Wenn jemand las, was ich Ellershaw geschrieben hatte, so war dies nicht weiter tragisch; das, was ich Elias hatte mitteilen wollen, war dagegen wirklich nur für ihn allein bestimmt gewesen. Ich musste also zu einer Entscheidung kommen. Mein Gegner wusste, was ich wusste, und das war bisher nicht viel. Sollte ich mich zurücklehnen und abwarten, bis er sich rührte, um mehr zu erfahren, oder sollte ich in der Hoffnung, damit die Oberhand zu gewinnen, zuerst zuschlagen? Hätte ich Zeit in Hülle und Fülle, würde ich mich für Ersteres entscheiden, aber ich konnte Craven House nicht nach Lust und Laune fernbleiben und entschied mich daher für die zweite Möglichkeit. Ich wollte mit den Informationen anfangen, die ich Blackburn entlockt hatte, denn ich hoffte, aus ihnen meinen Vorteil ziehen zu können. Zunächst jedoch schrieb ich meine beiden Briefe noch einmal und versuchte dann, ein wenig Schlaf zu bekommen.
Am nächsten Morgen nahm ich schon früh die Kutsche nach Twickenham, eine Fahrt von ungefähr zwei Stunden. Die gleiche Zeitspanne verbrachte ich anschließend damit, in einem Wirtshaus auf das Eintreffen der zweiten Kutsche an diesem Tag zu warten, mit der Elias angereist kommen würde. Ich hatte peinlichst darauf geachtet, dass mir am Morgen niemand gefolgt war, aber da mein Widersacher es sich durchaus einfallen lassen konnte, auch meinen Freund Elias zu beschatten und Elias leider nicht die Geistesgegenwart besaß, einen solchen Beschatter rechtzeitig zu bemerken, hatte ich es für das Beste gehalten, dass wir getrennt fuhren.
Er bestand auf einer Mahlzeit und ein paar Schlucken Bier, um sich damit von den Anstrengungen der Reise zu erholen. Sowie sein Hunger und sein Durst gestillt waren, erkundigten wir uns nach dem Haus von Mrs. Pepper. Die mit Bäumen gesäumte Montpelier Row mit all den neuen Häusern war eine bekannte Adresse in der Stadt, und wir fanden ohne Schwierigkeiten unser Ziel.
Nun aber mussten wir auf unser Glück hoffen, denn ich hatte unseren Besuch nicht angekündigt, so dass es sein konnte, dass Mrs. Heloise Pepper ihrerseits irgendwo zu Besuch war oder gerade Einkäufe erledigte. Doch die Sorge erwies sich als unbegründet: Mrs. Pepper war daheim. Auf unser Klopfen öffnete uns ein stilles, wenig anziehendes Mädchen von etwa sechzehn oder siebzehn Jahren mit einem von Pockennarben entstellten Gesicht und einem Pferdegebiss. Sie führte uns ins Wohnzimmer, wo uns schon kurz darauf eine gut aussehende Frau von ungefähr fünfundzwanzig empfing. Sie trug natürlich Schwarz, aber ich muss sagen, dass niemals das Trauerkleid einer Witwe eine Frau besser gekleidet hat, vor allem, da es in perfektem Einklang zu ihrem ebenfalls rabenschwarzen Haar stand, das sie zu einem schicklichen, wenn auch etwas unordentlichen Knoten zusammengebunden hatte. Aus dieser schwarzen Pracht schaute ein Gesicht wie aus Porzellan mit grünbraunen, leuchtenden Augen hervor.
Elias und ich verbeugten uns aufs Zuvorkommendste, er noch tiefer als ich, denn er schenkte ihr seine ganz besondere Verbeugung, die ausschließlich schönen Witwen mit einer ansehnlichen Apanage vorbehalten war.
