Wie? Alles da in schmuckem Kleide?
Ich wette, 's gibt ein Volksfest heute.
Scott.
Die alte Belustigung am Christfeste, nach einem Truthahn zu schießen, gehört zu den wenigen, die von den Ansiedlern eines neuen Landes selten vergessen werden. Sie steht in Verbindung mit den täglichen Beschäftigungen eines Volkes, welches oft die Axt oder Sichel bei Seite legte, wenn ein Hirsch durch den Wald jagte, wo sie Bäume fällten; oder wenn ein Bär in ihre wenig kultivirten Wiesengründe eindrang, um die Luft einer Lichtung zu schnuppern und sich auf Kundschaft zu legen, wie es mit dem Umsichgreifen der Eindringlinge stehe.
Bei dem gegenwärtigen Anlasse war der herkömmliche Brauch etwas beschleunigt worden, um sich auch Herrn Grant's Predigt zu Nutzen machen zu können, welche für die jungen Schützen nicht weniger Reiz hatte, als ihre dermalige Beschäftigung. Der Eigenthümer der Vögel war ein freier Neger, der sich für diesen Anlaß mit einer Menge von Geflügel vorgesehen hatte, welches bewunderungswürdig geeignet war, den Appetit eines Epikuräers zu reizen und die Geschicklichkeit der verschiedenen, allen Altersklassen angehörigen Preisbewerber zu erproben. Für die jüngeren und bescheideneren Schützen hatte er verschiedene Vögel untergeordneten Ranges ausgestellt, und bereits waren mehrere Schüsse sehr zu dem pekuniären Vortheile des schwarzen Eigenthümers gefallen. Die Einrichtung des Festes war außerordentlich einfach und leicht verständlich. Der Vogel wurde mittelst einer Schnur an dem Stumpf einer großen Fichte angebunden, welcher an der dem Schützen zugekehrten Seite mit einer Art flach gehauen war, um als Scheibe zu dienen, an der sich die Geschicklichkeit jedes einzelnen Individuums beurtheilen ließ. Die Entfernung zwischen dem Stumpf und dem Schießstand betrug hundert abgemessene Ellen und ein Fuß breit mehr oder weniger würde als ein Eingriff in die Rechte des Einen oder des Andern betrachtet worden seyn. Der Neger bestimmte für jeden Vogel den Preis und setzte die Bedingungen fest; war aber dieß einmal geschehen, so blieb er durch die strengen Grundsätze einer öffentlichen Gerechtigkeit, welche in der Gegend galten, genöthigt, jeden Lustbezeugenden zuzulassen.
Das Gewimmel auf dem Platze bestand aus etlichen zwanzig oder dreißig jungen Männern, die alle mit Büchsen bewaffnet waren, und der ganzen männlichen Schuljugend des Dorfes. Die kleinen, in rauhe aber warme Kleider gehüllte Knirpse schaarten sich, die Hände in ihre Hosentaschen gesteckt, um die berufensten Schützen, und horchten begierig auf das pralerische Anrühmen der eigenen Geschicklichkeit, die man bei früheren Gelegenheiten an den Tag gelegt hatte, in ihren kleinen Herzen die Großthaten dieser Helden bereits zum Voraus nachahmend.
