14

In der Hoffnung, dass niemandem meine Abwesenheit auffallen und dass Mr. Ellershaw mich nicht zu sich bestellen würde, verließ ich Craven House an diesem Abend ein paar Stunden vor der Zeit. Wie verabredet traf ich Elias in der Two Schooner's Tavern an, wo er sich bereits ein Ale und eine Mahlzeit bestellt hatte, die ich, wie ich vermutete, bezahlen sollte. Als ich mich setzte, tunkte er mit seinem letzten Stück Brot gerade den Rest Fett von seinem Teller.

»Bist du dir sicher, dass ich mir damit keine Scherereien aufhalse?«, fragte er.

»Einigermaßen sicher«, räumte ich ein.

Darauf ging ich noch einmal mit ihm meinen Plan durch, den ich für ziemlich geradlinig und einfach zu bewerkstelligen hielt - zumindest Elias' Teil davon. Elias wischte sich den Mund ab und stand auf, um sich auf den kurzen Weg zur Throgmor-ton Street zu machen, wo die Seahawk-Versicherung ihre Büroräume unterhielt. Auch ich bestellte mir einen Krug, an dem ich mich ungefähr ein Drittel einer Stunde festhielt, um dann die Rechnung zu begleichen und Elias zu folgen.

Ich betrat das Gebäude und fand mich in einer großen Halle mit mehreren schweren Schreibpulten wieder, an denen mehrere Angestellte noch bei ihrer Arbeit saßen. Dann fiel mir eine Tür zu meiner Linken auf, hinter der ich Mr. Ingrams Büro vermutete. Ich hatte mich unter Elias' Namen bereits früher am

Tag mit ihm in Verbindung gesetzt und um einen Termin gebeten. In diesem Augenblick hielt sich Elias selber gerade in dem Büro auf, wo er versuchte, Lebensversicherungen für mehrere ältere Kapitäne zur See abzuschließen. Mr. Ingram würde vollends damit beschäftigt sein, ihn mit weitschweifigen Ausflüchten abzuwimmeln, was mir die nötige Zeit gab, unseren Plan in die Tat umzusetzen.

Ich wandte mich an einen der Angestellten, einen buckligen Gentleman von reiferen Jahren, dessen Augen hinter seiner dicken Brille kaum zu erkennen waren. Er trug in sichtlicher Eile, aber sehr akkurat, Ziffern in ein Kontobuch ein und war so eifrig damit beschäftigt, dass er mein Nähertreten zunächst gar nicht bemerkte.

»Ingram«, sagte ich zu ihm.

Er unterließ es, zu mir aufzusehen. »Mr. Ingram ist im Augenblick indisponiert. Wenn Sie bitte warten oder Ihre Karte hinterlassen würden, Sir.«

»Nein«, sagte ich leise, vielleicht zu leise, denn er reagierte nicht darauf, woraufhin ich es für angebracht fand, meiner Verstimmung Ausdruck zu verleihen, indem ich mit der flachen Hand auf sein Schreibpult schlug. »Ingram«, wiederholte ich noch einmal.

Er legte seine Feder beiseite und kratzte sich mit einem von Tinte verfärbten Finger die Nase. Die Kuppe seines Zeigefingers war ganz flach davon, jahrelang gegen ein Schreibgerät gedrückt worden zu sein. »Mr. Ingram ist gerade im Gespräch mit einem Gentleman«, sagte er, und aus seiner Stimme war herauszuhören, dass ich ihn gründlich eingeschüchtert hatte. Auch seinen Kollegen schien dies nicht entgangen zu sein, denn sie hielten allesamt in ihrer Arbeit inne und sahen mich an.

»Ich schlage vor, dass Sie ihn holen«, sagte ich.

»Es ist nicht unsere Gepflogenheit, in der Eingangshalle Geschäfte zu tätigen«, wollte er sich herausreden.