»Mein Name ist Benjamin Weaver, und dies ist mein getreuer Freund Elias Gordon, ein bekannter Londoner Arzt.« Das Letztere hatte ich in der Hoffnung hinzugeführt, es würde unserem Besuch gewissermaßen eine höhere Weihe verleihen. »Ich bitte die Störung zu entschuldigen, aber wir sind in einer dringenden Angelegenheit hier, in der Sie uns vielleicht weiterhelfen könnten, falls Sie bereit wären, ein paar Fragen betreffs Ihres verstorbenen Gatten zu beantworten.«
Ihr Gesichtsausdruck hellte sich merklich auf, und sie bekam vor Freude rosige Wangen. Es war, als hätte sie wider alle Wahrscheinlichkeit darauf gewartet, dass eines Tages ein Fremder an ihre Tür klopfen und ihr Fragen nach ihrem Ehemann stellen würde. Nun, da waren wir.
Und doch zögerte sie ein wenig - ein leichter Argwohn, als müsse sie sich gemahnen, nicht zu gutgläubig zu sein, so, wie ein Kind sich dazu zwingen muss, dem Feuer fernzubleiben. »Was haben Sie denn in Hinblick auf meinen lieben, guten Ab-salom mit mir zu besprechen?«, fragte sie. Sie hielt sich eine Jacke vor die Brust, die sie vermutlich gerade stopfte, aber mir entging nicht, dass sie sie zu einem Bündel zusammenrollte und sie wiegte, als wäre sie ein Kind.
»Ich weiß, dass sein Tod Ihnen großen Schmerz bereitet haben muss, Madam«, fuhr ich fort.
»Ach, wie können Sie das denn ermessen«, sagte sie. »Niemand, der nicht mit ihm verheiratet gewesen ist, kann ermessen, was es bedeutet, ihn zu verlieren, meinen Absalom - er war der beste aller Männer, das kann ich Ihnen sagen, meine Herren. Sind Sie deswegen gekommen? Um zu erfahren, dass er der beste aller Männer war? Dann kennen Sie die Antwort bereits - er war es.«
»Nun, wir sind tatsächlich zum Teil hier, um etwas über die Qualitäten Ihres Mannes in Erfahrung zu bringen«, sagte Elias. »In Gänze ist uns dies sicherlich nicht möglich.«
Schlau eingefädelt, dachte ich bei mir. Indem er die Vorzüge ihres Mannes betonte und gleichzeitig andeutete, dass wir in seine Lobpreisung mit einzustimmen trachteten, hatte Elias uns Tür und Tor weit aufgestoßen.
»Aber nehmen Sie doch Platz, Gentlemen«, sagte Mrs. Pep-per mit einer Geste auf ihr wohnlich eingerichtetes Zimmer. Die Möbel waren zwar nicht neu, aber elegant und gepflegt.
Nachdem wir uns gesetzt hatten, hieß sie das Dienstmädchen, uns Erfrischungen zu reichen, wobei es sich zu Elias Freude um einen süffigen Wein handelte.
Ich nahm nur einen kleinen Schluck. Ich hatte bereits etwas getrunken und wollte einen klaren Kopf behalten. »Madam, was können Sie uns über Ihren verstorbenen Ehemann, über Ihr gemeinsames Leben erzählen?«
»Mein Absalom«, begann sie verträumt. Sie stellte ihr Glas ab, damit nichts verschüttet wurde, während sie einen tiefen Seufzer ausstieß. Sie müssen wissen, dass mein Vater gegen unsere Heirat eingestellt war. Er konnte nicht das in ihm sehen, was ich in ihm sah.«
»Und was haben Sie in ihm gesehen?« Elias ließ für einen kurzen Moment von seinem Wein ab.
»Seine Anmut. Meine Mutter, die konnte mich schon verstehen, aber auch sie war gegen unsere Ehe, weil sie auf seine Schönheit eifersüchtig war. Absalom war der schönste Mann, den es je gegeben hat, und gutherzig war er auch. Mein Vater meinte, er hätte mich nur wegen meiner Mitgift zur Frau haben wollen, und es stimmt auch, dass diese nicht lange vorgehalten hat, aber nur, weil Absalom große Träume hatte.«
»Was für Träume waren das?«, fragte ich.
Sie sah mich gleichzeitig wohlwollend, aber auch ein wenig mitleidig an - so, wie ein Geistlicher einen Simpel anschauen würde, der von ihm wissen wollte, was es denn mit Gott auf sich hätte. »Er wollte uns reich machen«, sagte sie.