Der Hauptsprecher war der von Natty schon erwähnte Billy Kirby. Dieser Bursche, dessen Beschäftigung, wenn er arbeiten mochte, in Lichtung des Landes und Ausroden von Strünken bestand, war von großer Statur, und man konnte den Charakter des Mannes schon in seinem Gesichte lesen. Er war ein lärmender gedankenloser junger Mensch, dessen gutmüthiges Auge mit seiner plumpen und polternden Sprache einen starken Kontrast bildete. Er konnte wochenlang in völligem Nichtsthun von Schenke zu Schenke schlendern, oder für ein Mittagessen und Branntwein kleine Geschäfte verrichten, während er mit seinen Kunden um den Preis jeder Arbeit dingte und lieber faullenzte, wenn er glaubte, man trete seiner Unabhängigkeit zu nahe, oder man wolle ihn um einen Heller seines Lohnes verkürzen. War man aber einmal mit ihm eins geworden, so griff er nach seiner Axt und seiner Büchse, schlüpfte in die Riemen seines Tragkorbs, und marschirte mit herkulischen Schritten dem Walde zu. Hier war sein erstes, seinen Bezirk kennen zu lernen, den er, unter jeweiligem Greifen nach seiner Feldflasche, umschritt, um die Gränzbäume durch einen Hieb seiner Axt zu zeichnen; dann pflegte er sich mit gar bedächtigen Mienen in den Mittelpunkt des ihm angewiesenen Platzes zu begeben, wo er seine überflüssigen Kleider bei Seite legte und mit kundigem Auge einen oder zwei der nächsten Bäume maß, die, wenn er in die Höhe sah, beinahe in die Wolken zu ragen schienen. Gewöhnlich wählte er einen der edelsten für seinen ersten Kräfteversuch und näherte sich ihm, ein Liedchen pfeifend, mit gleichgültiger Miene; dann schwang er mit sicherer Faust die Axt, nicht unähnlich den Begrüßungen eines Fechtmeisters, worauf er einen leichten Hieb in die Rinde that und seine Entfernung abmaß. Die Pause, die dann folgte, war für den Wald, der seit Jahrhunderten dort geblüht hatte, verhängnißvoll. Den schweren und raschen Hieben folgte bald das donnernde Krachen des Baumes, wenn er sich von seinen eigenen letzten Verbindungsflächen loslößte, dann das Rauschen und Knirschen der Zweige in den Wipfeln seiner benachbarten Brüder, und endlich der Sturz auf den Boden, mit einer Erschütterung, die fast einem Erdbeben glich. Von diesem Augenblick an schallten die Töne der Axt ohne Unterlaß fort, während der Sturz der Bäume wie eine ferne Kanonade tönte; und das Licht des Tages drang in die Tiefe der Wälder mit der Schnelle eines Wintermorgens.
Tage, Wochen, ja Monate lang konnte Billy Kirby mit dem Feuereifer seiner angeborenenThatkraft und einem Erfolge, der ans Unglaubliche zu grenzen schien, fortarbeiten, bis er nach beendigter Fällung der Bäume mit den Lungen eines Stentors seinen gedultigen Ochsen rief, so daß die Töne wie ein Feuerlärm durch die Berge schallten. Oft hatte man ihn an schönen Sommerabenden meilenweit durch das Thal von Templeton gehört, wenn das Echo der Berge seinen Ruf auffing, bis derselbe in matten Lauten an den fernen Felsen, welche den See überhingen, dahinstarb. War er sodann mit dem Aufschichten des Holzes fertig, was gleichfalls mit einer Schnelligkeit geschah, die nur seiner Gewandtheit und seiner herkulischen Kraft möglich war, so raffte der Holzfäller sein Arbeitsgeräthe zusammen, steckte die Haufen in Brand und zog unter den Flammen des geschlagenen Waldes ab, wie der Eroberer einer Stadt, der, wenn er die Gegnerin bewältigt hat, seinem Siege mit der Brandfackel die Krone aufsetzt. Lange nachher konnte man sodann Billy Kirby um die Schenken lungern sehen, wie er die Bauernpferde ritt, bei Hahnenkämpfen den Schreier spielte und nicht selten bei Volksbelustigungen, wie die gegenwärtige, der Held des Tages war.
Zwischen ihm und Lederstrumpf hatte hinsichtlich der Kunstfertigkeit in Handhabung der Büchse seit lange eine eifersüchtige Nebenbuhlerschaft stattgefunden. Natty konnte sich zwar einer langen Uebung rühmen, aber doch galt die allgemeine Annahme, daß der Holzhauer, was Stärke des Armes und Schärfe des Blickes anbelangte, nicht hinter ihm zurückbleibe. Die Vergleichung ihrer beiderseitigen Fähigkeiten hatte sich bisher auf das selbstgespendete Lob und auf Parallelen beschränkt, aus dem Erfolg ihrer Jagdausflüge gezogen; aber jetzt sollten sie das Erstemal öffentlich miteinander wetteifern. Billy Kirby war eben mit seinem Mäkeln über den Preis eines auserlesenen Vogels einig geworden, als Natty und seine Gefährten anlangten. Der Schuß war bereits voraus zu einem Schilling,[Vor der Revolution hatte jede Provinz ihre eigene Rechnungsmünze, obschon in denselben nichts als Kupfergeld geprägt wurde. In New-York theilte man den spanischen Dollar in acht Schillinge, die etwas über sechs Pence englischer Münze (achtzehn Kreuzer oder vier Groschen) betrugen. Gegenwärtig gilt das von der Union eingeführte Decimalsystem, nach welchem auch die Münzen ausgeprägt sind.] der höchsten landesüblichen Einlage, angesetzt worden, und so suchte denn der Schwarze sich durch die Bedingungen des Schießens wo möglich vor Verlust zu schützen. Der Truthahn war bereits an der Scheibe angebunden, sein Körper aber ganz von dem Schnee bedeckt, so daß man nichts sehen konnte. Wurde der Vogel unterhalb der Schneeoberfläche verletzt, so blieb er das Eigenthum seines Gegenwärtigen Besitzers; war aber nur eine Feder an einem sichtbaren Theile berührt, so fiel das Thier als Preis dem glücklichen Schützen anheim.
