Neunundzwanzigtes Kapitel.

Man sagt, er habe eine Masse Schätze.

Timon von Athen.

Als Marmaduke Temple und sein Vetter ihre Straße ritten, war das Herz des Vaters noch zu lebhaft von den edelsten Gefühlen unserer Natur ergriffen, um ihn sogleich zu einer Unterhaltung geneigt zu machen, und in Richards Miene lag eine Wichtigkeit, die dem Sheriff nicht gestattet haben würde, ein Gespräch anzuknüpfen, das nicht im Zusammenhang mit der Großartigkeit seiner Entwürfe gestanden hätte. Die beiden Reiter sprengten daher wohl eine Meile in tiefem Schweigen dahin. Endlich wich der weiche Ausdruck der väterlichen Liebe aus den schönen Zügen des Richters und machte allmählig der gutmüthigen Heiterkeit Platz, welche gewöhnlich auf Temple's Antlitz lagerte.

„Nun, Dickon,“ sagte er, „da ich mich so weit herangelassen habe, mich unbedingt Deiner Führung anheim zu stellen, so denke ich wohl, daß der Augenblick gekommen ist, welcher mich zu weiterem Vertrauen berechtigt. Warum und weßwegen machen wir in so feierlicher Weise diesen Ritt?“

Der Sheriff ließ ein lautes Hem vernehmen, das weit in den Wald hinein klang, und seine Blicke auf die nach vorn liegenden Gegenstände heftend, einem Manne ähnlich, welcher tief in die Zukunft schaut, erwiederte er:

„Es hat stets, — ich möchte sagen, von unserer Geburt an, einen Punkt gegeben, über den wir nicht einig werden konnten, Richter Temple. Nicht als ob ich Dich für die Fügungen der Natur verantwortlich machen wollte; denn ein Mann kann um angeborener Fehler willen eben so wenig verdammt werden, als man angeborene Vorzüge, die er vielleicht besitzt, auf seine eigene Rechnung zu schreiben berechtigt ist: aber über einen Punkt sind wir so zu sagen von unserer Geburt an, die, wie Du weißst, nur zwei Tage von einander fällt, verschiedener Ansicht.“

„Ich bin in der That neugierig, Richard, zu erfahren, welcher dieser eine Punkt seyn kann; denn meiner Ansicht nach findet bei uns fast durchgängig eine wesentliche Meinungsverschiedenheit statt, und so oft —“

„Bloß Folgen davon, Vetter,“ unterbrach ihn der Sheriff; „denn alle unsere kleinen Streitigkeiten stammen aus derselben Quelle, nämlich aus unsern Ansichten über das allgemeine Bereich des Genies.“

„Aus was, Dick?“

„Ich meine doch deutlich genug gesprochen zu haben, Richter Temple; wenigstens sollte es mir an einem faßlichen Ausdruck nicht gebrechen, denn mein Vater, der mich meine Muttersprache lehrte, verstand — —“

„Griechisch und lateinisch,“ fiel ihm Marmaduke in's Wort. „Ich kenne wohl die Sprachfertigkeit Deiner Familie, Dick. Aber komm einmal zur Sache. Wohin gedenkst Du mich heute zu führen?“

„Wenn einer Sache ihr Recht wiederfahren soll, Sir, so muß es dem Erzähler erlaubt seyn, sich seiner eigenen Weise zu bedienen,“ fuhr der Sheriff fort. „Du bist der Meinung. Richter Temple, Natur und Erziehung können einen Menschen nur in einer bestimmten Richtung zu etwas Rechtem machen, während ich behaupte, daß das Genie die Stelle der Gelehrsamkeit vertritt, und daß es Leute gibt, die in Allem und Jedem etwas zu leisten im Stande sind.“

„Unter die vermuthlich auch Du gehörst,“ entgegnete Marmaduke lächelnd.

„Bleibe mir mit Deinen Anzüglichkeiten vom Leibe, Vetter, denn ich will nicht von mir selbst sprechen. Aber es gibt drei Männer in unserem Patent, welche von der Natur mit Gaben versehen sind, die ich mit dem Ausdrucke „universell“ bezeichnen möchte, obgleich sich dieselben nur unter dem Einfluß ihrer verschiedenen Stellungen entwickeln können.“

„Da sind wir also besser daran, als ich geglaubt hätte. Und aus welchen Ehrenmännern besteht dieses Kleeblatt?“

„Je nun, Vetter, der eine ist Hiram Doolittle, bekanntlich ein Zimmermann seines Zeichens, und ich brauche nur auf das Dorf zu weisen, um seine Verdienste ins Klare zu stellen. Dann ist er auch eine Magistratsperson und dürfte in dieser Eigenschaft wohl Manchen beschämen, der eine weit bessere Schule genossen hat.“

„Gut, das wäre einmal Einer,“ sagte Marmaduke mit der Miene eines Mannes, welcher nicht geneigt ist, sich über den besprochenen Punkt in einen Streit einzulassen.

