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D ie British East India Company führte ihre Geschäfte vom Craven House an der Kreuzung der Leadenhall und Lyme Street. Hier befand sich nicht nur das Stadthaus der Direktoren, sondern auch das als India Yard bezeichnete Lager, das an der besagten Straßenkreuzung zunehmend mehr Raum einnahm und sich bis zur Grace Church Street im Westen und zur Fenchurch Street im Süden erstreckte. Je vermögender die British East In-dia Company wurde, umso größer wurde auch der Platzbedarf für die Gewürze, die Teesorten, die Leinenstoffe, Musselingewebe, die Seidenprodukte und anderen Schätze Asiens, die das Unternehmen importierte und für die die Menschen unseres Inselreiches einen unersättlichen Bedarf zu haben schienen. Zu dem Zeitpunkt, da ich diese Geschichte niederschreibe -viele Jahre nachdem sie sich zugetragen hat -, ist der Name der Firma geradezu ein Synonym für Tee geworden, so, wie er es zu meinen Jugendzeiten für Gewürze gewesen war. Zu der Zeit, in der diese Geschichte spielt hingegen, war die East India Company vor allem für ihre indischen Textilien berühmt.

Während der Tageslichtstunden der wärmeren Monate konnte man einen steten Strom von Lastenträgern und Lastkarren sehen, die sich wie menschliche Ameisen mit ihrer wertvollen Fracht zwischen dem India Yard und dem Dock an der Billingsgate, wo die Schiffe be- und entladen wurden, hin- und herbewegten. Nur an christlichen Feiertagen kam dieser Strom zum Erliegen, und selbst während der kalten Monate, wenn kaum Schiffe den Londoner Hafen anliefen, herrschte hier ein emsiges Treiben, denn der Götze namens Profit, dem die Direktoren huldigten, richtete sich nicht nach den Jahreszeiten.

Ich kannte mich nur wenig mit dem Geschäftsgebaren der East India Company aus, aber eines wusste ich: Das Gelände wurde geradezu von einer Armee bewacht, deren Aufgabe nicht nur darin bestand, den wertvollen Inhalt der Warenhäuser zu beschützen, sondern auch das, was im Craven House an sich aufbewahrt wurde. Im Gegensatz zu den übrigen Handelshäusern - der Africa Company, der Levante Company und natürlich der South Sea Company besaß die East India Company zwar nicht mehr das Monopol am Indienhandel, aber sie war seit über hundert Jahren etabliert und hatte wenige ernsthafte Mitbewerber. Trotzdem hatten die Direktoren guten Grund dazu, ihre Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Nur ein törichter, ein sehr törichter Mann, würde es wagen, sich mit einem der großen Handelshäuser anzulegen. Ich mochte in der Kunst des Einbruchs behände und versiert sein, aber wenn jemand einer Macht in die Quere kommt, die mit Millionenbeträgen so umgeht wie unsereins mit Pennys, dürfte er gewiss den Kürzeren ziehen.

Genau aus diesem Grunde hatte ich einige Wochen zuvor das Angebot von Mr. Westerly abgelehnt, der mir vierzig Pfund (natürlich hatten Cobb und Hammond das, was durch meine Weigerung an zusätzlichen Spesen angefallen war, von meiner Entlohnung abgezogen) dafür geben wollte, dass ich etwas in meinen Augen unvorstellbar Törichtes tat - nämlich ins Cra-ven House einzubrechen, mich in das Büro eines der Direktoren zu schleichen und wichtige Dokumente für die bevorstehende Aktionärsversammlung zu entwenden. Die Gefahr, dabei gestellt zu werden, sei viel zu groß, hatte ich Mr. Westerly erklärt, und die Konsequenzen, die mir daraus erwüchsen, viel zu unerquicklich.

Ich erinnerte mich an einen Zwischenfall, der vor einigen Jahren in aller Munde gewesen war: Einem Schurken namens Thomas Abraham war es gelungen, 16 000 Pfund aus dem Craven House zu stehlen. Er hatte sich über Nacht in dem Haus einschließen lassen, nachdem er sich tagsüber als falscher Geschäftsmann Zugang verschafft hatte. Unseligerweise hatte er sich zuvor Mut angetrunken und es dabei ein wenig zu gut gemeint, so dass er sein sicheres Versteck verlassen musste, um Wasser zu lassen - wobei er ertappt worden war. Für diesen Einbruch sollte Mr. Abraham am Galgen baumeln, doch in einem seltenen Akt von Großmut sorgte die East India Company dafür, dass sein Urteil in lebenslange Zwangsarbeit an einem ihrer ostindischen Außenposten umgewandelt wurde. Ich betrachtete das Leben als Sklave in tropischen Gefilden mit Hitze, Krankheiten und Hungersnot nicht unbedingt als Gnade und hoffte sehr, dass mir ein ähnliches Schicksal erspart bleiben würde.

