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Ich versprach es ihm, aber ich hatte dabei das Gefühl, als verspräche ich jemandem, sein Lotterielos würde ihm ein Vermögen einbringen. Noch schlimmer - eine Lotterie, ein Glücksspiel kann man manipulieren, wie ich nur zu gut wusste, aber ein Zusammentreffen mit dem König ließ sich nicht durch irgendwelche Machenschaften herbeiführen. Aber das Versprechen zahlte sich aus, denn zwei Abende später fand ich mich auf dem Gemüsemarkt westlich des Geländes der East India Company ein, wo ich so tat, als untersuche ich die Qualität herabgesetzter Kohlköpfe, die während des Tages keinen Käufer gefunden haben und die für einen gewitzten Kunden, der auf Sauberkeit nicht allzu viel Wert legte und sich an einer Made zwischen den Blättern nicht störte, ein gutes Angebot darstellten. Im Verlaufe des Nachmittags hatte es sich merklich abgekühlt, und ich strich mit meinen Handschuhen über eine Vielzahl von Gemüsesorten, wobei ich mit gespielter Enttäuschung die Augen verdrehte. Ich war besser gekleidet als die meisten, die hier ein günstiges Abendessen zu ergattern trachteten und erweckte dementsprechend mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb war, also war ich mächtig froh, als es losging.

Ein paar Minuten, bevor es acht Uhr schlug, hörte ich eine Frau angsterfüllt aufschreien, und ich wusste, dass Devout Hale und seine Männer ihren Teil unseres Abkommens erfüllt hatten. Zusammen mit den anderen späten Käufern, von denen mehrere die Ablenkung dazu benutzten, den Markt zu verlassen, ohne für ihr schäbiges Grünzeug bezahlt zu haben, lief ich hinaus auf die Leadenhall Street und wurde Zeuge, wie ein Haufen von etwa dreißig oder vierzig Seidenwebern vor dem Gelände der East India Company in ihren viel zu dünnen Übermänteln in der Kälte ausharrten. Ein halbes Dutzend von ihnen hielt Fackeln in die Höhe, und ein weiteres halbes Dutzend oder so bewarf die das Gelände umgebende Mauer mit Steinen oder faulen Äpfeln. Sie brüllten der Umfriedung allerhand Verwünschungen entgegen, behaupteten, die Company verhalte sich unfair gegenüber einfachen Arbeitern, wolle ihnen die Löhne kürzen, ihre Absatzchancen verschlechtern und den guten englischen Geschmack mit fernöstlichen Luxusgütern korrumpieren. Aber auch Frankreich wurde nicht geschont, denn der Engländer muss erst geboren werden, der ohne eine verächtliche Bemerkung über jene Nation in den Ausstand zu treten weiß.

Obwohl so mancher Grund hätte, sich über die Langsamkeit zu beklagen, mit der die Mühlen der englischen Justiz mahlten, kam mir diese Trägheit in unserem Falle sehr zupass, denn um die Seidenweber dazu zu bringen, sich zu zerstreuen, hätte ein Konstabler eines Friedensrichters bedurft, der mutig genug war, um sich vor die Menge zu stellen und ihnen laut den Ge-setzesparagrafen betreffs unerlaubter Zusammenkünfte vorzulesen. Von diesem Punkt an blieb den Aufständischen genau eine Stunde, ehe die Armee hinzugerufen wurde, um den gewaltsamen Aufruhr zu beenden - ironischerweise durch Anwendung von Gewalt. Es war ein althergebrachtes System, aber eines, das sich über die Jahre als praktikabel erwiesen hatte, denn oft genug hatte sich gezeigt, dass das Abfeuern einer Muskete auf einen oder zwei Unruhestifter die Übrigen dazu brachte, schleunigst das Weite zu suchen.

Devout Hale hatte mir zugesagt, dass er und seine Männer so lange in meinem Sinne meutern würden, bis es zu gefähr-lich für sie wurde. Um meinetwillen würden sie kein Musketenfeuer über sich ergehen lassen, aber bis dahin würden sie damit fortfahren, mit toten Ratten um sich zu werfen.

Mehr konnte ich nicht von ihnen verlangen, und wenn auch ich mich in Sicherheit wiegen wollte, musste ich in das Gelände eindringen, mir greifen, was Cobb von mir haben wollte und meinen Rückzug antreten, bevor die Soldaten eintrafen. Daher schob ich mich durch die Menge, schwitzte unter der Glut der brennenden Fackeln, roch den kalten Schweiß der Arbeiter und eilte dann um die Ecke der Lyme Street. Die Dunkelheit hatte nun vollends eingesetzt, und da sämtliche Passanten sich dem Spektakel zugewandt haben durften und die Wachposten im Inneren der Mauer sich auf eine Belagerung durch die Seidenweber vorbereiteten, konnte ich hoffen, unbemerkt die Mauer zu überwinden. Im Falle meiner Entdeckung, so hatte ich entschieden, würde ich erklären, von einem übereifrigen Streikenden verfolgt worden zu sein, der meinte, ich hätte etwas mit der East India Company zu tun. Da das Unternehmen mir schließlich all dies Ungemach eingebrockt hätte, würde ich nun erwarten, dass es mir auch in der Stunde der Not beistand.

Um aber meine Erklärung glaubwürdig wirken zu lassen, durfte ich keinerlei Einbruchswerkzeug mit mir führen, denn ein unschuldiger Schaulustiger hatte selten solche Gerätschaften zur Hand. Stattdessen überwand ich die Mauer auf primitivere Art und Weise, so nämlich, wie sie Knaben und Amateure des Fachs praktizierten. Ich hatte mir tagsüber ein Bild von der Umgebung gemacht und dabei zahlreiche Risse und Sprünge in der Mauer entdeckt, die sich als Halt für Hände und Füße anboten. Die größte Schwierigkeit bei dieser Kletterpartie über die zehn Fuß hohe Mauer bestand darin, den ziemlich schweren Sack zu halten, den ich bei mir trug und in dem sich, unzufrieden ob ihres Loses, allerhand Lebewesen wanden und krümmten.

