17


ich nach der anstrengenden und dazu auch noch wenig erkenntnisreichen Nacht noch müde und mürrisch gelaunt war, fiel mir zunächst die gedrückte Stimmung gar nicht auf, die auf dem Gelände der East India Company herrschte. Erst ein paar Minuten nach meinem Eintreffen merkte ich, dass sowohl die Wachmänner als auch die Arbeiter gleichermaßen niedergeschlagen wirkten.

»Was ist los?«, fragte ich einen meiner Männer.

»Es hat einen Unfall gegeben«, sagte er. »In den frühen Morgenstunden. Keiner weiß, was er hier zu suchen hatte - er gehörte nicht zur Nachtschicht. Aadil meint, er wollte etwas stehlen. Man hat Carmichael im Westschuppen gefunden - wo der Tee gelagert wird, wie Sie ja wissen. Da ist es passiert.«

»Ist er verletzt?«, fragte ich sofort.

»Ja, und zwar tödlich. Er lag zerquetscht wie eine Ratte unter der Kiste Tee, die er offenbar hat stehlen wollen.«

Tee.

Eine schlaue Tarnung, wie ich zugeben musste. Denn was immer Forester und Aadil im Schilde führten - mit Tee hatte es nichts zu tun. Da es keine triftige Erklärung dafür gab, wieso Carmichael in den Stunden zwischen Nacht und Morgen Teekisten gewuchtet hatte, ließ das Geschehene nur einen Schluss zu: dass hier ein ganz gewöhnlicher Diebstahl vorlag,

dass Carmichael etwas aus dem Teelager hatte mitgehen lassen wollen, um sein mageres Einkommen damit aufzubessern.

Solche Gelegenheitsdiebstähle waren ein offenes Geheimnis, aber es wurde ein Auge zugedrückt, solange niemand zu habgierig wurde. Tatsächlich wurden die Wachleute und die Arbeiter ganz bewusst so schlecht bezahlt, weil man fest davon ausging, dass sie sich schon ihr Teil holen würden. Wenn man ihre Löhne aufbesserte, sagte man sich, würden sie deshalb nicht weniger stehlen, also gab es nichts zu gewinnen, wenn man ihnen einen auskömmlichen Lohn zahlte.

Eine Weile lang war ich wie vor den Kopf geschlagen und stand nur da, während um mich herum Männer hin- und herliefen. Ich erwachte erst aus meiner Benommenheit, als ich Aadil vorbeikommen sah. Ich packte ihn beim Handgelenk.

»Sag mir, was passiert ist«, verlangte ich.

Er sah mich nur an und lachte. Wie widerwärtig sein ohnehin schon unangenehmes Gesicht werden konnte, wenn sich auch noch grausame Schadenfreude darin abzeichnete. »Solltest du doch selber wissen, du Aufseher der Wachmannschaft.«

»Bitte jetzt keine Spitzfindigkeiten. Sag's mir.«

Er zuckte mit den Schultern. »Warum Carmichael letzte Nacht hier? Ich weiß nicht. Er nicht hier sollte sein. Er nicht getan, wofür er hier ist. Er sich Tee genommen. Kann sein eilig, Angst, er wird gesehen. Ist unvorsichtig. Wird zerquetscht.« Er zuckte noch einmal die Achseln. »Besser als gehängt, nicht wahr?«

»Ich will die Leiche sehen.«

Er sah mich fragend an. »Weswegen?«

»Weil ich es will. Sag mir, wo man ihn hingebracht hat.«

»Ist schon weg«, sagte er. »Ich weiß nicht, wo. Kann sein zum Gericht. Zu seine Familie? Keiner mir gesagt, ich auch nicht gefragt.«

Dieses Gespräch rang mir übermenschliche Zurückhaltung ab. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass Aadil Carmichael um-gebracht haben musste, entweder von Forester dazu aufgefordert oder mit dessen stillschweigender Billigung. Aber das war nur ein Verdacht, eine Unterstellung, die ich nicht beweisen konnte, also kam ich damit nicht weiter. Für mich war nur von Bedeutung, dass Carmichael mir gefällig gewesen war und dafür den Tod gefunden hatte - und ich keine Möglichkeit sah, seinen Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Damit er mir nicht anmerkte, dass ich mehr über die Ereignisse der vergangenen Nacht wusste, als mir lieb war, wandte ich mich ab und strebte dem Craven House zu.

Argwöhnte Aadil, dass ich etwas mit der Sache zu tun hatte? Er tat mir gegenüber sehr geheimnisvoll, doch was konnte ich anderes von ihm erwarten? Andererseits - kaum hatte ich hier meine Arbeit aufgenommen, brach Carmichael in das Heiligtum des Geheimverstecks ein. Forester wusste, dass ich für Ellershaw arbeitete, und dem misstraute er. Warum schnappten sie sich dann nicht meine Wenigkeit? Allerdings gab es keinen Grund, warum sie das Versäumte nicht noch nachholen sollten.

Es war nun dringender denn je, dass ich herausfand, was Forester im Greene House versteckte, oder vielmehr, warum er es versteckte, denn wir hatten ja bereits festgestellt, dass dort nichts von Wert lagerte. Da es kein Ventil für meine Wut gab, wollte ich die Angelegenheit nun auf die einzig mir denkbare Weise verfolgen - indem ich mich an Mr. Blackburn wandte.