„Der andere ist Jotham Riddel.“

„Wer?“

„Jotham Riddel.“

„Was, dieser unzufriedene, linkische, faule speculirende Tropf? Er, der seinen Aufenthalt alle drei Jahre, seine Liegenschaften alle sechs Monate, und sein Gewerbe mit jeder Jahreszeit wechselt? Gestern ein Bauer, heute ein Schuhmacher und morgen ein Schulmeister? Dieser Inbegriff all des unstäten und verderblichen Treibens, all der verderblichen Lieblingsneigungen der Ansiedler, ohne eine einzige ihrer guten Eigenschaften, welche den schlimmen das Gleichgewicht hielte? Nein Richard, der ist zu schlecht sogar für — — aber wer ist der Dritte?“

„Da der Dritte nicht gewohnt ist, solche Aeußerungen über seinen Charakter anzuhören, Richter Temple, so werde ich seinen Namen verschweigen.“ *

„Das Ganze wäre also, Dick, daß das Trio zu welchem auch Du, und zwar als Hauptperson gehörst, irgend eine wichtige Entdeckung gemacht hat?“

„Ich habe nicht gesagt, daß ich mich dazu zähle, Richter Temple. Wie ich schon vorhin bemerkte, so will ich mein Ich dabei gar nicht in's Spiel bringen. Allerdings ist aber eine Entdeckung gemacht worden, bei welcher Du wesentlich betheitigt bist.

„Weiter — ich bin ganz Ohr.“

„Nein, nein, 'Duke; ich gebe zwar zu, daß Du schlimm genug bist, aber doch nicht so gar schlimm, als Du Dich da geben willst, sonst müßten Deine Ohren noch ein Bedeutendes größer werden.“

Der Sheriff lachte herzlich über diesen faden Witz, was ihn in eine so gute Laune versetzte, daß er sich heranließ, seinen geduldigen Vetter mit folgender Auseinandersetzung zu erfreuen: —

„Du weißst, daß in Deinem Bezirk ein Mann wohnt, der unter dem Namen Natty Bumppo bekannt ist. Derselbe hat, so viel ich erfahren konnte, seit mehr als vierzig Jahren hier gelebt — und zwar allein, bis auf die neueste Zeit, in welcher er sich eine sonderbare Genossenschaft zulegte.“

„Zum Theil sehr wahr, und Alles sehr wahrscheinlich,“ entgegnete der Richter.

„Buchstäbliche Wahrheit, Vetter. Gut; in den letzten paar Monaten gesellten sich zu ihm ein alter Indianerhäuptling, der Letzte oder einer der Letzten seines Stammes, die in diesen Landestheilen aufzufinden sind, und ein junger Mann, dem Vernehmen nach der Sohn irgend eines indianischen Agenten von einer Wilden.“

„Wer sagt das?“ rief Marmaduke, mit einer Theilnahme, die er früher nicht an den Tag gelegt hatte.

„Wer? Je nun, der gesunde Menschenverstand — das Gerücht — alle Welt. Aber lass' mich ausreden. Dieser Jüngling hat recht hübsche Talente — ja, er besitzt das, was ich recht hübsche Talente nenne — wurde gut erzogen, trieb sich in leidlicher Gesellschaft um und weiß sich zu benehmen, wenn er will. Nun, Richter Temple, kannst Du mir wohl sagen, was drei solche Männer wie den Indianer John, Natty Bumppo und Oliver Edwards zusammengebracht hat?“

Marmaduke sah seinen Vetter augenscheinlich erstaunt an und erwiederte schnell —

„Du hast unverhofft einen Gegenstand berührt, Richard, der meinen Geist schon oft beschäftigte. Aber weißst Du irgend Etwas von diesem Geheimniß, oder sind es bloß ungare Vermuthungen eines —

„Nichts Ungares, 'Duke, nichts Ungares; Thatsachen, unläugbare Thatsachen. Du weißst, daß es Minen in diesen Bergen gibt; ich habe Dich oft sagen hören, Du glaubest an ihre Existenz.“

„Ich folgerte es aus Analogien, Richard, ohne daß ich irgend eine Sicherheit für das Factum hätte.“

