Dreizehntes Kapitel.

So gebt mir einen Humpen doch —


Die Gerstenernte lebe hoch!

Trinklied.

An einer Ecke des Dorfes, wo die zwei Hauptstraßen von Templeton sich kreuzten, stand das Wirthshaus, ,zum kühnen Dragoner‘. Dem ursprünglichen Plane zu Folge hätte sich das Dorf links des kleinen Stromes, welcher das Thal durchfloß, hinziehen sollen, so daß durch die Straße, welche von dem See zu der Akademie führte, die westliche Gränze gebildet worden wäre. Aber Bequemlichkeit vereitelt oft die besten Entwürfe. Das Haus des Herrn oder wie er in Folge seines Commandos über das Militär des Patents genannt wurde — des Hauptmanns Hollister, das schon in früheren Tagen mit der Front gerade gegen die Richtung der Hauptstraße erbaut worden, schob dem Verlauf derselben eine sehr augenfällige Barriere in den Weg, weshalb Reiter und nachher auch Ochsentreiber sich eines Durchgangs an dem Ende des Gebäudes bedienten, um sich den westlichen Weg abzukürzen, bis endlich die regelmäßige Landstraße fortgesetzt war und allmählig an beiden Seiten Häuser entstanden, so daß eine nachherige Verbesserung des Uebelstandes unmöglich wurde.

Die Abweichung von Marmaduke's regelmäßigen Plänen war von zwei wesentlichen Folgen begleitet. Die Hauptstraße wurde nämlich in der Hälfte ihrer Länge plötzlich genau um die Hälfte ihrer Breite geschmälert; und der kühne Dragoner ward um seine Lage willen, mit Ausnahme des Herrnhauses, bei weitem das augenfälligste Gebäude des Ortes.

Dieser Umstand, durch den Charakter der Wirthsleute unterstützt, gab der Schenke über alle zukünftigen Concurrenten einen Vortheil, der sich durch keine sonstige Verhältnisse mindern ließ. Das Letztere wurde zwar versucht und dem ,kühnen Dragoner‘ gegenüber ein neues Gebäude errichtet, welches den Nebenbuhler über der Straße bei weitem überbieten sollte. Es war ein hölzernes Haus mit den Verzierungen des im Orte üblichen architektonischen Styls und, was das Dach und die Balustraden anbelangte, eine der drei Nachahmungen des Herrenhauses. Die oberen Fenster waren mit ungehobelten Brettern vernagelt, um den Wind abzuhalten, denn das Gebäude war noch unvollendet, obgleich die Scheiben in den untern Gemächern und das Licht der mächtigen Feuer im Innern bekundeten, daß es bereits Einwohner barg. Das Aeußere desselben hatte an der Front und dem Ende, welches sich der Straße zukehrte, einen weißen Anstrich; aber die Hinterseite nebst derjenigen, an welche sich ein Nachbarhaus anschmiegen sollte, war roh mit spanischem Braun beschmiert. Vor der Thüre standen zwei hohe, oben mittelst eines Querbalkens verbundene Posten, zwischen denen ein ungeheures, mit wunderlichem Schnitzwerk von Fichtenholz versehenes und mit Freimaurer-Emblemen überladenes Schild hing. Ueber den geheimnißvollen Figuren befanden sich mit großen Buchstaben die Worte: ,Kaffeehaus für Templeton und Gasthof für Reisende‘, und unten las man die Namen der Eigenthümer ,Habakuk Foote und Josua Knapp‘. Dieß waren ein Paar furchtbare Rivalen für den kühnen Dragoner, wie unsere Leser leicht begreifen werden, wenn wir beifügen, daß dieselben volltönigen Namen schon über der Thüre eines im Dorfe neu errichteten Vorrathshauses, eines Hutmacherladens und über den Thoren einer Lohgerberei standen. Mochte übrigens zuviel versucht worden seyn, um gut ausgeführt werden zu können, oder war der Ruf des kühnen Dragoners zu fest begründet, um sich so leicht erschüttern zu lassen — nicht nur der Richter Temple und seine Freunde, sondern auch die meisten Dorfbewohner, welche nicht in den Creditbüchern der mächtigen Firma standen, pflegten, so oft irgend eine Gelegenheit den Besuch eines solchen Hauses nothwendig machte, in dem Wirthshause des Capitän Hollister einzusprechen.

