Im ersten Morgengrauen richtete ich mich im Bett auf. Ich war weder ausgeruht noch erquickt, denn ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern ständig die Ereignisse des vorangegangenen Tages in meinem Kopf hin- und hergewälzt. Ich gab mir vergeblich alle Mühe zu begreifen, was sich abgespielt hatte, und dann stand mir auch noch das unangenehme Zusammentreffen mit Mr. Cobb bevor, bei dem ich ihm beichten musste, dass ich ihn statt um eine Genugtuung reicher um atemberaubende tausend Pfund ärmer gemacht hatte. Und nicht nur das - das Opfer seiner Rache wusste wohl von seinem Vorhaben und hatte den Spieß umgedreht und Mr. Cobb damit noch eine weitere Kränkung zugefügt. Ich war in Gedanken mindestens ein Dutzend Mal alle Möglichkeiten durchgegangen, die als Erklärung herhalten könnten, wie es zu dieser unschönen Wendung kommen konnte, doch bis auf eine einzige überzeugte keine davon. Um aber meinen geneigten Lesern Gelegenheit zu geben, dies nachzuvollziehen, will ich ein wenig zurückgreifen.
Ich stand noch keine zwei Tage in Mr. Cobbs Diensten, als es zu der unerfreulichen Begegnung in Kingsley's Coffee House kam. An einem kalten, doch angenehm sonnigen Nachmittag hatte ich Botschaft von Mr. Cobb erhalten, dass er mich zu sprechen wünsche, und da mich nichts daran hinderte, seinem Wunsche Folge zu leisten, begab ich mich umgehend zu seinem Haus in der Swallow Street, unweit des St. James's Square. Es war ein prächtiges Haus, in einem der neueren Teile der Metropole. Im Vergleich zu so manchen anderen in London waren die Straßen breit und sauber und, zumindest vorläufig, frei von Bettlern und Dieben, obschon ich bald Zeuge werden sollte, wie sich dieser glückliche Umstand änderte.
Obwohl es ein wolkenloser Tag war und eine wärmende Wintersonne mich beschien, waren die Straßen Londons zu dieser kalten Jahreszeit mit Eis und festgetretenem Schnee bedeckt, den allerdings der Ruß aus den Schornsteinen gräulich über braun bis hin zu schwarz verfärbt hatte. Ich konnte mich keine fünf Minuten im Freien aufhalten, ohne dass dieser Ruß sich bereits schwer auf meine Lunge zu legen begann, und nur wenig später bekam ich das Gefühl, eine schmutzige Rußschicht hätte meine ganze Haut bedeckt. Sowie die ersten warmen Tage kommen, pflege ich mich stets für einige Zeit nach außerhalb der Stadtmauern zu begeben, damit meine Lunge sich mittels frischer Landluft reinigt.
Als ich auf das Haus zuging, fiel mir ein Bediensteter auf, der einen halben Häuserblock vor mir mit einem großen Paket unter dem Arm unterwegs war. Er war in eine hellgrüne, mit Rot und Gold abgesetzte Livree gekleidet und trug einen leicht hochnäsigen Gang zur Schau, der verriet, wie stolz er auf die Stellung war, die er im Hause seines Herren innehatte.
Nun, dachte ich so bei mir, es gibt wohl nichts, was so gründlich den Neid der Minderbemittelten erweckt wie der Anblick eines schlichten Bediensteten, der die Nase hoch trägt, und gerade so, als hätte die Umgebung meinen Gedanken aufgegriffen, gewahrte ich, wie sich mindestens ein Dutzend Stra-ßenbengel, die mit einem Male aus den schmalen Nischen zwischen den Häusern zum Vorschein gekommen waren, an die Fersen unseres Lakaien hefteten. Diese vom Schicksal Benachteiligten richteten ihre eigentlich völlig unangebrachte Häme gegen den Unglücklichen und umtanzten ihn wie kleine Höl-lenteufel. Es fiel ihnen dabei nichts Originelleres ein, als ihm zuzurufen, er sei ein Lackel; seht ihn euch doch nur an, er hält sich für 'nen feinen Herrn, der Laffe. Selbst aus sicherer Entfernung konnte ich beobachten, wie der Bedienstete sich verkrampfte, was ich zunächst für ein Zeichen von Angst hielt, obwohl ich rasch eines Besseren belehrt wurde. Die Straßenjungen setzten ihre Verhöhnungstirade noch eine halbe Minute fort, doch dann schoss unvermittelt die freie Hand des Gedemütigten wie eine Schlange vor und packte einen der Bengel bei seinem abgewetzten Kragen.
Ohne jeden Zweifel war der Diener in einem feinen Hause beschäftigt, denn seine Livree war gewaschen und gebügelt -er hatte darin fast etwas Soldatisches an sich. Dazu kam aber, dass der Bursche von eigenwilliger Physiognomie war: Mit seinen weit auseinanderstehenden Augen, seiner unverhältnismäßig kleinen Nase und den grotesk geschürzten Lippen erinnerte er an nichts so sehr wie an eine verwirrte Ente, oder, in diesem Moment jedenfalls, eine verwirrte, gereizte Ente.
