Verständlicherweise brauchte Thurmond ein wenig Zeit, um sich so weit zu sammeln, dass er seiner Frau unter die Augen treten konnte. Ich stellte mir vor, dass er sich in irgendeine dunkle Ecke zurückziehen würde, bis sein Zittern sich gelegt hatte und er mit gespielter Munterkeit verkünden konnte, man wolle nun aufbrechen. Ich indessen war angewiesen worden, den Vordereingang zu meiden und mich zur Hintertür hinaus-zustehlen. Aber wohin?
Mich beunruhigte der Gedanke, dass Thurmond sich möglicherweise doch nicht so weit hatte einschüchtern lassen, dass er davon Abstand nehmen würde, sich an den Magistrat zu wenden. Es stimmte schon, dass so mancher Richter zögern würde, Anklage gegen einen Mann von Ellershaws Status zu erheben, aber es war durchaus denkbar, dass Thurmond an mir sein Mütchen zu kühlen trachtete. Er konnte angeben, dass ich ihm mit drohender Gebärde gegenübergetreten war. Ich an Thurmonds Stelle hätte ein solches Handeln ins Auge gefasst, und sei es nur, um meine Würde wiederherzustellen.
Es wäre also besser, dachte ich, dem Mann zu folgen und sicherzugehen, dass er sich nach Hause begab und nicht zu einem Richter. Dazu musste ich zunächst den Ausgang finden und mich dann irgendwie an Thurmonds Kalesche anhängen.
Ich konnte nur hoffen, dass Thurmond mehr Zeit brauchte, um seine Fassung wiederzuerlangen, als ich, um mich zurechtzufinden. Es wurde sehr bald deutlich, dass ich mich in Eller-shaws riesigem Haus verlaufen hatte. Nachdem ich wiederholt vergeblich in hell erleuchtete, aber verlassene Korridore eingebogen war, beschlich mich die Sorge, dass Thurmond mir durch die Lappen gegangen war.
Dann aber hörte ich Stimmen, denen ich mich vorsichtig näherte, um nicht dem Falschen in die Arme zu laufen - ich dachte dabei in erster Linie an Thurmond. Ich schlich auf Zehenspitzen voran, um so wenig Geräusche wie möglich zu machen, und erreichte eine halb geschlossene Tür. Hier rührten die leisen Stimmen her. Ich konnte die eines Mannes und die einer Frau ausmachen, und als ich so nahe herangekommen war, um einen Blick zu riskieren, sah ich, dass es sich um Mr. Forester und Mrs. Ellershaw handelte. Sie hielten sich fest umschlungen und sprachen im Flüsterton eines heimlichen Liebespaares miteinander. Sie schmiegte den Kopf an seinen Nacken und säuselte ihm ins Ohr, wie unendlich traurig es sie stimme, dass er gehen müsse.
Diese Entdeckung schien eine ganze Menge zu erklären -zumindest die Animosität Foresters und Mrs. Ellershaws mir gegenüber. Sie mussten ja davon ausgehen, dass Mr. Ellershaw sich der Dienste eines Mannes, der darin erprobt war, Geheimnisse aufzudecken, versichert hatte, weil er hinter ihr gemeinsames Geheimnis kommen wollte. Ich wusste noch nicht, wie, aber ich ahnte, dass ich diese Enthüllung zu meinem Vorteil würde nutzen können.
Ich blickte den Flur in beide Richtungen hinunter, um meinen Abgang vorzubereiten, als sich Forester plötzlich zu mir hindrehte. Es hatte keinen Grund für ihn gegeben, das zu tun - es war einer jener unglücklichen Zufälle, auf die ein Mann, der es gewohnt ist, seiner Arbeit im Geheimen nachzugehen, eben gefasst sein muss.
»Weaver«, keuchte Forester, als sich unsere Blick trafen. »Habe ich es doch gewusst.«
Es gab keinen Grund, mich wie ein ertappter Dieb zu verkriechen, also baute ich mich zu voller Größe auf und trat unerschrocken näher. Es ärgerte mich sehr, dass Thurmond mir nun entwischen würde, aber ich konnte nur eine Sache zur Zeit erledigen, und es wäre dumm gewesen, diesen Kerl aus der Schlinge zu lassen, weil ich auf bessere Beute hoffte.
Forester war zwar größer als ich, und er versuchte auch, seine Statur zu seinem Vorteil in die Waagschale zu werfen, aber ich merkte sofort, dass er kein Mann der Tat war und sich nicht mit mir anlegen würde. Er wollte mir bloß Angst einjagen. »Los, kommen Sie rein«, zischte er.