Der hinkende Veteran nebst seiner Ehegenossin war an jenem Christabende kaum von der Akademie zurück nach Hause gekommen, als das Stampfen an der Thürschwelle bereits die Annäherung von Gästen verkündete, welche wahrscheinlich diesen Sammelplatz aufsuchten, um ihre Bemerkungen über die Feierlichkeit, denen sie eben angewohnt, auszutauschen.

Die Gaststube des kühnen Dragoners war ein geräumiges Gemach, das an drei Seiten ausgeschlagen war, während die vierte zwei mächtige Kaminen vorbehalten blieb, welche fast die ganze Wand einnahmen und kaum noch Raum genug für ein Paar Thüren und einen kleinen Eckverschlag ließen, der durch ein winziges Pallisadenwerk von dem übrigen Gelasse getrennt und reichlich mit Flaschen und Gläsern garnirt war. An dem Eingange in dieses Heiligthum saß mit würdevoller Miene Frau Hollister, während ihr Gatte mit einem großen Pfahl, der an dem einen Ende ganz spitzig zugebrannt war, die Holzpflöcke des Feuers nachschob.

„Nun, lieber Sergeant,“ sagte die Wirthin, als sie glaubte, der Veteran habe nunmehr das Holz gehörig zurecht gelegt, „leg' Deine Schürstange bei Seite, denn sie ist nimmer nöthig, indem es jetzt behaglich genug brennt. Auf dem Tische dort stehen noch die Gläser und der Krug, aus denen der Doctor seinen Cyder und sein Ingwerbier trank — dort, gerade bei dem Feuer. Stelle sie in den Verschlag, denn wir kriegen heute Abend Besuch von dem Richter, dem Major und Herrn Jones, Benjamin Pump und die Advokaten nicht mitgerechnet. Du mußt daher das Zimmer zeitig herrichten. Setze die beiden Flipröste auf die Kohlen, und sage Judith, dem faulen, schwarzen Biest, daß ich sie aus dem Haus jagen will, wenn sie die Küche nicht rein hält. Sie kann dann zu den Herren gehen, die das Kaffeehaus halten; ich wünsche ihnen Glück zu dieser Erwerbung. — Ach, Sergeant, man hat es doch gewiß recht gut, wenn man in ein Bethaus gehen darf, wo man ruhig sitzen bleiben kann und nicht nöthig hat, so oft niederzuknieen und wieder aufzustehen, wie es heute Herr Grant gethan.“

„Ein Bethaus kommt einem allezeit zu statten, Frau, mögen wir nun darin stehen oder sitzen, oder, wie der gute Herr Whitefield nach einem beschwerlichen Tagemarsch zu thun pflegte, auf die Kniee niederfallen und mit aufgehobenen Händen zum Himmel zu beten, nach dem Beispiele Moses, als zur Rechten und zur Linken seine Schaaren standen,“ erwiederte Herr Hollister, der mit aller Ruhe die Befehle seiner Gattin ausführte. „Ach, das war ein schönes Treffen, Betty, das die Israeliten damals mit den Amalekiten schlugen. Es scheint, sie fochten in einer Ebene, denn es steht geschrieben, Moses habe die Höhen bestiegen, um den Kampf mitanzusehen und im Gebete zu ringen. Wenn ich mich recht auf die Sache verstehe, so müssen sich die Israeliten hauptsächlich auf ihre Reiterei verlassen haben, denn wir lesen in der Schrift, daß Josua den Feind hauptsächlich mit der Schärfe des Schwertes schlug, woraus ich entnehme, daß nicht nur von Reiterei, sondern auch von wohldisciplinirten Truppen die Rede ist. Es müssen in der That ganz ausgesuchte Streiter gewesen seyn — wahrscheinlich Freiwillige; denn unexercirte Dragoner schlagen selten mit der Schärfe des Schwertes zu, zumalen wenn ihre Waffe nach Weise der Säbel gekrümmt ist.“

„Pah, Mann! Was wirfst Du da wegen einer solchen Kleinigkeit mit Schriftstellen um Dich?“ unterbrach ihn die Wirthin. „So viel wenigstens ist gewiß, daß der Herr mit ihnen war, denn er hielt es immer mit den Juden, so lange sie nicht von ihm abfielen. Es kommt wenig darauf an, was für Leute Josua commandirte, wenn er es nur im Namen des rechten Befehlshabers that. Dieselbe verwünschte Miliz, der Herr verzeih mir den Fluch,

die sein Tod war, weil sie davon lief, hätte wohl in den alten Zeiten das Feld behaupten können. Ich sehe gar keinen vernünftigen Grund ein, anzunehmen, daß die Leute exercirt waren.“