Nichtsdestotrotz gelang es mir, obwohl ich den Sack abwechselnd in der Hand und zwischen den Zähnen halten musste, während ich mich die äußere Mauer hochwuchtete. Dann blieb ich einen Moment lang flach liegen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ganz meiner Vermutung entsprechend hatten die meisten der Wachmänner ihre Posten verlassen und betätigten sich nun in der männlichen Kunst, den Aufständischen Beschimpfungen zuzurufen, während diese ihnen Kadaver um die Ohren fliegen ließen. Doch es war nicht nur Geschrei zu vernehmen, sondern auch ein unaufhörliches metallisches Klappern - die empörten Seidenweber mussten sich irgendwie Trommeln besorgt haben; ein kluger Gedanke, denn je mehr Aufhebens und Lärm sie erzeugten, desto besser standen für mich die Möglichkeiten, ungestraft hinein- und wieder hinauszugelangen.

Dabei erwies es sich als schwieriger, die Mauer hinunterzu-klettern, als sie zu erklimmen, doch dann sprang mir ungefähr zwanzig Fuß weiter südlich ein kleiner Hügel ins Auge, der nur einen Sprung aus der ungefähren Höhe meiner Hüfte erforderlich machte, also glitt ich einer Schlange gleich auf die Stelle zu und bereitete mich darauf vor, das Gelände zu betreten.

In diesem Augenblick entdeckten mich die Hunde. Fünf drachenköpfige Mastiffs mit schrecklichen Fängen sprangen unter ohrenbetäubendem Bellen vor und wollten sich auf mich stürzen, aber ich griff in meinen sperrigen Leinensack, holte den ersten der drei Hasen hervor, die ich am Nachmittag auf dem Markt gekauft hatte, und warf ihn in den Hof. Kaum hatte der Hase sich so recht besonnen, da sah er auch schon die Hunde auf sich zurasen und flitzte davon. Er war im Vorteil, denn in dem Sack hatte er es schön warm gehabt, und die Hunde waren sichtlich steif von der abendlichen Kälte. Drei von ihnen nahmen die Verfolgung des Hasen auf, also setzte ich noch einen zweiten Hasen frei, dem die verbliebenen zwei Hunde nachhetzten. Den dritten Hasen behielt ich vorerst, denn ich nahm an, dass er mir auf meinem Rückzug noch von erheblichem Nutzen sein würde.

Dann ließ ich mich von der Mauer rutschen und federte mich gekonnt mit den Knien ab. In gebückter Haltung schlich ich mich zwischen die Lagerschuppen und das Craven House. Nun gestaltete sich mein Vorhaben zunehmend schwieriger, denn hier war alles erleuchtet, und obwohl ich mich so weit als möglich wie ein echter Gentleman gekleidet hatte, damit niemand, der mich sah, gleich vor mir davonlief, musste ich doch davon ausgehen, dass den Angestellten und Arbeitern im Haus ein fremdes Gesicht auffallen würde. Ich konnte nur hoffen, dass die meisten von ihnen bereits nach Hause gegangen waren - obwohl man mir zu verstehen gegeben hatte, dass die Angestellten der East India Company häufig Überstunden machen mussten - und dass die noch Anwesenden in einer Mischung aus Amüsement und Besorgnis den Weberaufstand verfolgten.

Ich huschte durch einen Garten, wobei ich mich, so weit es ging, im Schatten hielt, bis ich zu einer Hintertür gelangte, die wie ich annahm, in eine Küche oder eine ähnliche Räumlichkeit führte. Doch mir standen zwei Überraschungen bevor. Die erste bestand darin, dass die Tür nicht in eine Küche, sondern in einen Versammlungsraum führte, in dem wohl sechzig bis siebzig Personen aufrecht stehend Platz gefunden hätten, vorausgesetzt, dass nicht zu viele von ihnen besonders fettleibig waren. Hier fanden, wie ich vermutete, Auktionen für ausgewählte Kunden und Aktiengeschäfte statt, doch zu dieser abendlichen Stunde hielt sich natürlich niemand mehr in dem Saal auf, so dass ich mir bequem Zutritt verschaffen konnte.

Weniger erfreulich war allerdings, dass an der Tür eine Glocke befestigt war, die jedem, der die Ohren aufsperrte, mitteilte, dass jemand den Raum betreten hatte.

Ich versteckte mich rasch auf der der Tür gegenüberliegenden Seite in einer schmalen Nische zwischen zwei Bücher-regalen und konnte mir nur wünschen, dass niemand mit einer Kerze kam, um nachzusehen. Aber es interessierte sich keiner für die Glocke, und nachdem ich mich ein paar Minuten lang im Dunkeln verborgen hatte, ging ich davon aus, dass ein Kommen und Gehen in diesem Raum nichts war, was die Angestellten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte. Am liebsten hätte ich natürlich den Schluss gezogen, dass sich außer mir überhaupt niemand mehr im Gebäude aufhielt, doch diese Hoffnung konnte ich sogleich wieder begraben, als ich über mir knarrende Schritte vernahm.