Ich gehorchte mit der Unbekümmertheit eines Mannes, der nur zu gerne tut, wie ihm geheißen, schloss die Tür hinter mir und machte eine höfliche Verbeugung. »Ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung.«
»Machen Sie sich nicht über mich lustig, Sir. Sie schleichen hier herum wie der Spitzbube, der Sie ja auch sind. Und was nun? Wollen Sie nun zu Ihrem Herrn laufen und ihm sagen, was Sie gesehen haben? Wollen Sie dieser guten Frau das Leben zur Hölle machen? Und wofür? Für Ihre dreißig Silbermünzen? Aber so seid Ihr Judenpack ja wohl.«
»Wenn Sie aufhören, Beschimpfungen gegen mein Volk auszustoßen, können Sie mich vielleicht auf den Pfad der Tugend führen«, schlug ich vor.
»Ich weiß, dass mir das nicht gelingen wird, also stoße ich Beschimpfungen aus, so viel ich möchte. Ihr feiner Aufzug verhehlt nicht Ihren niederen Charakter und Ihre schäbige Vergangenheit, also sehe ich auch keinen Anlass, Sie wie einen Gentleman zu behandeln. Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen Vorwürfe machen will. Ich versuche mich nur klar und deutlich auszudrücken, damit Sie wissen, dass Sie der Grund dafür waren, falls dieser Lady ein Leid geschieht, und ich kann nur hoffen, dass Sie es dann Ihrem Landsmann Judas gleichtun und freiwillig aus dem Leben scheiden.«
»Ich nehme Ihnen ungern die Freude, meinen Charakter, mein Volk und mein Aussehen zu verhöhnen, aber ich muss Sie darüber ins Bild setzen, dass Mr. Ellershaw mich keineswegs beauftragt hat, Ihnen nachzuspionieren, Sir. Ich bin im Gegenteil gebeten worden, mich selber hinauszubegleiten, aber bei der Größe dieses Hauses habe ich mich verirrt und bin nur durch einen unglücklichen Zufall auf Sie gestoßen.« Ich war kurz davor, ein Schweigegelübde abzulegen, denn ich wollte noch nicht mein ganzes Pulver verschießen - falls überhaupt.
»Natürlich ist er nicht deinetwegen hier«, sagte Mrs. Eller-shaw schnippisch. Sie trat vor, und obwohl sie ein ganzes Stück kleiner war als ich, gab sie eine imposantere Figur ab als ihr Galan. Sie hielt sich kerzengerade, reckte den Busen hervor und hielt das Kinn stolz in die Höhe gestreckt. Die Haltung ihrer Schultern erinnerte mich an so manchen Kämpfer, dem ich im Ring begegnet war. »Sagen Sie uns die Wahrheit, Mr. Wea-ver«, forderte sie streng. »Sie haben keinerlei Interesse an Mr. Forester, nicht wahr?«
»Das stimmt«, pflichtete ich ihr bei. »Obwohl ich mir nicht erklären kann, wieso Sie so viel Wert auf diese Feststellung legen.«
»Mr. Ellershaw hat keinen Sinn für die Dinge des Herzens«, sagte sie zu ihrem vermeintlichen Liebhaber. »Ich glaube, er hat vergessen, dass Männer und Frauen dazu bestimmt sind, Gefühle füreinander zu haben - falls er es überhaupt je gewusst hat. Wenn er von uns erführe, Liebster, würde er dazu schweigen, bis er sich sein Wissen zu Nutze machen kann. Nein, Mr. Weaver ist in anderen Angelegenheiten hier.«
»Raus damit!«, verlangte Forester, als wären ihm Mittel in die Hand gegeben, mich zu etwas zu zwingen, was ich nicht tun wollte.
»Ich hätte nicht geglaubt, dass er die Wahrheit erfahren würde, aber doch ist es so gekommen. Es geht um Bridget. Der Mann, den sie geheiratet hat, ist ihm nicht gut genug. Nun möchte er dem Spuk ein Ende bereiten«, erklärte sie Forester und wandte sich dann jäh wieder mir zu. »Wollten Sie meine Sachen durchwühlen, meine Papiere? Sie werden nichts finden, das können Sie mir glauben. Und Sie werden auch nichts von mir erfahren. Wenn Sie nur halb so klug sind, wie Sie zu sein meinen, werden Sie zu Mr. Ellershaw gehen und ihm sagen, dass Sie über den Verbleib meiner Tochter nichts in Erfahrung gebracht haben und wohl auch nie bringen können, denn so wird es sein. Ich würde mich eher wie die Hindufrauen ins Feuer werfen, als sie ihm zu überlassen.«
Worum ging es hier? Den Namen Bridget hatte ich schon einmal gehört, aber wo? Dann fiel es mir wieder ein. Er war während des Abendessens gefallen. Bridget war Mrs. Ellershaws Tochter aus erster Ehe. Aber warum sollte man sie verstecken, und warum sollte Ellershaw so viel an ihr gelegen sein, dass seine Frau glaubte, er hätte mich engagiert, um sie zu finden?
