Ich war wie vor den Kopf gestoßen.
Miss Glade sah mich mit ihren hübschen Augen an und schenkte mir ein so trauriges Lächeln, dass mein Herz augenblicklich doppelt so schnell schlug. »Es ist mir sehr unangenehm, Mr. Weaver«, sagte sie.
Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging so schnell wie möglich zur Tür. Elias, der sich gerade aus seiner wenig schmeichelhaften Position erhob, rief mir nach, ich solle unten auf ihn warten.
Diese ganze Geschichte hat für manchen einen unglücklichen Ausgang genommen, also will ich nicht diejenigen bemitleiden, die es nicht gar so hart getroffen hat, doch ich werde mir nie mein rüdes Benehmen Mrs. Henry gegenüber verzeihen, als ich mürrisch gelaunt in ihrer Wohnung saß und meinen Weinbecher so fest umklammert hielt, dass ich befürchtete, ihn zu zerdrücken, während sie ungelenke Versuche unternahm, sich mit mir zu unterhalten.
Ich sah nicht, wie Celia das Haus verließ - Elias musste sie zur Hintertür begleitet haben -, aber eine Viertelstunde nach unserem Zusammentreffen kam er nach unten und gab mir zu verstehen, dass er bereit zum Aufbruch wäre. Wir gingen ins Rusted Chain und bestellten unsere Krüge Bier. Dann saßen wir eine Weile lang schweigend da.
»Es tut mir sehr leid, dass ich dir diese Unannehmlichkeit bereitet habe, Weaver«, hob Elias schließlich an. »Aber du hast nie eine Andeutung gemacht, dass du eine gewisse Vorliebe -«
Ich schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass beinahe sämtliche Gäste zu mir herüberschauten. Aber das kümmerte mich nicht. Ich wollte nur, dass Elias mit seinen Salbadereien aufhörte, bevor mich das Verlangen überkam, ihn zu schlagen.
»Du hast genau gewusst, wie ich für sie empfinde«, sagte ich. »Das ist einfach ungeheuerlich.«
»Wieso? Sie hätte die deine sein können, wenn du sie gewollt hättest. Aber du hast dich anders entschieden.«
»Zum Teufel, Elias, ich kann es einfach nicht glauben, dass du so unbedarft handeln konntest. Hast du ernsthaft geglaubt, sie hätte sich von deinem Charme betören lassen?«
»Du brauchst mich nicht zu beleidigen.«
»Wohl kaum.« So wütend, wie ich auch war - unsere Freundschaft wollte ich deswegen nicht beenden. »Deine Verführungskunst in allen Ehren, aber dir muss doch klar sein, dass sie dich nur aushorchen wollte und nicht mehr.«
»Natürlich. Und umgekehrt ebenso. Es war so etwas wie ein Wettstreit, in dem jeder versucht herauszufinden, was der andere preiszugeben bereit ist und was nicht. Am Ende hat sie nichts von mir erfahren und ich nichts von ihr.«
»Und hast du sie auch die ganze Zeit im Auge behalten, während sie sich in deiner Wohnung aufhielt?«
»Nicht jede einzelne Minute. Man muss doch auch einmal kurz verschwinden dürfen.«
»Aber deine Notizen betreffs unserer derzeitigen Untersuchung - die lagen wohl noch auf deinem Schreibtisch?«
»Für diejenigen, die sie nicht gewohnt sind, ist meine Handschrift sehr schwer zu entziffern«, beeilte er sich mir zu versichern. Aber ich merkte, dass seine Stimme zitterte. Er war sich seiner Sache nicht ganz sicher.
Ich schon. »Und an deiner Tür habe ich die Namen Absalom Pepper und Teaser erwähnt.«
»Ja, du hättest vorsichtiger sein sollen.«
Ich sagte nichts, denn in dieser Hinsicht hatte er natürlich recht. Ich starrte vor mich hin, während Elias sich abwechselnd auf die Lippe biss und an seinem Ale nippte.
»Hör mal«, sagte er. »Ich habe dir nicht wehtun wollen. Du hättest mir deine Gefühle für sie deutlicher machen sollen. Und vielleicht hätte ich auch auf deine Gefühle mehr Rücksicht nehmen müssen, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, eine schöne, willige Frau ins Bett zu bekommen. Eine schwache Entschuldigung, ich weiß, aber so ist es nun mal. Und es ist ja auch durchaus möglich, dass sie nie im Sinn gehabt hat, sich mir hinzugeben. Sie wollte wahrscheinlich nur Zugang zu meiner Wohnung. Wir werden es nie erfahren. Zu Vertraulichkeiten ist es jedenfalls nicht ge ...«
»Genug damit«, unterbrach ich ihn. »Passiert ist passiert. Sie weiß zu viel, und wir haben zu wenig Zeit. Das bedeutet, dass wir uns ranhalten müssen.«
»Ranhalten an was?«
»Es ist Zeit, Mr. Teaser aufzutreiben. Er sollte Peppers Vorhaben finanzieren, also muss er darin eingeweiht sein. Das ist der Schlüssel, hinter dem wir her sind. Ich will nur hoffen, dass wir ihn finden, bevor sie es tut.«
Keiner von uns beiden war in allzu verträglicher Stimmung, aber Elias und ich taten unser Bestes, es uns nicht anmerken zu lassen.