»Und wie?«
»Wie? Mit seinem Verstand. Er dachte ständig über irgendetwas nach, war ständig mit seinen Aufzeichnungen beschäftigt. Und er muss auch ein paar wichtige Gedanken gehabt haben, denn dafür hat man mir schließlich meine Apanage ausgesetzt.
Selbst mein Vater wäre davon beeindruckt, wenn er mir erlaubte, ihm davon zu erzählen, aber seit Absalom all unser Vermögen durch die Finger geronnen ist, hat er sich geweigert, auch nur ein Wort mit mir zu wechseln. Es hieß dann immer nur, er habe es ja gleich gewusst und hätte mich gewarnt, aber ich bin mir sicher, dass Absalom auf dem richtigen Wege war und nun vergebungsvoll vom Himmel auf mich herabblickt.«
»Übrigens«, meldete sich Elias zu Wort, »ist es zum Teil auch wegen dieser Apanage, weswegen wir Sie aufgesucht haben.«
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Nun weiß ich, worum es geht. Aber ich muss den Gentlemen mitteilen, dass es mir an Bewerbern nicht fehlt, ich jedoch keinem von ihnen zugetan bin. Eine Witwe mit einer Apanage ist wie eine unbeaufsichtigte Süßspeise für die Fliegen, wenn Sie mir vergeben, dass ich es so direkt ausdrücke, aber ich bin keine Rose, die man so einfach pflücken kann. Ich war mit Absalom Pepper verheiratet und könnte den Gedanken nicht ertragen, einen anderen Mann zu ehelichen. Ich weiß, wie die Herren denken. Sie meinen, eine an eine Witwe ausbezahlte Apanage wäre vergeudetes Geld. Mir aber ist sie ein ewiges Sinnbild für Absa-loms Leben und seine Seele, und ich kann es nicht beflecken, indem ich meine Hand einem anderen gebe.«
»Sie haben uns ganz und gar missverstanden«, beeilte ich mich sie zu beschwichtigen. »Zwar kann ich es keinem Mann verdenken, wenn er um Ihre Hand anhält, sei es nun mit oder ohne Apanage, doch das ist nicht der Grund unseres Kommens. Vielmehr würden wir gerne wissen, wie Sie in den Genuss dieser Rente gelangt sind, Madam.«
Der Glorienschein der Selbstgefälligkeit, die Ausstrahlung derjenigen, die den Saum eines Heiligen berührt hat, war augenblicklich verflogen. »Wollen Sie etwa sagen, dass es damit Schwierigkeiten gibt? Mir ist versichert worden, dass mir diese Apanage mein Leben lang ausbezahlt wird. Es ist nicht recht, wenn sich daran jetzt etwas ändern soll, Sir. Nein, es wäre nicht recht, und lassen Sie sich gesagt sein, dass einer meiner Bewerber ein Gelehrter der Rechte ist, und obwohl er niemals meine Gunst erlangen wird, weiß ich doch, dass er keine Mühe scheuen dürfte, mir mit seinen Diensten zu Hilfe zu eilen. Er wird dafür sorgen, dass ich kein solches Unrecht erdulden muss.«
»Ich bitte Sie um Entschuldigung«, unterbrach Elias sie, »dass wir Ihnen Anlass zur Sorge gegeben haben. Mein Freund hat nichts dergleichen gemeint. Wir haben keinerlei Verfügungsgewalt über Ihre Apanage und wollen Ihnen keineswegs schaden. Wir möchten lediglich erfahren, auf Grund wessen man Ihnen diese Apanage ausgesetzt hat. Warum bekommen Sie das Geld?«
»Warum?« Sie ereiferte sich zusehends mehr. »Warum nicht? Ist das nicht so bei den Seidenwebern?«
»Den Seidenwebern?«, entfuhr es mir, obwohl ich wusste, dass ich besser meine Zunge hüten sollte. »Was hat das mit den Seidenwebern zu tun?«
»Wieso sollte es nicht mit ihnen zu tun haben?«, erwiderte Mrs. Pepper spitz.