»Madame«, sagte ich mit einer weiteren Verbeugung, »ich bin gerührt von Ihren mütterlichen Gefühlen, aber erlauben Sie mir, Ihnen noch einmal zu versichern, dass ich lediglich auf der Suche nach dem Hinterausgang war. Nichts anderes hatte ich im Sinne.«
Fast eine Minute lang sah sie mich scharf an, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. »Folgen Sie diesem Gang, bis Sie auf den nächsten stoßen«, sagte sie schließlich, »und wenden Sie sich dort nach links. Gehen Sie die Treppe hinunter, dann sehen Sie zu Ihrer Rechten die Küche. Dort finden Sie hinaus, was für Sie ja wohl auch passender ist als durch die Vordertür.«
Ich verbeugte mich ein drittes Mal. »Wie Sie wünschen«, sagte ich, ohne mir anmerken zu lassen, dass es mir nur gelegen kam, den Weg zum Hinterausgang gewiesen zu bekommen. »Sir«, sagte ich zum Zeichen meines Abschieds zu Forester, und beeilte mich dann, den Instruktionen der Dame des Hauses zu folgen. Schon kurz darauf stand ich in der abendlichen Kälte.
Ich vergeudete keine Zeit damit, meine Schlüsse aus dieser sonderbaren Begegnung zu ziehen, sondern eilte ums Haus herum, vor dem zwei Kutschen vorgefahren waren. Zu meinem Glück befand sich Thurmond noch nicht auf dem Heimweg, also hatte ich nicht nur nichts versäumt, sondern in der Zwischenzeit auch noch Erkenntnisse gewonnen, von denen ich hoffte, dass sie ein wenig Licht in das Dunkel bringen würden, in dem ich herumtappte.
Nun musste ich mich an Thurmonds Fersen heften. Dazu hielt ich Ausschau nach einer Möglichkeit, mich auf das Dach von Thurmonds Kutsche fallen zu lassen, wenn diese unter mir vorbeifuhr. Dies war eine Kunst, in der ich es in meinen Jugendjahren, als ich gezwungen war, mir meinen Unterhalt nicht unbedingt auf die ehrlichste Art und Weise zu verdienen, zur Meisterschaft gebracht hatte. Das Dach einer Kutsche oder Kalesche ist ein wunderbarer Ausgangspunkt für jemanden, der die darin Sitzenden überraschen möchte, vor allem, wenn in der Nähe ein Komplize mit einem zweiten Pferd für die Flucht auf ihn wartet.
Es gab aber keine Möglichkeit, mich in die nötige Höhe hinaufzuschwingen, und mich in der Kutsche verstecken zu wollen, erschien mir ziemlich aussichtslos. Der Kutscher und Ellershaws Diener waren in ein Gespräch vertieft, so dass es theoretisch möglich war, mich an ihnen vorbeizuschleichen und auf irgendeine Weise den Schlag zu öffnen, ohne dass die Scharniere quietschten, doch ich wollte mein Glück nicht überstrapazieren. Und wenn ich erst einmal im Inneren der Kutsche war, was dann? Wie sollte ich mich vor Mr. und Mrs. Thurmond verbergen?
Während ich noch andere Möglichkeiten erwog - etwa, ein Pferd zu stehlen oder in der Hoffnung, dass sie es nicht allzu eilig hatten, der Kutsche zu Fuß zu folgen -, kam ein Bediens-teter aus dem Haus und wies den Kutscher und Thurmonds Diener an, alles für die Abfahrt bereit zu machen, was sie auch sofort taten. Der Kutscher kletterte auf den Bock und nahm die Zügel, während der Diener sich hinten auf den Wagen stellte.