»Kennst du dich in der Gegend aus?«, fragte ich.
»Nicht besonders, aber gut genug, um zu wissen, dass es ein raues Pflaster ist, von dem man sich lieber fernhalten sollte. Aber es muss wohl sein.«
Also machten wir uns auf den Weg nach Holborn. Als es nur noch zwei Straßen bis zu der Adresse waren, unter der ich mir erhoffte, diesen Teaser anzutreffen, sahen wir vor uns mehrere dunkle Schatten aus einer Gasse treten. Ich blieb stehen und legte die Hand an meinen Dolch. Elias trat einen Schritt zu-rück, um mich als Schutzschild zu haben. Es waren sechs oder sieben Mann. Ein sehr ungleicher Kampf, dachte ich, aber dann fiel mir auf, dass die Unbekannten nicht gerade die Haltung von Männern einnahmen, die zu Gewalt bereit waren. Sie wirkten eher verunsichert und linkisch, als wären sie es, die sich vor uns fürchten mussten.
»Wen haben wir denn da?«, rief einer von ihnen.
»Scheinen mir ein Paar Arschficker zu sein«, sagte ein anderer. »Fürchtet euch nicht, ihr Sünder. Eine Nacht im Loch wird euch guttun, und wenn ihr euch genügend Zeit nehmt, den Herrn um Vergebung anzuflehen, könnt ihr vielleicht sogar eure Seele retten.«
Ich zweifelte an den seelenerrettenden Eigenschaften des Gefängnisses, wo ein so genannter Sodomiter damit rechnen musste, stundenlang malträtiert zu werden. An solchen Orten ist es schon seit jeher Tradition, dass die hartgesottenen Verbrecher gleichgeschlechtlich veranlagte Mitgefangene zwingen, große Mengen menschlicher Exkremente zu vertilgen.
»Zurück«, rief ich. »Ich will nichts mit euch zu tun haben. Verschwindet.«
»Ich bleibe hier«, rief einer von ihnen, der, der uns als Arsch-ficker bezeichnet hatte, glaubte ich. »Ich bin der Diener des Herrn, Sir, und er vollbringt seine Werke durch meine Hand.« Seine Stimme bebte wie die eines Predigers an einer Straßenecke.
»Das wage ich sehr zu bezweifeln«, rief ich zurück, denn ich wusste jetzt, dass diese Männer zu der Bewegung der Sittenreformer gehörten oder zu einer ähnlichen Vereinigung, wie sie seit einiger Zeit alle naslang irgendwo gegründet wurden. Die Angehörigen dieser Gruppierungen schlichen nachts durch die Straßen und waren auf der Suche nach all jenen, die sich möglicherweise gegen die Gesetze Gottes und des Königreiches vergingen. Nur von Straßenräubern hielten sie sich tunlichst fern, denn denen waren sie kaum gewachsen. Das Ärgste je-doch war, dass die Konstabler und der Magistrat diese Männer als ihre Handlanger duldeten. So konnte es vorkommen, dass ein Mann, dessen einziges Vergehen darin bestand, dass er einen über den Durst getrunken oder eine Dirne angesprochen hatte, von diesen religiösen Eiferern ergriffen und für eine Nacht eingesperrt wurde - eine Nacht, in der er die Hölle auf Erden erlebte. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass es Sodomitern im Karzer besonders schlimm erging, aber auch andere kamen selten davon, ohne brutal verprügelt oder sonst wie erniedrigt worden zu sein, es sei denn, sie waren selber wüste Schläger, die vor nichts zurückschreckten.
»Es gibt in dieser Stadt so etwas wie eine abendliche Sperrstunde«, sagte mein Gegenüber zu mir.
»Davon habe ich gehört«, antwortete ich. »Aber ich bin noch nie jemandem begegnet, der sich darum schert, außer einem fanatischen Sektierer wie du einer bist. Mein Freund und ich wollen nicht mehr, als diese Straße entlanggehen, und daran ist ja wohl nichts auszusetzen.«
»Dass ihr bloß die Straße hinuntergeht, haben wir wohl gesehen, aber ich weiß genau, dass ihr vorhabt, euch verabscheu-ungswürdigen Schweinereien hinzugeben, die ein Schlag ins Antlitz Gottes und eine Beleidigung der menschlichen Natur sind.«
»So, das reicht mir jetzt«, sagte ich und zückte meinen Dolch.
Ein Japsen ging durch die Gruppe, als hätten diese Kerle noch nie erlebt, dass jemand derartige Anschuldigungen von sich wies und einfach weiter seiner Wege gehen wollte.
»Ich bin weder ein Sodomiter, noch habe ich vor, gegen das Gesetz zu verstoßen«, sagte ich, »aber ich bin ein Mann, der sich zu wehren weiß. Wer von euch will mir das Gegenteil beweisen?«
Ich hörte ihren keuchenden Atem, aber eine Antwort blieben sie mir schuldig.
»Das habe ich mir gedacht. Nun ab mit euch«, rief ich und hielt mein Messer drohend in die Höhe. Das verfehlte nicht seine Wirkung, denn die Raufbolde verstreuten sich sogleich, und Elias und ich konnten unseren Weg fortsetzen. Dann standen wir vor dem Haus, von dem Mrs. Pepper gesprochen hatte.
