Sechstes Kapitel.

— — — und auf den Gesimsen


Die bettelhafte Reihe leerer Büchsen,


Die grünen Töpfchen, Blasen, taube Samen,


Bindfadenschnitzel, altes Hängemark;


Welch' kümmerliche Ostentation!

Shakespeare.

Doktor Elnathan Todd, denn dieß war der Name des Heilkünstlers, galt unter den Ansiedlern als ein Herr von hohen Geistesgaben, wie er denn auch, was den Körper anbelangte, hinsichtlich der Höhe, von der Natur nicht spärlich bedacht war. Er maß genau sechs Fuß vier Zoll, und seine Hände, Füße und Kniee entsprachen in jeder Hinsicht dieser seltenen Größe, obgleich die übrigen Theile seines Körpers für einen Mann von kleinerem Umfang berechnet zu seyn schienen. Seine Schultern waren viereckig, aber so nahe bei einander, daß die langen schlotterigen Arme aus dem Rückgrate herauszuwachsen schienen. Sein Hals besaß in einem ausgezeichneten Grade die der vermeldeten Höhe entsprechende Länge und stützte einen kleinen kugelrunden Kopf, dessen hintere Seite mit einem Busche borstiger, brauner Haare bedeckt war, während vornen sich ein kurzes bewegliches Gesicht zeigte, das sich alle Mühe zu geben schien, recht gelehrt auszusehen. Der Doctor war der jüngste Sohn eines Landwirths im westlichen Theile von Massachusetts, welcher, da er sich in ziemlich wohlhabenden Verhältnissen befand, in der Lage war, diesen Spätling seiner Ehe zu der vorerwähnten Höhe aufschießen zu lassen, ohne dessen Wuchs durch Feldarbeit, Holzausrottungen und sonstige derartige Arbeiten, die seinen Brüdern zu Theil wurden, zu hemmen. Er verdankte diese Befreiung von Arbeit einigermaßen seinem außerordentlichen Wachsthum, welches, indem es ihn blaß, leblos und träge machte, seine zärtliche Mutter zu der Erklärung veranlaßte, er wäre ein kränklicher Junge, der zu keiner Arbeit tauge und sich einen leidlichen Unterhalt als Advokat, Geistlicher, Doktor oder durch ein sonstiges leichtes Gewerbe, verdienen könne. Nun war aber die große Frage, für welchen dieser Berufe sich der Junge wohl am Besten eigne. Da er unterdessen nichts zu thun hatte, so schlingelte er in der Nachbarschaft herum und aß unreife Aepfel und Sauerampfer — ein Umstand, in welchem dasselbe scharfblickende Auge, welches bereits seine verborgenen Talente ausgespürt hatte, einen Fingerzeig für seinen künftigen Pfad durch die Mühen des Erdenlebens erkannte. „Elnathan ist zu einem Doktor gemacht,“ raisonnirte die Mutter; „denn er suchte immer nach Kräutern und kostete alles, was in der Nachbarschaft wuchs. Dann hatte er auch eine natürliche Vorliebe für Arzneistoffe, denn als sie einmal eine Parthie abführender Pillen für ihren Mann zugerichtet, und mit Ahornzucker bestreut hatte, kam Elnathan herein und verschluckte sie, als ob sie gar nichts wären, während Ichabod, ihr Gatte, auch nicht ein einziges hinunterbringen konnte, ohne so verzweifelte Gesichter zu schneiden, daß man es nicht ohne Entsetzen mit ansehen konnte.“

Diese Entdeckung gab den Ausschlag. Elnathan wurde, als er ungefähr fünfzehn Jahre alt war, ziemlich wie ein wildes Füllen eingefangen, herausgestriegelt und seine buschigen Haare geschnitten; dann erhielt er einen neuen, selbstgewirkten Anzug, der mit der Rinde der Butternuß gefärbt war, und wurde, mit einem Neuen Testament und Websters A-B-C-Buch ausgestattet, nach einer Schule geschickt. Da der Knabe nicht ohne natürliche Anlagen und schon in früherer Zeit bei ihm mit Lesen, Schreiben und Rechnen ein Grund gelegt worden war, so zeichnete er sich bald durch seine Fortschritte aus. Die glückliche Mutter hatte die Freude, aus dem Munde des Lehrers selbst zu hören, daß ihr Sohn „ein wahrer Wunderknabe sey und die übrigen Knaben seiner Klasse weit übertreffe.“ Auch meinte der Pädagog, „der Junge habe eine natürliche Anlage für die Arzneikunst, denn es sey ihm nicht entgangen, daß er die kleineren Kinder öfter vor dem zu viel Essen verwarne, wie er denn auch einigemale bemerkt habe, daß Elnathan, wenn die unwissenden Rangen seinem Rath hartnäckigen Widerstand entgegensetzten, eigenmündig die Schulkörbe leerte, um sie vor den verderblichen Folgen einer Magenüberladung zu wahren.“