Ich folgte der Kutsche, während diese unmittelbar vor der Tür Aufstellung nahm. Dann jedoch war mir das Glück auf geradezu wundersame Weise hold, denn Thurmond half zwar seiner Gattin in den Wagen, machte aber keinerlei Anstalten, selber einzusteigen, sondern wechselte ein paar Worte mit ihr, gab dem Kutscher eine Anweisung und wandte sich dann zu Fuß von dem Haus ab und auf die Theobald's Row zu. Ich folgte ihm in sicherem Abstand, doch nahe genug, um zu sehen, wie er an der Ecke der Red Lion Street dem wartenden Diener eines anderen Gentleman eine Münze in die Hand drückte, damit dieser ihm eine Droschke besorgte.
Das wurde ja immer besser. Sobald Thurmond erst einmal seine Fahrgelegenheit bekam, war es ein Leichtes, hinten auf den Wagen zu springen und dort geduckt hocken zu bleiben, damit mich keiner sah. Und so kam es auch - ich hielt mich hinten am Aufbau fest, während die Kutsche im Schneckentempo durch die schmutzigen Straßen der Großstadt rollte. Zwar blieb ich von einigen der Huren und der Herumlungerer, an denen wir vorbeikamen, nicht unbemerkt, aber der Kutscher verstand ihr Gejohle entweder nicht oder wollte sich nicht darauf einlassen, so dass wir schließlich unbehelligt in der Fetter Lane ankamen. Hier stieg Thurmond aus und betrat das Brush and Pallet, ein Wirtshaus, das bevorzugt von Leuten mit künstlerischen Ambitionen frequentiert wurde.
Ich stieg von meinem Versteck hinunter und wollte einen Moment warten, ehe ich ihm folgte. Just in diesem Augenblick wandte sich der Kutscher nach mir um und fragte mich, ob ich die Fahrt als angenehm empfunden hätte.
Ich hätte ihm keine Beachtung schenken müssen, aber die Menschen dieser Stadt sogen Erkenntnisse in sich auf und atmeten sie als Enthüllungen wieder aus, und wenn ich vermeiden wollte, dass der Droschkenkutscher Thurmond atemlos seine Beobachtung mitteilte, musste ich mir sein Schweigen erkaufen. Zu meiner größten Freude regelte ein Sixpencestücke die Angelegenheit, und so konnten der Kutscher und ich als Freunde auseinandergehen.
Nun galt es, herauszufinden, was Thurmond in einer von Porträtmalern besuchten Lokalität vorhatte, doch ich ahnte schon sehr schnell, was ihn dorthin trieb, denn ich hatte zu bestimmten Zeiten den gleichen Trick angewandt. Warum besucht jemand eine Schänke, mit deren Gästen er nichts gemein hat? Weil er ungestört sein möchte.
Wiederum in sicherem Abstand folgte ich dem werten Thur-mond unauffällig und sah, wie er in einem Hinterzimmer Platz nahm und dem Wirt, einem buckligen Knaben in Thurmonds Alter, eine Anweisung gab. Nach kurzem Zögern wandte auch ich mich an ihn, vergeudete keine Zeit und steckte ihm eine Münze zu.
»Was hat der Gentleman gewollt?«, fragte ich.
»Wenn ein anderer Gentleman sich nach einem Mr. Thompson erkundigt, soll ich ihn zu ihm nach hinten schicken.«
Ich zog noch eine Münze hervor. »Gibt es einen Raum, der an diesen dort grenzt?«
»Gewiss. Drei Schilling, und ich halte ihn für Sie frei.«
Das war natürlich Wucher, aber der Mann wusste, dass ich ohne langes Gefeilsche bezahlen würde. So bekam ich meine Privatnische, wo ich, das Ohr an der Wand, darauf wartete, dass sich etwas tat.
Und es tat sich etwas. Nach weniger als einer halben Stunde hörte ich, wie noch jemand den hinteren Raum betrat. Trotz angestrengten Lauschens konnte ich nicht genau verstehen, worüber die beiden sprachen. Aber die Stimme von Thurmonds Besucher hatte ich sofort erkannt. Es war die zweite heimliche Zusammenkunft, bei der ich jenen Gentleman an diesem Abend ertappte.
Ich ging nicht davon aus, dass Mr. Forester von der East In-dia Company und Mr. Thurmond, der parlamentarische Vertreter der Wollkämmerer, sich hier trafen, weil sie in so vielen Punkten verschiedener Meinung waren. Ellershaw sah der Anteilseignerversammlung mit unguten Gefühlen entgegen, und es schien, als versorge dies seine Widersacher mit allerhand Gesprächsstoff.