Ich fand den Buchhalter in seinem Büro vor, wo er über seinen Schreibtisch gebeugt saß und mit gelenker Hand Zeile um Zeile eines Blattes Papier vollschrieb. Es dauerte einen Augenblick, bis er mich gewahrte und aufblickte. »Ah, Weaver. Ich nehme an, Sie sind gekommen, um sich zu erkundigen, wie es um Ersatz für Ihren verlorenen Wachmann steht.«

Ich schloss die Tür hinter mir. »Ich habe nichts derart Profanes auf dem Herzen. Carmichael war mein Freund, und es geht mir nicht darum, dass er einfach so mir nichts, dir nichts ersetzt wird.«

Er sah mich verwundert an - so, wie er immer dreinblickte, wenn er nicht mit seinen Papieren beschäftigt war. Es kam mir vor, als könne er sich gar nicht vorstellen, sich mit so etwas Zeitraubendem wie Freundschaft oder Zuneigung abzugeben.

»Ja, nun«, sagte er nach kurzem Zögern. »Trotzdem müssen die Dienstpläne aufgestellt werden, oder? Wir brauchen jeden Wachposten. Es wäre töricht, sich von Gefühlen leiten zu lassen, wenn die Arbeit getan werden muss.«

»Ja, so ist es wohl.« Ich nahm ungebeten Platz.

Es war unzweifelhaft, dass Blackburn nur den einen Wunsch hatte, mich schnell wieder loszuwerden, damit er sich erneut seinem kleinlichen Tun zuwenden konnte, das ihn so beschäftigte. Aber den Gefallen wollte ich ihm nicht erweisen. Dass meine Anwesenheit ihm lästig war, würde ihn vielleicht sogar zu einer Äußerung verleiten, die ihm sonst nicht herausgerutscht wäre.

»Darf ich mich im Vertrauen an Sie wenden?«, fragte ich. »Es geht um eine heikle Angelegenheit, die eine ziemlich unorthodoxe Verwendung des Geländes und der Ressourcen der East India Company mit sich bringt.«

»Schon recht, schon recht«, sagte er. Er hatte seine Feder beiseitegelegt und bekleckerte geistesabwesend das Blatt mit Tinte, während er mich ansah. Immerhin schenkte er mir so viel Aufmerksamkeit, wie ich nur erwarten konnte.

»Ich hoffe, dass ich vertraulich zu Ihnen sprechen kann, Sir. Ich wäre sehr unglücklich, wenn meine Bemühungen, eine Schlampigkeit im Unternehmen zu beheben, dazu führen würden, dass ich meines Postens verlustig ginge. In Sie habe ich Vertrauen, Sir. Ich möchte nur das Richtige tun, dafür sorgen, dass es keinen Schwund bei den Warenbeständen gibt. Wenn jedoch Männer von Einfluss in einen solchen Schwund verwickelt sind, ist es manchmal nicht leicht zu beurteilen, ob das Richtige zu tun auch im eigenen Interesse liegt.«

Er lehnte sich über seinen Schreibtisch und reckte dabei sei-nen schmalen Oberkörper wie eine Schildkröte, die ihren Hals aus ihrem Panzer streckt. »In dieser Hinsicht brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, Mr. Weaver. Ich versichere Ihnen, dass Sie vertraulich mit mir sprechen können, und Sie haben mein Wort, dass ich nichts davon, was Sie mir zu sagen haben, an irgendjemanden weitergebe, solange Sie es nicht wünschen. Ich denke, das genügt.«

Fast. »Das würde mich sehr freuen«, sagte ich und versuchte dabei, ein wenig verunsichert zu klingen. »Doch birgt dies ein großes Risiko für mich. Vielleicht sollte ich lieber wiederkommen, wenn ich mehr in Erfahrung gebracht habe. Ja, das wäre bestimmt besser.« Ich machte Anstalten, mich zu erheben.

»Nein!« Es klang nicht wie ein Befehl, sondern wie eine flehentliche Bitte. »Wenn Sie etwas wissen, müssen wir auch etwas unternehmen. Ich kann es nicht ertragen, dass etwas nicht seine Ordnung hat, dass eine Wunde unversorgt bleibt und im Gewebe der Firma eitert. Sie tun sehr recht daran, Sir, dass Sie mich darauf aufmerksam machen, und ich verspreche Ihnen, dass ich nichts unternehmen werde, was Sie nicht wünschen. Nur müssen Sie mir alles sagen, was Sie wissen.«

Wie sonderbar, dachte ich. Dieser Angestellte würde sich für seinen Arbeitgeber tatsächlich ein Bein ausreißen, wie man es gemeinhin nur für sein Kind, seine Herzallerliebste oder einen geliebten Schoßhund tat. Wenn ich ihn nun im Unklaren beließe, würde die unerträgliche Ungewissheit ihn schier in den Wahnsinn treiben, und doch hatte er keinen persönlichen Gewinn zu erwarten, wenn er das Unrecht, auf das ich ihn hinwies, abstellte. Er war einfach ein Mann, der wollte, dass alles seine Ordnung hat, ob es ihn nun persönlich betraf oder nicht, und der sich durch nichts davon würde abhalten lassen, eine Abweichung von der Vorschrift zu korrigieren.