Ich zog meinen Mantel aus und stellte den Sack mit dem Hasen beiseite, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass er fest verschnürt war. Dann bereitete ich mich darauf vor, ins Herz des Gebäudes vorzudringen. Cobb hatte mich gnädigerweise darüber aufgeklärt, wie ich zu dem Büro fände, aus dem ich etwas stehlen sollte, denn er wusste, dass es sich in der südöstlichen Ecke der ersten Etage befand - mehr aber auch nicht, und nun durfte ich mich zunächst auf die Suche nach der Treppe machen. Ich schlich mich an den Wänden entlang, bis ich wiederum vor einer Tür stand. Ich wertete es als gutes Zeichen, dass durch die Ritzen kein Lichtschimmer drang, drückte die Klinke herunter und fand die Tür unverschlossen vor. Für den Fall der Fälle war ich darauf vorbereitet, so zu tun, als wäre ich in wichtigen Geschäften im Craven House und nicht als Einbrecher.

Am anderen Endes des Raumes gab es wiederum eine Tür, hinter der kein Lichtschimmer auszumachen war. Ein weiteres Mal nahm ich meinen Mut zusammen und öffnete sie; nun befand ich mich in einem Korridor. Ich schien auf dem richtigen Wege zu sein. Obwohl ich mich ja im Stockdunkeln zurechtfinden musste, hatte ich noch eine ungefähre Vorstellung davon, auf welcher Seite sich die Vorderfront des Gebäudes befand, wo ich vermutlich auch die Treppe finden würde. Ich hatte beinahe den halben Korridor hinter mich gebracht, als ich plötz-lich von einem Licht geblendet wurde. Nachdem ich ein paar Mal geblinzelt hatte, erkannte ich eine junge Frau, die mit einer Kerze in der Hand auf mich zukam. Selbst in dieser Finsternis war nicht zu übersehen, dass sie ziemlich hübsch war -ihre Haube bedeckte ihr schwarzes Haar nur teilweise, und sie hatte dunkle, ausdruckslose Augen, deren Farbe ich natürlich nicht erkennen konnte. Und obwohl ich wirklich wichtigere Dinge im Sinn hätte haben sollen, konnte ich doch nicht umhin, ihre frauliche Figur zu bewundern, die man auch unter dem schlichten Kleid, das sie trug, erkennen konnte.

»Ach, da sind Sie ja«, begrüßte sie mich. »Ich fürchtete schon, Sie könnten wegen des elenden Pöbels da draußen gar nicht aufs Gelände gelangen, aber Sie sind wohl gewitzter, als ich gedacht habe.«

Ich war drauf und dran, sie zu fragen, ob sie von Cobb geschickt war, hütete aber meine Zunge. Wenn Cobb eine Frau ins Craven House einschleusen konnte, damit sie ihm die Kastanien aus dem Feuer holte, hätte er meiner ja gar nicht bedurft. Nein, hier handelte es sich offenbar um eine Verwechslung. »Ich möchte gar nicht daran denken, wer Sie auf den Einfall gebracht haben könnte, ich sei nicht gewitzt«, sagte ich zu ihr.

In der Dunkelheit sah ich, wie sie ganz große Augen machte. »Sie müssen sehr entschuldigen, Sir. Ich habe Sie für jemand anderen gehalten.« Ich hatte das Gefühl, dass sie auch rot anlief. Auf jeden Fall war es ihr fürchterlich peinlich.

Mir lag bereits eine weitere schlagfertige Replik auf der Zunge, aber ich hielt es für besser, vorerst nichts weiter zu sagen. Schließlich sollte sie mich für einen Angestellten der East India Company halten, und diese Rolle musste ich jetzt spielen, nicht die Rolle des Mannes, der zufällig einer liebreizenden jungen Dame begegnet. »Machen Sie nächstes Mal die Augen auf«, sagte ich und drängte mich auf die unwirsche Art und Weise, von der ich hoffte, dass sie unter den männlichen Angestellten im Craven House gang und gäbe war, an ihr vorbei.

»Sir«, rief sie hinter mir her, »Sir, warten Sie doch einen Moment.«

Mir blieb nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben, denn wenn ich vor ihr davongerannt wäre, hätte sie natürlich gemerkt, dass ich nicht ins Haus gehörte. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte ich sie, um kein Risiko einzugehen, mit einem Hieb ins Reich der Träume geschickt, aber ich bin zu zart besaitet, um einem solchen hübschen Ding wehzutun, also drehte ich mich zu ihr um und sah sie mit dem ungeduldigen Blick eines überaus beschäftigten Angestellten an, der drei Dinge gleichzeitig zu erledigen hat.

»Was ist denn noch?«

Sie hielt mir ihre Kerze entgegen, vermutlich, um mich näher in Augenschein zu nehmen, wie ich glaubte, aber dann ging mir auf, dass ich natürlich dachte wie jemand, der etwas zu verbergen hat, während ihre Denkweise eher die einer braven Dienstmagd sein würde. »Ich sehe, Sie haben kein Licht, und da es hier nur wenig Kerzen gibt, wollte ich Sie fragen, ob Sie meine haben wollen. Verzeihen Sie, dass ich Sie angesprochen habe, Sir, aber wegen des Packs da draußen habe ich um Ihre Sicherheit gefürchtet.«

Sie hielt mir die Kerze viel zu dicht unter die Nase, und für einen Augenblick war ich halb von der Flamme und halb von ihrem Liebreiz geblendet. Wieder lag mir eine charmante Bemerkung auf der Zunge, etwas davon, dass kein schlichter Talg mit einem Docht darin ein helleres Licht spenden könnte als ihre strahlende Schönheit, aber ich nahm mich zusammen, denn eine solche Anzüglichkeit hätte nicht zu der Person gepasst, die ich zu sein vorgab. Stattdessen schnappte ich mir die Kerze, bedankte mich knapp und fragte mich dabei, was für ein Mann wohl einer Dame ihre Kerze abnähme, wenn Gefahr im Verzuge war. Sogleich fiel mir die Antwort ein: ein Mann, der bei der East India Company etwas zu sagen hat. Dann setzte ich meinen einmal eingeschlagenen Weg fort.