„Ich muß sagen, Frau, daß ich unexercirte Truppen nicht oft habe so gut fechten sehen, als es der linke Flügel in der von Dir erwähnten Zeit that. Sie hielten schön zusammen und zwar ohne Trommelschlag, was im Feuer gewiß keine Kleinigkeit ist; auch wichen sie nicht vom Platze, bis er fiel. — Aber die Schrift enthält keine unnöthigen Worte; und ich behaupte daher, daß eine Reiterei, welche mit der Schärfe des Schwertes zu schlagen weiß, eine gut disciplinirte seyn muß. Es ist schon manche gute Predigt über weit unwichtigere Dinge, als über dieses eine Wort gehalten worden. Wenn nicht etwas Besonderes damit gemeint ist, warum steht denn nicht geschrieben mit dem Schwerte, sondern mit der Schärfe des Schwertes? Nun fordert aber ein Schlag mit der Schärfe eine lange Uebung. Ach, welch eine schöne Anwendung wüßte nicht Herr Whitefield aus dem einzigen Worte ,Schärfe‘ zu ziehen! Was den Capitän anbelangt — wenn er nur, als er das Fußvolk sammelte, die Gardedragoner angerufen hätte, sie würden dem Feinde gezeigt haben, was die Schärfe eines Schwerte, ist; denn obgleich kein eigentlicher Officier unter ihnen war, so glaube ich doch, sagen zu dürfen“ — der Veteran richtete sich bei diesem Wort hoch auf und zog mit der gravitätischen Miene eines Exercirmeisters seine Halsbinde fester — „so glaube ich doch, sagen zu dürfen, daß sie von einem Manne angeführt wurden, der sie, trotz des Hohlwegs, vorwärts zu bringen gewußt hätte.“

„Was hätte er thun sollen?“ rief die Wirthin. „Weißst Du nicht selbst, Hollister, daß die Bestie, welche er ritt, nicht sonderlich geeignet war, von einem Felsen zum andern zu springen, obgleich sie so rührig war, als wie ein Eichhörnchen? Doch was nützt es, davon zu reden, da er schon so lange heimgegangen! Ich wollte nur, daß er es erlebt hätte, das wahre Licht zu sehen; aber eine brave Seele, die im Kampf für die Freiheit im Sattel starb, muß doch auch Gnade finden. Wenn sie ihm und so manchen Tapfern, der wie er starb, nur nicht einen so armseligen Grabstein gesetzt hätten! Aber das Schild ist sehr ähnlich und ich will es erhalten, so lang der Schmied noch einen Hacken machen kann, um ihn zu tragen — allen Kaffeehäusern zwischen hier und Albany zum Trotze.“

Wir können nicht sagen, auf welche Abschweifungen diese Unterhaltung das würdige Paar noch geführt haben würde, wenn nicht die Männer vor der Thüre dem Abstampfen des Schnees von ihren Füßen plötzlich ein Ende gemacht hätten und in die Wirthsstube getreten wären.

Es vergingen zehn oder fünfzehn Minuten, bis sich die verschiedenen Individuen, welche Erbauung geben oder holen wollten, vor den Feuern des kühnen Dragoners niedergelassen und so ziemlich alle Bänke der Gaststube besetzt hatten. Die behaglichste Ecke des Zimmers nebst einem hochlehnigen hölzernen Canapee hatte Doctor Todd mit einem schmutzig aussehenden, schäbig-gentilen jungen Mann eingenommen, der fleißig Taback schnupfte, einen Rock von ziemlich modischem Schnitte trug und oft eine große silberne Uhr, die an einer Haarkette hing und mit einem silbernen Schlüssel versehen war, herauszog: er schien so ziemlich zwischen den Handwerkern in seiner Nähe und einem wirklichen Mann von Stande die Mitte zu halten.

Mehrere braune Krüge mit Cyder oder Bier wurden zwischen die Feuerböcke gesetzt und unter den Gästen bildeten sich kleine Gruppen, sobald einer einen Vortrag hielt oder die Flüssigkeit ihre Runde machte; denn Niemand hatte ein besonderes Glas, wie denn auch überhaupt für jede Gattung von Getränk nur ein einziges Gesätz für nöthig erachtet wurde; das Glas oder der Krug ging daher von Hand zu Hand, bis die Reihe zu Ende war oder eine gewisse Achtung vor den Rechten des Festgebers die Neige des Trankes dem wieder zuschob, welcher denselben bezahlt hatte.