»Madam«, sagte Elias, »wir hatten den Eindruck, dass die Apanage von der East India Company stammt.«
Sie starrte mich an, als hätte ich sie auf die schlimmste nur denkbare Weise beleidigt. »Wieso sollte die East India Company mir eine Apanage ausbezahlen? Was sollte Mr. Pepper mit diesen Leuten zu tun gehabt haben?«
Mir lag es auf der Zunge, ihr zu sagen, dass wir gehofft hätten, gerade dies von ihr zu erfahren, und ich glaube, dass auch Elias dieser Gedanke gekommen war, aber auch er unterließ es, ihn auszusprechen. Was konnten wir gewinnen, indem wir eine so einfach zu beantwortende Frage stellten?
»Madame, wir reden offensichtlich aneinander vorbei«, sagte Elias. »Würden Sie uns sagen, wo die Apanage herkommt?«
»Das habe ich doch soeben erklärt. Von der Gilde der Seidenweber. Nach Mr. Peppers Tod hat mich ein Mann aufge-sucht und mir gesagt, Absalom wäre eines ihrer Mitglieder gewesen, und ich als seine Witwe wäre berechtigt, seine Apanage zu kassieren. Sie müssen mir schwören, dass Sie sie mir nicht wegnehmen wollen.«
»Erlauben Sie mir, dass ich erkläre«, sagte ich. »Sehen Sie, Madam, wir repräsentieren die Seahawk-Versicherung, und es hat bei der Bearbeitung eines der Ansprüche in Zusammenhang mit der East India Company einen Fehler durch einen unserer Angestellten gegeben. Ich werde mein ganzes Bemühen daransetzen, dafür zu sorgen, dass niemandem ein Verlust entsteht, verstehen Sie. Es geht lediglich darum, die Buchführung in Ordnung zu bringen. Wir waren davon ausgegangen, dass die East India Company diese Apanage an Sie auszahlt, aber unsere Unterlagen mögen in dieser Hinsicht noch mehr Irrtümer enthalten. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass nichts Ihren Apanagenanspruch gefährden kann. Sie können uns nur helfen, die Verwaltung desselben besser zu organisieren.«
Dies schien sie einigermaßen zu beruhigen. Sie nahm ein Medaillon von ihrer Brust und betrachtete das Bild darin, zweifellos eines ihres verstorbenen Mannes. Nachdem sie dem Bild ein paar Worte zugeflüstert und es liebevoll mit dem Finger berührt hatte, steckte sie es wieder weg und wandte sich uns zu. »Nun gut, dann will ich es gerne versuchen.«
Ich bedankte mich für das Entgegenkommen. »Wenn ich also recht verstehe, sagen Sie, dass die Apanage einen Teil der Bezüge darstellt, die Mitgliedern der Gilde der Seidenweber zustehen?«
»So ist es mir erklärt worden.«
Allein schon der Gedanke daran grenzte ans Absurde. Einhundertzwanzig Pfund jährlich für die Witwe eines Seidenwebers. Solche Männer konnten von Glück reden, wenn sie zwanzig oder dreißig Pfund im Jahr verdienten, und obwohl ich wusste, dass Handwerker Einrichtungen ins Leben riefen, um einander unter die Arme zu greifen, hatte ich doch noch nie von einer Standesgilde der Seidenweber gehört. Zu meinem Glück jedoch besaß ich unter ihnen einen Vertrauten, jenen Devout Hale nämlich, dessen Hang zu Aufrührerei ich mir zu Nutze gemacht hatte, um mich in die East India Company einzuschleusen. Ich konnte nur hoffen, dass er mir auch ein weiteres Mal gefällig sein würde - mit einer Information.