Mir stellten sich nun einige Fragen. Sollte ich Ellershaw von Foresters Techtelmechtel mit seiner Frau berichten oder von seinem heimlichen Treffen mit dem Parlamentarier? Oder von beidem? Aber ich konnte mir auch von beidem keinen Vorteil versprechen. Es diente nicht meinen Zwecken, noch mehr Missgunst im Craven House zu säen, und es gab für mich auch nichts zu gewinnen, wenn Ellershaw mich noch mehr ins Vertrauen zog als bisher. Cobb würde ich auf jeden Fall nur von Mrs. Ellershaws Fehltritt erzählen. Das würde genügen, um ihm zu beweisen, dass ich seinen Wünschen entsprechend handelte, und er würde meine Freunde und meinen Onkel vorerst in Ruhe lassen. Gleichzeitig war ich mir sicher, dass Cobb aus solchem Wissen keinen Nutzen ziehen konnte und ich kein Risiko einging, indem ich davon sprach. Da ich ja nicht wusste, wer der größere Schuft von beiden war, fiel es mir auch schwer zu beurteilen, wie viel meines Wissens ich wem zu meinem besten Vorteil preisgeben sollte.
Am nächsten Morgen rief Ellershaw mich in sein Büro, schien aber nichts von Bedeutung mit mir zu besprechen zu haben. Ich hatte den Eindruck, dass er nur sehen wollte, in was für einer Stimmung ich war, nachdem er Thurmond am Abend zuvor so böse mitgespielt hatte. Ich für mein Teil sagte nichts dazu, also kamen wir auf meine Tage als Preisboxer zu sprechen. Ellershaw lachte über einige meiner Anekdoten, doch nach einer Viertelstunde meinte er, ich hätte ihm genug seiner Zeit gestohlen und sollte mich an meine Arbeit machen, damit ich nicht umsonst bezahlt würde.
»Gewiss, Sir«, sagte ich. »Aber darf ich mir zuvor noch eine persönliche Frage erlauben?«
Mit einer unwirschen Handbewegung gewährte er mir meinen Wunsch.
»Es geht um Mrs. Ellershaws Tochter aus erster Ehe. Habe ich es richtig verstanden, dass ihr ein Unglück zugestoßen ist?«
Ohne eine Miene zu verziehen, musterte mich Ellershaw einen Moment lang mit ausdruckslosem Gesicht. »Das Mädchen ist davongelaufen«, sagte er schließlich. »Sie hat an einem Haderlumpen Gefallen gefunden, und trotz unserer Androhung, nach dieser Heirat keinen Penny mehr zu erhalten, gibt es allerhand Grund zu der Annahme, dass die beiden sich doch heimlich vermählt haben. Wir haben seitdem keine Nachricht mehr von ihr bekommen, aber das werden wir schon noch, worauf Sie sich verlassen können. Die beiden werden bestimmt warten, bis unser Zorn sich gelegt hat und dann wie die begossenen Pudel vor der Tür stehen.«
»Vielen Dank, Sir.«
»Falls Sie glauben, Sie könnten sich ein paar Schilling extra verdienen, wenn Sie sie finden, muss ich Sie enttäuschen. Weder mir noch Mrs. Ellershaw liegt etwas daran, je wieder von ihr zu hören.«
»Ich hatte keine solchen Absichten. Ich war bloß neugierig.«
»Es wäre uns besser gedient, wenn Sie Ihre Neugier mehr auf die Strolche im Craven House richten würden und weniger auf meine Familie.«
»Selbstverständlich.«
»Also, was Thurmond betrifft. Es muss ihm klargemacht werden, dass er uns nicht so einfach abschütteln kann. Es ist Zeit, dass er richtig Angst vor uns bekommt.«
Ich musste an Ellershaws Drohung mit dem glühenden Schür-eisen denken und erschauderte innerlich bei dem Gedanken, was für eine Gemeinheit er sich jetzt wieder ausgedacht hatte. »Es sind nur noch wenig mehr als zwei Wochen bis zur Anteilseigentümerversammlung«, gab ich zu bedenken. »Ich halte es nicht für klug, alles ausschließlich davon abhängig zu machen, dass es uns gelingt, Mr. Thurmond Angst einzuflößen.«
»Ha!«, rief er. »Sie wissen gar nichts, und ich habe auch nicht vor, Ihnen mehr als das zu verraten. Glauben Sie, das wäre das einzige Eisen, das ich im Feuer habe? Es ist nur eines von vielen, aber es ist das Einzige, das Sie etwas angeht. Von meinen Informanten im Unterhaus weiß ich, dass er heute Abend mit einem Geschäftspartner in der Nähe der Great Warner Street zum Essen verabredet ist. Während seiner Abwesenheit müssen Sie in sein Haus einbrechen und dort auf seine Rückkehr warten. Und wenn er sich dann zu Bett gelegt hat, nehmen Sie ihn sich tüchtig vor, Mr. Weaver. Nehmen Sie sich ihn so vor, dass er glaubt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, damit er lernt, dass mit dem Craven House nicht zu spaßen ist. Danach möchte ich, dass Sie seine Frau schänden.«
Ich saß regungslos da und brachte kein Wort hervor.