Gewöhnlich wurden dabei Toaste getrunken und hin und wieder versuchte einer, der von der Natur vorzugsweise mit Witz bedacht zu seyn vermeinte, seine Dankgefühle in Phrasen auszudrücken, wie zum Beispiel: „Er hoffe, daß der Festgeber es weiter bringen möge, als sein Vater,“ oder „er möge leben, bis alle seine Freunde ihm den Tod wünschten;“ während sich die bescheideneren Zechgenossen begnügten, mit gravitätischem Ernste auf „gut Glück,“ oder einen anderen gleich kurzen und inhaltsreichen Wunsch zu trinken. Stets wurde aber der invalide Wirth aufgefordert, die Sitte der königlichen Mundschenke nachzuahmen und das Glas, welches er präsentirte, vorher zu kosten — eine Aufforderung, welcher er gewöhnlich dadurch willfahrte, daß er seine Lippen benetzte, nachdem er zuvor den Toast: „was wir hoffen“ ausgebracht hatte, bei welch' klüglichem Ausweg es dem Gutdünken der Gäste überlassen blieb, den umfassenden Wunsch nach eigenem Sinne zu deuten. Während dieses Treibens war die Wirthin emsig beschäftigt, eigenhändig die von ihren Kunden verlangten Getränke zu mischen, wobei sie hin und wieder einen der Dorfbewohner, welcher sich dem Verschlage näherte, grüßte und sich nach dem Befinden seiner Familie erkundigte.

Als endlich der Durst der Gäste einigermaßen gestillt war, gewann das Gespräch einen mehr allgemeinen Charakter, wie er gerade für die Stunde paßte. Der Arzt nebst seinem Gefährten, einem der zwei Advokaten des Dorfes — die man am meisten für geeignet hielt, das Wort zu führen, waren die Hauptsprecher, obgleich sich auch hin und wieder Herr Doolittle, welchen man nur in dem beneidenswerthen Punkte der Erziehung als Jenen nachstehend betrachtete, eine Bemerkung erlaubte. Ein allgemeines Stillschweigen trat ein, als der Rechtsgelehrte folgendermaßen begann:

„Dem Vernehmen nach, Doctor Todd, habt Ihr diesen Abend eine wichtige Operation vorgenommen, indem Ihr Lederstrumpfs Sohne einen Hirschposten aus der Schulter schnittet?“

„Ja. Sir,“ erwiederte der Andere, indem er seinen kleinen Kopf mit einer wichtigthuenden Miene erhob. „Ich hatte ein derartiges kleines Geschäft bei dem Richter; doch will es nicht viel heißen. Ein anderes wäre es gewesen, wenn der Schnß durch den Körper gegangen wäre. Die Schulter ist kein zum Leben unbedingt nöthiger Theil, und ich denke, der junge Mann wird bald wieder gesund seyn. Ich wußte jedoch nicht, daß der Patient ein Sohn von Lederstrumpf ist, denn ich hörte nie, daß Natty ein Weib hatte.“

„Das folgt auch nicht nothwendig daraus,“ entgegnete der Andere, indem er sich mit einem pfiffigen Blinzeln umsah. „Ich denke, Ihr wißt, daß es so eine Art Ding gibt, was der Jurist einen filius nullius nennt?“

„Sagt uns das in gutem königlichem Englisch, Mann,“ rief die Wirthin. „Für was soll es gut seyn, in einem Zimmer ehrlicher Christenmenschen indianisch zu sprechen, und wenn es sich auch nur um einen armen Jäger handelte, der nicht viel besser ist als die Wilden selbst? Doch dürfen wir hoffen, daß die Missionäre seiner Zeit die armen Teufel bekehren, wo dann wenig darauf ankömmt, von welcher Farbe ihre Haut ist, oder ob sie Wolle oder Haare auf dem Kopfe tragen.“

„Es ist lateinisch, nicht indianisch, Frau Hollister,“ entgegnete der Rechtsgelehrte, indem er sein pfiffiges Blinzeln wiederholte, — „und Doctor Todd versteht lateinisch, — wie wollte er sonst die Aufschriften auf seinen Apothekerbüchsen und Schibladen lesen? Nein, nein, Frau Hollister, der Doctor versteht mich — nicht wahr, Doctor?“

„Hem — nun, ich vermuthe, daß ich nicht weit davon bin,“ versetzte Elnathan, indem er sich mühte, den Gesichtsausdruck des andern nachzuahmen. „Lateinisch ist eine wunderliche Sprache, meine Herren, — und ich will wetten, es ist nicht einer in dem Zimmer, Squire Lippet ausgenommen, welcher glauben könnte, daß ,Far. Av.‘ Habermehl bedeutet.“