Der Knabe, den er sich gegriffen hatte, konnte höchstens acht Jahre alt sein, und seine Kleidung hing in solchen Fetzen, dass es aussah, als würde sie nur von einer Schmutzschicht zusammengehalten. Sein Mantel war zerrissen, und ich vermochte kein Hemd darunter zu erkennen; ein Loch in seiner Hose entblößte seinen Hintern - ein Umstand, der ihm auf der Bühne eines Theaters so manchen Lacher beschert haben würde. Bei einem Bettler im Erwachsenenalter hätte dies äußerst abstoßend gewirkt, bei einem Kind allerdings erweckte er nur Gefühle des Mitleids. Am schlimmsten war es um die Stiefel des Jungen bestellt; sie bedeckten nur den Spann seiner Füße, und als der kräftig gebaute Diener ihn in die Höhe hielt, konnte ich die schmutzigen, mit blutenden Schwielen überzogenen Fußsohlen des Kindes sehen.
Die übrigen Kinder, deren Erscheinungsbild nicht minder abgerissen und verwahrlost war, hüpften schreiend um den Diener herum, beschimpften ihn und bewarfen ihn mit Steinen, was den Mann jedoch unbeeindruckt ließ, gerade so, als wäre er ein Untier aus den Tiefen des Meeres, das durch seinen dicken Panzer gegen eindringende Harpunen gefeit war. Der Knabe in seinem Würgegriff lief indessen feuerrot im Gesicht an und zappelte hin und her wie ein Hängender im Zuchthaus von Newgate bei seinem letzten Tanz in schwebender Höhe.
Der Bedienstete hätte ihn umbringen können. Und warum auch nicht? Wer wollte einen Mann dafür anklagen, dass er einem diebischen Waisenbengel den Garaus machte, die Sorte Landplage, der man kaum mehr Beachtung zollte als einer Ratte? Ich jedoch, wie meine geneigten Leser auf den folgenden Seiten erfahren werden, kann mich zu höchster moralischer Instanz aufschwingen, wenn die Umstände dies erfordern, und das Strangulieren eines Kindes hat seinen festen Platz in der Kategorie dessen, was ich nicht zu tolerieren gewillt bin.
»Lass den Jungen los!«, rief ich. Weder die Kinder noch der Bedienstete hatten mich bisher wahrgenommen, und nun drehte sich alles nach mir um. Aufrechten, entschlossenen Ganges näherte ich mich der Szene, denn ich hatte längst gelernt, dass ein entsprechendes Auftreten einem mehr Gewicht verlieh als die Kraft irgendeines Amtes. »Setz das Kind ab, Mann.«
In seinem Erpelzorn hatte der Bedienstete nur ein verächtliches Schnauben für mich übrig. An der Schlichtheit meines Gewandes und an der Tatsache, dass ich keine Perücke über meinem Haar trug, konnte er gewiss erkennen, dass ich den mittleren Ständen zugehörig war und kein Gentleman, dessen Befehlen widerspruchslos Folge zu leisten wäre. Dennoch war ihm der Tonfall meiner Stimme nicht entgangen, und ich konnte darauf bauen, dass dieser mir eine gewisse Autorität verlieh. Und doch schien er keineswegs eingeschüchtert, sondern im Gegenteil eher nur noch wütender zu werden und drückte, soweit ich es erkennen konnte, noch fester zu, so dass der Junge wohl nur noch wenige Sekunden zu leben haben dürfte, was keinen weiteren Aufschub eingreifenden Handelns mehr duldete. Dementsprechend zog ich meinen kurzen Säbel aus seiner Scheide und richtete die Klinge geradewegs an seinen Hals. Es war mir Ernst, und ich hatte nicht vor, wie ein Tor zu wirken, der leere Drohungen ausstößt.
»Ich werde nicht zulassen, dass der Junge erstickt, während ich eine Entscheidung fälle, ob du mich ernst nimmst oder nicht«, sagte ich. »Wenn du den Knaben nicht binnen fünf Sekunden loslässt, werde ich dich aufspießen. Verfalle nicht auf den Irrtum, ich hätte so etwas nicht schon früher getan, und sei gewiss, dass ich auch in Zukunft nicht davor zurückschrecken werde.«
Die Augen des Mannes zogen sich zu zwei Schlitzen unter seiner vorgewölbten Stirn zusammen. Aber er musste an der Glut meines Blickes erkannt haben, dass ich nicht zu Scherzen aufgelegt war, denn seine verbissenen Züge lockerten sich augenblicklich, und der Junge plumpste aus zwei Fuß Höhe auf die Erde, von wo ihn seine Kameraden rasch fortzerrten. Nur wenige von ihnen warfen mir noch einen Blick zu, während sie sich in sichere Entfernung zurückzogen - weit genug, um nötigenfalls die Flucht ergreifen, nahe genug, um uns im Auge behalten zu können. Nur einer machte eine übertriebene Art Verbeugung, als er rückwärts laufend das Weite suchte.
In den Augen meines Widersachers flackerte erneut mörderische Wut auf. Wenn er sein Mütchen schon nicht an einem Jungen kühlen konnte, dachte er möglicherweise, dann könne er es vielleicht mit mir aufnehmen.