»Nur damit wir uns nicht noch mehr missverstehen«, sagte ich. »Ihr Gatte war also Seidenweber in London. Ist das richtig?«
»Das ist richtig.«
»Dann müssen Sie doch wissen, was Ihr Mann mit seinem Handwerk verdient hat, Madam. Hat es Sie da nicht überrascht, dass er Altersbezüge bekäme, die dem Vielfachen seines jährlichen Einkommens entsprächen?«
»Oh, über etwas so Profanes wie Geld hat er nie mit mir gesprochen. Ich wusste nur, dass er genug verdiente, damit wir davon gut leben konnten. Mein Vater beharrte auf der Vorstellung, ein Seidenweber sei nichts Besseres als ein Lastenträger, aber hat mein Absalom mir nicht Kleider und Schmuck gekauft und mich ins Theater ausgeführt? Kann das ein Lastenträger?«
»Es gibt unter den Seidenwebern gewiss solche, die sich bei ihrem Handwerk als besonders geschickt erweisen«, sagte ich. »Vielleicht könnten Sie mir mehr darüber sagen, in welchem
Bereich Ihr Gatte als Seidenweber tätig gewesen ist, dann wäre es ...«
»Er war ein Seidenweber«, erklärte sie abschließend, als hätte ich durch meine Fragen seinen Namen beschmutzt. Dann jedoch fügte sie weniger brüsk hinzu: »Er wollte mich nicht damit langweilen, dass er mir von seiner Arbeit erzählt. Er wusste, dass es ein anstrengender Beruf war, aber er hat sich darein gefügt. Er hat damit unser Brot verdient, mehr, als wir für unser Glück brauchten.«
»Um noch einmal auf die East India Company zurückzu-kommen«, hakte ich nach. »Sie wissen von keiner Verbindung Ihres Gatten zu dieser Gesellschaft?«
»Gar keine. Aber wie ich schon sagte, habe ich mich niemals in seine geschäftlichen Dinge eingemischt. Es wäre auch ganz und gar unangebracht gewesen. Sie sagen also, meine Apanage sei nicht in Gefahr?«
Obwohl es mir widerstrebte, einer so reizenden Dame Kummer zu bereiten, wusste ich doch, dass ich mich nun als ihr Verbündeter gegen mögliche Angriffe preisgeben musste, denn wenn ich noch einmal mit ihr sprechen wollte, sollte sie ehrlich und offen zu mir sein. »Ich hoffe, dass es sich so verhält, und ich will alles in meiner Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass Sie diese Summe auch weiterhin erhalten.«
Auf der Rückfahrt konnten Elias und ich nur leise miteinander reden, denn wir teilten die Kutsche mit zwei älteren, ungewöhnlich grimmig dreinblickenden Handwerkern. Sie hatten mich sofort als Juden erkannt und verbrachten den überwiegenden Teil der Fahrt damit, mich feindselig anzustarren. Ab und zu wandte sich einer der beiden seinem Gefährten zu und sagte so etwas wie: »Wie findest du es, gemeinsam mit einem Juden in einer Kutsche zu sitzen?«
»Es hat mir noch nie gefallen«, pflegte der andere dann zu antworten.
»Eine Zumutung«, sagte dann der Erste. »Reisen mit der Kutsche sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
Sodann verfielen sie wieder in finsteres Starren, bis es an der Zeit schien, erneut gehässige Bemerkungen auszutauschen.
Nachdem ich mir das drei oder vier Mal hatte anhören müssen, sprach ich die beiden an. »Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, Männer aus der Kutsche zu werfen, die das fünfundvierzigste Lebensjahr bereits überschritten haben, aber sooft Sie Ihren Mund aufmachen, werden Sie in meinen Augen um fünf Jahre jünger und meine Skrupel dementsprechend geringer. Nach meinen Berechnungen und dem Anschein, den Sie machen, werde ich Sie ohne weitere Überlegung hinauswerfen, sowie Sie noch eine einzige Unflätigkeit von sich geben. Und erwarten Sie nicht, dass der Kutscher eingreift. Ein paar Münzen werden dafür Sorge tragen, und wie Sie ja wissen, haben wir Juden keinen Mangel daran.«
Obwohl ich es kaum über mich bringen würde, tatsächlich einen Mann, der hart auf die Siebzig zuging, auf die Straße hinauszustoßen, bewirkte doch schon die Androhung dessen allein, dass die beiden schwiegen. Sie schienen sich danach sogar zu scheuen, uns auch nur anzusehen, was die Unterhaltung zwischen Elias und mir ein ganzes Stück ungezwungener gestaltete.