Der Neger, der in einer etwas gefährlichen Nachbarschaft bei seinem Lieblingsvogel in dem Schnee saß, hatte eben diese Bedingungen laut verkündet, als sich Elisabeth mit ihrem Vetter näherte. Die lauten Ausdrücke der Heiterkeit wurden durch diesen unerwarteten Besuch merklich gemindert; aber nach einer kurzen Pause, als man in dem lächelnden Gesichte der jungen Dame ihre freundliche Theilnahme gewahrte, kehrte die Freimüthigkeit des Morgens wieder zurück, obschon Alle sich in der Gegenwart eines solchen Zuschauers mit mehr Anstand und weniger Ungestüm benahmen.
„Aus dem Wege, ihr Jungen!“ rief der Holzfäller, als er auf den Schießstand trat, — „aus dem Wege, ihr jungen Spitzbuben, oder ich schieße Euch durch und durch. Nun, Brom, nehmt Abschied von Eurem Truthahn.“
„Halt!“ rief der junge Jäger; „ich bin gleichfalls ein Bewerber. Hier ist mein Schilling, Brom; ich wünsche auch einen Schuß zu haben.“
„Das mögt ihr immerhin,“ rief Kirby; „aber wie dann, wenn ich nur eine Feder jenes Puters streifte? Habt ihr so viel Geld in Eurer Ledertasche, daß Ihr für einen Schuß Zahlung leistet, der nie Euch kommen wird?“
„Was kümmerts Euch, wie viel ich Geld in der Tasche habe?“ entgegnete der Jüngling, stolz. „Hier ist mein Schilling, Brom; ich mache mein Recht auf einen Schuß geltend.“
„Nur nicht gleich oben hinazs, Junge,“ sagte der Andere indem er ruhig seinen Flintenstein befestigte. „Man sagt, Ihr hättet ein Loch in Eurer linken Schulter; ich denke daher, Brom könnte Euch den Schuß zu dem halben Preise ablassen. Ich kann Euch sagen, Jäger es ist keine Kleinigkeit, jenen Vogel zu treffen — selbst wenn ich Euch an die Reihe kommen ließe, was ich jedoch keineswegs im Sinne habe.“
„Thut nicht so dick, Billy Kirby,“ sagte Natty, indem er den Schaft seiner Büchse auf den Schnee stieß und sich an den Lauf derselben lehnte; „Ihr dürft nur einmal auf den Vogel schießen; und wenn der Junge auch sein Ziel verfehlt, was mich um seines steifen und kranken Armes willen nicht Wunder nehmen sollte, so kömmt doch noch ein gutes Gewehr und ein altes Auge nach Euch. Mag seyn, daß mein Schuß nimmer so sicher ist, wie vordem; aber hundert Ellen sind eine kurze Entfernung für eine lange Büchse.“
„Was, alter Lederstrumpf, Ihr seyd auch schon auf den Beinen?“ rief sein leichtfertiger Gegner. „Nun, ich lobe mir ein ehrliches Spiel. Ich habe die Vorhand vor Euch, alter Knabe; es handelt sich also um einen guten Braten oder um`s Leerschlucken.“
Die Züge des Negers drückten nicht nur die sein pecuniäres Interesse ins Auge fassende Theilnahme, sondern auch die gleiche Aufregung aus, welche in den Gesichtern aller Zuschauer zu lesen war — nur mit ganz verschiedenen Wünschen für das Ergebniß. Während der Holzfäller langsam und mit sicherer Hand die Büchse erhob, rief ihm der Eigenthümer desTruthahns zu:
„Ehrlich Spiel, Billy Kirby, — weiter zurück, — macht Platz, Jungen — ich lasse mich nicht betrügen, — paß auf, Puter! schüttle den Kopf, du Narr! Siehst Du nicht, daß man auf Dich zielt?“
Diese Rufe, welche die Absicht hatten, die Aufmerksamkeit des Schützen auf etwas Anderes bzulenken, verfehlten ihres Zweckes gänzlich. Die Nerven des Holzfällers waren nicht so leicht zu erschüttern, und er nahm alsbald sein Ziel mit der größten Bedachtsamkeit. Einen Augenblick herrschte die tiefste Stille und der Schuß fiel. Der Kopf des Truthahn duckte auf die eine Seite und seine Schwingen breiteten sich für einen Augenblick aus; aber dann setzte er sich ruhig wieder in sein Bett von Schnee und sah scheu umher. Mit verhaltenem Athem dauerte das Schweigen noch eine Weile fort; aber nun wurde es durch den Neger unterbrochen, welcher ein Gelächter aufschlug und im Uebermaße seines Entzückens mit seinem Körper alle nur erdenklichen Verzerrungen vornahm und sich im Schnee wälzte.