»Ach du meine Güte«, sagte Elias.
»Was ist?«
»Jetzt beginne ich zu begreifen, warum diese Männer uns Schweinereien unterstellt haben. Wenn ich nicht irre, finden wir diesen Mr. Teaser bei Mutter Tripper.«
»Mutter Tripper? Ist das der Name einer Bordellwirtin? Das klingt ja noch hergeholter als ein Freund namens Mr. Teaser.«
»Vielleicht sind sie auch ein und dieselbe Person. Mutter Tripper ist, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, der beliebteste Treffpunkt gleichgeschlechtlich veranlagter Männer in der ganzen Stadt.«
Ich hatte kein Verlangen, ein solches Haus zu betreten und war drauf und dran, Einwände zu erheben, als mir aufging, dass ein Mann wie ich, der sich allen möglichen Gefahren ausgesetzt gesehen hat, angesichts bestimmter Vergnügungen, die im Vergleich eher harmlos waren, nicht zimperlich sein sollte. Die Vorlieben mancher Männer mochten mir nicht gefallen -wie ich zum Beispiel Feiglinge verachtete -, aber dass es solche Vorlieben gab, hielt mich nicht davon ab, das Vergnügen auf meine Weise zu suchen.
Ich warf Elias einen Blick zu. »Du klopfst«, sagte ich. »Du dürftest eher ihr Vertrauen gewinnen.«
Ich dachte schon, er würde mir meine Bemerkung übel nachtragen, aber er lachte nur. »Endlich habe ich etwas gefunden, wovor Benjamin Weaver zurückschreckt«, sagte er. »Mal sehen, ob ich auf diese Weise dein Wohlwollen wiedererlangen kann.«
Elias klopfte kräftig gegen die Tür, und sogleich erschien eine Gestalt in der Kleidung eines Dienstmädchens in der Tür -nur handelte es sich nicht um ein Mädchen, sondern um einen gar nicht mal so kleinen Mann, der in Frauenkleidern steckte. Er trug eine Perücke und sogar eine adrette kleine Haube darauf. Das wäre allein schon lächerlich genug gewesen, aber das Kinn der Person war von Bartstoppeln verdunkelt, und obwohl er artig knickste und sich sehr zuvorkommend zeigte, gab er eine geradezu groteske Erscheinung ab.
»Kann ich den Gentlemen behilflich sein?«, fragte er mit weicher, aber nicht weibischer Stimme. Dieser Mann wollte sich nicht wirklich als Frau ausgeben. Nein, er machte deutlich, dass er ein Mann war, der sich nur als Frau verkleidet hatte, und man merkte, dass ihm nicht unbedingt wohl dabei zu Mute war.
Elias räusperte sich. »Vielleicht. Wir suchen einen Mann, der sich Teaser nennt.«
»Was wollen Sie denn von ihm?« Die Stimme des Mannes klang nicht mehr so weich, und mir fiel auf, dass er mit dem Akzent der niederen Stände sprach, wie man ihn etwa in Hock-ley-in-the-Hole antraf, wenn ich ihn richtig zuordnete, und das verblüffte mich. Ich hatte ausgefallene sexuelle Gelüste stets eher den dekadenten Reichen zugeschrieben, aber sie schienen auch vor den niederen Schichten nicht Halt zu machen. Ich fragte mich, ob es tatsächlich der Veranlagung dieses Mannes entsprach, als Frau herumzulaufen, oder ob es zu seiner Tätigkeit gehörte. Und dann kam mir noch ein finsterer Gedanke in den Sinn - dass man ihn hier vielleicht gegen seinen Willen festhielt. Ich nahm mir vor, auf Anzeichen zu achten, die diesen Verdacht bestätigten.
Ich trat vor. »Das geht nur uns und ihn etwas an. Sagen Sie ihm bitte, dass er Besuch hat. Den Rest erledigen wir dann schon alleine.«
»Das ist leider nicht möglich, Sir. Wenn Sie vielleicht Ihre Karte dalassen würden, könnte Mr. Teaser, falls es ihn denn gibt, sich mit Ihnen in Verbindung setzen, falls er es wünscht.«
Seltsam, dachte ich - zuerst hatte es so geklungen, als würde er Teaser kennen, aber nun stellte er in Frage, dass es ihn überhaupt gab. »Unsere Namen werden ihm nichts sagen, aber wir haben etwas äußerst Dringendes mit ihm zu besprechen. Wir wollen ihm oder sonst jemandem nichts Böses, aber wir müssen augenblicklich mit ihm reden.« Ich reichte dem Bediensteten meine Karte.