»Heloise und Absalom«, sinnierte Elias und brachte uns damit wieder auf das zurück, was uns eigentlich beschäftigen sollte. »Eine ausgesprochen ungünstige Kombination zweier Namen. Ein Gedicht, das ich ungern lesen würde.«
»Mrs. Pepper schien sich bei dem bösen Omen nichts gedacht zu haben. So verzückt war sie jedenfalls von ihrem verstorbenen Mann.«
»Man fragt sich, was für ein Mensch er wohl gewesen ist«, spann Elias den Faden fort. »Trotz all seiner persönlichen Vorzüge kann ich mir doch nicht erklären, warum die East India Company seine Witwe so reich entlohnen sollte.«
»Das liegt doch klar auf der Hand. Sie haben ein schweres Unrecht an ihm begangen, und nun wollen Sie sich das Schweigen seiner Witwe erkaufen.«
»Keine schlechte Theorie«, gab Elias mir recht, »aber doch überzeugt sie mich nicht ganz. Wenn man ihr zehn oder zwanzig oder auch dreißig Pfund im Jahr angeboten hätte, wäre die Geschichte mit der Gilde noch glaubwürdig gewesen. Aber einhundertzwanzig? Selbst wenn sie überzogene Vorstellungen davon hat, was die Dienste ihres verstorbenen Mannes wert gewesen sein mögen, und sie Tatsachen gegenüber blind ist, wie es scheint, kann die Frau doch nicht allen Ernstes glauben, eine solche Wohltätigkeit wäre Usus. Wenn also die East India Company bei dem Tod des Knaben ihre Finger im Spiel hatte, warum sollte sie dann Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem sie sich so übertrieben großzügig zeigt?«
Eine gute Frage, und ich hatte keine Antwort darauf parat. »Vielleicht war das Verbrechen, das sie begangen haben, so abscheulich, dass man es jetzt vorzieht, jeden aufkommenden Zweifel doppelt und dreifach zu ersticken, anstatt sich auch nur den Anschein zu geben, etwas wiedergutmachen zu wollen? Möglicherweise weiß die Witwe ganz genau, dass das Geld nicht von der Gilde stammt, klammert sich aber an der Vorstellung fest, ihr Mann wäre allen anderen überlegen gewesen?«
Elias erwog diesen Einwurf, kam aber zu keinem vernünftigen Schluss. Wir verständigten uns darüber, dass wir wohl erst noch mehr in Erfahrung bringen mussten, ehe wir hinter das Geheimnis kamen.
Wieder in London angekommen, wollte ich sogleich Devout Hale aufsuchen, denn von ihm erhoffte ich mir Aufschluss darüber, welche Rolle Pepper unter den Seidenwebern gespielt hatte. An den Orten, wo man ihn gewöhnlich antraf, war jedoch keine Spur von ihm zu entdecken. Ich hinterließ überall, dass ich ihn zu sprechen wünsche, und kehrte dann in meine Wohnung zurück, wo kein anderer als der erpelge-sichtige Edgar bereits auf mich wartete. Die meisten seiner Blessuren begannen bereits zu verheilen, obwohl er immer noch ein blaues Auge hatte und an den Stellen, wo früher einmal seine Zähne gesteckt hatten, natürlich noch die Lücken klafften.
»Ich würde gerne auf ein Wort hereingebeten werden«, sagte er.
»Und ich hätte gerne, dass du verschwindest.«
»Das werde ich nicht tun, und Sie können mich gerne davonjagen, aber ich glaube, Sie wollen nicht das Aufsehen Ihrer Nachbarn erwecken.«
Da hatte er gewiss recht, also bat ich ihn widerstrebend zu mir herein. Hier setzte er mich darüber ins Bild, dass sein Herr aus zuverlässiger Quelle erfahren hatte, dass ich an diesem Tag meiner Arbeit ferngeblieben sei.