„Brav gehalten, Puter,“ rief er, wieder aufspringend und auf den Vogel zueilend, als wolle er ihn umarmen. „Ich sagte ja, Du sollest aufpassen und ihn hinter's Licht führen. Gebt noch einen Schilling, Billy, und Ihr sollt einen zweiten Schuß haben.“
„Nein“ — sagte der junge Jäger, „die Reihe kommt jetzt an mich. Ihr habt schon mein Geld; tretet daher von der Scheibe weg, damit ich mein Glück versuchen kann.“
„Ach, es ist hinausgeworfenes Geld,“ entgegnete Lederstrumpf. „Der Kopf und Hals eines Truthahns sind ein gar kleines Ziel für einen lahmen Arm. Es wäre besser, Ihr ließet mich schießen; vielleicht können wir denn wegen des Vogels mit der Dame ein Abfinden treffen.“
„Der zweiteSchuß gehört mir,“ entgegnete der junge Jäger. „Macht Platz, daß ich mein Ziel nehmen kann.“
Der Streit, hinsichtlich des letzten Schusses ließ nun nach, da sich gerausgestellt hatte, daß der Truthahn nothwendig getödtet worden wäre, wenn der Kopf desselben anders gestanden hätte. Die Vorbereitungen des Jünglings veranlaßten keine besondere Aufregung; er nahm hastig sein Ziel und war eben im Begriff abzudrücken, als er von Natty aufgehalten wurde.
„Eure Hand zittert, Junge,“ sagte er, „und Ihr seyd allzu eifrig. Kugelwunden sind wohl im Stande, die Kraft zu mindern, und nach meinem Dafürhalten werdet Ihr nicht so gut als sonst schießen. Wenn Ihr feuern wollt, so muß es rasch geschehen, ehe Eure unsichere Hand von dem Ziele abgleiten kann.“
„Ehrliches Spiel!“ rief der Besitzer wieder. „Laßt einem Neger ehrlich Spiel. Welches Recht hatte Natty Bumppo, dem jungen Manne Rath zu ertheilen? Laßt ihn schießen. Platz gemacht!“
Der Jüngling feuerte rasch, aber der Truthahn rührte sich nicht; und als man nach dem Merkzeichen der Kugel spähte, so stellte sich's heraus, daß sie sogar den Baumstumpf verfehlt hatte.
Elisabeth beobachtete den Wechsel in seinem Gesicht und konnte sich eines Gefühls von Ueberraschung nicht erwehren, als sie bemerkte, daß ein Mann, der augenscheinlich weit über seinem Gefährten stand, einen unbedeutenden Verlust sich so sehr zu Herzen nahm. Aber nun trat ihr eigener Kämpe in die Reihe.
Brom's Freude über das Fehlen des zweiten Schützen, obgleich sie sich nicht so ungestüm äußerte wie früher, verschwand gänzlich, als Natty auf den Stand trat. Seine Haut bekam große braune Flecken, die sich auf dem Ebenholzglanz der übrigen Partien abscheulich ausnahmen, während sich seine ungeheuren Lippen allmählig an die beiden Elfenbeinreihen andrückten, die bisher, wie in Pech gefaßte Perlen, aus seinem Gesichte hervorgeleuchtet hatten. Seine Nasenlöcher, bei weitem der hervorragendste Theil seines Gesichtes, dehnten sich aus, bis sie mehr als die halbe Breite desselben einnahmen, während seine braunen Knochenhände unwillkührlich in der Schneerinde wühlten, so sehr hatte die Aufregung des Augenblicks seinen angeborenen Widerwillen gegen die Kälte besiegt.