„Du hast davon reden hören und Erzproben gesehen — Du kannst das nicht in Abrede ziehen. Und was Deine sogenannten Analogiefolgerungen betrifft — wenn es in Südamerika Minen gibt, warum sollte es nicht auch in Nordamerika dergleichen geben?“

„Nein, nein, ich gedenke nichts in Abrede zu ziehen, Vetter. Ich habe allerdings manches Gerücht über das Vorhandenseyn von Minen in diesen Bergen vernommen, und glaube, auch Proben der köstlichen Metalle, die hier herum gefunden wurden, gesehen zu haben. Es würde mich daher nicht Wunder nehmen, wenn ich erführe, daß man Zinn, Silber, oder was ich noch für weit folgenreicher halte, gute Steinkohlen — —“

„Zum Henker mit Deinen Steinkohlen!“ rief der Sheriff; „wer braucht denn Steinkohlen in diesen Wäldern? Nein, nein; Silber, 'Duke — Silber ist das Einzige, was uns Noth thut, und Silber müssen wir auffinden. Aber höre mich jetzt an: ich brauche Dir nicht erst zu sagen, daß die Eingebornen schon seit langer Zeit Gold und Silber zu verwenden wußten. Wer anders wird nun am besten die Fundorte anzugeben wissen, wenn es nicht die ursprünglichen Bewohner des Landes sind? Ich habe die besten Gründe für die Annahme, daß sowohl Mohegan als Lederstrumpf seit vielen Jahren von dem Vorhandenseyn einer Mine in diesem Gebirg unterrichtet sind.“

Der Sheriff hatte jetzt seinen Vetter an einer empfindlichen Stelle berührt, und Marmaduke horchte nun aufmerksamer auf den Sprecher, der nach einer Pause, während welcher er sich über die Wirkung dieser außerordentlichen Enthüllung Gewißheit verschaffen wollte, fort fuhr —

„Ja. Vetter, ich habe meine Gründe, die Du zur geeigneten Zeit erfahren sollst.“

„Keine Zeit eignet sich besser dafür, als der gegenwärtige Augenblick.“

„Schon gut; so horche auf,“ fuhr Richard fort, indem er vorsichtig umher blickte, um sich zu überzeugen, daß kein Horcher in dem Wald verborgen sey, obgleich die beiden Reiter keinen Augenblick Halt machten. „Ich habe Mohegan und Lederstrumpf mit meinen eigenen Augen — und meine Augen sind so gut als die irgend eines andern Mennchen — ich sage, ich habe beide mit Karst und Spaten den Berg hinauf gehen und wieder herunter kommen sehen; und Andere waren Zeugen, wie sie in der Dunkelheit auf eine ganz geheimnißvolle Weise Gegenstände nach ihrer Hütte schafften. Nennst Du das nicht eine sehr wichtige Thatsache?“

Der Richter antwortete nicht; aber seine Stirne war gedankenvoll gerunzelt, wie man es immer an ihm bemerkte, wenn er sich für etwas lebhaft interessirte, und seine Augen ruhten in gespannter Erwartung auf den Lippen seines Vetters, Richard fuhr fort —

„Es war Erz. Nun frage ich Dich, 'Duke, ob Du mir sagen kannst, wer dieser Oliver Edwards ist, den Du seit Weihnachten in Deinem Hause beherbergst?“

Marmaduke erhob abermals seine Augen, und antwortete nur mit einer stummen, verneinenden Kopfbewegung.

„Daß er ein Halbblut ist, wissen wir, denn Mohegan trägt kein Bedenken, ihn öffentlich seinen Verwandten zu nennen; und daß er eine gute Erziehung genossen hat, ist gleichfalls bekannt. Was aber sein Geschäft in dieser Gegend anbelangt — erinnnerst Du Dich noch, daß ungefähr einen Monat, ehe dieser junge Mann unter uns erschien, Natty mehrere Tage von Hause abwesend war? Du kannst es nicht vergessen haben, denn Du fragtest nach ihm, weil du einiuges Wildpret für das abschiedsmahl brauchtest, ehe Du 'Beß zu holen gingst. Er war damals nirgends aufzufinden. Der alte John bewohnte die Hütte allein, und als Natty wieder kam, sah man, obgleich er des Nachts einrückte, wie er einen jener Schlitten, in denen man das Korn zur Mühle führt, nachzog, und mit großer Sorgfalt etwas herausnahm, was er unter seinen Bärenhäuten bersteckte. Nun frage ich Dich, Richter Temple, was konnte einen Mann wie Lederstrumpf veranlassen, einen Schlitten zu machen, und eine Last über diese Berge nach sich zu schleppen, wenn er weiter nichts, als seine Büchse und seinen Schießbedarf bei sich hatte?“