Um ihm zu zeigen, dass ich nichts dergleichen im Sinn hatte, steckte ich meinen Dolch in die Scheide zurück. »Nun fort mit dir«, sagte ich. »Mir fehlen die Worte für einen so niederen Charakter, der sich an Grausamkeiten gegen Kinder ergötzt.« Mein Gegenüber wandte sich den Jungen zu, die uns aus der Distanz beobachteten. »Ihr haltet euch vom Haus fern!«, schrie er. »Ich weiß nicht, wie ihr euch Zugang verschafft, aber ihr bleibt draußen, oder ich drücke jedem Einzelnen von euch die Kehle zu.« Alsdann ließ er sich dazu herab, sein Schwimmvogelgesicht mir zuzuwenden. »Ihr vergeudet Euer Mitgefühl. Es sind Diebe, üble Schlingel, und Ihr gedankenloses Handeln wird sie nur zu weiteren Schurkereien aufstacheln.«
»Ich verstehe. Du bevorzugst es, einen Knaben zu ermorden, bevor er sich zu etwas aufstacheln lässt.«
Der Zorn des Bediensteten ebbte zu einem gärenden Groll ab, der wohl seiner Vorstellung von Gleichmut entsprach. »Wer seid Ihr? Ich habe Euch noch nie in dieser Straße gesehen.«
Ich zog es vor, ihm nicht meinen Namen zu nennen, denn ich wusste nicht, ob mein möglicher Auftraggeber es wünschte, dass seine Verbindung zu meiner Person bekannt würde. Also gab ich stattdessen seinen Namen als Referenz an. »Ich habe geschäftlich mit Mr. Jerome Cobb zu tun.«
Wieder veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Dann kommt mit mir. Ich stehe in Mr. Cobbs Diensten.«
Der Diener gab sich plötzlich alle Mühe, seinen Groll zu unterdrücken und mich bevorzugt zu behandeln, zumindest, bis er abschätzen konnte, von welcher Bedeutung ich für seinen Herrn war. Er führte mich in ein elegantes Stadthaus und bat mich, in einem Zimmer voller mit rotem Samt bezogener und mit Goldtressen verzierter Stühle und Polsterbänke Platz zu nehmen. An den Wänden hingen diverse Porträts in dicken goldenen Rahmen und dazwischen jeweils bodenlange Spiegel, um das Licht besser einzufangen. Zwischen den Bildern und Spiegeln ragten silberne Kerzenhalter aus den Wänden, und der Boden war von einem fein gewobenen, riesengroßen Orientteppich bedeckt. Dem Haus und der Wohngegend nach zu schließen verfügte Mr. Cobb zweifelsohne über beträchtliche Mittel, und die Einrichtung seiner Räume wies ihn mir auch als einen Mann von Geschmack aus.
Es gehört zu den Angewohnheiten der Reichen, diejenigen niederen Standes, so wie mich, eine unangemessen lange Zeit ihre Hacken kühlen zu lassen. Ich habe nie begriffen, warum die Mächtigen im Lande, die, die in diesem Königreich zweifelsohne die Fäden in der Hand halten, ständig ihre Macht unter Beweis stellen müssen, und ich wusste nicht einmal, ob sie diese Macht mir oder sich selber beweisen zu müssen meinen. Doch wie ich bald feststellen durfte, gehörte Cobb auf vielerlei Weise nicht zu dieser Sorte mächtiger Männer. Er ließ mich höchstens eine Viertelstunde warten, ehe er, gefolgt von seinem finster dreinblickenden Diener, persönlich ins Zimmer kam.
»Ah, Mr. Benjamin Weaver. Welch eine Freude, Sir, welch eine Freude.« Er verbeugte sich vor mir und gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich auf dem Stuhl Platz behalten sollte, von welchem ich aufgesprungen war. Ich erwiderte die Verbeugung und setzte mich wieder hin.
»Edward«, sagte er zu seinem Diener, »hole Mr. Weaver ein Glas von unserem vorzüglichen Claret.« Dann wandte er sich mir zu. »Sie trinken doch ein Glas Claret, nicht wahr?«
»Nur, wenn er wirklich so vorzüglich ist«, antwortete ich.
Er lächelte mir zu. Mr. Cobb war ein Mann, der viel lächelte. Ich schätzte ihn auf Ende vierzig; er war ein wenig beleibt, wie die Männer dieses Alters es halt sind, doch, wie ich fand, von angenehmem Äußeren, mit einem freundlichen, faltigen Gesicht und leuchtenden blauen Augen. Eine Frohnatur, wie es schien, aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass man sich vor solchen Frohnaturen besser in Acht nehmen sollte. Manchmal waren sie das, als was sie erschienen, aber manchmal war das leutselige Naturell auch nur aufgesetzt, um einen grausamen Charakter dahinter zu verbergen.