Während der schwarze Eigenthümer des Puters auf diese Weise seine Angst kundgab, blieb der Mann, der diese außerordentliche Aufregung veranlaßte, so ruhig und gefaßt, als hätte er auch nicht einen einzigen Zeugen seiner Geschicklichkeit.
„Ich war — gerade bevor der letzte Krieg ausbrach — drunten in den holländischen Ansiedelungen an dem Scoharie,“ fing Natty an, indem er sorgfältig die Lederkapsel von dem Stahl seines Büchsenschlosses abnahm, „wo die Jungen gleichfalls ein Wettschießen hielten, an dem ich Theil nahm. Wie rissen da die Holländer nicht ihre augen auf, als ich das Pulverhorn, drei stangen Blei und ein Pfund so gutes Pulver, als nur je eins von der Pfanne aufblitzte, gewann! Es ging an ein Fluchen, zu Gottes Erbarmen, und ich erfuhr nachher, daß ein betrunkener Holländer gesagt hatte, er wolle mich kalt machen, ehe ich wieder an den See zurückkehrte. Aber hätte er seine Büchse mit böser Absicht angesetzt, so würde ihn Gott dafür gestraft haben; und wäre dieß nicht der Fall gewesen und hätte er sein Ziel verfehlt, so kenne ich Einen, der ihm's würde so gut und noch besser heimgegeben haben, als es von ihm gemeint war, wenn anders eine gutgeführte Büchse in Rechnung zu bringen ist.“
Mittlerweile hatte der alte Jäger seine Vorbereitungen beendigt; er stellte den rechten Fuß rückwärts, streckte seinen linken Arm dem Gewehrlaufe entlang, und erhob denselben gegen den Vogel. Jedes Auge blickte rasch von dem Schützen nch dem Ziel; aber in dem augenblick, als man den Knall der Büchse zu vernehmen erwartete, ließ sich nichts als das Picken des Steins vernehmen.
„Abgeschnappt! abgeschnappt!“ jauchzte der Neger, indem er aus seiner zusammengekauerten Stellung wie ein Wahnsinniger aufsprang und vor seinen Vogel hineilte. „Ein Abschnappen ist so gut als ein Schuß, — Natty Bumppo's Gewehr hat geschnappt; Natty Bumppo hat den Hahn nicht getroffen!“
„ Natty Bumppo trifft einen Neger,“ sagte der entrüstete alte Jäger, „wenn Ihr nicht aus dem Wege geht, Brom. Es ist baarer Unsinn, Mensch, daß ein Abschnappen für einen Schuß zählen soll, da das Eine nichts weiter ist, als ein Anschlagen an den Stahl der Pfanne, und das Andere plötzlichen Tod bringt. Packe Dich also aus dem Wege, Bursche, damit ich Billy Kirby zeigen kann, wie man einen Weihnachtsputer schießt.“
„Laßt einem Neger ehrlich Spiel,“ rief der Schwarze, der entschlossen seinen Posten behauptete und sich in der kriechenden Weise seiner Kaste auf das Billigkeitsgefühl der Umstehenden berief. „Jedermann weiß, daß das Abschnappen für einen Schuß gilt. Fragt Massa Jones, — fragt die Dame.“
„Gewiß,“ sagte der Holzfäller; „das ist hier zu Land so der Brauch, Lederstrumpf. Wollt Ihr noch einmal schießen, so müßt Ihr einen andern Schilling bezahlen. — Nun, ich will mein Glück wieder probiren, John; da ist mein Geld. Ich habe den nächsten Schuß.“
„Möglich, daß Ihr die Gesetze der Wälder besser kennt als ich, Billy Kirby,“ erwiederte Natty ironisch. „Ihr kamt mit den Ansiedlern ins Land, einen Ochsenstachel in Eurer Hand, und ich kam schon lange vor dem alten Krieg herein, die Moccasins an meinen Füßen und eine gute Büchse auf meinen Schultern. Wer muß es da wohl besser wissen? Niemand soll mir weiß machen wollen, ein Abschnappen sye so gut, als ein Schuß, wenn einmal der Drücker berührt ist.“
„Fragt Massa Jones,“ rief der um sein Eigenthum besorgte Neger; „er muß es wissen.“
Diese Berufung an Richards Sachkenntniß war zu schmeichelhaft, um unberücksichtigt zu bleiben. Er trat daher ein wenig von der Stelle vor, an welche ihn Elisabeth's Delikatesse gebannt hatte, und gab mit der Würde, welche die wichtige Frage und sein eigener Rang forderte, folgende Ansicht kund:
„Es scheint hier eine Meinungsverschiedenheit über den Punkt obzuwalten, ob Nathanael Bumppo das Recht hat, auf Abraham Freeborn's Truthahn zu schießen, ohne daß besagter Nathanael einen Schilling dafür zahlt.“