»Haben Sie nicht gehört?«
Ich musste schlucken. »Ich habe Sie gehört, Mr. Ellershaw, aber ich fürchte, ich habe Sie nicht richtig verstanden. Das können Sie doch nicht ernst gemeint haben.«
»Oh doch, sehr ernst sogar. Ich habe schon den Widerstand so mancher Männer brechen müssen, glauben Sie mir. In Kalkutta gab es unter den Schwarzen immer wieder Häuptlinge und Anführer, die meinten, sie könnten der East India Company die Stirn bieten. Sie haben die Konsequenzen zu spüren bekommen, und so muss es auch bei Thurmond sein. Denken Sie, es ginge um eine Lappalie? Die Zukunft des Unternehmens hängt von unserem Einsatz ab, und da die East In-dia Company der Bannerträger des freien Handels ist, sogar die der ganzen Welt. Sie und ich haben eine Verabredung mit der Ewigkeit, Weaver. Wir werden unseren Kindern eine Welt hinterlassen, in der es noch Hoffnung gibt, oder wir werden sie dazu verurteilen, den ersten Schritt in ein Jahrtausend der Finsternis zu tun. Sollten wir versagen, werden unsere Kinder und Kindeskinder wenigstens von uns sagen, dass wir die kurze Spanne unseres Daseins nutzbringend anzuwenden gewusst, das wir alles in unserer Macht Stehende getan haben.«
Ich unterdrückte meinen ersten Impuls, nämlich den, ihm zu sagen, dass ich größte Zweifel daran hegte, dass unsere Enkel uns dafür preisen würden, dass wir alte Männer geschlagen und alte Frauen geschändet haben. Stattdessen holte ich tief Luft und senkte ehrerbietig den Blick. »Sir, Sie sprechen nicht von einem Stammesführer unter Indern. Sie sprechen von einem hochangesehenen Mitglied des Unterhauses. Sie können nicht erwarten, dass so eine Tat keine Untersuchung nach sich ziehen wird. Und selbst, wenn Ihr Erfolg garantiert wäre, könnte ich keinen solchen Akt der Barbarei gutheißen, erst recht nicht, wenn es sich um einen alten Menschen handelt. Und ich würde mich gewiss niemals zu so etwas hinreißen lassen.«
»Was? Sie haben nicht den Mut dazu? Da hätte ich aber mehr von Ihnen erwartet. Dies ist die Welt, in der wir leben, Mr. Weaver, eine Welt, in der Sie keinem über den Weg trauen können. Sie müssen die Keule schwingen - oder von ihr zerschmettert werden. Ich habe Ihnen gesagt, was ich will, und Sie sind mir zu Diensten, also werden Sie tun, was ich von Ihnen verlange.«
Schon wieder steckte ich in einer Zwickmühle. Ich musste mich entscheiden, ob ich meine Seele dem Teufel verkaufen und damit meine Freunde retten oder ob ich meine Seele retten und meine Freunde vernichten wollte. Es wäre schwierig gewesen, Cobb weiszumachen, dass ich es nicht über mich brächte, einen Lagerhausarbeiter zusammenzuschlagen, aber ich musste mir einfach sagen, dass selbst er nicht erwarten konnte, dass ich mich für einen so schamlosen Gewaltakt missbrauchen ließ - und sei es aus keinem anderen Grund, dass ein solches Verbrechen verfolgt werden würde und dass, wenn man mir auf die Schliche käme, diese Spur unweigerlich weiter zu ihm führen würde.
Letzten Endes, dachte ich, konnte ich vielleicht sogar von Glück reden. Es blieb mir nun nichts anderes übrig, als mich von Ellershaw abzuwenden, und Cobb vermochte mir daraus keinen Strick zu drehen. Zwar hatte ich das Gefühl, dass dieser Optimismus möglicherweise durch nichts gerechtfertigt sein könnte, aber er war im Augenblick alles, woran ich mich klammern konnte.