»Sie können hier nicht einfach so eindringen und Anweisungen erteilen. Ich werde Ihre Karte weitergeben, wenn Sie es wünschen, aber nun müssen Sie wieder gehen.«
Nein, so kamen wir nicht weiter. Wäre er nur ein einfacher Dienstbote gewesen, hätte ich mich an ihm vorbeigedrängt, aber ich scheute mich, eine solche Kreatur zu berühren, also beließ ich es bei Worten. »Ich lasse mich nicht abweisen. Du kannst uns freiwillig hereinbitten oder versuchen, uns aufzuhalten. Es ist deine Entscheidung.«
»Sprechen Sie mich bitte mit Madam an.« »Es kümmert mich nicht, wie du dich nennst, aber mach den Weg frei.«
In diesem Augenblick erschien eine weitere Gestalt in der Tür - eine Frau mit Leib und Seele. Sie war dicklich und schon im fortgeschrittenen Alter, hatte aber große blaue Augen, aus denen nachsichtige Güte sprach. Sie war schlicht, aber nicht billig gekleidet und machte durchaus den Eindruck einer respektablen Hausherrin. »Nun aber fort mit euch«, sagte sie. »Ich dulde kein scheinheiliges Palaver von Heuchlern wie ihr es seid. Geht zum Teufel. Mit dem habt ihr mehr gemein als mit uns.«
Diese scharfen Worte nahmen mir für einen Moment den Wind aus den Segeln. Zum Glück ergriff Elias, diplomatisch wie immer, mit einer leichten Verbeugung das Wort.
»Madam, wie wir bereits Ihrem Bediensteten zu erklären versucht haben, führen wir nichts Böses im Schilde. Wir haben nur dringend etwas mit Mr. Teaser zu besprechen. Ich darf Ih-nen versichern, dass Sie wahrscheinlich noch nie zwei Gentle-men vor sich gehabt haben, die weniger geneigt waren, sich in scheinheiligem Palaver zu ergehen. Mein Freund ist Jude, und ich bin ein Freigeist - aber einer, der der holden Weiblichkeit zugetan ist, wenn ich das hinzufügen darf.«
Die Frau warf einen Blick auf die Karte, die ich dem Diener gegeben hatte, und sah dann mich an. »Sie sind Benjamin Weaver, der Privatermittler?«
Obwohl mir nicht danach war, verbeugte ich mich.
»Der Mann, nach dem Sie fragen, hat nichts angestellt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie so tief gesunken sind, dass Sie sich nun schon Ihr Geld verdienen, indem Sie hinter unschuldigen Männern herschnüffeln.«
»Sie haben mich missverstanden«, beschwichtigte ich sie. »Es geht mir nur darum, von dem Gentleman Informationen über einen Bekannten von ihm zu erlangen. Ich möchte weder Sie noch Ihre Gäste belästigen.«
»Kann ich mich darauf verlassen?«, fragte sie.
»Darauf haben Sie mein Ehrenwort. Ich möchte ihm nur ein paar für mich wichtige Fragen stellen, und schon bin ich wieder weg.«
»Nun gut«, sagte sie. »Dann treten Sie mal näher. Wir können ja nicht die ganze Nacht die Tür offen stehen lassen, oder?«
Diese Frau, dachte ich, war also offensichtlich die berüchtigte Mutter Tripper. Wachsam wie eine jede Hausherrin behielt sie uns im Blick, während sie uns durch ihre Räume führte. Das Innere des Hauses machte den Eindruck eines einstmals eleganten Wohngebäudes aus dem vergangenen Jahrhundert, aber nun war alles ziemlich heruntergekommen. Es roch nach Schimmel und nach Schmutz, und ich schätzte, dass eine Staubwolke aufwirbeln würde, wenn man kräftig auf den Teppich trat.
Wir kamen durch mehrere Gänge, passierten im Gefolge der Hausherrin überraschend geschmackvoll dekorierte Säle und behaglich eingerichtete Zimmer. An die Menschen, die sich in diesen Zimmern aufhielten, musste ich mich jedoch erst einmal gewöhnen. Wir kamen in einen Saal, in dem eine Art Ball im Gange war. Es gab Tische, an denen die Gäste sitzen und trinken und sich unterhalten konnten, drei Geiger spielten, und sechs oder sieben Paare tanzten auf den ausgetretenen Holzdielen zu der Musik. Um die Tanzfläche herum standen ungefähr zwei Dutzend Männer in Gespräche vertieft. Jedes der tanzenden Paare, fiel mir auf, bestand aus einem ganz gewöhnlich gekleideten Mann und einem weiteren, der sich ebenso wie der Diener an der Tür wenig überzeugend als Frau zurechtgemacht hatte.
Schließlich betraten wir ein Gesellschaftszimmer im hinteren Bereich des Hauses, in dem ein wärmendes Kaminfeuer brannte. Mutter Tripper bat uns, Platz zu nehmen und schenkte uns beiden aus einer Karaffe ein Glas Portwein ein, ohne sich allerdings selber zu bedienen.