Sowie Edward mir den Wein gereicht hatte - der Claret war in der Tat vorzüglich und wurde in einem reich verzierten Kristallglas kredenzt, in das etwas eingraviert war, das aussah wie ein tanzender Fisch -, nahm Cobb mir gegenüber auf einem der roten Samtstühle Platz, nippte an seinem Wein und schloss genussvoll die Augen. »Ich habe oft mit Wohlwollen über Sie reden hören, Mr. Weaver. Man sagt Ihnen nach, Sie wären genau der Richtige, um etwas Verlorengegangenes wiederzufinden. Und auch, dass Sie sich geschickt zu tarnen wüssten. Kein leichtes Unterfangen für jemanden, über den die Zeitungen so viel zu schreiben haben.«
»Ein Gentleman könnte meinen Namen wissen, ohne mein Gesicht zu kennen«, erwiderte ich. »Nur das schärfste Auge erkennt ein Gesicht ohne die gewohnte Umgebung. Geschickt ausgewählte Perücke und Gewand wirken Wunder, wie ich aus Erfahrung weiß.«
»Ja, über Ihre Beschlagenheit in solchen Dingen ist mir viel zu Ohren gedrungen. Und ebendarum habe ich eine Aufgabe, die ich Sie für mich zu erledigen bitte und die es erfordert, dass Sie in Verkleidung auftreten. Es handelt sich um die Arbeit von nur einem einzigen Abend und verlangt nicht mehr von Ihnen, als dass Sie sich in einen Spielsalon begeben, mit gewissen Damen schöntun und mit ihnen etwas trinken und beim Kartenspiel mitmachen, ohne dabei Ihr eigenes Geld einsetzen zu müssen. Dafür würde ich Ihnen fünf Pfund bezahlen. Nun, was sagen Sie dazu?«
»Wenn jeder Mann auf so angenehme Weise fünf Pfund verdienen könnte, gäbe es in London kaum noch Menschen mit Schulden, würde ich dazu sagen.«
Er lachte und fuhr damit fort, dass er mir von einem gewissen Bailor erzählte, einem Falschspieler, der ihn, Cobb, bei einer Runde das Kartenspiels Cacho auf die unverschämteste Art und Weise betrogen hatte. »Ich kann damit leben zu verlieren«, sagte er, »und ich kann sogar damit leben, als Dummkopf dazustehen, weil ein anderer geschickter war als ich. Aber als ich erfuhr, dass dieser Bailor ein berufsmäßiger Falschspieler ist, war es zu viel des Guten. Ich möchte es ihm heimzah-len.« Sodann erörterte mir Cobb seinen Plan. Jener Bailor würde am folgenden Abend bei Kingsley's zugegen sein, und Cobb hatte bereits mit dem Geber am Cacho-Tisch einen Handel ausgemacht, so dass von mir nicht mehr erwartet wurde, als Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und dafür zu sorgen, dass Bailor mich zu einem Wettspiel herausforderte. Nachdem Cobb mich auch über Bailors Abneigungen informiert hatte, kamen wir rasch überein, dass ich als schottischer Lackaffe auftreten sollte. Cobb stand kurz davor, sich vor Freude selber zu umarmen. »Er wird so ahnungslos in die Falle tappen, dass ich mir wünschte, ich könnte selber dabei sein. Doch ich fürchte, meine Anwesenheit würde ihn argwöhnisch machen, also halte ich mich lieber fern.«
Als ich auf das Geld zu sprechen kam, das ich gegen Bailor einsetzen sollte, sagte Cobb, dass ich mir in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen brauchte. Er zückte seine Brieftasche und entnahm ihr ein beachtliches Bündel Banknoten. »Das sind zwölfhundert Pfund«, erklärte er, ohne allerdings Anstalten zu machen, mir das Geld in die Hand zu geben. »Einen Teil davon werden Sie verlieren, um ihn anzustacheln, aber ich wünsche, dass Sie beim entscheidenden Schlag so nahe an eintausend Pfund Einsatz herangehen wie möglich.« Er behielt das Geld weiterhin fest in der Hand.
»Sorgen Sie sich vielleicht um die Sicherheit Ihres Geldes?«
»Es ist immerhin sehr viel mehr als das, was für Sie dabei herausspringt.«
»Ich glaube, dass selbst in jenen Berichten, die mich am schlechtesten beleumunden, nie davon die Rede war, ich sei ein Dieb oder ein Betrüger. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich mit Ihrem Geld nur so verfahren werde, wie Sie es von mir wünschen.«
»Ja, selbstredend.« Cobb läutete die kleine Glocke, die auf dem Tisch neben ihm stand. Wiederum betrat sein Diener das Zimmer, diesmal in Begleitung eines mürrisch dreinblickenden Mannes in ungefähr meinem Alter, was bedeutete, dass er an die dreißig Jahre alt sein durfte. Entweder hatte er eine niedrige Stirn oder seine Perücke zu weit nach unten gezogen, wobei ich allerdings das Erstere vermutete, denn auch ansonsten waren seine Züge alles andere als vollkommen - eine zu große, klumpige Nase, eingefallene Wangen, ein fliehendes Kinn. Kurz gesagt, er war ein äußerst unattraktiver Mann, der gemeinsam mit Edward, dem Diener ein ausgesprochen unangenehmes Paar abgab. Ich halte nicht viel davon, aus der Physiognomie eine Wissenschaft zu machen, aber die beiden waren so abstoßend, dass ich fast überzeugt war, ihr Charakter müsse ihnen ins Gesicht gezeichnet sein.
»Mr. Weaver, hier sehen Sie Mr. Tobias Hammond, meinen Neffen und treuen Diener Seiner Majestät im königlichen Zollamt.«
Hammond verbeugte sich steif. Ich erhob mich und erwiderte die Geste.