Ich räusperte mich; ich wollte ganz gelassen von meinen Beobachtungen berichten, um ihn umso heftiger auf die Folter zu spannen. »Gegen Anfang der Woche hat Carmichael mich auf eine Unregelmäßigkeit hingewiesen. Ich maß der Angelegenheit keine besondere Dringlichkeit bei und wollte mich zu gegebener Zeit darum kümmern, aber wie Sie ja leider wissen, ist von Carmichael keinerlei Hilfe mehr zu erwarten. Zwar war es auch ihm nicht übermäßig wichtig, aber in dieser Hinsicht waren wir beide uns ähnlich, wenn Sie verstehen. Auch ich möchte die Sache jedenfalls nicht ewig auf sich beruhen lassen.«

Nach wie vor vermied ich es, gezielt darauf zu sprechen zu kommen, worum es denn eigentlich ging, und zwar nicht nur, um Blackburn zu quälen, sondern auch, um zu betonen, dass ich dem Fall keine allzu große Bedeutung beimaß. Keinesfalls wollte ich andeuten, was mich wirklich beschäftigte - dass Carmichael nämlich wegen dem, was ich Blackburn zu berichten gekommen war, sein Leben hatte lassen müssen.

Blackburn jedenfalls war ganz Ohr. »Selbstverständlich, selbstverständlich«, sagte er und fuchtelte mit den Händen, damit ich endlich mit meiner Offenbarung herausrückte.

Ja, es wurde wohl Zeit, auf den Kern der Sache zu kommen. »Carmichael hat mir gegenüber erwähnt, dass einer der leitenden Angestellten in einem Teil eines der Lagerhäuser, wobei ich allerdings nicht mehr weiß, in welchem, Seidenballen für sich beiseitelegt. Er sagte, die entsprechenden Kisten würden im Schutze der Dunkelheit und unter größter Geheimhaltung in das Lagerhaus gebracht, damit nur ja niemand von ihrem Vorhandensein, ihrem Inhalt und ihrer Menge erführe. Nun steht es mir nicht zu, das Handeln leitender Angestellter in Frage zu stellen, aber als Oberaufseher der Wachmannschaft empfinde ich es als ein wenig beunruhigend, regelmäßig in gewisse Vorgänge nicht eingeweiht zu sein.«

Auch Blackburn empfand dies als beunruhigend. Seine Hände zitterten vor Aufregung. »Beunruhigend. In der Tat beunruhigend, Sir. Sogar äußerst beunruhigend. Geheime Lagerräume? Versteckte Waren unbekannter Zahl? Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Die Buchführung dient drei Zwecken. Drei Zwecken, Sir.« Er hielt drei Finger in die Höhe. »Der Etablierung von Ordnung, dem Erhalt von Ordnung, der Sicherstellung zukünftiger Ordnung. Wenn jemand sich darüber erhaben fühlt und meint, Waren hierhin und dorthin verschieben zu können, ohne dies zu dokumentieren, wozu dann« - er wies auf die ungeheuren Mengen von Papieren in seinem Büro -, »wozu dann soll all dies hier gut sein?«

»Aus dieser Perspektive habe ich es noch gar nicht betrachtet«, sagte ich.

»Aber das müssen Sie, das müssen Sie. Ich mache meine Arbeit so, dass jederzeit ein jedes Mitglied des Direktoriums herkommen kann, um genauen Einblick in die Geschäfte des Hauses zu nehmen. Wenn aber jemand meint, auf eigene Faust handeln zu müssen, dann hat das alles keinen Zweck mehr. Überhaupt keinen Zweck.«

»Ich glaube, ich verstehe.«

»Ich hoffe, dass Sie das tun. Ich hoffe es außerordentlich, Sir. Ich muss noch mehr erfahren. Hat Carmichael Ihnen gesagt, welcher leitende Angestellte so frevelhaft handelt?«

»Nein, davon hat er nichts angedeutet. Ich glaube auch nicht, dass er es gewusst hat.«

»Und Sie wissen auch nicht, um welches Lagerhaus es sich handelt?«

An dieser Stelle entschied ich mich, dass es besser wäre, die Taktik zu ändern. Schließlich musste ich Blackburn etwas in die Hand geben, damit er wusste, wo er seine Untersuchung anzusetzen hätte. »Es könnte sein, dass er in diesem Zusammenhang das Greene House erwähnt hat, aber ganz sicher bin ich mir da nicht.«

»Ach ja, natürlich. Es ist, glaube ich, 1689 von einem Mr. Greene gekauft worden, einem Gentleman, der sich unserem verstorbenen katholischen König gegenüber ein wenig zu loyal gezeigt hat, und als dieser außer Landes fliehen musste, hat auch Mr. Greene nichts mehr hier gehalten. Das Greene House hat als Lagerraum stets nur sehr untergeordnete Bedeutung gehabt und soll demnächst ohnehin abgerissen und durch ein neues Gebäude ersetzt werden. Wenn jemand auf dem Gelände der Firma heimlich etwas unterbringen will, wäre er damit gar nicht schlecht beraten.«

»Möglicherweise haben Sie Unterlagen in Ihren Papieren«, sagte ich. »Ladungsverzeichnisse etwa, die uns einen Hinweis darauf geben könnten, wer das Unternehmen hintergeht und was derjenige damit beabsichtigt.«

»Ja, ja. Das ist es. Das muss ich sofort überprüfen. Gegen solche Unregelmäßigkeiten muss eingeschritten werden, Sir. Ich werde das nicht dulden, das lassen Sie sich gesagt sein.«

»Sehr gut. Ich freue mich, das zu hören. Ich hoffe, Sie werden mich unterrichten, falls Sie etwas herausbekommen?«

»Kommen Sie später noch einmal wieder«, murmelte er. Schon hatte er einen gewaltigen Folianten aufgeschlagen, aus dem eine Staubwolke in die Höhe stieg. »Ich werde schon dahinterkommen, das schwöre ich Ihnen.«

Überall im Craven House herrschte immer noch bedrückte Stimmung. Carmichael war sehr beliebt gewesen, und sein Tod ließ keinen unberührt. Als ich durch die Küche kam, hielt mich Celia Glade auf, indem sie ihre schlanken Finger um mein Handgelenk legte.