Bald nach dieser tröstlichen Erklärung von Seite des Schulmonarchen wurde der Junge in das Haus eines Dorfchirurgen verpflanzt, der so ziemlich mit unserem Helden die gleiche Schule gemacht hatte. Hier sah man ihn bisweilen ein Pferd zur Tränke führen, oder andere Tränke, blaue, gelbe und rothe anfertigen; dann saß er auch hin und wieder mit Ruddiman's lateinischer Grammatik in der Hand, oder einem Theil von Denman's Hebammenkunst in der Tasche, unter einem Apfelbaum; — denn sein Lehrer hielt es für abgeschmackt, seinen Zögling die Patienten regelrecht aus der Welt fördern zu lehren, ehe er wußte, wie der Mensch in die Welt gebracht würde.

So verlebte er ungefähr ein Jahr, als er plötzlich in einem sehr langen schwarzen Rock, wozu der Zeug in der Heimath gewoben, und in kleinen Schnürstiefeln, die in Ermanglung von rothem Maroquin ungefärbte kalblederne Riemen hatten, vor den Leuten erschien.

Bald nachher wurde er mit einem stumpfen Rasirmesser auf's Rasiren ausgeschickt, und ehe noch weitere drei oder vier Monate verflossen, sahen ihn mehrere ältliche Damen nach dem Hause einer armen Frau im Dorfe eilen, während andere Personen augenscheinlich in großer Bestürzung ab und zu gingen. Einige Knaben wurden auf sattellose Pferde gesetzt und in aller Hast nach verschiedenen Richtungen ausgeschickt. Man stellte yerschiedene indirekte Fragen, wo der Wundarzt zuletzt gesehen worden, aber Alles war umsonst, und endlich sah man Elnathan mit einer ungemein gravitätischen Miene aus der Thüre treten, während ein kleiner weißköpfiger Knabe athemlos vor ihm hertrabte. Des anderen Tages zeigte er sich im Dorfe, und sämmtliche Bewohner waren höchlich erbaut von seiner nun so würdevollen Miene. Dieselbe Woche kaufte er ein neues Rasirmesser, und am darauf folgenden Sonntag betrat er mit einem rothseidenen Taschentuch in der Hand und einem ungemein gesetzten Gesichte die Kirche. Am Abend machte er bei einem jungen Frauenzimmer aus der niederen Volksklasse, denn andere waren keine vorhanden, einen Besuch, und nachdem er sich eine Weile allein mit der Schönen unterhalten hatte, nannte ihn die kluge Mutter derselben zum erstenmal Doctor Todd. Jetzt war das Eis mit einem Male gebrochen, und von nun an wurde Elnathan aus jedem Munde nur noch mit diesem Titel begrüßt. Er brachte noch ein Jahr unter der Leitung desselben Lehrherrn zu, während welcher Zeit der junge Heilkünstler in dem Rufe stand, daß er immer „mit dem alten Doctor die Kranken besuchen müsse,“ obgleich man beide stets verschiedene Wege einschlagen sah. Nach Ablauf dieser Periode hatte Doctor Todd das Alter der Mündigkeit erreicht. Er machte nun einen Ausflug nach Boston, um Arzneien einzukaufen und, wie einige wissen wollten, den Spital zu besuchen. Wir wissen nicht, wie es sich mit dem letzteren verhielt, da uns nur so viel bekannt ist, daß dieser Besuch ein sehr kurzer gewesen seyn muß, denn er kam schon nach vierzehn Tagen wieder zurück und brachte eine verdächtig aussehende Büchse mit, die gewaltig nach Schwefel roch.