»Er arbeitet im Zollamt Seiner Majestät«, wiederholte sich Cobb.
»Ja«, erwiderte ich.
»Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass er am Zollamt beschäftigt ist«, sagte Cobb.
»Schon gut, Onkel«, sagte Hammond. »Ich glaube, das hat er jetzt verstanden.«
Cobb wandte sich wieder mir zu. »Obwohl, wie Sie schon sagten, ich nie eine glaubwürdige Äußerung vernommen habe, durch die Ihre Ehrlichkeit in Frage gestellt würde, macht es Ihnen hoffentlich nichts aus, dass ich zwei Zeugen hinzugeholt habe, die sehen, dass ich Ihnen zwölfhundert Pfund anvertraue. Ich erwarte von Ihnen, dass sie mir das Geld spätestens am Donnerstagmorgen zurückerstatten - einschließlich sämtlicher Gewinne, die Sie damit gemacht haben. Da diese Gewinne einzig und allein durch meine eigenen Vorbereitungen möglich sein werden, gehe ich doch davon aus, dass Sie keinen prozentualen Anteil daran für sich beanspruchen werden.«
»Natürlich. Und wenn es Ihnen lieber ist, kann ich Ihnen das Geld auch noch am gleichen Abend zurückbringen. Es wäre mir angenehm, es nur so kurz wie möglich in meinem Besitz zu wissen.«
»Damit Sie nicht in Versuchung geraten, sich damit davonzumachen, nehme ich an?« Er lachte über seinen eigenen Scherz.
»Natürlich ist eine so große Summe Geldes verführerisch, aber bisher ist es mir stets gelungen, mich zu beherrschen.«
»Onkel, seid Ihr sicher, dass das klug ist?«, fragte der Neffe, Mr. Hammond aus dem Zollamt.
»Oh, das bin ich gewiss«, antwortete Cobb.
Hammond verzog sein komisches Gesicht zu einer noch hässlicheren Fratze des Missbehagens. Er wandte sich dem Diener zu. »Das wäre dann alles, Edmond.«
Edmond. Cobb, so fiel mir auf, hatte ihn Edward genannt. Sowie der Diener gegangen war, sah mich Hammond aus strengen braunen Augen an.
»Ich habe vernommen, dass dieser Mr. Weaver einen akzeptablen Ruf genießt«, sagte er, »aber es kann kein vernünftiges Unterfangen sein, einem Mann eine solche Summe anzuvertrauen, die mehr darstellt, als er bei allem guten Willen in einem Zeitraum von mehreren Jahren zu verdienen hoffen könnte.«
»Es ist eine beträchtliche Summe«, pflichtete ich ihm bei. »Aber wenn ich sie stehlen wollte, würde das heißen, dass ich mich verstecken, meinen guten Namen aufgeben und auf alle Aussichten, mir auch noch in Zukunft etwas zu verdienen, verzichten müsste. Wenn es jedoch nach diesem Auftrag die Runde macht, dass man mir diese Summe anvertraut hat und ich Mr. Cobbs Vertrauen nicht enttäuscht habe, kann mein Einkommen in Zukunft nur noch größer werden. Und außer-dem war dies Mr. Cobbs Einfall und nicht der meine. Ich habe nicht darum gebeten, dass mir ein solches Vertrauen entgegengebracht wird, und ich werde auch nicht darauf bestehen, das Geld an mich zu nehmen.«
»Wenn es mein Geld wäre, würde ich ihn einen Schuldschein dafür unterschreiben lassen«, meinte Hammond.
»Wenn es dein Geld wäre, könntest du damit machen, was du für richtig hältst, so, wie ich mit meinem Geld verfahre.« Aus Cobbs Worten war keine Spur von Verstimmung herauszuhören. Im Gegenteil, er klang gut gelaunt, als wäre es unmöglich, ihn zu reizen. »Was bedeutet schon ein Stück Papier, wenn man Zeugen hat. Der gute Ruf, der Mr. Weaver vorauseilt, bürgt besser für mein Geld als jeder Fetzen.«
»Wie Ihr wünscht, Sir.« Hammond zog sich mit einer Verbeugung zurück.
Während der nächsten halben Stunde erzählte mir Cobb noch mehr von dem, was er über Bailor wusste, und instruierte mich auch, was ich zu ihm sagen sollte, sowie ich ihm seine Niederlage beigebracht hatte. Ich war zuversichtlich, meine fünf Pfund mit Leichtigkeit verdienen zu können, doch gleichzeitig beschlich mich ein ungutes Gefühl, denn niemand kann zwölfhundert Pfund in bar mit sich herumtragen und sich dabei wohl in seiner Haut fühlen. Ich hatte nur den Wunsch, zu tun, was mir aufgetragen ward, und dann schnellstmöglich das Geld zurückzuerstatten.
Als ich das Haus verließ, sah ich, dass der Diener an der Tür darauf gewartet hatte, dass ich ging. Sein misstrauischer Blick folgte mir; er schien sich vergewissern zu wollen, dass ich auf dem Weg nach draußen nicht noch etwas mitgehen ließ. Ich konnte mir kaum ausmalen, was mich dazu treiben sollte, nachdem sein Herr mir eine solche Summe anvertraut hatte, die ich nur auszugeben brauchte.