Diese Thatsache war zu einleuchtend, um in abrede gezogen werden zu können, und nach einer kurzen Pause, während welcher das Auditorium die Einleitung verdaut haben konnte, fuhr Richard fort:
„Ich finde es nicht für unpassend, daß diese Frage mir zur Entscheidung vorgelegt wird, da ich die Verpflichtung habe, über den Frieden des Distrikts zu wachen; und Menschen mit tödtlichen Waffen in den Händen, sollte man nie in einen Streit gerathen lassen, in welchem ihre bösen Leidenschaften die Oberhand gewinnen können. Es scheint, daß in dem bestrittenen Falle weder ein mündlicher noch ein schriftlicher Vertrag vorliegt, weßhalb er vernünftiger Weise mittelst der Analogie, das heißt durch Vergleichung eines Dinges mit dem andern beurtheilt werden muß. Es gilt, aber in Duellen, wo beide Theile schießen, allgemein das Abschnappen für einen Schuß; und wenn dieß schon da zutrifft, wo die Gegenparthie ein Recht hat, wieder zu schießen, so scheint es mir eine unvernünftige Behauptung, daß ein Mann einen ganzen Tag dastehen und auf einen Truthahn abschnappen dürfe. Meine Meinung geht demnach dahin, daß Nathanael Bumppo seinen Schuß verloren hat und einen andern Schilling zahlen muß, ehe ihm das Recht eines neuen Versuches zugestanden werden kann.“
Diese Ansicht von Seiten eines so bedeutenden Mannes, welche noch obendrein mit gehörigem Nachdruck ausgesprochen wurde, brachte Alle zum Schweigen, denn die Zuschaner hatten schon mit großer Wärme für die verschiedenen Betheiligten Parthie genommen. Nur Lederstrumpf gab sich nicht so leicht zufrieden.
„Ich denke, man sollte auch Miß Elisabeth's Gedanken hören,“ sagte Natty. „Ich bin oft Zeuge davon gewesen, daß die Weiber sehr guten Rath ertheilten, wenn die Indianer sich nicht mehr zu helfen wußten. Sobald sie erklärt, daß ich mich gefangen geben müsse, will ich verloren haben.“
„Dann bin ich der Meinung, daß Ihr dießmal im Nachtheile seyd,“ verseßte Miß Temple. „Aber ich will die Einlage zahlen, und Ihr mögt den Schuß erneuern, wenn anders Brom es nicht vorzieht, mir den Hahn für einen Dollar abzutreten. Ich will ihn bezahlen und das Leben des armen Opfers retten.“
Dieser Vorschlag behagte den Umstehenden augenscheinlich wenig, und selbst der Neger hoffte sein Thier durch eine Fortsetzung des Schießens besser anzubringen. Inzwischen hatte sich Billy Kirby auf einen zweiten Schuß vorbereitet, und Natty verließ unmuthig den Stand, indem er vor sich hin murmelte:
„Kann man doch nie mehr einen guten Flintenstein an den Ufern des Sees kaufen, seit diese Krämer damit das Land durchziehen; und wenn man an den Flüssen in den Thalgründen einen holen will , so ist zehn gegen eins zu wetten, daß einem der Pflug einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Es ist mir fast, als ob mit dem Seltenerwerden des Wildes derjenige, welcher gutes Schießzeug braucht, um sein Leben fortzubringen, zu allem Unstern verdammt sei. Aber ich will einen andern Stein einsetzen, denn ich weiß, Billy Kirby hat nicht das Auge für ein solches Ziel.“
Der Holzfäller schien wohl zu begreifen, daß es sich jetzt um seinen Ruf handle, und vernachläßigte kein Mittel, um sich den Erfolg zu sichern. Er legte die Büchse an, zielte und zielte, ohne daß er abfeuern zu wollen schien. Kein Laut, nicht einmal von Brom, ließ sich während dieser inhaltsschweren Bewegungen vernehmen, bis endlich Kirby sein Gewehr abfeuerte, aber mit eben so geringem Erfolg, als früher. Alsbald escholl das Freudengeschrei des Negers und hallte von den Bäumen des benachbarten Waldes wieder, wie der Schlachtruf eines Indianerstammes. Er lachte und warf den Kopf hin und her, bis seine ausgelassene Lustigkeit erschöpft war. Er tanzte in dem Schnee herum, so lange seine Beine ausdauern wollten, und zeigte mit einem Wort all das Ungestüm der Freude, welches einen gedankenlosen Neger charakterisirt.