Allerdings musste ich zugeben, dass Mr. Cobb durchaus Verständnis für die Schwierigkeiten hatte, denen ich mich gegenübergestellt sah, und weil er so erpicht darauf war, meine Mission von Erfolg gekrönt zu sehen, willigte er ein, mir gewisse Gelder vorzustrecken, die ich zur Durchführung derselben benötigen würde, vorausgesetzt, dass ich ihm die Notwendigkeit glaubhaft machen konnte. Somit verließ ich sein Haus mit der Zusage finanzieller Unterstützung, doch gleichzeitig mit einem Vorgefühl, dass mein weiterer Weg mich in eine Katastrophe führen würde.

Vor der Tür musste ich über Edgar hinwegsteigen, der zwar noch atmete, wie ich am Heben und Senken seiner Brust erkennen konnte, dem aber von den Straßenjungen ziemlich übel mitgespielt worden war. So hatten sie ihn zum Beispiel vollkommen entkleidet, was zu solch einer Jahreszeit mit Bodenfrost von ziemlicher Rohheit zeugte; außerdem hatte man ihm um die Augen herum Schnitte und Hiebe zugefügt, die nicht von meinem Faustschlag stammten. An seine möglichen inneren Verletzungen mochte ich gar nicht erst denken. Ich würde sehr darauf achten müssen, Edgar gegenüber kein Anzeichen von Schwäche durchblicken zu lassen, denn er würde gewiss sein Mütchen an mir zu kühlen trachten.

Ich ließ mich von einer Droschke nach Spitalfields bringen, wo ich eine Schankwirtschaft namens The Crown and Shuttle aufsuchte, das Stammlokal eines Mannes, den ich dringend sprechen musste. Ich wusste, dass ich zu früh dran war, aber da ich im Augenblick nichts anderes zu tun hatte, bestellte ich mir ein Ale und sann über die Schwierigkeiten nach, die mir bevorstanden. Ich war wie gelähmt vor Wut und Zorn; der Gedanke, derart benutzt zu werden, erfüllte mich mit einem schwelenden Groll, der mich auch nicht losließ, wenn ich versuchte, meine Gedanken anderen Dingen zuzuwenden. Doch konnte ich nicht umhin, zuzugeben, dass ich gleichzeitig auch neugierig war. Cobb hatte mich vor eine schwere Aufgabe gestellt, eine sehr schwere Aufgabe, und es war nun an mir, eine Lösung dafür zu finden. Obwohl ich Mr. Westerly gesagt hatte, dass sein Ansinnen unmöglich auszuführen wäre, war ich nun zu der Überzeugung gelangt, dass ich das Problem möglicherweise überschätzt hatte. Nein, ganz und gar unmöglich war es nicht - eher unwahrscheinlich, dass es mir gelingen würde. Mit entsprechender Planung konnte ich vielleicht doch vollbringen, was von mir erwartet wurde, und vielleicht würde es auch gar nicht so schwierig sein.

Über diese Dinge sann ich während der folgenden zwei oder drei Stunden über fünf oder sechs Krügen Ale nach. Ich gebe zu, dass ich nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte war, als plötzlich die Tür der Schankwirtschaft aufgestoßen wurde und ein halbes Dutzend stämmiger Burschen hereinkamen, die sich alle um eine Gestalt in ihrer Mitte scharten. In dieser Gestalt erkannte ich keinen anderen als Devout Hale höchstpersönlich, den Mann, den zu treffen ich gekommen war. Er machte keinen Hehl aus seinem Elend, hielt Kopf und Schultern gesenkt und ließ sich von seinen in grobes Leinen gekleideten Kameraden stützen.

»Nächstes Mal zahlst du es ihm heim«, erklärte einer von ihnen gerade.

»Er hat dich beinahe gesehen. Er drehte sich gerade um, aber dann ist diese verfluchte Hure mit ihrem Balg gekommen«, sagte ein anderer.

»Es war verdammtes Pech, aber du kommst schon noch zum Zuge«, bekräftigte ein Dritter.