Bevor ich ihm den Rücken kehrte, sprach ich ihn noch einmal an. »Mr. Cobb hat Sie Edward genannt, aber Mr. Ham-mond hat Sie mit Edmond angesprochen. Was ist denn nun richtig?«
»Edgar«, sagte er und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Nach allem, was ich über Cobbs Plan wusste, kam nur eine Schlussfolgerung in Betracht: Der Mann, der die Karten gab, hatte die Sache an Bailor verraten. Dieser Mann war, wenn ich es recht verstanden hatte, neben Cobb, Hammond und mir der Einzige, der in alles eingeweiht war, und da er die Karten gab, konnte niemand sonst einen so unglücklichen Ausgang in die Wege geleitet haben. Es war durchaus möglich, dass Bailor ihm angeboten hatte, ihn kameradschaftlich an seinem Gewinn zu beteiligen. Ich dachte schon daran, mir den Schurken vorzuknöpfen und ein Geständnis aus ihm herauszuprügeln, bevor ich zu Mr. Cobbs Stadthaus zurückkehrte, aber mein Verstand hielt mich davon ab. Gewiss war es richtig, dass der Geber die Karten zu Gunsten von Bailor manipuliert haben konnte, aber das vermochte ich nicht zu beweisen, also brauchte ich mehr Informationen, bevor ich zur Tat schritt. Dass die Komplizenschaft des Gebers die naheliegendste Erklärung darstellte, hieß allerdings noch nicht, dass dies die einzige Erklärung war. Ich war Zeuge geworden, wie sowohl sein Diener als auch sein Neffe sich Mr. Cobb gegenüber feindselig gezeigt hatten, und es lag zumindest im Bereich des Möglichen, dass einer der beiden seine Finger im Spiel hatte.
Wenn ich meine Ehre retten wollte, würde mir nichts anderes übrig bleiben, als zu Mr. Cobb zurückzugehen, ihm alles zu erzählen, was sich zugetragen hatte, und ihm dann von mir aus anzubieten, nicht nur seinen Schaden wiedergutzumachen, sondern auch herauszufinden, was an seinem Plan schiefgegangen war. Es gab so vieles, was ich über den Mann nicht wusste, und ich konnte mich keinesfalls darauf verlassen, dass er alles mit Umsicht durchdacht hatte. Zum einen war es möglich, dass er in seiner törichten Vorfreude nicht den Mund ge-halten hatte und dass etwas von seinem Plan auf Umwegen zu Bailor durchgesickert war. Doch wie gesagt, es erschien mir vorerst nicht klug, diese Spur ohne zusätzliche Informationen zu verfolgen.
Auf mein Klopfen wurde mir sofort von dem Diener die Tür geöffnet. Er begrüßte mich mit einem höhnischen Grinsen auf seinen wie zu einem Schnabel geschürzten Lippen. »Weaver, der Jude«, sagte er.
»Edgar, der kinderschändende Stiefellecker, den niemand bedeutsam genug findet, um sich seinen Namen zu merken«, gab ich zurück, denn ich war wütend und müde und hatte keine Lust, mich mit dem Mann auf Spielchen einzulassen.
Er führte mich sogleich wieder in das Zimmer mit den vielen Sitzmöbeln, wo ich diesmal - nun, wohl eine gute Dreiviertelstunde warten musste, wobei jedes Ticken der Standuhr mir wie eine Ohrfeige vorkam. Ich fühlte mich wie ein Patient, der auf den Arzt wartet, damit der ihm seine Nierensteine herausnimmt - ich fürchtete mich vor dem Eingriff, wusste aber um seine Unvermeidbarkeit und wollte ihn lieber früher als später hinter mir haben.
Endlich erschien Edgar und führte mich in den Salon. Mr. Cobb stand, in gesetztes Braun gekleidet, mitten im Raum und lächelte mit dem Eifer eines Kindes, das eine Süßigkeit erwartet. In einer Ecke lauerte, die Knollennase in eine Zeitung gesteckt, Mr. Hammond in einem Sessel. Er hob kurz den Blick, als ich eintrat, nahm aber dann ohne ein Wort seine Lektüre wieder auf.
»Ich schätze, Sie haben Neuigkeiten für mich, Sir«, begrüßte mich Cobb. Er rieb sich erwartungsvoll die Hände.
»In der Tat«, sagte ich, nachdem er sich gesetzt hatte. »Aber es sind keine erfreulichen Neuigkeiten.«
»Keine erfreulichen Neuigkeiten.« Sein Lächeln erstarrte. »Aber Sie haben doch noch das Geld?«
Nun erst erweckte meine Anwesenheit Hammonds Interesse.
Er legte seine Zeitung hin und starrte mich wütend an, wobei seine Augen, wie bei dem eingezogenen Kopf einer Schildkröte, gerade eben unter seiner Perücke hervorlugten.