Die Kerze wollte ich eigentlich gar nicht haben, und ich pustete sie aus, sowie das Mädchen um eine Ecke verschwunden, aber ich konnte ihr dankbar für die nützliche Information sein, mit der sie mich versorgt hatte: dass das Haus nämlich weitgehend verlassen war. Dieses Wissen verlieh meinem Mut Flügel und ließ ihn an Leichtsinn grenzen. Ich stolzierte munter drauflos und fand auch sogleich die Treppe, ganz so wie jemand, der häufig und mit vollem Recht im Craven House verkehrte.

Am oberen Treppenabsatz hielt ich inne, um mich zu vergewissern, dass ich auch keine unerwünschten Zuschauer hatte, aber hier war alles so dunkel und verlassen wie im Erdge-schoss. Nachdem ich mich orientiert hatte, entdeckte ich auch rasch das bewusste Büro, oder jedenfalls ein Büro, das ich für das bewusste hielt, denn sicher war ich mir noch lange nicht. Ich konnte nur hoffen, am richtigen Ort zu sein, betrat den Raum und fand ihn ebenso verlassen wie alles andere vor. Hier konnte ich mich nach Herzenslust bedienen.

Allerdings gab es ein paar Hindernisse, die mir die Arbeit erschwerten: Es war dunkel, und ich kannte weder die Dokumente, nach denen ich suchen sollte, noch die Gewohnheiten des Mannes, dessen Eigentum sie waren. Mir blieb außerdem nur begrenzte Zeit, das zu finden, was Cobb haben wollte, und mir war sehr unwohl zumute bei dem Gedanken, ertappt zu werden - oder mit leeren Händen wieder von dannen ziehen zu müssen.

Inzwischen hatten sich meine Augen allerdings an die Dunkelheit gewöhnt. Zu Hilfe kamen mir auch die Fackeln der Seidenweber, die den Raum ein wenig erhellten. Ich hörte die Aufständischen auf der anderen Seite der Mauer krakeelen, achtete aber nicht weiter darauf und machte mich auf die Suche. Das Licht reichte aus, um einzelne Möbelstücke ausma-chen zu können - einen Schreibtisch, ein paar Stühle, Bücherregale, Beistelltischchen -, aber nicht, um die Titel der Bücher zu lesen oder zu erkennen, was die Bilder an den Wänden zeigten, es sei denn, man näherte sich ihnen auf Nasenlänge. Auf dem Schreibtisch lagen ein paar Stapel mit Papieren. Mit ihnen wollte ich anfangen.

Cobb hatte mir genau so viel gesagt, wie er glaubte, dass ich wissen musste - und aus gutem Grund, wie ich annahm, nicht mehr. Ich sollte die Unterlagen eines Mr. Ambrose Ellershaw durchwühlen, der praktischerweise die nächsten beiden Tage auf seinem Landsitz verbringen würde. Ellershaw gehörte zur Geschäftsführung der East India Company, die derzeit mit den Vorbereitungen für die vierteljährliche Anteilseigentümerversammlung beschäftigt war, einer Zusammenkunft jener rund zweihundert Männer, in deren Händen das Wohl und Wehe der Gesellschaft lag. Jedem Angehörigen der Geschäftsführung oblag es, Zahlen vorzubereiten, die den Anteilseignern als Geschäftsbericht vorgelegt werden sollten, und Ellershaw war zuständig für die Zahlen betreffs der Einfuhr von Kleidungsstücken aus Indien und der Ausfuhr der in England verbotenen Ware, auf den kontinentaleuropäischen Markt und den der Kolonien. Um das Zahlenmaterial zusammenzustellen, das er brauchte, hatte er sich durch die gesamte Buchführung wühlen müssen.

Meine Aufgabe bestand darin, seinen Bericht an die Aktionäre zu finden und an mich zu nehmen. Ich vermochte nicht zu sagen, woher Cobb wusste, dass keine Abschriften davon existierten, und ich war auch klug genug, ihn nicht danach zu fragen. Ich hatte kein Interesse daran, meine Arbeit noch schwieriger zu gestalten. Cobb hatte gesagt, dass er nicht mit Sicherheit wüsste, wo Ellershaw seinen Bericht aufbewahrte, nur, dass er sich irgendwo in seinem Büro befinden musste und auf den ersten Blick zu erkennen wäre.

Also begann ich, die Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu sichten, fand aber nur Geschäftskorrespondenz, und außerdem war es so dunkel, dass man kaum etwas lesen konnte. So rann mir die Zeit durch die Finger, und ich hatte jedes Gefühl dafür verloren, wie lange ich mich schon mit meiner hektischen Suche aufhielt, als die Uhr neun schlug. Ich war gerade bei den zwei oder drei letzten Dokumenten auf Ellershaws Schreibtisch angelangt. Den Seidenwebern blieb wohl noch eine halbe, höchstens eine Dreiviertelstunde, bevor sie zu ihrer eigenen Sicherheit den Rückzug antreten mussten. Und ich musste mich beeilen, das zu finden, wonach ich suchte.

Ich wollte gerade eine der Schreibtischschubladen öffnen, als ich ein schreckliches Geräusch vernahm - ein metallisches Knirschen, das ich sofort erkannte: Jemand betätigte die Türklinke.

Ich ging hinter dem Schreibtisch in die Hocke und machte mich so klein wie möglich. Es war nicht gerade das ideale Versteck - eine Ecke wäre besser gewesen, denn was konnte derjenige, der das Büro betrat, hier schon wollen, außer etwas vom Schreibtisch -, aber mir blieb keine andere Wahl. Ich lauschte angestrengt und hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Dann schien der Raum plötzlich in helles Licht getaucht.