»Ich habe Mary geschickt, damit sie Teaser holt. Es könnte jedoch sein, dass er indisponiert ist.«
Mir schauderte bei dem Gedanken, durch was er das sein könnte. Mutter Tripper muss es mir am Gesicht abgelesen haben, denn sie warf mir einen tadelnden Blick zu. »Gefällt es Ihnen bei uns nicht, Mr. Weaver?«
»Es tut nichts zur Sache, ob es mir gefällt oder nicht«, sagte ich. »Aber Sie müssen doch zugeben, dass die Männer hier ihre Zeit mit höchst unnatürlichen Vergnügungen verbringen.«
»Ja, unnatürlich mögen Sie es nennen. Es wäre ja auch unnatürlich, wenn jemand im Dunklen sehen könnte, also behilft man sich mit einer Kerze oder einer Laterne, nicht wahr?«
»Und dennoch«, griff Elias mit einem Eifer, der, wie ich wusste, seine Geistesschärfe demonstrieren sollte und nicht seine inbrünstige Leidenschaft für das Thema, das Beispiel auf, »verbietet die Heilige Schrift solches Treiben, nicht jedoch, sich Licht zu schaffen.«
Mutter Tripper warf Elias einen abschätzenden Blick zu. »In der Tat, das verbietet sie. Sie verbietet allerdings auch Vielweiberei, nicht wahr, Sie libertiner Freigeist? Ich frage mich, mein guter Mann, ob Sie dabei auch so rasch mit Skrupeln wegen der Gebote der Heiligen Schrift zur Hand sind.«
»Nein, das gerade nicht«, gab er zu.
»Und sagt nicht unser Erlöser«, fragte sie an mich gewandt, »dass wir die Armen und Bedürftigen bei uns aufnehmen sollen, all jene, die die Mächtigen und Bevorrechteten verstoßen haben?«
»In allen Fragen betreffs unseres Erlösers müssen Sie sich an Mr. Gordon wenden«, erwiderte ich.
Elias senkte artig den Kopf. »Sie verdienen unsere Entschuldigung, Madam. Wir sind nur Menschen, die von den Moralvorstellungen ihrer Gesellschaft geprägt sind. Es mag sein, wie Sie es sagen - dass die Ablehnung durch diese Gesellschaft nur das künstliche Produkt unserer Zeit und unserer Umgebung ist und nichts weiter.«
»Natürlich kann man sich damit trösten, das Produkt seiner Zeit und seiner Umgebung zu sein«, sagte sie. »Aber ist nicht jeder rechtschaffene Mensch geradezu verpflichtet, sich zu bemühen, darüber hinauszuwachsen?«
»Da haben Sie ganz gewiss recht«, musste nun auch ich einräumen, denn obwohl ich nach wie vor meine Vorbehalte hegte, konnte ich nicht anders, als ihr beizupflichten. Da sie dem Gesagten nichts weiter hinzuzufügen zu haben schien und auch von uns keine weiteren Einwände kamen, saßen wir eine Weile lang schweigend da und lauschten dem Knistern des Feuers, bis nach ein paar Minuten die Tür aufging und ein ziemlich gewöhnlich aussehender Bursche im schlichten Gewand eines Händlers den Raum betrat. Er war ungefähr Ende dreißig, hatte aber ein ebenmäßiges, knabenhaftes Gesicht voller Sommersprossen und mit rosigen Wangen, was ihn deutlich jünger aussehen ließ.
»Ich höre, Sie wollen mich sprechen«, sagte er mit leiser Stimme.
»Diese Gentlemen sind Mr. Benjamin Weaver und sein Freund Elias Gordon«, stellte Mutter Tripper uns ihm vor, womit sie keinen Zweifel daran ließ, dass sie der Befragung beizuwohnen trachtete.
Elias und ich erhoben uns zu einer Verbeugung. »Mr. Teaser, wie ich annehme?«
»Richtig. Das ist der Name, unter dem man mich hier kennt.«
Er setzte sich, also nahmen auch wir wieder Platz.
»Darf ich Ihren richtigen Namen erfahren?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich würde es vorziehen, ihn für mich zu behalten. Ich habe Frau und Kinder, müssen Sie verstehen, und es würde ihnen großen Kummer bereiten, wenn sie von meiner Anwesenheit hier erführen.«
Ja, damit hatte er zweifellos recht. »Ich glaube, Sie sind mit einem Mr. Absalom Pepper bekannt.«
Wieder schüttelte Teaser den Kopf. »Ich habe noch nie von einem solchen Mann gehört.«
Ein Gefühl der Enttäuschung durchfuhr mich, aber dann sagte ich mir, dass Teaser ja schließlich nicht sein richtiger Name war und es keinen Grund zu der Annahme gab, dass Pepper es nicht ebenso halten konnte. »Ein Mann, der mit dem Gewerbe der Seidenweber zu tun hat«, half ich ihm ein. »Der immer ein Buch bei sich trägt, in dem er sich Notizen macht.«
»Ach so.« Teaser blickte interessiert, beinahe erschrocken, auf. »Fräulein Eule. Kennen Sie sie? Wo ist sie?«
»Die Eule«, sagte Mutter Tripper. »Ja, es ist wirklich schon ein paar Monate her, dass wir von ihr gehört haben. Ich habe mir schon ernsthaft Sorgen gemacht.«
»Gibt es etwas Neues von ihr?«, fragte Teaser. »Hat sie Sie zu mir geschickt? Ich bin so besorgt gewesen. Sie ist einfach eines Tages nicht mehr gekommen, und ich habe schon das Schlimmste befürchtet. Ich habe befürchtet, dass ihre Familie hinter unser Geheimnis gekommen ist, denn warum sonst sollte sie mich einfach so im Stich lassen? Sie hätte mir doch wenigstens eine Nachricht zukommen lassen können. Warum hat sie das nur nicht getan?«