»Leider nicht«, sagte ich zu Cobb. »Es ist etwas ganz fürchterlich danebengegangen, Sir, und obwohl es mir überhaupt nicht liegt, nach Entschuldigungen für mich selbst zu suchen, habe ich an dieser Angelegenheit nichts ändern können. Es ist denkbar, dass Sie von dem Angestellten von Kingsley's hintergangen worden sind, denn die Karten, die ich von ihm bekam, hielten nicht, was ich mir von ihnen versprochen hatte, und nachdem alles vorüber war, zeigte er keinerlei Anzeichen von Betroffenheit. Ich habe über die Geschehnisse des gestrigen Abends lange nachgedacht, und ich glaube ...«
»Wie ich es prophezeit habe«, sagte Hammond fast gleichmütig. »Der Jude hat unser Geld genommen.«
»Es ist durch Perfidität verloren gegangen«, verteidigte ich mich und gab mir dabei größte Mühe, weder arrogant noch verbittert zu klingen. »Doch darf ich Ihnen versichern, nicht durch meine.«
»Wäre auch kaum denkbar, dass Sie es uns sagen würden, wenn es sich anders verhielte«, knurrte Hammond triumphierend.
Cobb jedoch warf ihm einen Blick zu, dass er sich zurückhalten solle. »Wenn Sie das Geld gestohlen hätten, wären Sie ja kaum hier, um uns davon zu erzählen«, sagte er.
»Pah«, ließ sich Hammond vernehmen. »Er will sich zusätzlich zu dem, was er eingesackt hat, wohl noch seine fünf Pfund Bezahlung abholen. Ein feines Schlitzohr, muss ich sagen.«
»Unsinn«, sagte Cobb, mehr zu mir als zu seinem Neffen. »Nichtsdestotrotz haben Sie es verloren, was Sie in meinen Augen zwar nicht verachtenswert macht, was ich Ihnen aber kaum verzeihen kann.«
»Ja, ich habe es verloren, und obwohl ich die Schuld daran nicht bei mir selber suchen kann, betrachte ich mich sowohl als hintergangen als auch irgendwie für den Verlust verantwortlich. Ich versichere Ihnen, dass ich keine Ruhe geben werde, bis wir herausfinden, wer .«
»Sie versichern mir?«, wiederholte Cobb. Seine Stimme klang eine Spur düsterer. »Ich habe Ihnen dieses Geld anvertraut, und Sie haben mir versichert, mein Vertrauen nicht zu enttäuschen. Ich fürchte, Ihre Versicherungen halten nicht ganz das, was ich mir von ihnen versprochen habe.«
»Jeder hätte vorhersagen können, dass es so ausgeht«, meldete sich noch einmal Hammond zu Wort. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich meine warnende Stimme erhoben.«
»Ich habe Ihr Vertrauen nicht missbraucht«, sagte ich zu Cobb und spürte, wie auch in mir die Wut hochzukochen begann. Ich war schließlich ebenso sehr aufs Kreuz gelegt worden wie er und mochte mir seine Andeutungen nicht länger anhören. »Ich muss darauf hinweisen, dass es Ihr eigener Plan war, in dem von Anfang an der Wurm steckte. Aber das spielt jetzt keine Rolle, denn ich bin fest entschlossen .«
»Mein Plan, sagt er«, unterbrach mich Cobb. »Sie erweisen sich als ganz schön unverschämt, Weaver. Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet. Nun, seien Sie so unverfroren, wie Sie wollen, aber sobald Sie mit Ihren Bemühungen fertig sind, mir diesen Verlust schmackhaft zu machen, werden Sie mir doch wohl zustimmen, dass Sie mir zwölfhundert Pfund schulden.«
Hammond nickte. »Ganz recht. Und er muss die Schuld augenblicklich begleichen.«
»Die Schuld begleichen? Zunächst muss ich in Erfahrung bringen, wer Ihnen das Geld abgenommen hat, und dazu brauche ich Ihre Hilfe. Wenn Sie sich einen Moment Zeit nehmen, meine Fragen zu beantworten, können wir, glaube ich, herausfinden, wem wir den Verlust zu verdanken haben.«
»Was ist das? Ein Versuch, alles zu vernebeln?«, warf Hammond ein. »Sie haben versprochen, das Geld heute früh zurückzubringen. Das haben Edward und ich mit eigenen Ohren gehört. Versuchen Sie es jetzt nicht mit irgendwelchen lumpigen Ausflüchten. Sie haben eine beträchtliche Menge Geldes entweder entwendet oder verloren, und nun wollen Sie eine hochnotpeinliche Befragung meines Onkel durchführen? Ihren Nerv möchte ich haben, mein Lieber.«
Cobb schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, mein Neffe hat recht, Mr. Weaver. Ich wäre ein schlechter Verwalter meiner Finanzen, wenn ich bei dieser Schuld ein Auge zudrücken würde. Leider muss ich darauf bestehen, dass Sie mir, wie zugesagt, heute früh das Geld zurückerstatten. Wenn Ihnen das nicht möglich sein sollte, bleibt mir keine andere Wahl, als einen Haftbefehl gegen Sie zu beantragen.«
»Einen Haftbefehl?« Ich hatte das Wort lauter, als ich beabsichtigt hatte, ausgestoßen, aber es fiel mir zunehmend schwerer, mich im Zaume zu halten. »Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein.«
»Es ist mein voller Ernst. Haben Sie das Geld nun zur Verfügung oder nicht?«
»Das habe ich nicht«, sagte ich mit so unerbittlicher Stimme, als wären es die letzten Worte eines Straßenräubers unter dem Galgen. »Und wenn ich es hätte, würden Sie es nicht bekommen.« Ich hatte erwartet, dass Cobb sehr unzufrieden mit dem Ausgang unseres Vorhabens sein würde, aber nie im Leben, dass er mich auf eine solche Weise behandeln könnte. Schließlich war es der Dritte im Bunde gewesen, der ihn hintergangen hatte. Trotzdem führte kein Weg daran vorbei, dass ich mich in einer prekären Situation befand, denn er konnte zwei Zeugen vorweisen, die schwören würden, dass sie mein Versprechen, das Geld zurückzuerstatten, gehört hatten, und dieses Versprechen konnte ich nun nicht einlösen.