Ganz so hell war es denn doch nicht - es war nur eine einzelne Flamme von einer Kerze oder einer Petroleumlampe, so viel konnte ich sogar von meinem Versteck unter dem Schreibtisch aus erkennen, aber sie durchdrang die Finsternis, die mich verborgen hatte, und ich kam mir nackt und überrumpelt vor.

Mir blieb nur zu hoffen, dass der Unbekannte wegen eines Buches aus dem Regal oder wegen etwas, das auf dem Schreibtisch lag, gekommen war. Ich hörte ein gedämpftes Geräusch -vermutlich die Kerze, die auf den Tisch gestellt worden war.

»Oh«, sagte eine weibliche Stimme.

Ich blickte auf und sah, wie die junge Frau, die mir ihre Kerze gegeben hatte, mich voller durchaus verständlicher Neugier ansah.

Ich habe mich, wie ich gerne zugebe, schon früher in verzwickten Situationen befunden. Es ist nicht leicht, in solch einer Lage ohne eine gehörige Portion Improvisationstalent den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Anstatt mich geschlagen zu geben und mich von dem Wachpersonal zum nächsten Kon-stabler schleifen zu lassen, bat ich die junge Frau, mit der Kerze zu mir auf den Fußboden zu kommen. Als sie sich bückte, zog ich blitzschnell ein Taschenmesser aus meinem Rock und ließ es unter dem Schreibtisch verschwinden. Während sie mir Licht gab, machte ich tastende Bewegungen unter dem Tisch, als suchte ich nach dem Messer und erhob mich dann zu einer etwas ehrwürdigeren Haltung.

»Danke, meine Liebe«, sagte ich. »Dieses Messer mag zwar nach keinem großen Wert aussehen, aber es hat schon meinem Vater gehört, und ich wäre sehr unglücklich gewesen, wenn ich es verloren hätte.«

»Ja, wenn Sie Ihre Kerze nicht gelöscht hätten ...«

»Ach ja, ein vertrackter Zufall. Erst ist meine Kerze ausgegangen, dann ließ ich mein Messer fallen - Sie wissen ja, wie das so ist. Ein Unglück zieht das andere nach sich.«

»Wer sind Sie, Sir?« Sie musterte mich eine Spur eingehender. »Ich glaube nicht, Sie schon einmal gesehen zu haben.«

»Ja, ich bin hier noch ziemlich neu. Mein Name ist Ward«, sagte ich. Schon im nächsten Moment war mir schleierhaft, wieso mir ausgerechnet der Name dieses Verfassers anstößiger Verse als Allererstes in den Sinn gekommen war. »Ich bin der neue Gehilfe von Mr. Ambrose Ellershaw. Sie habe ich hier übrigens auch noch nicht gesehen.«

»Mich? Mich kann man fast jeden Tag hier antreffen, das kann ich Ihnen versichern.« Sie stellte die Kerze ab, ließ mich aber nicht aus den Augen.

»Setzen Sie sich doch, Miss ...« Aber ich kannte ihren Namen ja gar nicht.

»Miss Glade«, stellte sie sich vor. »Celia Glade.«

Ich machte eine Verbeugung, und dann standen wir einander verlegen gegenüber. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Glade.« Wer mochte diese Frau sein? Sie bediente sich einer gepflegten Ausdrucksweise, hörte sich überhaupt nicht an wie eine einfache Bedienstete. Konnte sie so etwas wie eine weibliche Angestellte sein? Konnte es sein, dass man bei der East India Company derart fortschrittlich eingestellt war?

Meine Verwirrung wurde noch dadurch verstärkt, dass ich mich in einem dunklen, engen Raum in Gegenwart einer bemerkenswert attraktiven Frau von offenbar guter Herkunft befand.

»Was führt Sie so spät noch in Mr. Ellershaws Büro, Mr. Ward? Wollen Sie nicht lieber draußen sein und zusehen, wie die Weber Kuhmist nach den Wachen werfen?«

»Es wäre verlockend, gewiss, aber ich muss die Arbeit vor das Vergnügen stellen. Mr. Ellershaw, von dem Sie ja wissen, dass er die nächsten beiden Tage nicht in der Stadt sein wird, hat mich gebeten, seinen Bericht für die Aktionärsversammlung noch einmal durchzusehen. Ich hatte den Tag über außer Haus zu tun und wollte gerade heimgehen, als mir der Bericht wieder einfiel. Da bin ich noch einmal umgekehrt, um ihn zu holen und ihn dann zu Hause zu lesen. Ja, und dann ist mir mein Messer heruntergefallen und so weiter. Aber ich bin froh, dass Sie mich gehört haben und gekommen sind, um mir zu helfen, meine Kerze wieder anzuzünden.«

Ich nahm meine Kerze und hielt den Docht gegen die Flamme der ihren. Es war eine so unterschwellig amouröse Geste, dass ich fürchtete, es könne nicht nur zwischen den beiden Kerzen ein Funke überspringen. Ich stellte meine Kerze wieder hin. »Wenn ich mich doch bloß erinnern könnte, wo Mr. Ellershaw das verfluchte Zeug hingetan hat. Verzeihen Sie mir meine grobe Ausdrucksweise, Miss Glade.«

Sie gab ein wohlklingendes Lachen von sich. »Denken Sie sich nichts dabei. Ich arbeite mit Männern zusammen und muss mir so etwas den ganzen Tag lang anhören. Ja, wo mögen nun die Unterlagen sein?« Sie trat an den Tisch, wobei sie mir so nahe kam, dass mir ihr fraulicher Duft in die Nase stieg. Dann zog sie eine der Schubladen auf und holte eine dicke Ledermappe hervor. »Das müsste Mr. Ellershaws Bericht an die Anteilseigner sein«, sagte sie. »Ein ziemlicher Packen. Ihnen steht eine lange Nacht bevor, wenn Sie ihn heute noch durchgehen wollen. Es wäre vielleicht klüger, ihn hierzulassen und alles morgen zu lesen.«

Ich nahm ihr die Mappe aus der Hand. Woher wusste sie, wo Ellershaw sie aufbewahrte? Vermutlich lag ich mit meiner Theorie von der weiblichen Angestellten gar nicht so verkehrt.