»Das ist eine sehr traurige Nachricht«, sagte sie leise und machte sich dabei nicht einmal die Mühe, ihre Stimme zu verstellen.

»In der Tat, das ist es.«

Sie ließ meinen Arm los und nahm mich stattdessen bei der Hand. Ich gebe zu, dass es mir schwerfiel, sie nicht zu mir heranzuziehen. Der Anblick ihrer großen Augen, ihrer schimmernden Haut. Und ihr Duft. Ich spürte, wie mein Körper gegen meinen Verstand rebellierte, und trotz der Gräueltat, die sich an diesem Tage zugetragen hatte, verlangte es mich, sie zu küssen. Ja, ich glaube wirklich, ich hätte mich auf so dünnes Eis begeben, wenn nicht just in diesem Moment zwei Küchenjungen hereingekommen wären.

Celia und ich trennten uns wortlos voneinander.

Nach einem düsteren Tag, an dem ich mir das Gemurre der Männer anhören und jedes Mal, wenn Aadil mir den Rücken zukehrte, das Verlangen unterdrücken musste, ihm einen Schlag auf den Kopf zu versetzen, kehrte ich am frühen Nachmittag noch einmal in Blackburns Büro zurück, weil ich hoffte, etwas Neues zu erfahren. Aber dem war leider nicht so.

Er war blass im Gesicht; seine Hände zitterten immer noch. »Ich kann nichts finden, Sir. Keinerlei auffällige Unterlagen. Ich werde eine Inventur des Greene House anordnen müssen und dann versuchen herauszubekommen, wie das, was ich dort vorfinde, dort hingekommen ist und was damit zu tun beabsichtigt wird.«

»Und durch wen«, fügte ich hinzu.

Er sah mich wissend an. »Genau.«

»Allerdings«, wandte ich ein, »könnte eine hochnotpeinliche Untersuchung ein Direktoriumsmitglied, das sich einer solchen Mühe unterzogen hat, um etwas beiseitezuschaffen, dazu bewegen, noch einen Schritt weiterzugehen.«

»Sie meinen, mich meines Postens zu entheben?«

»Das wäre zu bedenken.«

»Meine treuen Dienste sind nie in Zweifel gezogen worden.« Ein Anflug von Panik war aus seiner Stimme herauszuhören. »Ich bin seit sechs Jahren hier, Sir, habe mich zu meiner Stellung hochgearbeitet, und bin stets nur mit Lob bedacht worden. Mehr als einer der Direktoren hat sich manchmal laut gefragt, wie die Geschäfte vor meinem Eintritt überhaupt haben reibungslos ablaufen können.«

»Daran hege ich keinen Zweifel«, pflichtete ich ihm bei.

»Aber ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, Sir, dass ein Mann in Ihrer Stellung von dem Wohlwollen derjenigen, die über ihm stehen, abhängig ist. Eine oder zwei Personen von Einfluss, die Ihnen Böses wollen, könnten alles zunichtemachen, wofür Sie sich abgerackert haben. Das müssen Sie sich stets vor Augen halten.«

»Aber wie wollen wir denn nun vorgehen?«

»Heimlich, Sir. Still und heimlich. Ich fürchte, mehr können wir im Moment nicht tun. Wir müssen beide unbedingt die Augen nach einem Hinweis auf einen Betrug offenhalten. Dann kommen wir vielleicht den Hintergründen dieses geheimen Warenlagers auf die Spur.«

Er nickte verdrießlich. »Da haben Sie wahrscheinlich recht. Ich werde alles tun, um mehr herauszufinden, aber ich will dabei auf Ihren Rat hören und die Sache insgeheim verfolgen, anhand der Geschäftsbücher nämlich anstatt mit Worten.«

Ich lobte ihn für seine Entschlossenheit und verließ sein Büro und das Craven House. Ich war fast bei dem größten Lagerhaus angelangt, als ich wie angewurzelt stehen blieb.

Der Einfall war mir so unvermittelt gekommen, dass ich im Laufschritt zu Blackburns Büro zurückeilte, obwohl eine solche Hast gar nicht vonnöten gewesen wäre. Ich wusste ja, dass ich ihn dort antreffen würde, und Zeit spielte gewiss keine große Rolle. Trotzdem nahm ich die Beine in die Hand, denn es drängte mich, etwas Bestimmtes in Erfahrung zu bringen.