Elias und ich sahen einander an. Ich blickte einen Augenblick lang zu Boden, während ich den Mut zusammennahm, Pepper in die Augen zu schauen. »Sie müssen sich auf eine traurige Nachricht gefasst machen. Die Eule, wie Sie ihn nennen, ist nicht mehr.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Mutter Tripper, »Tot? Wie das?«
Teaser saß wie erstarrt da. Seine Augen waren ganz groß und feucht geworden, und dann sank er in seinem Sessel zusammen. In einer theatralischen Geste presste er eine Hand an die Stirn, aber ich bezweifelte nicht, dass seine Gefühle ehrlich waren. »Wie kann sie denn tot sein?«
Diese Verwirrung der Geschlechter begann mir auf die Nerven zu gehen. »Eine ziemlich komplizierte Geschichte«, sagte ich. »Manches davon verstehe ich selber nicht so ganz, aber es gibt einige, die glauben, die East India Company könne dahinterstecken.«
»Die East India Company«, wiederholte Teaser mit einer anrührenden Mischung aus Wut und Verzweiflung. »Oh, habe ich sie nicht davor gewarnt, sich mit denen anzulegen? Aber sie wollte ja nicht hören. Nein, sie wollte partout nicht hören. Die Eule hat immer ihren eigenen Kopf durchgesetzt.«
In Hinblick darauf, dass derjenige, von dem hier die Rede war, zum Zeitpunkt seines Todes mindestens drei Ehefrauen hatte und sich gleichzeitig auch noch mit Männern einließ, konnte ich dieser Einschätzung Peppers nur beipflichten. »Ich weiß, dass das ein furchtbarer Schock für Sie sein muss«, sagte ich, »aber ich möchte Sie dennoch bitten, uns ein paar Fragen zu beantworten.«
»Wozu?«, fragte er, das Gesicht in den Händen vergraben. »Warum sollte ich Ihnen helfen?«
»Weil wir gebeten worden sind herauszufinden, wer diese Gräueltat begangen hat und den- oder diejenigen dem Richter zuzuführen. Können Sie mir nicht sagen, warum die East India Company seinen Tod gewollt haben sollte?«
»Wer hat Sie beauftragt?«, fragte er. »Wer will Gerechtigkeit walten lassen?«
Ich merkte, dass ich mich an einem Kreuzweg befand und eine Umkehr nicht mehr möglich war. Aber ich war die Halblügen und die Täuschungen ohnehin längst leid. Ich war es leid, eine Befragung durchzuführen, bei der ich die Hälfte der Fragen für mich behalten musste, und ich wollte die Sache endlich einmal zu einem Abschluss bringen. Also sagte ich es ihm. »Ein Mann namens Cobb.«
»Cobb?«, sagte Teaser. »Was sollte ihn das angehen?«
Meine geneigten Leser können sich kaum vorstellen, wie sehr ich mich zusammennehmen musste, um nicht von meinem Sessel aufzuspringen. Niemand in London hatte je privat oder geschäftlich von einem Cobb gehört, und ausgerechnet der Intimus eines Mannes mit drei Ehefrauen sprach diesen Namen aus, als wäre er allgegenwärtig. Aber damit Teaser mir auch weiterhin vertraute, musste ich den Anschein der Geschäftigkeit wahren und meine Erregung verbergen.
Also schüttelte ich nur den Kopf. »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen«, erklärte ich beiläufig. »Cobb ist nur der Mann, der mich beauftragt hat. Seine Gründe kennt nur er selber. Aber die Frage ist natürlich interessant. Würden Sie eine Vermutung wagen?«
Teaser erhob sich so plötzlich, als hätte etwas ihn gestochen. »Ich muss gehen. Ich muss mich hinlegen. Ich ... ich möchte Ihnen helfen, Mr. Weaver. Auch ich will, dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt. Das kann ich Ihnen versprechen. Aber im Augenblick kann ich nicht darüber reden. Geben Sie mir etwas Zeit, mich hinzulegen, mich auszuweinen, meine Gedanken zu ordnen.«
»Selbstverständlich«, sagte ich mit einem Seitenblick auf Mutter Tripper, denn sie war schließlich hier die Gastgeberin, und ich konnte nichts über ihren Kopf hinweg entscheiden. Sie nickte zustimmend.
Teaser eilte hinaus und ließ uns drei in betretenem Schweigen zurück.
»Sie haben sich keine große Mühe gegeben, es ihm schonend beizubringen«, sagte Mutter Tripper. »Sie mögen es ja nicht glauben, aber diese Männer empfinden Liebe wie jeder andere auch.«
»Unsinn«, sagte ich. Ich wurde zunehmend gereizter. Mutter Tripper schien das Gefühl zu haben, als wären meine Vorbehalte gegen gleichgeschlechtlich veranlagte Männer die Wurzel allen Übels auf der Welt. »Wenn es darum geht, derart unerfreuliche Nachrichten zu überbringen, habe ich stets die Erfahrung gemacht, dass man es nie feinfühlig genug vorbringt. Es lässt sich ohnehin nicht mehr ändern, also sollte man nicht darum herumreden, damit der Betroffene endlich weiß, woran er ist.«
»Ich merke, dass Sie die Lage nicht begriffen haben. Eule war nicht bloß Teasers Freund oder sein Liebhaber. Eule war seine Frau.«
»Seine Frau«, wiederholte ich mit möglichst ruhiger Stimme.