»Morgen früh gibt es andere Dinge, denen ich meine Aufmerksamkeit widmen muss. Doch ich bedanke mich für Ihr Mitgefühl.« Ich trat einen Schritt vor, und sie trat einen zurück.

Mit der Dokumentenmappe unter dem Arm und der Kerze in der anderen Hand wollte ich auf die Tür zugehen.

»Wann hat Mr. Ellershaw Sie in seine Dienste gestellt, Mr. Ward?«

Ich blieb an der Tür stehen. »Erst letzte Woche.«

»Ist es nicht sehr ungewöhnlich, unmittelbar vor einer Aktionärsversammlung einen neuen Posten zu schaffen? Aus welchem Fundus bezahlt er sie denn?«

Ich wollte gerade antworten, dass ich keine Ahnung hätte, aus welchem Fundus er mich bezahlte, aber so etwas würde ein Gehilfe von Mr. Ellershaw doch wissen, oder nicht? Ich hatte auch keine rechte Vorstellung davon, was ein Gehilfe in der East India Company so tat und erst recht nicht, was von Mr. Ellershaws Gehilfen erwartet wurde, also sagte ich lieber gar nichts in dieser Richtung.

»Mein Posten ist noch nicht offiziell abgesegnet, und bis da-hin bezahlt er mich aus eigener Tasche. Zur Vorbereitung der Versammlung wollte er auf jeden Fall jemanden, der ihm hilfreich zur Seite steht.«

»Dann müssen Sie ihm ja unentbehrliche Dienste leisten.«

»Dies zu tun ist mein innigster Wunsch«, versicherte ich ihr und sagte, ich müsse nun gehen. Ich verschwendete keine Zeit darauf, die Kerzen auszupusten, eilte die Treppe hinunter und wandte mich der Hintertür zu. Sollte die Glocke doch läuten. Ich würde weit fort sein, ehe es jemanden argwöhnisch machte, dass ich das Gebäude durch den Hinterausgang verließ. Und außerdem war dies auch nur zu naheliegend, da nach vorne hinaus ja noch der Aufstand in vollem Gange war.

Ich nahm meinen Mantel und meinen Sack wieder an mich und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass die Wächter immer noch anderweitig beschäftigt waren und mit den Seidenwebern Beschimpfungen austauschten. Auch von den Hunden war weit und breit nichts zu sehen, aber ich hielt den Sack mit dem Hasen fest umklammert, falls ich seiner noch bedürfte. Von der Vorderseite des Gebäudes hörte ich Verwünschungen, aus denen nun auch die Androhung herauszuhören war, dass die Soldaten bald eintreffen würden. Es war nicht anzunehmen, dass die Weber mit einem Einschussloch in der Brust noch die Kraft hätten, mit Dreck um sich zu werfen.

Ich kehrte zu meinem Hügelchen zurück und machte mich noch einmal daran, die Mauer zu überwinden. Es würde sehr viel schwieriger sein, auf der anderen Seite wieder herunterzukommen, es sei denn, ich wollte den Sprung aus zehn Fuß Höhe auf den harten Boden wagen. Stattdessen zog ich es vor, mich vorsichtig an der Mauer hinunterzuhangeln, bis ich in einigermaßen erreichbarer Tiefe Boden unter den Füßen wähnte, um mich dann fallen zu lassen. Die Landung würde nicht sehr angenehm sein, aber auch nicht allzu gefährlich, und als ich unversehrt auf der anderen Seite stand, befreite ich zunächst den Hasen aus dem Sack, damit er seine Freiheit genießen und das Beste daraus machen konnte. Wenigstens einem von uns sollte dies vergönnt sein.

Sofort eilte ich zur Leadenhall Street zurück, wo die Seidenweber nach wie vor mit Unrat warfen und sich auch nicht durch die Anwesenheit eines Trupps rot gewandeter Soldaten, aus deren Gesichtern Gelassenheit, aber auch Gewaltbereitschaft sprach, stören ließen. Während ich mich näherte, konnte ich sehen, wie der Kommandant der Abordnung zweimal einen Blick auf die Turmuhr der St. Michael's Church warf. Ich wusste, dass er nur auf den Moment wartete, da es ihm kraft des Gesetzes gestattet war, die Waffen sprechen zu lassen. Ich war daher froh, als ich Devout Hale fand und ihm sagen konnte, dass ich meine Aufgabe erledigt hatte und er und seine Männer die Belagerung abbrechen konnten. Er rief einen entsprechenden Befehl, und die Seidenweber ließen sofort von ihrem Tun ab und zogen friedlich von dannen, wobei sie von den Soldaten verhöhnt wurden, die ihnen nachriefen, sie wären nicht Manns genug, um sich dem Musketenfeuer zu stellen.

In meiner Freude, dass die Zeit meiner Knechtschaft sich ihrem Ende zuneigte, entschloss ich mich, nicht bis zum Morgen zu warten, sondern auf der Stelle eine Droschke zur Swallow Street zu nehmen und an Mr. Cobbs Tür zu klopfen. Als Edgar mir öffnete und ich sein zerschundenes Antlitz erblickte, tat es mir sogleich leid, ihn so unsanft behandelt zu haben, obwohl ich bereit gewesen wäre, es sofort wieder zu tun, wenn er es verdient haben sollte. Auf jeden Fall wusste ich, dass ich mir einen Feind geschaffen hatte, einen, der nicht gewillt sein würde, mir zu vergeben, auch nicht, wenn sein Herr mich schon längst vergessen hatte.