Ich betrat das Büro und schloss, wie es meine Gewohnheit geworden war, hinter mir die Tür. Dann setzte ich mich Mr. Blackburn gegenüber und schenkte ihm ein breites Lächeln. Mein Verlangen, ihn mit Fragen zu bombardieren, war stark, aber ich hielt es im Zaum. Es könnte ihm als unangemessen erscheinen, wenn ich in scharfer Form Auskunft von ihm verlangte. Ich wusste ja, dass er nicht gerne über unklare Verhältnisse und Puzzleteile, die nicht zusammenpassen wollten, redete und wollte mich daher behutsam heranpirschen. »Sir«, begann ich, »ich hatte bereits den halben Hof überquert, als ich mit einem Male den Wunsch verspürte, noch einmal zurückzugehen und Ihnen zu sagen, dass ich Sie sehr bewundere.«

»Inwiefern?«

»Ihr Sinn für Ordnung und Genauigkeit, Sir. Das hat mich in meiner Arbeit mit den Wachleuten sehr inspiriert.«

»Ich fühle mich von Ihren Worten geschmeichelt.«

»Ehre, wem Ehre gebührt. Ich frage mich nur, ob es für mich bei Ihnen nicht noch mehr zu lernen gibt als das, was ich aus unseren kurzen Gesprächen erfahren habe?«

»Wie meinen Sie das, Sir?«

»Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich heute Abend kurz Zeit nehmen könnten, um, vielleicht in einem Schanklokal, mit mir über die Philosophie Ihrer Ordnung zu sprechen - falls Sie denn mögen. Es erübrigt sich ja wohl zu erwähnen, dass Sie mit Freude mein Gast sind, da Sie doch die Rolle des Lehrers einnehmen und ich die des Schülers.«

Obwohl er sich mit Haut und Haaren der East India Company verschrieben hatte, ahnte ich doch, dass Blackburn das Gefühl hatte, ein wenig belächelt zu werden, also sah er mich zunächst skeptisch an, doch schließlich schien ich ihn doch von der Aufrichtigkeit meiner Worte zu überzeugen.

»Sie wissen, dass das nicht erlaubt ist.«

»Nicht erlaubt?«

»Die Unternehmensleitung hat es den Angestellten untersagt, Tavernen, Hurenhäuser und Spielhöllen zu betreten, denn in der Vergangenheit hat man festgestellt, dass verderbliches Tun der Arbeitsleistung abträglich ist. Würde man mich an einem solchen Orte sehen, könnte ich auf der Stelle meinen Posten verlieren.«

»Aber irgendwo wird man sich doch treffen können.«

Der Anflug eines verschmitzten Lächeln huschte über seine Lippen. »Ein Schanklokal«, sagte er mit gedämpfter Stimme.

»Das ließe sich einrichten, aber mit Bedacht. Ich kenne eine Örtlichkeit, in der wir uns einen Krug oder zwei genehmigen können.«

Ich kehrte zu meinen Pflichten zurück und beobachtete, wie meine Männer in gedrückter Stimmung ihrer Arbeit nachgingen. Um drei Uhr erreichte mich die Nachricht, dass Mr. Forester mich zu sprechen wünsche. Ich verspürte wenig Lust, mich unter vier Augen mit ihm zu treffen, denn ich hielt ihn durchaus für verantwortlich für Carmichaels Tod, obwohl ich nicht sagen konnte, wie oder warum er darin verstrickt war. Doch musste ich den Ahnungslosen spielen, wenn ich den Tod meines Kameraden rächen wollte, und warten, bis meine Stunde gekommen war.

Ich fand die Tür zu Foresters Büro geöffnet vor. Er bat mich, sie hinter mir zu schließen und Platz zu nehmen.

Als ich mich gesetzt hatte, sah ich ihn lächeln. Es sah aus, als hätte er eine groteske Maske aufgesetzt. »Sie sind jetzt mehr als eine Woche persönlich bei Mr. Ellershaw angestellt, ist das richtig?«

»Ja, so ist es.«

»Eine ziemlich ungewöhnliche Vereinbarung, finden Sie nicht?«

Ich tat so, als verstünde ich nicht recht. »Ich vermag nicht zu sagen, was hier als ungewöhnlich gilt oder nicht, denn dazu bin ich noch nicht lange genug hier. Ich kann nur sagen, dass uns manchmal nichts anderes als ungewöhnliche Vereinbarungen bleiben und wir uns mit den Gegebenheiten abfinden müssen.«

Er errötete ein wenig, und ich ahnte, dass er meine Anspielung auf sein Verhältnis zu Mrs. Ellershaw verstanden hatte. »Ich begreife nicht, wieso Ihr Wohltäter es auf seine Kappe und seine Börse genommen hat, Sie als Aufsicht über das Wachpersonal einzustellen.«

»Ich weiß nicht viel über die internen Gepflogenheiten, aber er gehört zu den leitenden Angestellten, und als solchem muss ihm doch an dem Wohle des Unternehmens gelegen sein. Vielleicht war das sein Grund. Ich finde nichts Auffälliges dabei, dass er Schritte unternimmt, die dem Wohl der East India Company dienen. Und da ich es so verstanden habe, dass eine Position wie die meine erst nach der Anteilseigentümerversammlung geschaffen werden könnte, Mr. Ellershaw jedoch einen dringenden Bedarf für eine solche gesehen hat, erscheint mir sein Vorgehen in dieser Angelegenheit durchaus plausibel.«

»So könnte man es sehen«, räumte Forester ein. »Es könnte durchaus sein, dass all dies nur ein Zeichen von Ellershaws Weitsicht ist. Ich habe jedoch meine Schwierigkeiten mit dieser Theorie, und die basieren auf anderen Entscheidungen seinerseits und gewissen Neigungen, die ich an dem Mann beobachtet habe.«