Dann löste sich ihr Oberhaupt aus der Gruppe seiner gutmeinenden Vasallen, ein grobschlächtiger Mann von Mitte vierzig mit zerzauster hellroter Mähne, aus dessen hellhäutigem Gesicht ein ungepflegter Bart wuchs. Er hatte Flecken im Gesicht - einerseits solche, wie sie seine Haarfarbe mit sich brachte, aber auch andere von weniger gefälliger Natur. Angenehm jedoch waren an ihm seine leuchtenden grünen Augen, und obwohl blaue Flecken, Schrammen und Narben in seinem Gesicht von unzähligen Reibereien zeugten, machte er doch den robusten Eindruck eines Mannes, der sich von seinem Missgeschick ebenso wenig unterkriegen ließ wie Achilles von seiner Ferse.

»Ich seid gute Freunde, Jungs«, pries er seine Spießgesellen. »Gute Freunde und Kameraden, und mit eurer Hilfe werde ich am Ende doch noch siegreich sein.«

Er trat einen Schritt vor und stützte sich auf die Tischplatte. Es war nicht zu übersehen, dass sich sein Gesundheitszustand seit unserer letzten Begegnung verschlechtert hatte, und damit erinnerte er mich unweigerlich an meinen Onkel, was eine weitere Woge des Kummers über mir zusammenschlagen ließ, denn ich bekam das Gefühl, als wäre jeder, den ich kannte und alles, was ich besaß, dem Verfall preisgegeben.

Obwohl er immer noch über breite Schultern und einen kräftigen Brustumfang verfügte, wirkte er infolge seines Ge-brechens doch irgendwie schwächlich. Die Schwellung an seinem Hals trat, obwohl er sie mit einem hellbraunen Tuch, das früher einmal weiß gewesen war, zu kaschieren versuchte, nun noch deutlicher zu Tage, und die blutigen Stellen in seinem Gesicht und an seinen Händen kündeten von den Verheerungen, die unter seiner Kleidung verborgen waren.

Unter größter Anstrengung schleppte er sich an einen Tisch, wo er zweifellos vorhatte, seinen Verdruss in Alkohol zu ersäufen, und ließ dabei mit dem argwöhnischen Auge eines Jägers, der einen noch schlimmeren Beutegeier als sich selber fürchtet, den Blick durch den Raum schweifen. Und dabei gewahrte er mich.

Es freute mich zu sehen, dass sein Blick sich ein wenig aufhellte. »Weaver, Weaver, willkommen, mein Freund, auch wenn du dir einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht hast, fürchte ich. Aber sei's drum, setz dich zu mir. Danny, holst du uns was zu trinken? Bist ein braver Junge. Komm, setz dich, Weaver, aber bitte mach mich nicht noch trauriger, ich flehe dich an.«

Ich tat wie mir geheißen, und obwohl ich eigentlich schon genug Ale intus hatte, ließ ich seinen Kameraden gewähren. Und ich hatte gerade Platz genommen, als die Krüge schon vor uns standen. Ich nippte nur an meinem, während Devout Hale seinen mit einem gierigen Schluck zur Hälfte leerte.

»Du darfst nicht glauben, dass ich dir aus dem Wege habe gehen wollen. Keineswegs, aber die Zeiten sind hart, und sowie die Familie gefüttert und die Gier des Vermieters befriedigt ist, die Kerzen gekauft sind und ein Feuer im Kamin brennt, bleibt einem kaum noch ein Pfifferling übrig. Aber bei des Teufels Titten, ich schwöre dir, wenn ich noch etwas hätte, würde ich es dir geben.«

Ich will nicht so weit gehen zu behaupten, ich hätte vergessen, dass Devout Hale mir noch etwas schuldete, aber diese kleine Verpflichtung mir gegenüber fiel nun auch nicht mehr ins Gewicht. Ich habe schon für viele arme Männer gearbeitet, die mich bezahlten, sowie sie die Mittel dazu aufbrachten. Letzten Endes habe ich von den meisten mein Geld bekommen, ob nun aus Dankbarkeit für meine Dienste oder aus Angst vor den Konsequenzen, vermag ich nicht zu sagen. Bei Devout Hale allerdings konnte ich mir nur aus dem ersteren Grund Hoffnungen machen. Er und seine Gefolgsleute bräuch-ten sich wohl kaum vor einem Einzelnen zu fürchten - nicht nach all den Widersachern, mit denen sie es aufgenommen und die sie niedergerungen hatten.