Der Holzfäller hatte all seiner Kunst aufgeboten, und fühlte daher einen entsprechenden Verdruß über dieses Fehlschlagen. Zuerst untersuchte er den Vogel mit der größten Aufmerksamkeit, und mehr als einmal behauptete er, eine seiner Federn gestreift zu haben.
Aber die Stimme der Menge war gegen ihn, und diese fühlte sich geneigt, auf den oft wiederholten Ruf des Schwarzen: „laßt einem Neger ehrlich Spiel,“ zu horchen.
Als Kirby es unmöglich fand, irgend einen Anspruch auf den Vogel geltend zu machen, wandte er sich stolz an den Schwarzen und sagte:
„Halt' Deinen Rachen, Du Krähe! Wo ist ein Mann, der einen Truthahnkopf auf hundert Ellen treffen kann? Ich war ein Narr, daß ich's versuchte. Du hast nicht nöthig, einen Lärm darüber aufzuschlagen, wie eine fallende Fichte. Zeige mir den Mann, der es thun kann.“
„Nun, Billy Kirby,“ versetzte Lederstrumpf; „man trete nur aus dem Weg, und ich will Euch einen Mann zeigen, der vordem schon bessere Schüsse gethan hat; und das zu einer Zeit, wo er von den Indianern und wilden Bestien gleich bedrängt wurde.“
„Vielleicht ist Jemand da, der ein Vorrecht vor uns hat, Lederstrumpf,“ sagte Miß Temple. „Wenn dieß der Fall ist, so wollen wir zurückstehen.“
„Wenn Sie das in Beziehung auf mich sagen,“ entgegnete der junge Jäger, „so muß ich erklären, daß ich zu keinem weiteren Versuche geneigt bin. Mein Arm ist noch zu schwach, wie ich finde.“
Elisabeth hatte ihn aufmerksam betrachtet, und es war ihr, als habe ein Roth seine Wangen überflogen, das in dem Bewußtseyn seiner Armuth begründet seyn mochte. Sie schwieg daher und hatte nichts dagegen, daß ihr eigener Kämpe sich für den Versuch vorbereitete. Obgleich Natty Bumppo gewiß zu hundermalen weit wichtigere Schüsse auf seine Feinde oder auf sein Wild gethan hatte, so bot er doch nie so sehr all' seine Kraft auf. Er erhob sein Gewehr zu verschiedenen Malen — einmal, um sein Ziel zu nehmen, das zweitemal um die Entfernung zu berechnen, und wieder einmal, da der Vogel, beunruhigt durch die todtenähnliche Stille, seinen Kopf rasch umwandte, um nach seinen Feinden zu sehen. Aber das viertemal drückte er ab.
Der Rauch, der Knall und der Eindruck des Augenblicks verhinderte die Zuschauer, des Ergebnisses sogleich gewahr zuwerden; aber für Elisabeth blieb es kein Geheimniß, als sie ihren Ritter den Schaft seiner Büchse in den Schnee stoßen und seinen Mund sich zu dem bekannten stummen Lachen verziehen sah, worauf er ganz kaltblütig sein Gewehr auf's neue zu laden begann. Die Knaben eilten nach dem Baumstumpfe und hoben den leblosen Truthahn in die Höhe, dessen Kopf nur noch an einem Lappen hing.