»Es hieß, Sie hätten sich krank gemeldet, aber für mich sehen Sie ganz gesund aus. Ich sehe jedenfalls kein Blut aus Ihrem After träufeln.«
»Vielleicht möchtest du ihn dir einmal etwas näher ansehen?«
Er antwortete nichts darauf.
»Ich war indisponiert«, erklärte ich, »aber inzwischen geht es mir schon wieder besser, und ich habe einen Spaziergang gemacht, um einen klaren Kopf zu bekommen.«
»Mr. Cobb wünscht, dass ich Ihnen sage, dass er sich nicht an der Nase herumführen zu lassen gedenkt. Sie haben sich morgen wieder im Craven House einzufinden, Sir, oder er wird es erfahren. Worauf Sie sich verlassen können.«
»So, nun hast du deine Nachricht überbracht. Nun nichts wie fort mit dir.«
»Mr. Cobb wünscht ferner zu erfahren, ob Sie in der Angelegenheit des Namens, den er Ihnen genannt hat, schon weitergekommen sind.«
»Nein, ich habe noch nichts in Erfahrung gebracht.« Ich wusste mich sehr wohl als ein Muster an Aufrichtigkeit zu geben, wenn ich jemandem die größte Lüge auftischte. Ich hoffte, mich nicht durch mein Auftreten verraten zu haben, aber wenn Aadil für Cobb arbeitete und der nur leidlich verschlüsselte Inhalt meines Briefes an Elias verstanden worden war, konnte es durchaus sein, dass man mit der Witwe Pepper gesprochen hatte und wusste, was ich wusste. Es war möglich, aber doch eher unwahrscheinlich. Ich hatte keine Ahnung, auf wessen
Seite Aadil stand, noch, wie weit sein Einfluss reichte, aber ich glaubte nicht, dass er mit Cobb im Bunde war.
»Hoffentlich ist das auch wahr«, sagte Edgar. »Wenn er erfährt, dass Sie ihm Informationen vorenthalten, wird das schlimme Folgen für Sie haben, und Sie werden es bitter bereuen. Das weiß ich, und Sie sollten es auch wissen.«
»Gut, dann geh jetzt. Ich habe verstanden.«
Edgar ging tatsächlich, und ich war gleichzeitig erleichtert und enttäuscht darüber, dass es bei dieser Begegnung mit ihm ohne Gewaltanwendung abgegangen war.
Ich glaubte, der Tag wäre damit für mich erledigt, und ich wollte vor dem Schlafengehen nur noch ein Glas Portwein vor meinen Kamin genießen und so weit als möglich an nichts denken, die Ereignisse des Tages vergessen, die Erkenntnisse, die er gebracht und die Fragen, die er aufgeworfen hatte. Dabei muss ich wohl in meinem Sessel eingedöst sein - jedenfalls weckte mich ein Klopfen an der Tür unsanft aus meinem Schlummer. Meine Vermieterin informierte mich darüber, dass unten ein Junge mit einer Nachricht stand, die angeblich keinen Aufschub duldete.
Verwundert erhob ich mich. Es ärgerte mich, dass mir nicht auch nur ein Augenblick der Ruhe vergönnt war, aber als ich die Treppe hinunterkam, sah ich sofort, dass der Junge einer meines Volkes war. Ich kannte ihn aus dem Lagerhaus meines Onkels, und als ich in seine geröteten Augen blickte, ahnte ich sofort, dass der Brief, den er mir überbrachte, Trauriges verhieß. Entsprechend nahm ich ihn mit zitternder Hand entgegen und faltete ihn auseinander.
Der Brief kam von meiner Tante. Er war auf Portugiesisch verfasst, ihrer Muttersprache. In der Stunde der Not hatten ihre unvollkommenen Kenntnisse der englischen Sprache sie wohl verlassen. Und dann las ich, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte. Die Brustfellentzündung meines Onkels hatte sich mit einem Male so sehr verschlimmert, dass er nicht mehr davon genesen konnte. Eine Stunde lang hatte er noch tapfer um Atem gerungen, aber seine Kräfte hatten nichts gegen das Wüten der Krankheit vermocht. Er war tot.