Ich hingegen hatte ihm einen guten Dienst erwiesen, und darauf konnte ich bauen. Dass er mir noch vier Schilling dafür schuldete, bedeutete nur, dass er meinem Vorschlag ein noch geneigteres Ohr schenken würde. Vor ungefähr drei Monaten war einer seiner Männer spurlos verschwunden, und Hale hatte mich gebeten, Nachforschungen nach seinem Verbleib anzustellen. Bewusster Mann lag ihm besonders am Herzen, denn es handelte sich um den Sohn eines seiner Vettern, und die Familie war in größter Sorge. Wie es sich herausstellte, gab es dafür keinen Anlass - der junge Mann war mit einem übel beleumundeten Dienstmädchen davongelaufen, und die beiden hatten in Covent Garden Quartier bezogen, wo sie ihrer trauten Zweisamkeit frönten und ihren Lebensunterhalt durch die uralte Kunst des Taschendiebstahls bestritten. Obwohl Hale bitter enttäuscht und verärgert über die Mätzchen seines Verwandten gewesen war, überwog doch seine Erleichterung ob dessen Unversehrtheit.

»Ich kann mich kaum erinnern, dass es je so schwer gewesen ist, seine Familie zu ernähren«, sagte Hale. »Vor allem, wenn man im Wettbewerb mit den billigen Kleidern aus fremden Ländern steht, wo die Menschen für nichts arbeiten müssen und viele Londoner ihr Geschäft nach außerhalb der Stadtgrenzen verlegen, damit sie nicht an die hiesigen Regeln gebunden sind. Diese Burschen arbeiten für die Hälfte des Geldes, das unsereins benötigt, um nicht zu verhungern, und wenn die Arbeit, die sie abliefern, minderwertig ist, so gibt es doch genug Leute, die das nicht stört. Sie kaufen billigere Stoffe ein und verkaufen sie, als wären sie von edelster Güte. Es gibt zehntausend von uns, zehntausend, die in London dem Schneiderhandwerk nachgehen, und wenn sich an den Verhältnissen nicht bald etwas ändert, wird es in Bälde zehntausend Bettler mehr in London geben. Mein Vater ist Schneider gewesen, und sein Vater vor ihm auch, aber es kümmert niemanden, ob es noch eine weitere Generation geben wird, die den Leuten ihre Kleidung näht, solange sie sie nur weiterhin so billig erwerben können wie jetzt.«

Ich wusste, dass es nun an der Zeit war, ihn zu beruhigen. »Ich bin nicht gekommen, um Schulden einzutreiben. Im Gegenteil. Ich bin hier, um dir Geld anzubieten.«

Er blickte von seinem Krug auf. »Damit hatte ich nicht gerechnet.«

»Ich würde dir gerne fünf Pfund als Gegenleistung für einen Dienst offerieren.«

»Ich kann es gar nicht erwarten zu hören, welcher Dienst ein solches Vermögen wert sein soll.« Er sah mich skeptisch an.

»Ich möchte, dass du gegen die East India Company in Ausstand trittst.«

Devout Hale ließ ein lautes Lachen ertönen und schlug die Hände zusammen. »Weaver, wenn mich das nächste Mal der Kummer erfasst, werde ich sofort nach dir schicken, denn du machst mir gleich wieder gute Laune. Es ist wundervoll, wenn einem jemand fünf Pfund für etwas anbietet, das man nur zu gerne auch ohne Entlohnung täte.«

Devout Hale war sein ganzes Leben lang Seidenweber gewesen, und er war ein Meister seines Handwerks. Durch seinen Fleiß und dadurch, dass er nicht davor zurückschreckte, seine Feinde mit Steinen zu bewerfen, war er so etwas wie ein inoffi-zieller Arbeiterführer geworden. Er und seine ihm treu ergebene Gefolgschaft befanden sich nun seit beinahe einem Jahrhundert im Aufstand gegen die East India Company, denn die Güter, die die Company auf die Insel importierte - ihre feinen indischen Stoffe - fraßen heftig an dem Profit, für den diese Männer so schwer schufteten. Das hauptsächliche Mittel ihres Protestes - der Ausstand - hatte ihnen in der Vergangenheit gute Dienste geleistet, und das Parlament hatte bei mehr als einer Gelegenheit den Forderungen der Seidenweber nachgeben müssen. Natürlich wäre es töricht, davon auszugehen, dass die Arbeiter auf immer und ewig mit einem kleinen Ausstand ihren Willen würden durchsetzen können, aber es gab im Königreich genügend Männer von Macht, die befürchteten, die East India Company könne auf Dauer dem Weber- und Schneiderhandwerk im Lande Schaden zufügen, indem sich eine einzige Handelsgesellschaft zum Nachteil eines ganzen Berufsstandes bereicherte. So hatten die Unbeugsamkeit der Seidenweber und die Ränkeschmiederei im Parlament zusammengenommen ein einigermaßen handfestes Instrument geschaffen, mittels dessen man der Gier der Geschäftemacher im Craven House entgegenwirken konnte.