Nun kam die Reihe, ob dieser Zurschaustellung von Gelehrsamkeit verlegen zu werden, an den Advokaten; denn obgleich er auf einer der öffentlichen Universitäten promovirt hatte, so war er doch etwas verblüfft über den von seinem Gefährten gebrauchten Ausdruck. Indeß war es gefährlich, in einem öffentlichen Wirthshause und vor so vielen seiner Clienten, den Anschein zu gewinnen, als werde er an Gelehrsamkeit übertroffen, weßhalb er die beste Miene zu der Sache machte und in ein schlaues Gelächter ausbrach, als stecke irgend ein guter Witz darunter, der nur von dem Arzte und ihm selbst verstanden werde. Die Zuhörer wechselten indessen Blicke des Beifalls, und Ausdrücke, wie: „Versteht sich auf Sprachen,“ und „ja wenn's Einer weiß, so muß es Squire Lippet wissen,“ ließen sich als Zoll der Bewunderung in den verschiedenen Theilen des Zimmers vernehmen. So ermuthigt, erhob sich der Rechtsgelehrte von seinem Stuhl, wandte den Rücken dem Feuer zu, faßte die Trinkgesellschaft in's Auge und fuhr fort:

„Nun, mag er jetzt Natty's Sohn oder der Sohn von Niemand seyn — ich hoffe wenigstens, daß der junge Mann die Sache nicht beruhen lassen wird. Wir leben in einem Lande der Gesetze, und da möchte ich doch sehen, ob das Gericht der Ansicht ist, daß ein Mann, der hunderttausend Morgen Landes besitzt oder zu besitzen vorgibt, mehr Recht hat, auf seinen Nebenmenschen zu schießen, als ein anderer. Was haltet Ihr davon, Doctor Todd?“

„O, Sir.“ entgegnete der Doctor, „ich bin, wie bereits gesagt, der Ansicht, daß die Verletzung keinen lebensgefährlichen Theil getroffen hat. Auch wurde die Kugel bald ausgezogen, und die Schulter, wie ich wohl behaupten darf, gut verbunden; ich glaube daher nicht, daß die Sache so gefährlich ist, als sie hätte werden können.“

„Ich berufe mich auf Euch, Squire Doolittle.“ fuhr der Advokat mit verstärkter Stimme fort. „Ihr seyd eine Magistratsperson, und wißt, was Rechtens und was nicht Rechtens ist. Ich frage Euch daher, Sir, ob ein Schuß auf einen Menschen eine Sache ist, die man so gar leicht nehmen darf? Gesetzt, Sir , der junge Mann hätte Weib und Familie, und gesetzt, er wäre ein Techniker, wie Ihr selbst, Sir, und gesetzt, seine Familie hienge wegen ihres Unterhalts nur von ihm ab; und gesetzt, die Kugel hätte ihm, statt blos in's Fleisch zu dringen, das Schulterblatt zerschmettert, und ihn für immer zum Krüppel gemacht; — ich frage Euch alle meine Herren, gesetzt, all' dieses wäre der Fall, müßte die Jury nicht auf eine bedeutende Entschädigung antragen?“

Da der Schluß dieser Fallsetzungen an die Gesellschaft insgesammt gerichtet war, so fühlte sich anfänglich Hiram nicht berufen , eine Erwiederung zu geben; als er aber fand, daß die Augen aller Anwesenden erwartungsvoll auf ihm hafteten, so gedachte er seines richterlichen Charakters und begann daher mit dem gebührenden Grade von Bedächtigkeit und Würde:

„Freilich, wenn Einer auf einen Andern schießt, — ich meine nämlich, wenn er es mit Vorsatz thut, und wenn das Gericht davon Meldung erhält, und wenn ihn eine Jury schuldig findet, so ist es wahrscheinlich ein Fall, der den Thäter in's Staatsgefängniß liefert.“

„Allerdings ist es so,Sir,“ erwiederte der Advokat. „Das Gesetz, meine Herren, erkennt in einem freien Lande kein Ansehen der Person. Es ist eine der großen Segnungen, welche uns von unsern Vorfahren überantwortet wurden, daß alle Menschen in den Augen des Gesetzes ebenso gleich sind, als sie durch die Natur gleich geschaffen wurden. Mögen auch einige, weiß Gott, wie, zu einem großen Vermögen gekommen seyn, so werden sie dadurch doch nicht berechtigt, die Gesetze eher übertreten zu dürfen als der ärmste Bürger in den Staaten. Dieß ist meine Ansicht, meine Herren, und ich denke, wenn jemand diese Angelegenheit vor Gericht bringen wollte, so dürfte sich wohl soviel herausstellen, daß die Salben bezahlt würden. Was meint Ihr Doctor?“