»Und die wären?«

»Ich glaube, Ellershaw droht den Verstand zu verlieren. Er verrennt sich in eine amouröse Verstrickung. Ich bin sicher, dass Sie es auch schon mitbekommen haben. Jeder weiß es.«

»Manchmal«, sagte ich betont geheimnisvoll, »sind die Dinge, die jeder weiß, genau die Dinge, die jeder falsch sieht.«

»Versuchen Sie nicht, mich auf den Arm zu nehmen. Sie haben sein Benehmen zweifellos mit eigenen Augen beobachten können. Und selbst, wenn Sie es vorziehen, die durch die Französische Krankheit hervorgerufenen Merkmale zu ignorieren, können Sie doch nicht bestreiten, dass er sich von der Areka-nuss abhängig macht - eine widerwärtige Angewohnheit, die er sich bei den Eingeborenen in Indien abgeschaut hat.«

»Dieses braune Zeug, das er kaut?«, fragte ich ehrlich erstaunt, denn ich hatte wirklich keine Ahnung, was für eine Bewandtnis es damit hatte.

»Ja, das Zeug macht, wie ich gehört habe, zunehmend süchtig. Halb Indien ist von dem Wahn dieses Giftes gepackt. Man sagt, es wirkt sich wie Kaffee auf den Körper aus, nur stärker, und sowie man einmal auf den Geschmack gekommen ist, lässt es einen nie wieder los und hat seine Nebenwirkungen.«

»Wahnsinn?«

»Genau.«

Ich musste einen Moment überlegen, wie ich auf diese Anschuldigung reagieren sollte. »Sie scheinen mir ziemlich fest entschlossen zu glauben, Mr. Ellershaw wäre nicht mehr Herr seiner Sinne, und es scheint Ihnen auch sehr viel daran zu liegen, dass ich es ebenfalls glaube. Ich wünsche meinen Vorgesetzten in jeder Hinsicht gefällig zu sein, doch in dieser Angelegenheit, fürchte ich, kann ich Ihnen nicht entgegenkommen. Sie behaupten, mein Wohltäter wäre verrückt, ich aber kenne ihn kaum gut genug, um dies zu bestätigen, denn ich habe ihn immer nur so erlebt, wie er jetzt ist.«

»Würden Sie einem Fremden begegnen, der eine Schafherde anheult, Mr. Weaver, bräuchten Sie nicht erst seine Lebensgeschichte zu studieren oder seine Freunde zu befragen, um zu wissen, dass so ein Verhalten sonderlich ist oder zumindest ungewöhnlich für den Betreffenden. Ebenso sollte es Ihnen nicht schwerfallen, meine Beobachtungen zu teilen und sie im Zusammenhang zu sehen.«

»Ich muss noch einmal wiederholen, dass Sie sich meiner Meinung nach täuschen.«

»Mein Gott, Sir, haben Sie nicht gehört, wie er gedroht hat, einen alten Mann mit einem glühenden Schüreisen aufzuspießen? Ist das kein Zeichen von Wahnsinn?«

»Er würde erwidern, dass es sich nur um eine Taktik gehandelt habe, und ich bin noch nicht lange genug im Craven House, um es besser zu wissen. Ich habe nichts wahrgenommen, was mich zu einem solchen Schluss verleiten könnte. Aber ich weiß, dass solche Anschuldigungen mit Vorsicht zu genießen sind, wenn derjenige, der sie erhebt, bei dem Niedergang des Beschuldigten viel zu gewinnen hat.«

Er beugte sich in einer fast onkelhaften Pose zu mir vor. »Gewiss sehen Sie mich in einer unvorteilhaften Position, aber ich schäme mich nicht dessen, was zwischen mir und dieser Lady vorgefallen ist. Sie müssen nicht glauben, dass ich diese Anschuldigungen nur um meiner selbst willen ausspreche. Nein, sogar im Gegenteil. Ich habe die Dame erst kennengelernt, als ich mir bereits Sorgen wegen des Verhaltens ihres Ehemannes zu machen begann.«

»Ich muss Ihnen noch einmal versichern, dass ich keinen Anlass für diese Beschuldigungen sehe.«

»Hmm. Und wenn Sie es täten - würden Sie es mir dann sagen? Nein, antworten Sie bitte nicht. Es ist eine unfaire Frage, und Mr. Ellershaw ist Ihr Arbeitgeber. Ich weiß, dass Sie ein Mann von Ehre sind, Sir, und dass Sie einem Mann, der sich für Sie verwendet hat, nicht in den Rücken fallen wollen. Aber ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass es Ihre Aufgabe hier ist, etwas für das Unternehmen zu tun und nicht für einen einzelnen seiner Angestellten. Falls Ihnen irgendetwas auffällt, das darauf deutet, dass Mr. Ellershaw nicht im Interesse der East India Company handelt oder nicht mehr in ihrem Interesse zu handeln in der Lage ist, hoffe ich, dass Sie damit zu mir kommen. Dafür ist ein Unternehmen schließlich da.«

»Ich dachte, ein Unternehmen wäre dazu da, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen Geld zu verdienen?«

»Unsinn. Wissen Sie, wo das Wort Company in unserem Titel herkommt? Es ist von dem lateinischen compagnia abgeleitet, und das bedeutet, gemeinsam Brot zu backen. Genau das tun wir hier. Wir sind keine einzelnen Männer auf der Suche nach dem Glück für uns selber, sondern eine Gemeinschaft, die gemeinsam ihr Brot backt.«