»Wenn ich komme, sollten Sie es zu Ihrer Gepflogenheit machen.«

»Und wer, bitte, sind Sie?«

»Ah, Mr.Weaver, wenn ich recht erinnere.«

Ich erkannte den Mann, der die Treppe heruntergegangen kam. Es war kein Geringerer als der kleine Mr. Bernis, der pedantische Gentleman, der jüngst in dem Speiselokal an mich herangetreten war, um mich darüber aufzuklären, dass mein Leben nun vollständig versichert war. Er eilte auf mich zu und schüttelte mir ausgiebig die Hand, was ich mit unbeteiligter Miene über mich ergehen ließ. »Wie schön, Sie wiederzusehen, Sir. Wie können wir Ihnen helfen?«

»Ich bin gekommen, um von Ihnen die Herausgabe der Namen der Männer, die mein Leben versichert haben, zu verlangen.«

»Wie ich Ihnen doch bereits erklärt habe, können wir diese Information nicht preisgeben. Unsere Kunden erwarten Vertraulichkeit, und wir dürfen nicht ...«

»Ich spucke auf Ihre Vertraulichkeit«, fuhr ich ihm brüsk über den Mund. Der Angestellte trat erschrocken einen Schritt zurück, als hätte ich ihm mit meiner Vehemenz davongepustet. »Nun rücken Sie schon damit raus.«

»Sir.« Eines musste ich dem armen Mr. Bernis lassen. Er war nicht gerade stattlich gebaut und wirkte auch alles andere als rauflustig, war jedoch seinem Arbeitgeber treu ergeben. Tapfer trat er einen Schritt auf mich zu und legte mir sogar eine Hand auf den Arm.

Ich packte mir den kleinen Kerl und stieß ihn gegen den Schreibtisch des Brillenträgers. Sogleich purzelten beide Hals über Kopf zwischen herumfliegenden Papieren und verschütteter Tinte über den Fußboden. Ich hoffte, dass sich der Alte nichts gebrochen hatte, denn er konnte schließlich nichts dafür. Ich nahm mir vor, ihm als Kompensation ein Geschenk zukommen zu lassen, aber im Augenblick hatte ich Wichtigeres zu tun. »Ich will mit Ingram sprechen!«, rief ich laut, und um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, trat ich an den nächsten Tisch und fegte alles, was sich darauf befand, mit einer einzigen Armbewegung auf den Boden.

Wie ich gehofft hatte, brach in dem Schreibsaal ein heilloses Durcheinander aus. Mehrere Angestellte, einer davon mit dem Gesicht voller Tinte, flüchteten in Richtung Treppe. Überall lagen Papiere verstreut, und alle schrien durcheinander, einschließlich des armen Bernis, der sich wieder aufgerafft hatte und klagend Ingrams Namen rief. Ich stimmte in den Chor mit ein und rief ebenfalls nach Ingram, wenn auch mit weit mehr Nachdruck.

Meine Bemühungen hatten ihren Zweck nicht verfehlt, denn die Tür zu seinem Büro öffnete sich, und dann sah ich Ingram vor mir - er war von leicht unterdurchschnittlicher Größe, aber gut gebaut, mit breiten Schultern und einem Brustumfang wie ein Fass, obwohl er zweifellos über fünfzig zählte. Trotz des Tumults, dessen Anblick ein Schock für ihn gewesen sein musste, ließ seine Haltung nichts zu wünschen übrig.

Ich beobachtete, wie sich hinter ihm Elias von seinem Stuhl erhob und langsam auf die Tür zutrat, um sie von innen zu schließen, also musste ich Ingram ablenken. Ich trat mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zu, fuchtelte mit der Hand und stand kurz davor, ihm herablassend auf die Brust zu pochen.

»Mein Name ist Weaver«, sagte ich. »Mehrere Personen haben eine Lebensversicherung auf mich abgeschlossen. Ich verlange, dass Sie mir ihre Namen nennen und mir sagen, was für Männer das sind. Ansonsten werden Sie es bereuen.«

»Lewis«, rief er einem der Angestellten zu. »Holen Sie den Wachtmeister.« Ein junger Mann, der neben der Treppe gekauert hatte, weil er sich einerseits in Sicherheit bringen, sich andererseits das Spektakel aber doch nicht ganz entgehen lassen wollte, stand auf und flitzte an mir vorbei und zur Tür hinaus, als hätte er Angst, ich könne ihn beißen.