Hales Lächeln entschwand aus seinen Zügen, als er kummervoll den Kopf schüttelte. »Ja, zumindest in der Vergangenheit haben die Ausstände uns geholfen, aber nun sind uns die Hände gebunden. Das Parlament hat uns ein paar Brocken hingeworfen, mit denen wir uns fürs Erste begnügen müssen. Die East India Company hat uns keinen weiteren Anlass gegeben, an ihre Tore zu klopfen. Und da wir die letzte Runde unseres kleinen Krieges gewonnen haben, dürfte man es als unziemlich erachten, wenn wir uns erneut erheben würden.«

»Ich glaubte, den Anreiz für ein unziemliches Betragen erwähnt zu haben«, wandte ich ein. »Fünf Pfund. Und eine Streichung deiner Schulden bei mir gleich dazu, wie ich wohl kaum hinzufügen muss.«

»Ja, das hast du erwähnt. Und das macht es natürlich auch erwägenswert, gewiss. Aber ich weiß nicht, ob ich auf dieses Angebot eingehen werde.«

»Darf ich mich nach dem Grund erkundigen?«

»Weißt du, wo ich heute Nachmittag mit meinen Kameraden gewesen bin, die sich mir als so treu ergeben erwiesen haben? Ich war im Theater in der Drury Lane, wo ich durch einige mir seit Jahren gewogenen Mittelsmänner - die Namen brauchen dich nicht zu interessieren - erfuhr, dass unser König höchstpersönlich zur Überraschung aller der Aufführung beiwohnen wollte. Und kannst du dir denken, warum ich dieser deutsch-blütigen Majestät gerne gegenübertreten würde?«

Zuerst glaubte ich, er spiele auf politische Beweggründe an, verwarf den Gedanken jedoch sogleich wieder. Die Antwort lag offen auf der Hand. Die blutigen Stellen auf Hales Haut und die Schwellung an seinem Hals waren auf Skrofulose, eine Entzündung der Lymphknoten, zurückzuführen, eine Krankheit, die die Armen das Gebrechen des Königs nannten. Mir schwante, dass er den Geschichten, diese Krankheit könne nur durch eine Berührung seitens des Königs geheilt werden, Glauben schenkte.«

»Du glaubst doch hoffentlich nicht an solchen Unsinn«, schalt ich ihn.

»Doch, das tue ich. Es ist seit Jahrhunderten bekannt, dass die Berührung durch den König dieses Gebrechen heilen kann. Ich weiß von vielen Menschen, die sagen, Angehörige von ihnen seien durch eine solche Berührung geheilt worden. Ich habe vor, ihm gegenüberzutreten, damit ich Heilung erfahre.«

»Wirklich, Devout, es überrascht mich, dies von dir zu hören. Du bist doch noch nie abergläubisch gewesen.«

»Das ist kein Aberglaube, sondern eine Tatsache.«

»Aber denk doch mal darüber nach. Vor dem Tod von Queen Anne war King George lediglich Georg, Kurfürst von Hannover. Konnte er da auch schon die Skrofulose heilen?«

»Das bezweifle ich sehr.«

»Und der Thronprätendent? Kann der es?«

»Das steht nicht zur Debatte. Er möchte König werden, ist es aber nicht.«

»Aber das Parlament könnte ihn zum König ernennen. Könnte er dich heilen, wenn es das täte?«

»Sowie er König ist, kann er mich heilen.«

»Warum reichst du beim Parlament dann nicht eine Petition ein?«

»Ich will mich mit dir hier nicht auf Scheinbeweise einlassen, Weaver. Du kannst glauben, was du willst, und es tut dir nicht weh, wenn ich glaube, was ich will, also brauchst du gar nicht so schnippisch zu werden. Du leidest ja nicht an dieser Krankheit, sondern ich. Und ich kann dir sagen, dass ein Mann mit dem Gebrechen des Königs alles täte, alles, sage ich, um von diesem Leiden befreit zu werden.«

Ich senkte den Kopf. »Das glaube ich dir gern«, sagte ich. Ich schämte mich ob meines Versuchs, die Hoffnung eines Verzweifelten zu zerstören, anstatt sie zu bestätigen.