Sonntags darauf ließ er sich trauen, und am folgenden Morgen bestieg er mit seiner jungen Gattin einen einspännigen Schlitten, der zugleich mit der vorerwähnten Büchse, einer Kiste voll selbst gefertigter Leinwand, einem mit Papier beklebten Koffer, einem darangebundenen rothen Regenschirm, einem Paar ganz neuen Sattelranzen und einem Verbandzeug bepackt war. Die nächste Nachricht, die seine Freunde von dem neuen Ehepaar erhielten, lautete, daß sich Doktor Todd in der Absicht, seine Kunst auszuüben, zu Templeton, im Gebiete von Neu-York niedergelassen hätte. Wie ein Juris Canadidatus von London Marmaduke's Befähigung zu einem Richteramte belächelt haben würde, ebenso belustigend dürfte es wohl ein Graduirter von Leyden oder Edinburg finden, wenn er aus dieser wahrhaftigen Geschichte von Elnathans Dienste in dem Tempel Aesculaps hört. Aber der Richter und der Aderlasser konnten sich damit trösten, daß Doctor Todd mit seinen im Lande ansätzigen Kunstgenossen ebensowohl auf einer gleichen Höhe stand, als Marmaduke mit seinen Brüdern auf der Gerichtsbank.

Zeit und Erfahrung übten Wunder an dem Heilkünstler. Er war von Natur menschenfreundlich, was indeß seinem moralischen Muthe durchaus keinen Eintrag that; oder mit andern Worten, er hielt das Leben seiner Patienten werth, und machte keine unnöthigen Versuche an solchen Gliedern der Gesellschaft, die man als nützlich betrachtete; wenn ihm aber hin und wieder ein unglücklicher Landstreicher in die Hände kann so war er nicht abgeneigt, die Wirkungen jeder Flasche seiner Sattelranzen an der Constitutiondes Patienten zu erproben. Glücklicher Weise waren jedoch seine Vorräthe klein und meist ziemlich unschuldiger Natur. Mit Hülfe derselben hatte sich Elnathan ziemliche Erfahrung in den Wechselfiebern erworben und konnte mit vieler Gelahrtheit von intermittens, remittens, Tertiana, Quotidiana u.s.w. sprechen. In gewissen Hautkrankheiten, die in den neuen Ansiedelungen vorherrschende sind, galt er als unfehlbar, und das weibliche Geschlecht in dem Patent hätte eher daran gedacht, ohne Gatten Mutter als ohne Doktor Todds Beistand entbunden zu werden. Mit einem Worte, er strebte auf so sandigem Grunde als ein Gebäude himmelan, das die Erfahrung zum Bindemittel hatte, obgleich es auch hier hin und wieder etwas brüchig aussah. Gelegentlich griff er auch wieder zu seinen Elementarstudien, und mit der Fassungsgabe eines erleuchteten Kopfes wußte er leicht die Praxis seiner Theorie anzupassen.

Da er in der Chirurgie am wenigsten Erfahrung hatte, und diese auch ein Geschäft war, über deren Erfolg der Augenschein allein belehren konnte, so wagte er es nicht, in dieser Beziehung seine Kräfte allzuhoch anzuschlagen; er behandelte jedoch Brandwunden mit Oelen und Salben, riß schadhafte Zähne mit der Wurzel aus, und hatte die Hiebwunden zahlloser Holzfäller mit beträchtlichem Eclat wieder zusammengenäht, bis einmal einem unglücklichen Taglöhner durch den Umsturz eines Baumes ein Bein zerbrochen wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die Nerven und das moralische Gefühl unseres Helden in einer Weise heimgesucht, wie er es vorher nie erlebt hatte. In der Stunde der Noth ließ er sich jedoch nie vergeblich suchen. Die meisten Amputationen, die in diesen neuen Niederlassungen gerade nicht zu den Seltenheiten gehören, wurden durch einen Praktiker vorgenommen, der sich von Anfang an eines großen Rufes erfreute und diesem Umstande eine Summe von Erfahrungen zu danken hatte, die es ihm möglich machten, seinen Ruhm zu verdienen. Elnathan war bei einer oder zweien dieser Operationen zugegen gewesen. Da nun bei dem gegenwärtigen Anlasse der erfahrenere Wundarzt nicht zu haben war, so fiel dieses Geschäft natürlich dem Doctor Todd anheim. Er ging dabei mit einer Art von blinder Verzweiflung an's Werk, obgleich er es nicht unterließ, in seinem Aeußern wenigstens die Würde des geschickten Arztes zu bewahren. Der Name des Patienten war Milligan, derselbe, den wir bereits Richard nennen hörten, als er des Beistandes erwähnte, den er bei Gelegenheit einer Amputation dem Doctor durch Halten des Beines geleistet hatte. Das Glied wurde auch wirklich abgetrennt, und der Kranke überlebte die Operation. Zwei oder drei Jahre fuhr aber der arme Milligan fort, sich zu beklagen, daß man sein abgenommenes Bein in einem zu engen Behälter begraben hätte, so daß dasselbe eingezwängt würde, denn er fühle deutlich den Schmerz aus dem begrabenen Bruchstücke nach den gesunden Gliedern hinaufschießen. Marmaduke meinte, der Grund werde in den Arterien und Nerven liegen; aber Richard, der die Amputation theilweise für sein eigenes Werk hielt, bestritt diese Absicht lebhaft, indem er zugleich erklärte, er habe schon oft von Leuten gehört, die aus dem Gefühl in den Zehen ihrer abgenommenen Glieder einen kommenden Regen prophezeihen konnten. Nach zwei oder drei Jahren wurde daher, ungeachtet sich Milligan's Klagen allmählig verminderten, das Bein ausgegraben und in einem größeren Sarg wieder eingescharrt; und von jener Stunde an hörte man nie wieder eine Klage aus dem Munde des Amputirten, Dieser Umstand vermehrte das öffentliche Vertrauen zu dem Doctor Todd, dessen Ruf mit jeder Stunde wuchs, und zum Glücke für seine Patienten auch seine Erfahrung erweiterte.