„Eh, Sir,“ erwiederte der Arzt, den diese Wendung des Gesprächs augenscheinlich ein wenig beunruhigte, „ich habe das Versprechen des Richters Temple vor Zeugen, — nicht als ob mir sein Wort nicht eben so lieb wäre, als hätte ich's schriftlich von ihm, — aber es geschah vor Zeugen. Laßt mich einmal sehen — es waren Monschier Ler Quow und Squire Jones und Major Hartmann und Jungfer Pettibone und einer oder zwei Schwarze dabei, als er sagte, seine Tasche würde mich reichlich für meine Bemühungen belohnen.“

„Wurde das Versprechen vor oder nach dem geleisteten Dienste gegeben?“ fragte der Advokat.

„Ich weiß das nicht mehr so genau,“ antwortete der vorsichtige Arzt; „so viel ist mir aber noch gegenwärtig, daß es geschah, ehe ich den Verband anlegte.“

„Aber es scheint, daß er sagte, seine Tasche würde Euch belohnen,“ bemerkte Hiram. „Ich glaube nicht, daß das Gesetz einen Mann zur Erfüllung eines solchen Versprechens anhalten kann. Vielleicht gibt er Euch seine Tasche mit sechs Pencen darin und sagt, Ihr sollet Euch Eure Bezahlung daraus nehmen.“

„Dieß gälte in den Augen des Gesetzes nicht als eine Belohnung,“ fiel der Advokat ein Mnn „nicht als ein so betiteltes quid pro quo. Die Tasche kann nicht als handelnd, sondern muß als ein Theil von des Mannes eigener Person betrachtet werden — das heißt, in diesem besondern Falle. Ich bin der Ansicht, daß man auf dieses Versprechen ein Prozeßverfahren einleiten kann, und bin erbötig, es kostenfrei durchzuführen, wenn der Kläger verlieren sollte.“

Der Arzt gab auf diesen Vorschlag keine Erwiederung, obgleich man bemerkte, daß er seine Augen umhergleiten ließ, als wolle er die Zeugen aufzählen, um seiner Zeit die Einhaltung dieses Versprechens fordern zu können, falls es nöthig werden sollte. Ein so wichtiger Gegenstand, als die Erhebung einer Klage gegen den Richter 'Temple, war indeß nicht ganz nach dem Geschmacke der Gesellschaft, zumal da der Punkt an einem so öffentlichen Platze verhandelt wurde; und es folgte nun ein allgemeines Schweigen, welches erst durch das Aufgehen der Thüre und des Eintreten Natty's unterbrochen wurde.

Der alte Jäger hatte seine ihm nie von der Seite kommende Gefährtin, die Büchse, in der Hand; und obgleich die ganze Gesellschaft, den Rechtsgelehrten ausgenommen, der seinen Hut ein bischen verwegen auf's Ohr eingedrückt hatte, mit unbedeckten Häuptern da saß, so ging doch Natty auf eines der Feuer zu, ohne auch nur im Mindesten irgend einen Theil seines Anzugs oder seines Aeußern zu verändern. Man richtete verschiedene auf das Waidwerk Bezug habende Fragen an ihn, die er bereitwillig und mit einigem Interesse beantworte; und der Wirth — Natty's alter Freund, weil beide in ihrer Jugend Soldaten gewesen, — bot ihm ein Glas Branntwein, das, wenn wir aus dessen Aufnahme eine Folgerung ziehen dürfen, keine unwillkommne Gabe war. Als sich der Waldbewohner gelabt hatte, setzte er sich ruhig auf das Ende eines der Holzblöcke, die in der Nähe des Feuers lagen, und bald schien die durch seinen Eintritt veranlaßte kleine Störung vergessen zu seyn.