»Die Berührung durch den König kann mich heilen, und daran gibt es nichts zu deuten. Ein Mann muss sich dem König in den Weg stellen, um von ihm berührt zu werden, und das ist oft nicht so einfach, wie man es sich vorstellt, oder? Übrigens hört man«, fügte er in einem Ton hinzu, der mir bedeutete, er wolle nun das Thema wechseln, »dass unser König so etwas wie ein Bewunderer von dir war, als du noch im Ring standest und einen Sieg an den anderen gereiht hast.«

»Das habe ich auch gehört, und ich fühle mich geschmeichelt, aber einen Beweis dafür habe ich nie erhalten.«

»Hast du dich darum bemüht?«

»Kann ich nicht behaupten.«

»Ich würde es dir raten.«

»Warum sollte es mir irgendetwas bedeuten?«

»Wegen der Berührung durch den König, Weaver. Das ist der Preis, den ich verlange. Wenn du möchtest, dass meine Männer vor dem Craven House einen Aufstand anzetteln, dann musst du schwören, alles in deiner Macht Stehende zu tun, um dafür zu sorgen, dass der König mich berührt.« Er nahm einen weiteren tiefen Zug aus dem Krug. »Das und die fünf Pfund und die vier Schilling, von denen du gesprochen hast.«

Bei dieser Unterhaltung redeten wir wiederholt aneinander vorbei. »Du irrst dich leider«, sagte ich, »wenn du glaubst, dass ich über die notwendigen Verbindungen zu höheren Kreisen verfüge. Hast du den Ärger vergessen, den ich mir bei der letzten Wahl eingehandelt habe? Seitdem fehlt es mir nicht an politischen Gegnern.«

»Es gibt nur zwei Parteien in diesem Land, so dass ein Mann, der sich Feinde schafft, im gleichen Zug auch Freunde gewinnen muss. Das würde ich fast als ein Naturgesetz bezeichnen.«

Ich kann nicht sagen, wie unser Gespräch ausgegangen wäre, wenn nicht ein plötzliches Getöse es unterbrochen hätte -scharfe Stimmen, umstürzende Stühle, der hohle Klang von Zinnbechern, die gegen Zinnbecher schlugen. Als Devout Hale und ich uns umdrehten, sahen wir unmittelbar neben uns zwei Burschen mit vor Wut rot angelaufenen Gesichtern stehen. Den einen, einen stämmigen Kerl mit grotesk buschigen Augenbrauen, erkannte ich als einen von Devout Hales ergebenen Seidenwebern. Der zweite Mann war größer als er, aber nicht minder kräftig gebaut und mir fremd. Ein rascher Blick auf Devout Hale sagte mir, dass auch er ihn nicht kannte.

Obwohl er durch seine Krankheit geschwächt und dementsprechend unsicher auf den Beinen war, erhob sich Devout Hale auf der Stelle und stolperte mit so raschen Schritten auf die beiden Männer zu, wie seine Beine es erlaubten. »Wollt ihr wohl einhalten! Was ist hier los?«, verlangte er zu wissen. »Worum geht der Streit, Feathers?«

Feathers, der kleinere der beiden, antwortete Hale, ohne auch nur einmal den Blick von seinem Widersacher zu wenden. »Nun, dieser Lümmel hat all diejenigen unter uns beleidigt, deren Eltern aus Frankreich herübergekommen sind«, sagte er. »Er meint, wir wären doch nichts als Papisten.«

»Ich habe nie etwas dergleichen geäußert«, verteidigte sich der größere der beiden. »Ich glaube, der Kerl ist betrunken.«

»Ich bin sicher, dass es sich um ein Missverständnis handelt«, sagte Hale. »Und wir wollen hier keine Händel, also was sagt ihr dazu, wenn ich euch beiden einen ausgebe und wir alle wieder Freunde sind?«