»Vielleicht nicht in den Augen des Gesetzes, aber ganz bestimmt in den Augen Gottes. Die Ehe ist von einem anglikanischen Priester geschlossen worden, einem Mann, der so ungezwungen und so unbefleckt auf Erden wandelt wie Sie, Mr. Weaver.«
Offensichtlich wusste sie nicht allzu viel über mich, aber ich ließ es gelten. »Die Männer hier heiraten einander?«
»Aber ja doch. Der eine nimmt die Rolle der Frau an, und fortan wird stets in der weiblichen Form von ihm gesprochen.
Diese Ehen sind so ehrlich und so unverbrüchlich wie die zwischen Männern und Frauen.«
»Und traf das auch auf Mr. Teaser und die Eule zu?«, fragte Elias.
»Von Seiten Teasers ganz gewiss«, sagte Mutter Tripper mit einem Anflug von Wehmut. »Aber ich fürchte, die Eule hatte noch weitere Eisen im Feuer.«
»Unter den übrigen Männern?«, fragte ich.
»Und auch unter den Damen, wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Viele Männer, die herkommen, würden am liebsten nie wieder nacktes weibliches Fleisch sehen, aber andere wiederum sind nun einmal auf den Geschmack gekommen und können nicht davon los. So einer war Eule.«
»Diese Enthüllung kommt für mich nicht gänzlich überraschend, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
»Weil Sie meinen, alle Männer müsse es nach weiblichem Fleisch gelüsten?«
»Nein, nicht deswegen. Aus dem Grund, weil Mr. Absalom Pepper, den Sie die Eule nennen, mit mindestens drei Frauen gleichzeitig vermählt gewesen ist. Er war ein Bigamist, Madam, und ich bin überzeugt davon, dass er andere Menschen schamlos für seine Zwecke ausgenutzt hat. Ich glaube, er hat auch Mr. Teaser für irgendetwas gebraucht und hat den armen Kerl verführt, um sein Herz zu erweichen und seine Börse zu öffnen.«
»Ein Mann«, bemerkte Mutter Tripper, »versucht immer, die eine oder andere Börse zu öffnen.« Sie wollte noch mehr sagen, wurde aber von einem lauten Krachen vor der Tür unterbrochen. Ihm folgten erregte Rufe, teils grob und maskulin, teils im Falsett, wenn ein Mann das Kreischen einer Frau nachahmte. Dann hörte ich, wie schwere Gegenstände umstürzten und weitere Rufe, aber diesmal aus tiefen, ehrfurchtgebietenden Stimmen.
»Großer Gott.« Für eine Frau ihres Alters kam Mutter Trip-per bemerkenswert schnell aus ihrem Sessel hoch. Sie war ganz bleich im Gesicht geworden. »Das ist die Polizei. Ich wusste, dass es eines Tages so weit sein würde.«
Sie öffnete die Tür und stürzte nach draußen. Ich hörte eine klagende Stimme rufen, jemand solle um Gottes willen mit etwas aufhören, eine andere rief, jemand solle im Namen des Königs stehen bleiben. Es war schwer zu glauben, dass irgendwas von dem, was da draußen vorging, tatsächlich nach Gottes Willen oder im Namen des Königs geschah.
»Die Sittenreformer«, sagte Elias. »Deswegen waren sie heute Abend unterwegs. Sie haben zusammen mit den Kons-tablern den Überfall vorbereitet. Wir müssen zu Teaser. Wenn man ihn festnimmt, kommen wir vielleicht nie wieder an ihn heran.«
Ich spann den Gedanken zu seinem bitteren Ende weiter. Wenn man Teaser festnahm, wäre er wahrscheinlich tot, bevor wir auch nur versuchen konnten, an ihn heranzukommen, denn die anderen Gefangenen würden einen wie ihn eher erschlagen, als den Platz mit ihm zu teilen.
Ich zog meinen Dolch aus der Scheide und rannte zum Fenster, wo ich kurzen Prozess mit dem Vorhang machte, indem ich ihn in Streifen schnitt, von denen ich einen Elias gab und mir den anderen ums Gesicht wickelte, bis es bis auf die Augen verborgen war.
»Wollen wir den Konstablern ihr Geld abnehmen?«, fragte Elias.
»Willst du erkannt werden? Du wirst es nicht leicht haben, unter den Gentlemen von London noch einen Patienten zu finden, wenn du erst einmal in dem Ruf stehst, ein Sodomiter zu sein.«
Das reichte, um ihn zu überzeugen. Die behelfsmäßige Maske, die ein wenig jenen ähnelte, mit denen ich mich während meiner Jugend ab und zu getarnt hatte, war im Nu um seinen Kopf gewickelt, und gemeinsam stürzten wir uns ins Getümmel.
Zwei maskierte Männer mit gezückten Waffen erregen immer Aufmerksamkeit, und hier verhielt es sich nicht anders. Sowohl die Gäste von Mutter Tripper als auch die Polizisten wichen ängstlich vor uns zurück. Wir drängten uns durch das Gewimmel von Männern, die entweder eine Festnahme vorzunehmen oder sich einer solchen zu widersetzen versuchten und schauten uns überall nach Teaser um, aber es war keine Spur von ihm zu entdecken.