»Weaver«, nuschelte er, weil ihm ein paar Zähne fehlten und seine Mund- und Nasenpartie geschwollen waren, was sein erpelähnliches Aussehen noch unterstrich. »Sie können sich ver-dammt glücklich schätzen, dass Mr. Cobb mir gesagt hat, ich dürfe Ihnen nichts tun.«

»Ja, da kann ich wirklich von Glück reden«, pflichtete ich ihm bei. »Und ich werde dir stets für deine himmlische Gnade dankbar sein, wem auch immer ich sie zu verdanken habe.«

Er warf mir ob meiner Worte nur einen wütenden Blick mit seinem unversehrt gebliebenen Auge zu, führte mich in das Besucherzimmer und verschwand ohne ein weiteres Wort, nachdem ich ihm meinen Mantel und die Handschuhe gereicht hatte, die er mit dem Ausdruck allergrößter Verachtung entgegennahm.

Nachdem im Craven House meine Nerven einer enormen Zerreißprobe ausgesetzt gewesen waren, kam es mir wie der höchste Luxus vor, mich in einem so gut geheizten und erleuchteten Raum aufzuhalten. In jedem Halter an der Wand und in allen Kandelabern brannten Kerzen, und ein gut geschürtes Feuer ließ die Kälte aus meinen Knochen weichen. Ja, es war schon ein teures Vergnügen, in einem solchen Luxus zu schwelgen - außer, Cobb hatte gewusst, dass er noch so spät Besuch erwarten durfte, was mich zu der Schlussfolgerung führte, dass er mir entweder jemanden zur East India Company nachgeschickt und von dem erfahren hatte, dass ich mich auf dem Wege zu ihm befand oder aber dass mit dem Eintreffen noch eines weiteren Gastes zu rechnen war.

Nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, betrat Cobb das Zimmer und reichte mir die Hand. Ich hätte die Geste gerne ignoriert, doch aus Gewohnheit erwiderte ich sie.

»Haben Sie es?«, fragte er.

»Ich denke schon«, sagte ich. Jetzt erst fiel mir ein, dass ich mir den Inhalt der Ledermappe gar nicht angesehen hatte. Wenn Miss Glade mich nun hereingelegt haben sollte? Ich konnte mir keinen Grund dafür vorstellen, aber andererseits konnte ich auch keinen Grund für all das erkennen, was mir in den letzten Tagen widerfahren war.

Cobb öffnete die Dokumentenmappe, nahm die darin enthaltenen Papiere heraus und überflog sie rasch. »Ah ja. Tatsächlich. Genau das Richtige.« Er packte alles wieder zurück und legte die Mappe auf den Tisch. »Gut gemacht, Weaver. Sie sind Ihrem Ruf mehr als gerecht geworden. Es gibt in der Stadt kaum ein besser bewachtes Gelände, und doch haben Sie sich auf irgendeine Weise dort Zutritt verschafft, haben sich genommen, was sie wollten und sich dann wieder entfernt. Ich kann Ihnen für Ihre Talente nur meine Bewunderung aussprechen, Sir.«

Ohne auf eine Einladung zu warten, setzte ich mich ans Feuer und streckte ihm meine Hände entgegen. »Ihre Lobpreisungen bringen mich nicht weiter. Ich habe getan, was Sie von mir verlangt haben, und nun ist es Zeit, mich und die anderen Männer aus Ihren Verpflichtungen zu entlassen.«

»Sie entlassen?« Cobb sah mich stirnrunzelnd an. »Warum sollte ich so etwas Dummes tun?«

Augenblicklich war ich auf den Beinen. »Keine weiteren Spielchen mehr. Sie haben mir gesagt, dass Sie all den Schaden, den Sie angerichtet haben, wiedergutmachen werden, wenn ich tue, was Sie von mir verlangen. Das habe ich hiermit getan.«

»Wenn ich recht erinnere, habe ich gesagt, dass Sie alles tun müssen, was ich von Ihnen verlange. Gut, den ersten Punkt können wir hiermit abhaken.« Er wich nicht vor mir zurück, schien kaum wahrzunehmen, dass ich mit geballten Fäusten vor ihm stand. »Es gibt noch mehr, viel, viel mehr, was Sie für mich erledigen müssen. Oh nein, Mr. Weaver. Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit.«

Vielleicht hätte ich mit dieser Wendung rechnen sollen. Aber ich habe es nicht getan. Cobb, so hatte ich geglaubt, ging es um diese Dokumente, und sowie er sie in der Hand hielt, würde er meiner nicht mehr bedürfen. »Wie lange wollen Sie mich noch in Ihre Dienste zwingen?«

»Ach, es ist eigentlich keine Frage der Zeit. Es hängt von den Zielen ab, die wir noch erreichen müssen. Ich benötige gewisse Dinge, die nur Sie mir besorgen können, auch wenn es Ihnen nicht gefällt. Unsere Zusammenarbeit ist erst beendet, wenn alle meine Wünsche erfüllt sind. So einfach ist das.«

»Ich werde nicht damit fortfahren, für Sie in Häuser einzubrechen.«

»Natürlich nicht, das sollen Sie ja auch gar nicht. Nichts dergleichen. Ich habe etwas weit Feinsinnigeres mit Ihnen vor.«

»Und was soll das sein?«

»Das darf ich Ihnen noch nicht verraten, jedenfalls nicht in all den Einzelheiten, die Sie gerne hören möchten. Dafür ist es noch zu früh, aber Sie werden meine Großzügigkeit schätzen lernen. Setzen Sie sich doch. Nehmen Sie wieder Platz.«

Ich weiß nicht, wieso, aber ich tat, wie mir geheißen. Vielleicht war es etwas in seiner Stimme, oder vielleicht war es die Erkenntnis, dass er mich vollkommen in der Hand hatte. Ich dagegen konnte ihm nichts anhaben, ohne damit mich und andere ins größte Unglück zu stürzen. Cobb hatte alles meisterhaft eingefädelt, und ich brauchte einfach mehr Zeit, um herauszufinden, wie ich ihn überlisten konnte. In keinem Fall durfte ich meine Fäuste benutzen, um das Ganze hier und heute zu beenden.