Der, den Hale mit Feathers angesprochen hatte, sog scharf die Luft ein, als müsse er sich für den Friedensschluss stählen. Er hätte sich lieber auf etwas anderes vorbereiten sollen, denn sein Gegenüber versetzte ihm völlig unerwartet einen Fausthieb auf den Mund. Noch ehe Feathers zu Boden sank, troff ihm schon das Blut aus den Lippen, und ich war mir sicher, dass sein Angreifer es nun gründlich mit den Gefährten seines Opfers zu tun bekommen würde, doch mit einem Male ertönte der Pfiff eines Konstablers, und schon standen zwei Männer in Uniform zwischen uns. Mir blieb kaum Zeit, mich zu wundern, wo sie so schnell hergekommen waren, als sie auch schon anfingen, den niedergeschlagenen Feathers aufzusammeln.

»Der hier hat den Streit angefangen«, bemerkte einer der Schutzmänner.

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel«, pflichtete sein Kollege ihm bei.

»Immer langsam«, rief Hale dazwischen. »Was ist mit dem anderen?«

Dieser andere war nirgendwo zu entdecken.

Nur mit größter Mühe gelang es Hale, seine Zunftbrüder zu überzeugen, in dem Wirtshaus zu warten, während er das Opfer dieses Justizirrtums mit aufs Gericht begleitete. Dies löste eine lebhafte Debatte aus, der ich entnehmen konnte, dass mein Freund mit dem unglücklichen Feathers auf nicht allzu gutem Fuße stand, die anderen aber dennoch einsahen, dass er wohl der beste Repräsentant ihres Kameraden sei, und dass ihr zahlenmäßig gehäuftes Erscheinen bei Gericht von dem Magistrat vermutlich als Verstoß gegen die Ordnung gewertet würde. Mich jedoch bat Hale, ihn auf diesem Gang zu begleiten, da ich doch etwas, wie er es ausdrückte, von den Gepflogenheiten der Justiz verstünde.

Ich hatte schon mit Justiz und Gericht zu tun gehabt, und ich wusste, dass mir das, was ich bisher gesehen hatte, gar nicht gefallen wollte. Die beiden Konstabler waren zu sehr wie aus heiterem Himmel aufgetaucht, und der Angreifer war viel zu plötzlich verschwunden. Irgendwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.

In den Amtsräumen von Richard Umbread, dem Magistrat von Spitalfields, war es abends immer ziemlich ruhig. In dem spärlich beleuchteten Saal hielten sich nur ein paar Schutzleute und ein Gerichtsdiener auf. Im Kamin flackerte zwar ein Feuer, aber nur ein kleines, und es brannten zu wenig Kerzen, so dass eine Stimmung wie in einem Verlies herrschte. Mr. Fea-thers, der seine blutende untere Gesichtshälfte mit einem rot getränkten Tuch abtupfte, schaute ziemlich benommen drein.

»Nun denn«, sagte der Richter zu ihm, »Ich höre von meinen Konstablern, dass Sie im Zustand der Trunkenheit einem anderen Mann gegenüber handgreiflich geworden sind.«

»Nein, Sir, das stimmt nicht. Er hat meine Eltern beleidigt, Sir, und als ich mich deswegen beschwerte, hat er mich grundlos geschlagen.«

»Hmm. Doch da nicht er hier ist, sondern Sie, fällt es Ihnen natürlich leicht, die Schuld auf ihn zu schieben.«

»Es gibt Zeugen, die das bestätigen können, Sir«, rief De-vout Hale dazwischen, aber der Richter schenkte ihm keine Beachtung.

»Und mir ist zu verstehen gegeben worden«, fuhr er stattdes-sen fort, »dass Sie keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehen. Ist das korrekt?«

»Auch das stimmt nicht«, korrigierte ihn Feathers. »Ich bin Seidenweber, Sir, und ich arbeite in unserem Standesquartier fleißig an der Seite meiner Kollegen. Der Mann, der dort steht, Mr. Devout Hale, hat seinen Webstuhl neben dem meinen. Er hat mich schon als Lehrjungen gekannt, obwohl er nicht mein Lehrherr war.«

»Es ist für jedermann ein Leichtes«, sagte der Richter, »seinen Kameraden zu dieser oder jener Aussage zu seinen Gunsten zu bewegen, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Sie ohne Beschäftigung und daher zu Gewalt bereit sind.«

»Aber so ist es nicht!«, setzte Feathers sich wütend zur Wehr. Vor lauter Ungläubigkeit, wie ihm geschah, hatte er die Augen weit aufgerissen.