Ich zwang mich, ein wild entschlossenes Gesicht zu ziehen und erhob mich von meinem Stuhl. »Ich kann Ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen, und ich werde auch nicht stillschweigend zusehen, wie Sie einen anderen damit beauftragen.«
»Wenn Sie mir jetzt in die Quere kommen, sind Sie die längste Zeit hier angestellt gewesen.«
»Dann bin ich eben die längste Zeit hier angestellt gewesen.«
»Sie wollen sich doch wohl die East India Company nicht zum Feind machen?«
»Lieber habe ich die East India Company zum Feind als mein eigenes Gewissen«, sagte ich und wandte mich der Tür zu.
»Warten Sie«, rief er mich zurück. »Gehen Sie nicht. Sie haben recht. Vielleicht bin ich zu weit gegangen.«
Ich stieß einen stummen Fluch aus, denn damit waren meine Hoffnungen zunichte - wenn auch nicht ganz unerwartet. Ich wandte mich zu ihm um. »Ich bin froh, dass Sie sich die Sache noch einmal überlegen.
»Ja«, sagte er. »Ich glaube, in diesem Punkt muss ich Ihnen recht geben. Wir wollen nicht ganz so brutal sein. Aber wir werden uns etwas einfallen lassen, Weaver. Darauf können Sie Gift nehmen.«
Auf dem Weg zu den Lagerhäusern fasste ich die Situation im Geiste noch einmal zusammen. Mal diente ich Cobbs Zwecken, mal denen von Ellershaw, mal meinen eigenen. Das bedeutete, dass ich auf einem schmalen Grat wanderte, und obwohl ich viel lieber mein eigener Herr gewesen wäre, wusste ich nur zu gut, dass ich diese bittere Pille schlucken musste, wenn sich alles noch zum Guten wenden sollte. Vor allem meine Machtlosigkeit brachte mich in Rage, aber da das Wohlergehen meiner Freunde und meines Onkels an einem seidenen Faden hing, musste ich zumindest den Eindruck der Unterwürfigkeit erwecken.
Wie konnte man so etwas erdulden, ohne daran zu verzweifeln? Nun wusste ich die Antwort: Ich würde mich nicht meinen Möchtegern-Herren widersetzen, sondern vielmehr meine eigene Taktik entwickeln. Ich musste herausfinden, was Forester in seinem geheimen Schuppen aufbewahrte. Ich musste dahinterkommen, wie Ellershaw die bevorstehende Anteilseigentümerversammlung zu überstehen plante. Und ich musste mehr über seine Tochter in Erfahrung bringen. Alles drei würde möglicherweise zu nichts führen, aber ich erinnerte mich, dass mehrere Akteure in meinem kleinen Drama - Mr. und Mrs. Ellershaw, Forester und Thurmond - auf eine Weise über sie gesprochen hatten, die mich ungemein neugierig machte. Vielleicht hatte es mit ihr gar nichts Besonderes auf sich, doch ich hatte schon oft erfahren, dass man manchmal nur an einem losen Faden ziehen musste, um einen ganzen Vorhang aufzuribbeln.
Mrs. Ellershaw schien sich in dem Glauben zu wiegen, ihr Mann hätte den Wunsch zu erfahren, wo ihre Tochter sich aufhielt, während er genau das Gegenteil behauptete. Wahrscheinlich war Ellershaws Interesse an seiner Stieftochter mehr als nur väterlicher Natur - und Bridgets Eheschließung nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch ein Fluchtversuch. In diesem Falle läge es auf der Hand, dass ihre Mutter ihren Aufenthaltsort vor ihm geheim zu halten wünschte.
Dann fiel mir aber noch etwas anderes auf: Mrs. Ellershaw fürchtete, dass ihr Mann die Wahrheit erfahren hatte - nicht, dass er den Aufenthaltsort der Tochter erfahren hatte oder diesen in Erfahrung zu bringen trachtete. Damit hatte sie angedeutet, dass es noch einen Umstand gab, von dem Ellershaw nichts ahnte, was bedeutete, dass die Information, die ich von Ellershaw bekommen hatte, entweder falsch oder unvollständig war.
Was Forester betraf, war der nicht nur gegen Ellershaw eingenommen, sondern hatte sogar Grund, ihn zu hassen - siehe die Turtelei mit seiner Frau. Hasste er den Ehemann seiner Angebeteten so sehr, dass er, nur um ihm zu schaden, geheime Absprachen mit Thurmond traf? Das bezweifelte ich nun aber doch. Vielmehr kam es mir so vor, als führe er Geschäfte aus, die von Ellershaws Niedergang oder vielleicht sogar dem der ganzen East India Company abhingen, doch um was es sich dabei handeln konnte, vermochte ich nicht zu sagen. Allerdings vermutete ich, dass es etwas mit der von Carmichael erwähnten verbotenen Etage in dem Lagerhaus zu tun hatte: ein Anreiz mehr, dieses Geheimnis zu lüften.