„Das Zeugniß der Schwarzen hat freilich keinen Werth, Sir,“ fuhr der Rechtsgelehrte fort, „da sie sammt und sonders das Eigenthum des Herrn Jones sind. Aber es gibt noch einen andern Weg, auf welchem man dem Richter Temple oder irgend einem andern Mann das Schießen auf seinen Nebenmenschen verleiden und ihn zur Zahlung der Kurkosten veranlassen kann. Ich sage, es gibt noch einen andern Weg, ohne daß man gerade vor den ,Gerichtshof der Irrungen‘ geht.“

„Die größte Irrung würde es aber seyn, Mister Todd,“ rief die Wirthin. „wenn Ihr den Richter gerichtlich belangen wolltet, der da einen Beutel hat, so lange als eine von den Fichten auf den Bergen und mit dem sich's gut genug umgehen läßt, wenn man sich ein bischen in seine Launen fügt. Richter Temple ist ein wackerer Mann, der es gut mit den Leuten meint und nicht durch Drohungen geschreckt zu werden braucht, um rechtlich zu handeln. Ich wüßte nichts an dem Manne auszusetzen, als daß er zugleich gültig in Betreff seines Seelenheils ist. Er ist weder Methodist noch Papist noch Presbyterianer, — nein, nichts von alle dem und ich kaun nicht wohl glauben, daß er, der in dieser Welt nicht fechten will den guten Kampf unter dem Panner einer regelmäßigen Kirche, einst in der Musterrolle der Erwählten gefunden werden wird, wie mein Mann, der Kapitän da, sagt — obgleich es meines Wissens nur einen Kapitän gab, der diesen Namen verdiente. Ich hoffe Lederstrumpf, Ihr seyd nicht so thöricht, dem Jungen einzureden, daß er vor dem Gerichte Hülfe sucht; denn es wird Euch beiden einen schlimmen Tag bereiten, wenn Ihr die Haut eines friedlichen Schafes abstreift und eine hadernde Bestie zum Vorschein kommen laßt. Der Junge soll umsonst seinen Trunk bei mir holen dürfen, bis seine Schnlter die Büchse wieder tragen kann.“

„Bravo; das ist generös!“ hörte man von verschiedenen Lippen; denn die Gesellschaft bestand aus lauter Leuten, bei welchen ein so liberales Anerbieten nicht weggeworfen war. Natty aber, statt etwas von der Entrüstung auszudrücken, die man bei ihm vermuthete, öffnete, als er auf die Verletzung seines jungen Gefährten anspielen hörte, seinen Mund nur zu dem bekannten stummen Lachen und erwiederte nach einer Weile:

„Ich wußte wohl, daß der Richter nichts ausrichten würde, als er mit seiner Schlüsselbüchse aus dem Sleigh stieg. Ich habe erst eine einzige Vogelflinte gesehen, mit der sich etwas machen ließ, und zwar auf den großen Seen: es war ein französisches Gewehr, mit einem Lauf halb so lang als meine Büchse, und schoß auf hundert Ellen eine Gans sicher herunter; es zerfetzte aber sein Opfer auf eine schreckliche Weise, so daß man es fast zusammenkehren mußte. Als ich mit Sir William am Fort Niagara gegen die Franzosen marschirte, so bedienten sich alle Jäger der Büchse — einer fürchterlichen Waffe in den Händen von Männern, welche sie zu laden und sicher damit zu zielen verstehen. Der Hauptmann muß das wissen, denn er sagt, er habe in Shirley's Regiment gedient; und obgleich dieses meist nur mit Bajonetten focht, so hat er doch gewiß davon gehört, wie wir den Franzosen und Irokesen in den Scharmützeln jenes Krieges zu Leibe gingen. Chingachgook, was soviel als ,große Schlange‘ besagen will, oder der alte John Mohegan, der sein Nachtlager neben dem meinigen aufgeschlagen hat, war damals ein großer Krieger und focht mit uns; er kann auch ein Geschichtchen davon erzählen, obgleich er lieber mit dem Tomahawk zuschlug und nie mehr als ein oder zwei Mal feuerte, ohne hinzulaufen und sich den Scalp zu holen. Ach! die Zeiten haben sich seither schrecklich verändert. Ja, Doctor; damals gab es nichts als einen Fußweg oder höchstens einen Pfad für Packpferde am ganzen Mohawk hin, von den Jarman's-Ebenen an bis zu den Forts hinauf. Nun sprechen sie gar von einer jener breiten Straßen mit Geländern am ganzen Fluß hin. Ha, ha, zuerst einen Weg machen und dann ihn einzäunen! Ich jagte vorgestern auf den Höhen von Kaatskills in der Nähe der Ansiedelungen, und die Hunde verloren oft, wenn sie an die Landstraße kamen, die Witterung, weil so viel darauf gereist wird, obgleich ich nicht anders sagen kann, als daß die Bestien von ganz vortrefflicher Zucht sind. Der alte Hektor verfolgte im Herbst einen Hirsch über die breiteste Stelle des Otsego und das ist doch anderthalb Meilen, wie ich selbst auf dem Eis mit Schritten abgemessen habe, als unter Zustimmung der Indianer der Strich zum Erstenmal aufgenommen wurde.“