In dem großen Saal, in dem vorhin noch getanzt worden war, herrschte ein heilloses Durcheinander. Einige Männer hatten sich in die Ecken verkrochen, während andere sich mit Leuchterkerzen und abgebrochenen Tisch- und Stuhlbeinen mutig zur Wehr setzten. Überall lagen umgestürzte Möbel und zerbrochenes Glas wie Inseln in den Pfützen von verschüttetem Wein und Punsch. Es waren ungefähr ein Dutzend Konstab-ler - oder Raufbolde, die sich hatten anheuern lassen, um als solche zu fungieren - und ebenso viele Sittenreformer. Ich fand, dass Männer, die den Begriff Sitte auf ihre Fahne geschrieben hatten, sich auch gesittet benehmen sollten, und doch sah ich, wie einer von ihnen auf einen am Boden liegenden Mann eintrat, während zwei Konstabler den Unglücklichen festhielten. Drei oder vier weitere Gäste wurden bei dem Versuch zu entkommen von Konstablern niedergeknüppelt, während die Reformer ihnen aus sicherer Entfernung zujubelten. Die Polizisten waren wüste Schläger und ihre Helfershelfer elende Feiglinge. Das waren mir die richtigen Verteidiger von Recht und Anstand.
»Teaser!«, rief ich in die Menge. »Wer hat Teaser gesehen?«
Niemand hörte oder beachtete mich. Die Gäste hatten andere Sorgen, und die Konstabler konnten sich nicht entscheiden, ob sie uns durchlassen oder festhalten sollten. Jedenfalls unternahm niemand den Versuch, uns zu demaskieren, denn es waren ja genug wehrlosere Opfer da, die man sich vorknöpfen konnte. Die Sittenreformer taten sich dadurch hervor, dass sie gleich zu jammern anfingen, sowie wir auch nur den Blick in ihre Richtung wandten. Da sah man wieder, was von denen zu halten war, die unter dem Deckmantel der Religiosität die Straßen unsicher machten. Sie beriefen sich inbrünstig auf ihren Gott, aber Gefahr laufen, vor ihn zu treten, mochten sie auch nicht.
»Teaser!«, rief ich noch einmal. »Ich muss Teaser finden. Ich bringe ihn hier raus.«
Endlich reagierte einer auf meine Rufe. Zwei Konstabler hielten ihn an jeweils einem Arm fest, und ihm lief Blut aus der Nase. Seine Perücke war verrutscht, saß ihm aber noch auf dem Kopf. Einer der beiden Konstabler wollte seinem Kameraden demonstrieren, wie widerwärtig er ihr Opfer fand, und tat dies, indem er ihm an den Hintern fasste und fest drückte, als handele es sich um eine üppige Dirne.
Das Gesicht des armen Kerls war verzerrt vor Schmerzen und der Demütigung, die ihm widerfuhr, aber als er uns sah, begriff er irgendwie, dass wir nicht seine Feinde waren, und es mochte der mitleidige Blick in meinen Augen gewesen sein, der ihn dazu brachte, die Stimme zu erheben. »Teaser ist entkommen«, rief er. »Er ist mit dem großen Schwarzen vorne zur Tür raus.«
Also strebte auch ich der Tür zu. Ein paar Konstabler wollten sich mir in den Weg stellen, aber ich rempelte sie nur einmal kräftig an, worauf sie gleich umfielen, so dass ich und Elias, der sich dicht hinter mir hielt, ungehindert passieren konnten.
Nachdem wir uns zur Tür des großen Saales hinausgeboxt hatten, lag das Gröbste hinter uns. Zwar verfolgten uns noch drei der Konstabler, aber mehr der Form halber, damit sie hinterher ins Protokoll schreiben konnten, es wäre ihnen nicht gelungen, uns aufzuhalten. Sie verdienten einfach nicht genug, als dass sie ihr Leben hätten riskieren mögen. Es war ein Leichtes, ein Haus wie dieses auszunehmen, aber maskierte Straßenräuber überließ man lieber den Soldaten.
An der Tür hielten ein paar Sittenreformer Wache, aber als sie uns angestürmt kommen sahen, traten sie rasch beiseite. Einer bewegte sich dabei so ungeschickt, dass er mir vor die Füße fiel und ich über ihn hinwegspringen musste, um nicht selber hinzufallen.
Auf der Straße hatte sich eine Menschenmenge eingefunden, die mit uns natürlich nicht recht etwas anzufangen wusste, obwohl unser Erscheinen überwiegend mit trunkenen Jubelrufen gefeiert wurde. Zum Glück führten Stufen zur Tür von Mutter Tripper, und von dort oben konnte ich die Straße nach allen Seiten überblicken. Und da sah ich sie dann - Teaser, den ich trotz der Dunkelheit auf den ersten Blick erkannte, wurde von einem sehr großen und auffällig behänden Mann davongezerrt, dessen Gesicht ich nicht sehen konnte, aber es gab für mich keinen Zweifel, dass es sich bei Teasers Entführer um keinen Geringeren als Aadil handelte.