Aber trotz seiner vielseitigen Praxis und des glücklichen Falles mit dem Beine war Herr Todd nicht wenig beängstigt, als er in die Halle des Landhauses trat. Sie war wie der Tag erhellt und Alles sah, in Vergleichung mit den hastig gebauten und sparsam möblirten Stuben, in welche ihn sein Beruf gewöhnlich führte, so gar prächtig und imponirend aus; auch waren so viele wohlgekleidete Personen mit ängstlichen Gesichtern zugegen, daß seine sonst kräftigen Nerven etwas in Verwirrung geriethen. Er hatte den Bedienten, der ihn in das Landhaus berief, von einer Schußwunde sprechen hören, weßhalb er seine Sattelranzen auf dem Rücken durch den Schnee einherschleppte und auf dem ganzen Herwege nur an zerrissene Arterien, verletzte Lungen und beschädigte Eingeweide dachte, als ginge er unmittelbar nach dem Wahlplatze einer blutigen Schlacht und nicht nach Richter Temple's friedlicher Wohnung.

Der erste Gegenstand, der beim Eintritte in die Halle seinem Auge begegnete, war Elisabeth in ihrem reich mit goldenen Schnüren besetzten Reitkleide, die ihm mit dem Ausdruck tiefer Besorgniß in ihren Zügen entgegenging. Die ungeheuren Knochenkniee des Arztes schlugen hörbar zusammen, denn in keiner Verwirrung glaubte er in der Dame einen von Kugeln durchbohrten Stabsofficier zu sehen, der von dem Schlachtfelde weggeeilt sey, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Täuschung war jedoch nur momentan, und sein Auge schweifte rasch nach dem ernsten und würdevollen Angesicht des Vaters, sodann nach dem umherstolzirenden Richard, der, um seinen Unmuth über die Zurückweisung des Jägers abzukühlen, mit langen Schritten in der Halle hin und her ging und mit seiner Peitsche knallte; von diesem auf den Franzosen, der seit mehreren Minuten, mit einem Stuhle für die Dame in der Hand, unbeachtet dastand; dann auf den Major Hartmann, der ganz kaltblütig eine drei Fuß lange Pfeife an einem der Kronleuchter anzündete; dann auf Herrn Grant, der bei einem der Seitenlichter in das Lesen eines Mannscripts vertieft war; dann auf Remarkable, die mit gekreuzten Armen dastand und mit einem Blicke voll Bewunderung und Neid den Anzug und die Schönheit der jungen Dame musterte; dann auf Benjamin, der mit in die Seite gestemmten Armen seinen viereckigen kleinen Körper auf den gespreizten Beinen balancirte und dabei die Gleichgültigkeit eines Mannes an den Tag legte, der mit Wunden und Blutvergießen vertraut war. Aber alle Personen schienen unverletzt, und der Operateur begann wieder frei zu athmen. Ehe er jedoch seine Musterung zum zweiten Mal vornehmen konnte, trat der Richter auf ihn zu, schüttelte ihm freundlich die Hand und sprach:

„Du bist willkommen, lieber Doctor; in der That sehr willkommen. Hier ist ein Jüngling, der Deines Beistandes bedarf, weil ich so unglücklich war, ihn heute Abend zu verwunden, als ich nach meinem Hirsch geschossen.“