»Wie gesagt«, fuhr er fort, »Sie werden meine Großzügigkeit zu schätzen wissen. Sie werden vorerst keine anderen Aufträge mehr übernehmen. Ich werde Ihr einziger Arbeitgeber sein. Zusätzlich zu den dreißig Pfund, die ich Ihnen für diese Aufgabe zugesagt hatte, erhalten Sie von mir vierteljährlich weitere vierzig, was nun wirklich eine beachtenswerte Summe ist - ich schätze mal, ungefähr so viel, wie Sie in einer ähnlichen Zeitspanne verdienen könnten, wahrscheinlich jedoch erheblich mehr. Und außerdem brauchen Sie sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wo Sie Ihren nächsten Auftrag herbekommen sollen.«

»Aber ich werde mir den Kopf darüber zerbrechen müssen, warum ich der Sklave eines anderen Mannes und seiner Launen bin und warum die Leben Unbeteiligter davon abhängen, ob ich es diesem Mann recht mache.«

»Sie sollten das mehr als einen Ansporn betrachten. Denken Sie doch einmal darüber nach, Sir. Wenn Sie mir ergeben dienen und mir keinen Anlass schaffen, Ihnen zu zürnen, wird keinem Ihrer Freunde ein Haar gekrümmt werden.«

»Und wie viele Vierteljahre werden Sie meine Dienste noch benötigen?«, fragte ich und musste mir Mühe geben, vor Wut nicht mit den Zähnen zu mahlen.

»Das kann ich leider nicht sagen. Einige Monate vielleicht. Vielleicht ein Jahr oder gar noch länger.«

»Ein Jahr oder gar noch länger«, äffte ich ihn nach. »Sie können meinen Onkel nicht noch ein Jahr in seiner prekären Situation belassen. Erstatten Sie ihm seine Lieferung zurück, und ich werde auf Ihre Bedingungen eingehen.«

»Ich fürchte, das wird nicht gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie einem Mann gegenüber Ihr Wort halten würden, der Ihnen so übel mitgespielt hat, wie ich es getan habe. In ein paar Monaten vielleicht, wenn Sie sich so weit kompromittiert haben, dass es für Sie selber einfach zu viel zu verlieren gibt, können wir über Ihren Onkel reden. In der Zwischenzeit wird er dafür sorgen, dass Sie nicht von unseren gemeinsamen Zielen abweichen.«

»Und worin bestehen diese Ziele?«

»Kommen Sie mich in drei Tagen noch einmal besuchen, Weaver. Dann werden wir über alles reden. Bis dahin können Sie mit Ihrem Verdienst tun, was Sie wollen, und Ihre Freiheit genießen. Auf dem Weg nach draußen wird Edmund Sie für Ihren heutigen Erfolg belohnen und Ihnen auch schon Ihre erste vierteljährliche Zahlung aushändigen.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das gefallen wird.«

»Es interessiert mich nicht, was Edmund gefällt oder nicht.

Und Sie irren sich, wenn Sie glauben, Sie könnten sich meinen Unmut damit zuziehen, indem Sie ihn verprügeln, also können Sie es ebenso gut auch bleiben lassen.«

»Dann nennen Sie mir einen besseren Grund dazu.«

»Wenn es Ihre Stimmung aufhellt, meinen Diener zusammenzuschlagen, dann dreschen Sie so viel auf ihn ein, wie Sie wollen. So ist er wenigstens seinen Lohn wert. Und noch etwas. Ich nehme an, dass Sie neugierig sind, wieso ich zu solchen Mitteln greife, um meine Ziele zu erreichen. Sie werden mehr über diese Dokumente und Mr. Ellershaw und so weiter erfahren wollen. Mein Rat an Sie wäre, Ihre Neugier zu zügeln, ja, noch besser gar keine Fragen mehr zu stellen. Solche Fragen könnten einen Funkenschlag auslösen, der sich zu einer verheerenden Feuersbrunst auswächst, die Sie mitsamt Ihren Freunden verschlingen könnte. Ich möchte nicht, dass Sie sich zu viele Gedanken um mich und meine Ziele machen. Sollte ich herausfinden, dass Sie diesen Rat nicht beherzigen, wird einer Ihrer Freunde leiden müssen, damit Sie vom Ernst meiner Worte überzeugt sind. Sie müssen sich mit Ihrer Unwissenheit abfinden.«

Damit war ich entlassen. Ich erhob mich und ging in die Halle hinaus, aber Cobb rief mich noch einmal zu sich zurück.

»Sie haben etwas vergessen, Weaver.« Er hielt mir die Dokumentenmappe hin.

Ich starrte auf die Unterlagen in seiner Hand. »Sie wollen sie nicht?«

»Sie sind wertlos für mich. Nehmen Sie sie mit, aber bewahren Sie sie gut auf. In ein paar Tagen werden Sie sie brauchen.«

An der Tür gab mir Edgar meine Sachen und drückte mir wortlos einen Geldbeutel in die Hand. Es war nur gut, dass die Diebe, die auf diesen Straßen ihr Unwesen trieben wie hungrige Wölfe, kein Silber riechen konnten, denn sonst wäre ich in dieser Nacht eine leichte Beute für sie gewesen. Ich war viel zu benommen, um mich zur Wehr setzen zu können oder eine drohende Gefahr auch nur wahrzunehmen.

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