Wie immer behielt mich Aadil den ganzen Tag lang fest im Auge. Mit orientalischer Beharrlichkeit verfolgte er jeden meiner Schritte. Gegen Abend gelang es mir wenigstens unter der Vorgabe, ihn für ein angebliches Versagen bestrafen zu wollen, mich mit Carmichael in einem abgelegenen Winkel des Geländes unter vier Augen zu treffen.
Carmichael war wirklich ein grundanständiger Kerl - er folgte nicht nur sofort meinem Befehl, sich hinter dem Lagerhaus bei mir zu melden, sondern wirkte auch schon bei seinem Eintreffen ganz niedergeschlagen und schuldbewusst, obwohl ich noch keinen Vorwurf ausgesprochen hatte.
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich ihn sogleich. »Du hast nichts falsch gemacht. Ich habe das Gerücht nur ausgestreut, um ungestört mit dir sprechen zu können.«
»Ach, da bin ich aber froh, Mr. Weaver. Ich halte doch so viel von Ihnen und wünsche mir, dass auch Sie nicht schlecht von mir denken.«
»Das tue ich ganz bestimmt nicht. Du bist ein fleißiger Arbeiter und kennst dich in den Lagerschuppen gut aus.«
»Und so soll's auch bleiben, wenn's nach mir geht«, sagte er.
»Das hoffe ich auch, denn das, um was ich dich jetzt bitten werde, gehört genau genommen nicht gerade zu deinem Aufgabenbereich. Ich möchte, dass du mich zu den Waren führst, zu denen nur Mr. Forester Zugang hat, und mir hilfst, dort einzudringen.«
Er sagte nichts und stand nur mit offenem Mund da. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Es ist sehr gefährlich, um was Sie mich da bitten. Ich könnte nicht nur meine Stellung verlieren, sondern mir auch noch diese Bestie Aadil zum Feind machen. Das möchte ich nicht, und wenn Sie klug sind, sollten Sie es für sich selber auch nicht wollen.«
»Ich weiß, dass wir ein Risiko eingehen, aber ich muss über den Inhalt dieses Verstecks Bescheid wissen, und das geht nicht ohne deine Hilfe. Du sollst für deine Bemühungen auch belohnt werden.«
»Es geht mir nicht um eine Belohnung, das dürfen Sie nicht glauben. Es geht mir um meine Arbeit, die ich nicht verlieren will. Sie mögen ja der Aufseher über die Wachmänner sein, aber wenn Aadil oder Mr. Forester mich hinauswerfen, ohne mir meinen Lohn zu zahlen, hält nichts und niemand sie davon ab.«
»Dazu wird es nicht kommen«, versicherte ich ihm und fragte mich im selben Moment, wie ich es verhindern wollte. Wenn Carmichael unter Beschuss geriet, weil er mir geholfen hatte, sagte ich mir, würde ich dafür sorgen, dass er für seine Hilfsbereitschaft nicht zu leiden hätte. Ich besaß genügend Freunde und genügend Einfluss, um ihm woanders einen zumindest gleich bezahlten Posten beschaffen zu können.
Er sah mich an und schien zu erwägen, ob mein Optimismus begründet war. »Um ehrlich zu sein, Mr. Weaver, ich fürchte mich davor, es mir mit denen zu verderben.«
»Ich muss aber wissen, was dort versteckt ist. Wenn du mir nicht helfen willst, finde ich einen anderen, der es tut, aber ich würde dich vorziehen, weil ich dir vertraue.«
Er gab einen tiefen Seufzer von sich. »Das können Sie, Sir. Das können Sie wirklich. Wann soll es passieren?«
Ich hatte für diesen Abend eine Verabredung, die ich um keinen Preis verpassen wollte, also sprachen wir ab, uns am darauffolgenden Abend Schlag elf hinter dem größten der Lagerhäuser zu treffen. Obwohl er protestierte, drückte ich ihm eine Münze in die Hand, doch ich befürchtete sogleich, damit seine Entschlossenheit eher geschwächt zu haben. Carmichael wollte mir helfen, weil er mich mochte. Wenn ich nur jemand für ihn wurde, der ihm für seine Dienste Geld gab, konnte dies sein Zutrauen schmälern, und ich brauchte jeden treuen Gefährten, dessen ich habhaft werden konnte.