„Du nach einem Hirsch geschossen, 'Duke?“ unterbrach ihn Richard — „ha, ha! nach einem Hirsch geschossen! Meinst Du, man könne etwas verordnen, ohne daß man den ganzen Thatbestand weiß? Aber so geht es immer mit gewissen Leuten; sie meinen, man könne einen Arzt ebenso ungestraft hintergehen, als einen andern Menschen.“

„Allerdings habe ich nach dem Hirsch geschossen,“ entgegnete der Richter lächelnd, „und es ist keineswegs ausgemacht, ob ich bei der Erlegung desselben nicht Beihilfe leistete. Sey dem aber, wie ihm wolle, der junge Mann wurde durch meine Hand verletzt und es ist nun Deine Sache, ihn zu curiren, und die meiner Tasche, Dich für Deine Bemühung zu belohnen.“

„Zwei Sach, auf die man sich kann verlaß sehr gut,“ bemerkte Monsieur Le Quoi mit einer höflichen Verbeugung gegen den Richter und den Praktiker.

„Danke, Monsieur,“ entgegnete der Richter; „aber wir halten den jungen Mann unnöthig auf. Remarkable, Du wirst so gut seyn, für Leinwand und Charpie zu sorgen.“

Diese Bemerkung bewirkte eine Beendigung der Complimente und veranlaßte den Arzt, einen spähenden Blick in der Richtung seines Patienten zu werfen. Der junge Jäger hatte während des eben berührten Gesprächs seinen Mantel abgeworfen und stand nun in einem einfachen Anzug von dem hellfarbigen selbstgewirkten Zeuge der Gegend da, welcher augenscheinlich noch ganz neu war.

Er hatte bereits die Hand an den Kragen seines Rocks gelegt, um auch dieses Kleidungsstück abzulegen, als er plötzlich wieder inne hielt, denn sein Blick fiel auf die bekümmerte Elisabeth, die unbeweglich und zu sehr von Angst überwältigt dastand, um seiner Bewegungen zu gewahren. Ein leichtes Roth färbte die Stirne des Jünglings.

„Der Anblick von Blut könnte die Dame beunruhigen. Gehen wir daher lieber, bis die Wunde verbunden ist, in ein anderes Zimmer.“

„Nicht doch,“ sagte Doctor Todd, dem seine ganze Keckheit wieder gekommen war, sobald er bemerkte, daß sein Patient kein Mann von Bedeutung sey — „die helle Beleuchtung des Saales ist der Operation günstig — ein Vortheil, den wir um so weniger aus dem Auge lassen wollen, da man sich desselben so selten zu erfreuen hat.“

Während Elnathan so sprach, steckte er eine große eiserne Brille in sein Gesicht, die langjähriger Gewohnheit zufolge auf der äußersten Spitze seiner Mopsnase sitzen blieb und, wenn sie den Augen auch keinen wesentlichen Dienst leistete, doch auch kein Hinderniß für das Sehen bildete; denn seine kleinen grauen Beobachtungsorgane funkelten wie zwei Sterne, die aus einer neidischen Wolkenhülle hervorblicken, über dem optischen Instrumente weg. Diese Bewegung blieb von allen unbeachtet. Remarkable ausgenommen, welcher gegen Benjamin bemerkte:

„Herr Todd ist ein recht hübscher Mann, der seine Worte gut zu setzen weiß. Wie prächtig ihm nur seine Brille steht! So ein Ding gibt einem doch gleich ein großartigeres Aussehen; ich habe gute Lust, mir selber auch eine anzuschaffen.“

Die Worte des Fremden hatten Miß Temple wieder zur Besinnung gebracht. Sie fuhr, wie aus einer tiefen Zerstreuung auf, erröthete hoch, winkte einer jungen Weibsperson, die ihr in der Eigenschaft eines Kammermädchens diente, und entfernte sich mit der Miene weiblicher Zurückhaltung.

Das Feld blieb nun dem Arzte und seinem Patienten freigelassen, während die übrigen noch anwesenden Personen sich mit Gesichtern, welche die verschiedenen Grade ihres Antheils ausdrückten, um den letzteren sammelten. Major Hartmann war der einzige, der auf seinem Sitze blieb, indem er fortfuhr, große Rauchwolken von sich zu stoßen, und bald die Augen nach der Decke gleiten ließ, als stelle er Betrachtungen über die Ungewißheit des menschlichen Lebens an, bald mit einem Ausdrucke, der einiges Bewußtseyn von der Lage des jungen Mannes verrieth, nach dem Fremden hinblickte.