Aber so lagen die Dinge eben, und Cobb erhob seine maßlosen Forderungen. Also begann ein Verdacht in mir zu keimen. Es steckte mehr dahinter, als es auf den ersten Blick erschien. Cobb hatte dafür gesorgt, dass zwei Zeugen bestätigen konnten, ich hätte zugesagt, das Geld zurückzubringen, aber sie hatten nicht gehört - darauf zumindest konnte ich jeden Eid ablegen -, was über den geplanten Verlauf des Abends bei Kingsley's besprochen worden war.
»Wollen Sie etwa andeuten«, hob ich an, »dass ich das Geld auftreiben oder aber ins Gefängnis gehen soll? Wie kann das in Ihrem Interesse liegen, wenn ich nicht derjenige bin, der Sie betrogen hat? Ich kann Ihnen Ihren Verlust nicht erstatten, wenn ich ins Gefängnis gehe!«
»Nichtsdestotrotz ist das die Situation, in der Sie sich befinden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht richtig.« Und dabei dachte ich nicht einmal an die rechtliche Sachlage, sondern vielmehr an die Logik hinter Cobbs Handeln. Warum bestand er darauf, dass ich ihm auf der Stelle sein Geld zurückgab? Der einzige Grund, der mir dafür einfiel, verschlug mir beinahe den Atem. Ich konnte nicht umhin, den Schluss zu ziehen, dass nicht nur der Geber, sondern auch Bailor in Cobbs Diensten gestanden hatte. Das Geld war keineswegs verloren, war keineswegs geopfert worden - sondern ich.
»Sie erklären, dass Sie von mir Geld sehen wollen oder ich ins Gefängnis gehe«, sagte ich. »Und doch bin ich sicher, dass Sie mir noch eine dritte Möglichkeit vorzuschlagen beabsichtigen.«
Cobb lachte auf. »Es stimmt schon, dass ich es nur höchst ungern sähe, wenn ein Mann von Ihren Fähigkeiten durch eine solche Schuld, die er gewiss nie wird abtragen können, in den Ruin getrieben würde. Daher bin ich gewillt, Sie die Schuld abarbeiten zu lassen - etwa so, wie Deportierte in der Neuen Welt das Land, das sie beackern, durch ihrer Hände Arbeit abzahlen.«
»Richtig«, pflichtete Hammond ihm bei. »Wenn er das Geld nicht zurückzahlen kann und nicht ins Gefängnis will, muss er die dritte Möglichkeit wählen - die nämlich, von heute an unser Diener zu sein.«
Ich erhob mich von meinem Stuhl. »Wenn Sie glauben, dass ich mir eine solche Behandlung gefallen lasse, irren Sie sich.«
»Ich werde Ihnen sagen, was wir glauben. Mr. Weaver«, antwortete Hammond, indem er sich erhob, um nicht zu mir aufblicken zu müssen. »Wir glauben, dass nicht Sie darüber zu entscheiden haben, welche Behandlung Sie sich gefallen lassen müssen. Nun setzen Sie sich wieder hin und hören Sie zu.«
Er nahm wieder Platz. Ich nicht.
»Bitte«, sagte Cobb mit etwas gemäßigterer Stimme. »Ich verstehe ja Ihren Zorn, aber Sie müssen wissen, dass ich nicht Ihr Feind bin und Ihnen auch nichts Böses will. Ich habe mich lediglich auf eine etwas verlässlichere Weise Ihrer Dienste versichern wollen.«
Ich wollte mir das nicht länger anhören. Ich eilte an ihm vorbei in die Halle hinaus. Edgar stand grinsend neben der Tür.
Hinter mir hörte ich wieder Cobbs ruhige, gemessene Stimme: »Wir werden die Einzelheiten festlegen, sobald Sie wieder hier sind. Ich weiß, was Sie jetzt tun müssen, und ich erwarte auch nichts anderes von Ihnen, aber wenn Sie damit fertig sind, werden Sie wieder zu mir kommen. Ich fürchte, Ihnen bleibt keine andere Wahl, und das werden auch Sie bald begreifen.«
Er sprach die Wahrheit. Ich hatte keine andere Wahl. Ich glaubte nur, dass ich eine hätte. Ich ahnte, dass ich vor einer schwierigen Aufgabe stand, dass mir aber kein Ausweg blieb. Aber ich ahnte nicht, dass ich in weit größeren Schwierigkeiten steckte, als es bisher den Anschein gehabt hatte.