»Es beglückt mich zu hören, dass wir hier alle brüderlich an einem Strang ziehen.«

»Nun, da Sie Bescheid wissen, muss ich Sie bitten, ihn nicht noch zu weiteren Narreteien anzustacheln - blaue Herrenge-wänder zum Beispiel. Glauben Sie, Sie können Ihre Stellung hier verbessern, indem Sie ihn zum Gespött der Öffentlichkeit machen?«

»Es war ja nur ein Vorschlag. Ich habe es nicht für so wichtig gehalten.«

»Dann begreifen Sie offenbar nicht, wie leicht er zu beeindrucken ist. Oder Sie wollen es nicht begreifen. Sie bekommen von Mr. Ellershaw Ihr Geld, also nehme ich an, dass Sie den Wunsch haben werden, ihn von diesem Gespräch zu unterrichten. Aber ich bitte Sie, dies nicht zu tun. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass ich nicht sein Gegner bin, sondern ein treuer Mitarbeiter der East India Company, und wenn er auf den Glauben verfiele, ich würde gegen ihn konspirieren, würde dem Unternehmen aus diesem Missverständnis nur Schaden erwachsen. Ich versuche keineswegs, hinterrücks etwas gegen Mr. Ellershaw in die Wege zu leiten. Ich arbeite nur zum Besten der East India Company, und jemand muss doch seinen Platz einnehmen, wenn er eines Tages nicht mehr da ist.«

»Und das werden Sie sein, nehme ich an. Ein interessanter Gedanke, da er doch keinerlei Andeutungen gemacht hat, dass er seinen Platz zu räumen wünscht. Sie hingegen bestehen darauf, nur aus Sorge um das Wohl des Unternehmens zu handeln.« Ich beschloss, den Bogen zu spannen und den Pfeil abzuschießen. »In wessen Interesse steht denn Ihr Umgang mit seiner Gattin?«

Er wich meinem Blick nicht aus, das musste ich ihm zugutehalten. »Angelegenheiten des Herzens lassen sich nicht immer durch bloßen Willen regeln. Sie als Mann müssen das doch wissen, Weaver.«

Ich kam nicht umhin, dabei an Miss Glade zu denken, und einen Augenblick lang empfand ich sogar Sympathie für Forester. Dann aber besann ich mich rasch wieder und rief mir Car-michaels Tod ins Gedächtnis. Wenn Forester auch Kummer in seinem Herzen trug, so rechtfertigte das doch nicht seine üble Ränkeschmiederei. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich nicht derjenige sein möchte, der Mr. Ellershaw darüber ins Bild setzt. Und was dies Gespräch betrifft, liegt mir nichts daran, die Triebfeder für Zwietracht innerhalb dieser Mauern zu sein. Und wenn ich ehrlich sein soll, würde es mir noch weniger gefallen, persönlich im Zentrum einer solchen Zwietracht zu stehen, vor allem nicht, während ich mich hier gerade erst mit allem vertraut mache.«

»Sehr weise gesprochen.«

»Aus mir spricht nicht Weisheit, sondern Umsicht. Ich möchte in nichts verwickelt werden, was über unser gemeinsames Brotbacken hinausgeht, gleich, was Mrs. Ellershaw denkt. Die Dame hat mich bezichtigt, mit Nachforschungen beschäftigt zu sein, von denen ich gar nichts weiß. Welches besondere Interesse unterstellt Sie Mr. Ellershaw denn in Hinblick auf ihre Tochter?«

Er lächelte. »Sie sind sehr gewandt, Sir. Sie sagen mir, dass die Angelegenheit Sie nicht interessiert, doch gleichzeitig versuchen Sie, mir höchst intime Informationen zu entlocken.«

»Wenn Sie nicht darüber sprechen möchten, ist das Ihre Sache. Schließlich kann ich Mr. Ellershaw auch selber fragen.«

Er richtete sich in seinem Stuhl auf. »Das sollten Sie nicht tun. Ich glaube, Mrs. Ellershaw irrt sich darin, dass ihr Ehemann auf der Suche nach ihrer Tochter ist, aber wenn Sie darauf zu sprechen kommen, könnte das sehr wohl das schlafende Gespenst der Neugier erwecken.«

»Dann sollten Sie es mir vielleicht sagen.«

Er seufzte. »Sie werden nur so viel von mir hören, dass dieses Mädchen, Bridget Alton, die Tochter aus Mrs. Ellershaws erster Ehe ist. Eine umwerfende Schönheit, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten. Sie schlägt sehr nach ihrer Mutter - sie ist hochgewachsen und hat die hellste Haut, die ich je gesehen habe, und auch ihr Haar ist so hellblond, dass man es beinahe als weiß bezeichnen könnte, während ihre Augen von einem höchst bemerkenswerten dunklen Braun sind. Sie zog die Blicke nur so auf sich, und man konnte nirgendwo mit ihr hingehen, ohne von Männern angestarrt zu werden. Dass sie aus einer angesehenen Familie stammte und eine beträchtliche Mitgift mitbrachte, machte sie nur umso begehrenswerter. Doch trotz alledem entschied sie sich, ohne die Einwilligung ihrer Familie zu heiraten. Es war eine jener schäbigen, heimlichen Eheschließungen - Sie wissen ja. Mr. Ellershaw, der bei Tisch sonst kaum zwei Worte mit ihr zu wechseln pflegte, bekam einen fürchterlichen Wutanfall, als er davon hörte. Er schwor sich, das Mädchen aufzuspüren und zu bestrafen, also hat Mrs. Ellershaw alles Menschenmögliche getan, um ihren Mann von ihrer Tochter fernzuhalten.«

»Also eine private Familienangelegenheit«, sagte ich, »die nichts mit gemeinsamen Brotbacken zu tun hat.«

»So ist es.«

Ich hielt es für das Beste, so zu tun, als würde ich ihm glauben, also erhob ich mich und verabschiedete mich mit einer Verbeugung. Als ich nach dem Türknauf griff, rief er mich noch einmal zu sich zurück.