Inzwischon begann Elnathan, dem eine Schußwunde etwas Nagelneues-war, seine Vorbereitungen mit einer Sorgfalt und Feierlichkeit, wie sie des Anlasses würdig waren. Benjamin hatte ihm ein altes Hemd eingehändigt, welches er mit einer Miene, die sowohl seine Geschicklichkeit, als die Wichtigkeit der Operation bezeichnete, in mehrere lange Streifen riß.

Als diese Einleitung getroffen war, wählte sich Herr Todd mit großer Sorgfalt einen der Streifen aus, und händigte ihn Herrn Jones ein, indem er mit größter Kaltblütigkeit sagte:

„Da, Squire Jones. Sie verstehen sich auf derartige Dinge und sind wohl so gefällig, die Chardie zu zupfen. Sie muß fein und weich seyn, wie Sie ja selber wissen, mein lieber Sir. Nehmen Sie sich aber in Acht, daß Sie keine Baumwolle hineinbringen; sie möchte sonst die Wunde vergiften. Nur der Zettel ist Leinwand; Sie können daher beides leicht sondern.“

Richard übernahm diesen Dienst mit einem Nicken gegen seinen Vetter, in welchem deutlich zu lesen war: „Du siehst, der Kamerad kann nichts ohne mich ausrichten,“ und begann mit großer Emsigkeit auf seinem Knie Charpie zu zupfen.

Ein Tisch wurde nun mit Arzneiflaschen, Salbtöpfen und verschiedenen chirurgischen Instrumenten belegt. So oft der Doctor eines davon aus seinem rothen Maroquinfutteral hervorlangte, hielt er es gegen das lebhafte Licht des Kronleuchters, in dessen Nähe er stand, und untersuchte es mit der pedantischsten Sorgfalt. Dabei fuhr er oft mit einem rothseidenen Taschentuche über den blanken Stahl, als wolle er auch das mindeste Hinderniß, das einer so delikaten Operation im Wege stehen könnte, von der polirten Oberfläche entfernen. Nachdem das ziemlich spärlich ausgestattete Futteral geleert war. öffnete der Doctor seine Sattelranzen und brachte verschiedene Phiolen zum Vorschein, die mit Flüssigkeiten von den verschiedensten Farben gefüllt waren, stellte sie in gebührender Ordnung an der Seite der mörderischen Sägen, Scheeren und Messer auf, nahm dann eine ganz aufrechte Stellung an, wobei er die Hand auf den Rücken legte, als wolle er die Bedeutsamkeit seiner Attitüde dadurch verstärken, und blickte umher, was für einen Eindruck diese Zurschaustellung seines Kunstapparates auf die Zuschauer übte.

„Auf mein Wort,“ bemerkte Major Hartmann mit einem schelmischen Rollen seiner kleinen schwarzen Augen, während jeder übrige Zug seines Gesichtes vollkommen ruhig verblieb; „Ihr habt da einen schönen Vorrath von Werkzeugen, und Eure Medicamente glänzen, als wären sie besser für die Augen, als für die Gedärme.“

Elnathan ließ ein Hem vernehmen, — man hätte es vielleicht eben so gut für das Räuspern eines Verzagten, der sich dadurch Muth zusprechen will, als für einen natürlichen Versuch, die Kehle zu klären, halten können; wenn indeß das erstere der Fall war, so entsprach es vollkommen seiner Absicht, denn der Doctor wandte sich jetzt mit den Worten an den deutschen Veteran:

„Sehr wahr, Herr Major, sehr wahr; ein kluger Mann gibt sich immer Mühe, seine Heilmittel dem Auge angenehm zumachen, obgleich sie hin und wieder dem Magen nicht sonderlich zusagen mögen. Es gehört indeß wesentlich mit zu unserer Kunst, Sir“ — und nun sprach er mit der Zuversicht eines Mannes, der über seinen Gegenstand vollkommen im Klaren ist — „den Kranken mit dem, was zu seinem eigenen Besten dient, zu versöhnen, wenn sich auch der Gaumen etwa dagegen sträuben sollte.“

„Gewiß. Doctor Todd hat Recht,“ sagte Remarkable; „denn die Bibel erzählt uns von Dingen, die, wie süß sie auch dem Munde seyn mögen, in dem Bauche grimmen.“