Bringt das Thier her und legt es der Dame zu Füßen,“ rief Lederstrumpf. „Ich habe in ihrem Namen geschossen und der Vogel ist ihr Eigenthum.“
„Nun, Ihr habt Euch als einen guten Sachwlter erprobt,“sagte Elisabeth — „so gut, Vetter Richard, daß ich Dir rathen möchte, seiner Fähigkeit eingedenk zu seyn?“
Sie hielt einen augenblick inne, und die Heiterkeit, welche aus ihrem Gesichte strahlte, machte einem feierlichen Ernste Platz. Sie erröthete sogat ein wenig, als sie sich an den jungen Jäger wandte, und mit dem Zauber weiblicher Anmuth begann:
„Ich habe mein Glück nur versucht, um Zeuge von Lederstrumpf's Geschicklichkeit zu seyn. Wollt Ihr den Vogel als einen kleinen Ersatz dafür nehmen, daß die erhaltene Beschädigung Euch hinderte, den Preis selber zu gewinnen?“
Den Ausdruck, womit der Jüngling dieses Geschenk annahm, wagen wir nicht zu beschreiben. Er schien sich dieser freundlichen Begegnung zu fügen, ungeachtet eines starken innern Dranges, das Gegentheil zu thun. Er verbeugte sich und nahm das Opfer schweigend von ihren Füßen auf.
Elisabeth reichte dem Schwarzen ein Silberstück als Entschädigung für seinen Verlust, was abermals seine wirkung auf das Muskelspiel des Negers nicht verfehlte, und erklärte sodann ihrem Begleiter, daß sie nach Hause zu gehen wünsche.
„Warte noch ein Weilchen, Bäschen,“ rief richard. „Es walten in den Regeln bei dieser Belustigung Unsicherheiten ob, die ich füglicherweise beseitigen muß. Wenn Ihr morgen ein Comité an mich absenden wollt, meine Herren, so werde ich eine Schießordnung niederschreiben — —“
Er hielt etwas unwillig inne, denn in diesem Augenblicke wurde eine Hand vertraulich auf die Schulter des Obersheriffs von — — gelegt.
„Fröhliche Weihnachten, Vetter Dick,“ sagte Richter Temple, der sich unbemerkt der Gesellschaft genähert hatte. „Ich muß ein wachsames Auge auf meine Tochter haben, wenn sich bei Dir solche galante Anfälle öfters wiederholen sollten. Ich bewundere Deinen Geschmack, daß Du eine Dame zu solchen Auftritten führen kannst.“
„Ihr Eigenthum ist schuld daran, 'Duke,“ rief der anmuthige Sheriff, der das Abgewinnen der ersten Begrüßung ebenso schmerzlich empfand, als mancher Mann ein viel größeres Unglück; „aber ich muß sagen, daß sie auf die unverfänglichste Weise von der Welt dazu gekommen ist. Ich ging mit ihr, um ihr die Verbesserungen zu zeigen; und wie sie den ersten Ton der Feuerwaffen hörte, so ging es weiter durch den schnee, als ob sie in einem Lager und nicht in einer Kostschule ersten Ranges erzogen worden wäre. Ich denke, Richter Temple, solche gefährliche Belustigungen sollten durch ein Gesetz verboten werden. Ja, ich weiß nicht, ob sie's nicht vielleicht schon sind.“
„Nun, es ziemt Dir als Sheriff des Bezirks, die Sache zu untersuchen,“ entgegnete Marmaduke lächelnd. „Ich sehe, daß 'Beß sich ihres Auftrags entledigt hat, und will hoffen, daß er eine gütige Aufnahme fand.“
Richard ließ einen Blick auf das Packet fallen, das er in der Hand hatte, und der Unmuth über die fehlgeschlagene erste Gratulation verschwand augenblicklich.
„Ah, 'Duke, lieber Vetter!“ sagte er; „komm ein wenig bei Seite, ich habe Dir Etwas zu sagen.“
Marmaduke willfahrte, und der Sheriff, ihn nach einem etwas abgelegenen Gebüsche führend, fuhr fort:
„Erstlich, 'Duke, muß ich Dir meinen Dank abstatten für Deine freundliche Empfehlung bei dem Gonverneur, da ohne eine solche, wie ich wohl weiß, selbst das hervorstechendste Verdienst nur wenig fruchtet. Aber wir sind Geschwisterkinder — wir sind Geschwisterkinder; und Du magst mich verwenden wie eines Deiner Pferde — zum Reiten oder Fahren; ich bin ganz der Deine. Auf diesen jungen Gefährten Lederstrumpf's muß man jedoch meiner unmaßgeblichen Ansicht nach, ein wachsames Auge haben. Er hegt eine sehr gefährliche Vorliebe für Truthühner.“
„Ueberlaß ihn meiner Behandlung, Dick,“ sagte der Richter, „er soll so viel davon haben, daß ihm der Appetit dazu vergeht. Doch komm' zurück zu den Schützen, ich habe etwas mit ihm zu reden.“