»Wie viel zahlt Ihnen Mr. Ellershaw?«

»Wir haben uns auf vierzig Pfund im Jahr geeinigt.«

Er nickte. »Für einen Mann mit einem so unregelmäßigen Einkommen wie Sie muss dass äußerst angenehm sein.«

Ich hielt einen Augenblick inne. Wollte er sich über mich lustig machen? Hatte er denn keine Ahnung, dass Ellershaw mir nur einen Bruchteil dessen bezahlte, was ich verdienen könnte, wenn ich meiner üblichen Tätigkeit nachging? Ich ging nicht davon aus, also nickte ich meinerseits und verließ den Raum.

Der Teufel musste mich geritten haben, denn ich zögerte keinen Augenblick, im Anschluss sogleich Ellershaw einen Besuch abzustatten. Vielleicht wollte ich mich bei dem Mann, dem ich die Schuld an Carmichaels Tod gab, rächen, vielleicht wollte ich aber auch nur im Wespennest stochern, um zu sehen, was dabei herauskam. Denn ich fand, dass ich lange genug gewartet hatte, und wenn ich etwas erreichen wollte, dann musste ich endlich etwas unternehmen, auch wenn es das Verkehrte war.

Es war niemand bei Ellershaw, und er hieß mich einzutreten, obwohl er mit irgendwelchen umfangreichen Dokumenten beschäftigt war und scheinbar nur ungern gestört werden wollte. »Ja, ja, was gibt es denn?«

Ich schloss die Tür hinter mir. »Sir, ich komme gerade von Mr. Forester zurück. Er hatte mich zu sich bestellt.«

Er blickte von seinen Papieren auf. »Na und?«

»Ich glaube, er führt Böseres im Schilde als Sie ahnen, Mr. Ellershaw.«

Nun hatte ich seine vollste Aufmerksamkeit. »Was wollen Sie damit sagen?«

Ich holte tief Luft. »Er hat mich davor gewarnt, Vertrauen in Sie zu setzen und - nun, Sir, er hat mir gesagt, Sie wären wahnsinnig.«

»Zum Teufel noch mal!«, schrie er und rammte die Faust so heftig auf den Tisch, dass seine Teetasse klapperte und überschwappte. »Verdammt, Weaver, habe ich Sie gebeten, mit meinen Kollegen vom Beirat zu plaudern? Was nehmen Sie sich eigentlich heraus? Sie wissen ganz genau, dass mir die verfluchte Versammlung der Anteilseigner im Nacken sitzt. Ich kämpfe hier ums nackte Überleben, und Sie kommen mir mit einem solchen Unsinn!«

Ich muss zugeben, dass sein Wutausbruch mich völlig unvorbereitet traf. Es hagelte nur so Tadel auf mich herunter. »Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie zu mir von geheimen Komitees gesprochen, die sich gegen Sie verschwören und dass Sie vor der Anteilseignerversammlung alles darüber in Erfahrung bringen müssten«, verteidigte ich mich. »Mr. Foresters Versuche, ihre Arbeit und Ihren Ruf zu unterminieren, tragen doch ganz gewiss -«

»Ruhe!«, brüllte er. »Genug von dem Palaver. Ich lasse mir von einem einfachen Untergebenen kein solch ehrabschneidendes Gerede gefallen. Wären wir in Indien, hätte ich Sie für das, was Sie eben gerade zu mir gesagt haben, vor die Tiger geworfen. Haben Sie denn keine Ahnung, wie es in einem großen Unternehmen zugeht, was es bedeutet, Teil eines solchen Unternehmens zu sein?«

»Beim gemeinsamen Brotbacken sein Bestes zu geben?«, fragte ich.

»Gehen Sie jetzt zurück an Ihre Arbeit.« Er sprach wieder mit ruhigerer Stimme. Seine Wut hatte sich ein wenig gelegt, obwohl ich mit meiner provokanten Bemerkung leicht noch einmal Öl in sein Feuer hätte schütten können. »Gehen Sie Ihren Pflichten nach und ich den meinen, und stören Sie mich nicht weiter mit Ihren Theorien von geheimen Komitees und Verschwörungen. Wenn Sie mir jetzt, wo so viel auf dem Spiel steht, Ärger machen, werden Sie es bereuen, Weaver, das verspreche ich Ihnen. Und sehen Sie zu, dass Sie Ersatz für Ihren toten Mann kriegen. Ich werde keine Lücke im Wachpersonal dulden, bloß weil ein Dummkopf sich von einer Kiste erschlagen lässt.«

Mit diesen Worten entließ er mich; ich hatte nun Zeit und Muße, über all die Fehler nachzudenken, die ich am Tag zuvor begangen hatte.

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