„Mag seyn, mag seyn,“ fiel der Richter etwas ungeduldig ein; „aber hier ist ein Jüngling, der nicht nöthig hat, sich in seinem eigenen Interesse täuschen zu lassen! Ich entnehme aus seinem Auge, daß ihm nichts mehr zuwider ist, als Zögerung.“

Der Fremde hatte, ohne weiteren Beistand, seine Schulter entblöst, in der ein kleines Loch, veranlaßt durch das Eindringen eines Hirschpostens, deutlich sichtbar war. Die eindringliche Kälte des Abends hatte die Blutung gehemmt, und Doctor Todd, der

einen verstohlenen Blick auf die Wunde warf, begann nun zu glauben, daß er es keineswegs mit einem so schrecklichen Falle zu thun bekomme, als er gefürchtet hatte. So ermuthigt, näherte er sich seinem Patienten und ließ seine Absicht merken, den Gang, welchen das Blei genommen hatte, zu verfolgen.

Remarkable nahm in späteren Tagen oft Anlaß, diese berühmte Operation mit allen Einzelnheiten zu erzählen, und wenn sie im Laufe der Geschichte bei jenem Punkt anlangte, so pflegte sie folgendermaßen fortzufahren:

„Und dann nahm der Doctor ein langes Ding, wie eine Stricknadel, an dessen Ende sich ein Knopf befand, aus seinem Futterale; und dann schob er es in die Wunde; und dann machte der junge Mann ein schreckliches Gesicht; und dann meinte ich in Ohnmacht sinken zu müssen, so griff mich die Sache an; und dann stieß es der Doctor gerade durch seine Schulter und schob die Kugel auf der anderen Seite heraus; und so curirte der Doctor Todd den jungen Mann von einer Kugel, die ihm der Richter in den Leib geschossen hatte — in der That so leicht, wie wenn ich einen Splitter mit der Nähnadel herausnehme.“

Dieß war der Eindruck, den der ganze Vorgang auf Remarkable, und ohne Zweifel auf alle Diejenigen gemacht hatte, welche sich gedrungen fühlten, Elnathan's Geschicklichkeit mit einer religiösen Verwunderung zu betrachten; die Sache verhielt sich indeß anders.

Als der Arzt versuchte, daß von Remarkable beschriebene Instrument einzubringen, wurde dieses von dem Fremden mit Entschiedenheit, ja sogar mit einer kleinen Beimischung von Verachtung abgelehnt.

„Ich glaube, Herr, daß kein Sondiren nöthig ist,“ sagte er. „Die Kugel hat keinen Knochen verletzt und ist gerade durch's Fleisch gegangen; sie steckt auf der andern Seite unmittelbar unter der Haut, und ich dächte, sie ließe sich da leicht herausschneiden.“

„der Herr muß das am besten wissen,“ entgegnete Doctor Todd, indem er die Sonde mit der Miene eines Mannes, der sie nur der Form wegen zu Hilfe genommen hat, bei Seite legte. Dann wandte er sich an Richard und befühlte die Charpie mit großer Bedachtsamkeit.

„Prächtig gezupft, Squire Jones. — so ziemlich die beste die ich je gesehen habe. Jetzt aber bedarf ich Ihres Beistands, mein guter Sir: wollen Sie den Arm des Patienten halten, während ich den Einschnitt mache. Thut mir zwar leid, daß ich Sie darin unterbrechen muß, denn es ist Niemand im Zimmer, der Charpie so gut zu zupfen verstände, als Squire Jones.“

„So etwas verpflanzt sich in den Familien,“ bemerkte Richard, rasch aufstehend, um die gewünschte Handreichung zu thun. „Mein Vater, und schon mein Großvater waren wegen ihrer chirurgischen Kenntnisse berühmt; sie hatten sich nicht mit solchen Zufälligkeiten zu brüsten, wie Marmaduke jenesmal, da er dem Manne, der vom Pferde gestürzt war, sein Hüftgelenk wieder zurechtbrachte. Das war indeß, ehe Ihr in die Ansiedelung kamet. Doctor. Ja, ja, meine Vorfahren waren Männer, die alles regelmäßig anzugreifen gelernt hatten, und ihr halbes Leben auf das Studium solcher kleinen Fertigkeiten verwendeten; zudem war mein Großvater ein an einer medicinischen Schule gebildeter Arzt, und der beste in der Kolonie — das heißt in der ganzen Nachbarschaft.“