Aber ich ließ ihn laufen. Mindestens während der nächsten Viertelstunde würde kein Konstabler auf seiner Runde hier vorbeikommen, und ich hatte nicht vor, so lange zu verweilen. »Alle Wachtmeister der Welt können Ihnen nicht helfen«, sagte ich. »Sie werden mir so oder so meine Fragen beantworten müssen.«

»Die Antwort haben Sie schon bekommen«, sagte er. »Sie müssen sehr entschuldigen, aber wir können Ihnen die Information, die Sie verlangen, nicht geben. Nun verlange ich, dass Sie auf der Stelle das Haus verlassen, weil es Ihnen sonst um Ihren guten Ruf leidtun könnte.«

»Meinem Ruf kann keiner was anhaben«, sagte ich. »Im Gegenteil, er ist so gut, dass ich damit sogar vor Gericht Anschuldigungen gegen Sie und Ihre Versicherung erheben könnte, und das wäre doch Ihrem Ruf recht abträglich, oder?«

»Es wäre für unseren guten Ruf noch abträglicher, wenn wir das Vertrauen unserer Kunden missbrauchen, indem wir offenlegen, was offenzulegen wir nicht verpflichtet sind.«

Auf diese Weise debattierten wir noch mehrere Minuten lang, bis ich gewahrte, dass sich die Tür zu Ingrams Büro wieder öffnete. Dies war das Signal, auf das Elias und ich uns verständigt hatten und damit für mich das Zeichen, dass ich mich nun aus dem Staube machen sollte. Unter Drohungen, dass diese Impertinenz nicht ungesühnt bliebe, nahm ich meinen Rückzug vor.

Ich begab mich in das gleiche Wirtshaus wie zuvor und bestellte mir ein Bier, um auf Elias zu warten. Er kam früher, als ich gedacht hatte.

»Ich habe den Wirrwarr, den du angerichtet hast, als Entschuldigung benutzt, um zu gehen«, erzählte er. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ingram oder einer der Angestellten nicht einen Zusammenhang zwischen deinem Besuch und dem meinen sehen werden und uns auf die Schliche kommen.«

»Und wenn schon. Unternehmen können sie sowieso nichts, denn sie werden kaum wollen, dass alle Welt erfährt, wie leicht Unbefugte an ihre vertraulichen Geschäftsunterlagen herankönnen. Nun, hast du die Namen herausbekommen?«

»Das habe ich«, sagte er. »Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei.« Aus seiner Tasche zog er einen Papierfetzen, auf dem fünf Namen geschrieben standen, die ich noch nie gehört hatte. Jean-David Morel Pierre Simon Jacques LaFont Daniel Emile Arnaud Roux

»Möglicherweise fällt dir etwas daran auf«, sagte er. »Das sind alles französische Namen.« »Eben.«

»Soweit ich verstanden habe, fangen die Franzosen gerade an, sich in Indien breitzumachen, und es könnte durchaus sein, dass sie bei der Verfolgung ihrer Ziele der East India Company auf die Füße treten. Das leuchtet mir ein. Was mir nicht einleuchtet, ist, warum sie glauben, ihr Reüssieren hinge von meinem Erfolg ab, und zwar so sehr, dass sie mein Leben versichern müssen.«

»Das ist eine mögliche Erklärung. Es gibt aber noch eine andere, und die halte ich für wahrscheinlicher, wie ich leider sagen muss.«

»Da sie wissen, dass ich bald tot sein werde, sehen sie keinen Grund, nicht auch noch Profit daraus zu schlagen.«

Elias nickte ernst. »Du hattest schon vor dieser Geschichte Feinde, Weaver, aber ich fürchte, dass wir soeben erfahren haben, dass es noch schlimmer um dich steht, als wir geglaubt hatten.«

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