»Können Sie einen Beweis für das Gegenteil erbringen?«

»Verzeiht, Euer Ehren«, wagte ich einen Vorstoß, »aber ich denke, er hat dem Gericht reichlich Beweise für das Gegenteil erbracht. Mr. Hale und ich waren Zeugen des Vorfalls, und wir können beide beschwören, dass Mr. Feathers dabei das Opfer und nicht der Angreifer war. Was nun die berufliche Tätigkeit des Mannes angeht, wird Mr. Hale schwören, dass er die Wahrheit sagt, und es dürfte keine Mühe machen, noch mindestens ein Dutzend weiterer Männer zu finden, die einen ähnlichen Eid ablegen könnten.«

»Auch ein Eid macht aus einer Lüge keine Wahrheit«, beharrte der Richter. »Während all der Jahre, die ich auf dem Richterstuhl sitze, habe ich sehr wohl gelernt zu erkennen, wen ich vor mir habe. Mr. Feathers, es ist meine Erfahrung, dass Männer, die zu Gewalt neigen und keine geregelte Arbeit nachweisen können, eine nützliche Betätigung brauchen, damit sie sich bessern. Ich verurteile Sie daher zu Zwangsarbeit im Arbeitshaus in der Christwell Street, wo Sie während der nächsten drei Monate die Tätigkeit eines Seidenwebers er-lernen können. Ich hoffe, dass eine solche Fertigkeit Ihnen helfen wird, nach Ihrer Entlassung eine Arbeit zu finden, und ich Sie hier nicht noch einmal unter einer ähnlichen Anklage sehen werde.«

»Die Tätigkeit eines Seidenwebers erlernen?«, entfuhr es Feathers. »Aber ich beherrsche doch diese Tätigkeit, und ich besitze den Gesellenbrief. So verdiene ich mir schließlich mein Brot.«

»Schafft ihn hier raus«, befahl der Richter seinen Konstab-lern. »Und diese Herumlungerer gleich mit.«

Wäre Devout Hale von kräftigerer Konstitution gewesen, hätte ich erwartet, dass er seinem Zorn auf eine Weise Luft machte, die auch ihm das Gefängnis eingebracht hätte, aber in seinem Zustand hatte er dem Griff des Schutzmannes nicht viel entgegenzusetzen, und auch ich war nicht hier, um mich als Faustkämpfer zu betätigen, also folgte ich ihm nach draußen.

»Ich habe von diesen Spitzfindigkeiten schon gehört«, keuchte Hale. »Aber ich hätte nie geglaubt, einmal mit ansehen zu müssen, wie sie gegen einen meiner eigenen Leute angewendet werden.«

Ich nickte, denn auch ich begriff nun nur zu gut. »Ein Druckmittel gegen euch Seidenweber.«

»Ja. Christwell Street ist ein privat geführtes Arbeitshaus, und der Mann, dem es gehört, bezahlt den Richter, damit der die Konstabler bezahlt, damit sie Männer mit den gewünschten Fertigkeiten grundlos verhaften. Dann schickt man sie ins Arbeitshaus, damit sie dort ihr Handwerk >erlernen<. Es ist einfach nicht zu fassen. Das ist die reinste Sklavenhaltung. Jetzt muss Feathers ohne Lohn drei Monate für sie schuften, und wenn er seine Arbeit nicht gut macht, bestrafen sie ihn, indem sie ihn einfach noch länger dabehalten.«

»Und man kann nichts dagegen unternehmen?«

»Oh doch. Ich muss jetzt gehen, Weaver. Es gibt Anwälte und Eide zu leisten. Sie verlassen sich darauf, dass wir zu schlichten Gemütes sind, um unsere Rechte zu kennen, und bei den meisten Männern, die sie sich greifen, trifft das auch zu. Aber du kannst Gift darauf nehmen, dass wir es ihnen heimzahlen werden. Das nächste Mal werden sie es sich gründlich überlegen, bevor sie sich noch einmal einen von meinen Männern vornehmen.«

»Es freut mich, das zu hören. Da du nun ganz andere Sorgen hast, hasse ich es, noch einmal auf das Thema ...«

»Dein Ausstand, nicht wahr? Also, um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Nun hat mich die Wut gepackt, und ein solcher Aufruhr ist genau das, was ich jetzt brauche, um mich abzureagieren. Du besorgst mir nur den König. Versprich, alles in deiner Macht Stehende zu tun. Das reicht mir.«

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