„So geht es in der Welt, Squire,“ rief Benjamin, „wenn man mit Ehren und mit regelmäßig gebauten Swabbern auf seinen Schultern einen ehrenvollen Spaziergang über das Halbdeck zu machen denkt, so darf man nicht glauben, daß es da nur geschwind durch die Kajütenfenster gehe. Es gibt außer dem Soldatengate zwei Wege auf das Mars zu kommen, und am ehesten kommt man rückwärts, wenn man gleich vorwärts anfängt. Jedermann muß von unten auf dienen, wie aus meiner eigenen bescheidenen Laufbahn erhellt. Anfangs war ich nur Handlanger bei den Bramsegeln, dann kam ich an den Klüver, bis mir endlich des Capitäns Schlüssel übertragen wurden.“

„Benjamin hat ganz recht,“ fuhr Richard fort. „Ich darf wohl sagen, daß er auf den verschiedenen Schiffen, auf denen er diente, manche Kugel hat ausziehen sehen. Ich denke, wir können ihn das Becken halten Lassen; denn er muß wohl an den Anblick des Blutes gewöhnt seyn.“

„Das bin ich auch, Squire; das bin ich auch,“ fiel der vormalige Schlüsselbewahrer ein. „Ich habe die Docters an mancher schönen Schußwunde sich abarbeiten sehen. So war ich einmal in einem Boot neben dem Schiff, wo sie dem Capitän des Foody-Rong, einem von Munschür Les Quaw's Landsleuten, einen Zwölfpünder aus dem Schenkel schnitten.“ [Möglich, daß der Leser ob dieser Erklärung Benjamin's erstaunt; aber wer sich eine Zeit lang in den neuen Ansiedelungen Amerika's aufgehalten hat, ist zusehr daran gewöhnt, von solchen europäischen Kraftstückchen zu hören, um sie zu bezweifeln.]

„Einen Zwölfpünder aus dem Schenkel eines menschlichen Wesens?“ rief Herr Grant mit vieler Einfalt, indem er die Predigt, die er eben studirte, sinken ließ und seine Brille gegen die Stirn zurückschob.

„Ja, einen Zwölfpfünder!“ wiederholte Benjamin mit kecker Miene umhersehend. „Doch, was will das heißen? Man kann ebenso leicht einen Vierundzwanzigpfünder aus einem menschlichen Leibe herausschneiden, wenn's der Doctor nur anzugreifen weiß. Da ist Squire Jones. Fragen Sie ihn, Sir; er liest Bücher genug — fragen sie ihn, ob ihm nie eine Stelle vorgekommen, wo über solche Dinge Bericht erstattet wird.“

„Gewiß; man trifft da oft so merkwürdige Operationen, daß sie unmöglich können ausgeführt worde seyn,“ bemerkte Richard. „Die Encyklopedie erwähnt noch weit unglaublichere Fälle, wie Euch sicher bekannt seyn wird, Doctor Todd.“

„Allerdings; es steht manches Unglaubliche in den Encyklopädien,“ entgegnete Elnathan, „obgleich ich nicht sagen kann, daß ich je etwas Größeres, als eine Musketenkugel ausschneiden sah.“

Während dieses Gesprächs hatte der Wundarzt an der Schulter des jungen Mannes einen Einschnitt in die Haut gemacht, und das Blei blosgelegt. Er nahm nun eine glänzende Zange und war im Begriff, sie auf die Wunde zu appliciren, als eine plötzliche Bewegung des Patienten Anlaß gab, daß die Kugel von selbst herausfiel. Der lange Arm und die lange Hand des Operateurs kamen ihm sehr zu statten, denn die letztere breitete sich rasch aus und faßte das Blei, während eine geschickte Bewegung der andern die Umstehenden im Zweifel ließ, in wie weit Elnathan bei der Entfernung der Kugel selbst thätig gewesen. Richard bereinigte indessen die Sache, indem er rief:

„Prächtig, Doctor! Ich habe nie eine Kugel so schön herausnehmen sehen. Und Ihr, Benjamin, werdet das Gleiche sagen müssen.“

„Ja, was das anbelangt, so muß ich sagen,“ entgegnete Benjamin, „daß er sich wie ein ächter Schiffsdoctor benommen hat. Jetzt braucht er nichts mehr zu thun, als die Löcher mit ein Paar Pfröpfchen zuzustopfen, und der junge Mann kann hinsegeln, wohin ihn der Wind in diesen Bergen bläst.“

Die ganze Gruppe wandte sich jetzt überrascht um und erblickte an der Thüre der Halle die Person des Indianers John.


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