„Es scheint mir ein schlimmes Kompliment zu seyn, Natty, daß Ihr Euerm Kameraden nach dem Argen seinen Namen gebt,“ sagte die Wirthin; „und doch kömmt mir der alte John nichts weniger als wie eine Schlange vor. Nimrod würde wohl besser für den alten Knaben passen, und wäre doch zum mindesten ein christlicher Name, da er in der Bibel vorkömmt. Der Sergeant las mir jenes Kapitel den Abend vor meiner Aufnahme in die Gemeinde vor, und es gereichte mir zu einer mächtigen Beruhigung, etwas aus dem Buch zu hören.“

„Der alte John und Chingachgook sind zwei ganz andere Leute.“ entgegnete der Jäger, indem er in trüben Erinnerungen den Kopf schüttelte. — „In dem Kriege von Acht und fpnfzig stand er in der Blüthe seiner Manneskraft und war wohl auch um drei Zoll höher. Wenn Ihr ihn, wie ich es that, an jenem Morgen gesehen hättet, als wir von unsern Mauern aus den Dieskau schlugen, so würdet Ihr ihn wohl für die hübscheste Rothhaut, die Euch je vorgekommen ist, erklärt haben. Er war nackt bis auf die Hüft- und Beinkleidung, und Ihr habt sicher nie einen Menschen so schön bemalt gesehen; die eine Seite seines Gesichts roth, die andere schwarz. Sein Kopf war glatt geschoren, mit Ausnahme eines Haarbüschels auf dem Scheitel, in dem er einen Busch von Adlerfedern trug, so schön, als kämen sie aus einem Pfauenschweife. Seine Brust war gefärbt, so daß sie wie ein Skelett mit seinen Rippen aussah, denn Chingachgook hatte viel Geschmack in solchen Dingen, und wenn er so mit seinem kühnen feurigen Gesichte, seinem Messer und seinem Tomahawk dastand, so konnte man sich kaum einen trotzigeren Krieger vorstellen. Er spielte auch seine Rolle wie ein Mann, denn ich sah ihn des andern Tages mit dreizehn Scalpen an seinem Gürtel. Auch muß ich der großen Schlange nachsagen, daß sie ehrlich zu Werke ging, und nie Einem den Scalp nahm, den sie nicht eigenhändig getödtet hatte.“

„Nun, nun,“ rief die Wirthin; „Fechten ist Fechten, so wie so, und auch hierin gibt’s verschiedene Moden; obgleich ich nicht sagen kann, daß ich Geschmack daran finde, wenn man einen Körper, nachdem der Athem entwichen ist, verstümmelt. Auch glaube ich nicht, daß ein Christ so etwas thun darf. Ich hoffe, Sergeant, daß Du nie bei so argen Werken Beihilfe geleistet hast?“

„Meine Obliegenheit war, in Reih' und Glied zu bleiben und mit dem Bajonet und der Muskete zu kämpfen oder zu fallen.“ erwiederte der Veteran. „Ich war damals in dem Fort, und da ich selten meinen Platz verließ, so sah ich nur wenig von den Wilden, die vorne auf den Flanken plänkelten. Ich kann mich jedoch erinnern, von der großen Schlange, wie man ihn nannte, gehört zu haben, denn er war ein berühmter Häuptling. Damals ließ ich's mir freilich wenig träumen, ihn dereinst unter der Benennung des alten John als Christen kennen zu lernen.“

„Ja, ja; er wurde von den Herrenhutern bekehrt, die immer viel auf die Delawaren hielten,“ sagte Lederstrumpf. „Aber hätte man sie nur sich selbst überlassen, so gäbe es jetzt nicht so viel Hanthierens um die Quellen der beiden Ströme, und diese Berge wären gute Jagdgründe für ihren rechtmäßigen Eigenthümer, der noch nicht zu alt ist, um eine Büchse zu führen, und dessen Blick so scharf ist, als der des Fischadlers, wenn er — —“

Er wurde durch ein neues Stampfen an der Thüre unterbrochen, und unmittelbar darauf trat die Gesellschaft aus dem Herrenhause ein, welcher der Indianer selbst folgte.


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