lang sagte er nichts, war aber ganz blass geworden, und seine Finger, die seinen Becher umklammert hielten, nahmen eine elfenbeinerne Farbe an.
»Ich schäme mich sehr, das über Sie gebracht zu haben«, sagte ich und wand mich innerlich angesichts dieser hohlen Worte.
Er schüttelte den Kopf. »Ihrer Erzählung nach trifft Sie keine Schuld. Diese Männer haben sich in all ihrer Niedertracht gerade auf Ihren guten Charakter verlassen, weil Sie so manche Unbill auf sich nehmen, es aber nicht ertragen, andere für sich leiden zu lassen. Das macht mich sehr wütend, Mr. Weaver, aber nicht auf Sie, denn Sie können nichts dafür.«
»So viel Verständnis habe ich nicht verdient, aber ich bin trotzdem sehr dankbar für Ihre Güte.«
»Schon gut, aber ich würde gerne mehr darüber hören. Wer sind Ihre Peiniger? Was wollen sie von Ihnen?«
»Ich denke, es ist besser, wenn Sie nicht in alles eingeweiht sind. Jedenfalls verlangen sie von mir Dienste, die ich normalerweise weit von mir gewiesen hätte.«
»Was sind das für Dienste? Selbst, wenn es Ihnen darum geht, mich vor dem Schuldturm zu bewahren, dürfen Sie nichts tun, was Ihren moralischen Pflichten oder den Gesetzen dieses Königreiches entgegenläuft.«
Ich hielt es für angebracht, diesen Punkt geflissentlich zu übergehen. »Je weniger wir darüber sprechen, umso besser.«
»Sie mögen nicht dazu beigetragen haben, mich in diese missliche Lage zu bringen, Mr. Weaver, aber ich stecke nun mal darin, und es wäre nicht anständig, mich im Unklaren zu belassen.«
Dagegen gab es nichts einzuwenden, und nachdem ich ihm eingeschärft hatte, dass er, um seiner und anderer Unversehrtheit willen, mit niemandem darüber sprechen dürfe, weihte ich ihn so weit ein, wie es mir ungefährlich erschien. Ich erklärte ihm, ein sehr vermögender Mann von erheblichem Einfluss hätte mich in seine Dienste gezwungen, weil er etwas gegen einen der Direktoren der East India Company im Schilde führe.
»Ha«, sagte Mr. Franco triumphierend, »ich hatte geschäftlich mit der East India Company zu tun, wie übrigens auch mit ihren Konkurrenten. Ich versichere Ihnen, kein blutiger Anfänger in diesem Spiel zu sein. Wir werden sie überlisten.«
»Leichter gesagt als getan«, gab ich zu bedenken.
Er lächelte wissend. »Sie glauben, nur weil diese Männer reich und mächtig sind, würde man mit ihnen nicht fertig? Das Glück kann eine sehr launische Göttin sein und jeden von uns verlassen, wenn er am wenigsten damit rechnet, doch gleichzeitig den Untersten der Unteren zu den höchsten Höhen aufsteigen lassen. Die Direktoren der East India Company haben keinen Grund, mich zu lieben, aber ihre Animosität hat mir nie geschadet. In dem Spiel, das wir spielen, gibt es Regeln, müssen Sie wissen.«
»Aber nun, da Sie, ich, mein Onkel und ein guter Freund von mir am Rande des Ruins stehen, könnte man wohl sagen, dass die Regeln sich geändert haben.«
»Ja, so könnte man es sehen. Nun sagen Sie mir aber, wer der Mann ist, der der East India Company Schaden zufügen will? Wie lautet sein Name? Welche Verbindungen hat er?«
»Es hat noch nie jemand von ihm gehört, und ich spreche seinen Namen so selten aus wie möglich. Ich fürchte, der geringste Fehler könnte fatale Folgen für einen von uns haben. Man hat mich sogar ausdrücklich davor gewarnt, solche Gespräche wie das unsere zu führen, und ich gehe das Risiko auch nur ein, weil ich meine, dass Sie wissen sollten, dass Sie möglicherweise unter Beobachtung stehen. Und obwohl es Ihr gutes Recht ist, dies zu erfahren, muss ich Sie bitten, sich keinesfalls etwas anmerken zu lassen oder etwas auf eigene Faust zu unternehmen. Vorerst können wir wenig tun, außer uns wie brave Lämmer zu benehmen, bis sich die richtige Gelegenheit bietet, zurückzuschlagen.«
»Sie kennen mich nicht sehr gut, Mr. Weaver, aber ich glaube, Sie wissen, dass ich kein Mann bin, der sein einmal gegebenes Versprechen bricht, und ich kann Ihnen versichern, dass mir erst recht nicht danach zu Mute ist, wenn mich dieser Vertrauensbruch ins Hofmarschallgefängnis oder an einen ähnlich furchtbaren Ort bringt. Ich hatte über Umwege im Asienhandel viel mit englischen und holländischen Firmen zu tun und war auch an den ersten zaghaften Versuchen der Franzosen in dieser Richtung nicht ganz unbeteiligt. Wenn unser Mann je eine Position im Ostindienhandel bekleidet hat, nenne ich seinen Namen, und damit könnte ich Ihnen einen Vorteil ihm gegenüber verschaffen.«
Ich konnte ihm seinen Wunsch nicht abschlagen, und ich musste mich sehr überwinden, um den bewussten Namen auszusprechen. »Jerome Cobb.«
Eine ganze Weile sagte Mr. Franco gar nichts. »Von dem habe ich noch nie etwas gehört.«
»Das hat niemand. Sowohl mein Onkel als auch das andere Opfer, mein Freund Elias Gordon, ein Arzt mit besten Verbindungen, haben nichts über ihn herausfinden können. Die-ser Mann verfügt über gewaltige finanzielle Mittel, und doch kennt niemand in London ihn.«
»Vielleicht ist das nicht sein richtiger Name.«
»Das habe ich auch schon in Erwägung gezogen.« »Zweifellos. Ja, Mr. Weaver, wir sehen uns tatsächlich vor einige Schwierigkeiten gestellt. Ich bitte Sie sehr, mich über alles, was weiter geschieht, auf dem Laufenden zu halten. Wenn ich kurz davor stehe, mich im Schuldturm wiederzufinden, wäre ich für einen rechtzeitigen Hinweis dankbar. Und da ich mit dem Ostindienhandel vertraut bin, kann ich Ihnen vielleicht den einen oder anderen Rat geben.«
Ich versicherte ihm, dass ich tun würde, um was er mich gebeten hatte. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass Mr. Franco mir in dieser Angelegenheit ein unerwarteter Verbündeter sein könnte. Doch um davon zu profitieren, musste ich seine Freiheit aufs Spiel setzen, und ich war mir noch nicht sicher, wie weit ich mit meinem Einsatz in diesem Spiel gehen durfte.