„Man bedient sich oft solcher Schlitten zum Heimschaffen der Jagdbeute, und Du sagst, er sey mehrere Tage abwesend gewesen.“

„Wie hätte er jagen können, da seine Büchse zum Ausbessern im Dorfe war? Nein, nein, daß er sich an einem ganz ungewöhnlichen Orte befand, ist gewiß; daß er irgend ein Geheimniß mit sich zurück brachte, ist noch gewisser; und daß er seit der Zeit keiner Seele erlaubt hat, sich seiner Hütte zu nähern, ist das Gewisseste.“

„Er war nie ein Freund von zudringlichen Besuchen.“

„Ich weiß das,“ unterbrach ihn Richard; „aber hat er sie auch auf so unfreundliche Weise von seiner Hütte fortgetrieben? Vierzehn Tage nach seiner Rückkehr tritt dieser Edwards auf. Sie bringen ganze Tage in den Bergen zu, angeblich um zu jagen, in der That aber, um Nachforschungen anzustellen. Wegen des strengen Winters konnten sie damals nicht graben, und er machte sich einen glücklichen Zufall zu Nutze, um in ein ordentliches Quartier zu kommen. Aber selbst jetzt bringt er die Hälfte seiner Zeit in jener Hütte zu — wenigstens vergeht keine Nacht, ohne daß er ein paar Stunden dort ist. Sie schmelzen. 'Duke, sie schmelzen, und werden reich dabei, während Du arm wirst.“

„Wie viel von dieser Mittheilung kömmt auf Deine eigene Rechnung, und wie viel hast Du von Andern? — ich möchte gern den Weizen von der Spreu sichten.“

„Ein Theil davon beruht auf eigener Wahrnehmung, denn ich sah den Schlitten, obgleich derselbe ein paar Tage nachher zusammen geschlagen und verbrannt wurde. Ich habe Dir auch ferner gesagt, daß ich den alten Mann mit seinen Spaten und Karsten bemerkte. In der Nacht, als Natty mit seinem Schlitten ankam, begegnete ihm Hiram, bei Gelegenheit eines Ganges in's Gebirg, und da Hiram ein gutmüthiger Bursche ist, so erbot er sich ganz dienstfertig, dem alten Manne bei seiner Last zu helfen, denn er hatte schwer den Berg hinan zu ziehen. Natty wollte aber durchaus nichts davon wissen, und wies das Anerbieten in einer Weise zurück, daß der Squire erklärte, er habe im Sinne gehabt, ihm den Frieden aufzukündigen. Seit der Schnee gegangen und hauptsächlich seit der Grund aufgethaut ist, haben wir stets ein wachsames Auge auf den Alten gehabt, wobei uns Jotham gute Dienste leistete.“

Marmaduke wollten Richards Verbündete in dieser Angelegenheit nicht sonderlich zusagen: er kannte sie aber als schlaue und gewandte Leute, und da zuverläßig irgend etwas Geheimnißvolles nicht nur in der Verbindung des jungen Edwards mit den beiden Jägern, sondern auch in dem lag, was sein Vetter eben berichtet hatte, so begann er, sich die Umstände sorgfältiger zu erwägen. Bei weiterem Nachdenken erinnerte er sich verschiedener Vorfälle, welche den Argwohn bekräftigen halfen, und da Richard's Folgerungen mit einer seiner Schwächen zusammentrafen, so gab er sich desto bereitwilliger ihrem Eindrucke hin. Temple's zu allen Zeiten umfassender Geist hatte sich in Folge seiner eigenthümlichen Stellung dem Hange hingegeben, in allen Speculationen auf Verbesserungen von Grund und Boden sich schon die ferne Zukunft zu vergegenwärtigen. Wo andere Leute nichts als Wildniß gewahr werden konnten, sah sein Auge bereits Städte, Fabriken, Brücken, Canäle, Minen und alle anderen Hilfsquellen eines alten Landes, obgleich sein gesunder Verstand ihn einigermaßen verhinderte, solchen sauginischen Erwartungen Worte zu leihen.

Da der Sheriff seinem Vetter hinreichend Zeit ließ, über das Gehörte nachzudenken, so wurde es dem Letzteren mit jedem Augenblicke wahrscheinlicher, daß nur irgend ein geldverheißendes Abenteuer das bindende Glied in der Kette sey, welche Oliver Edwards in Lederstrumpf's Hütte geführt hatte. Marmaduke war aber zu sehr gewöhnt, einen Gegenstand aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, als daß ihm die möglichen Einwürfe hätten entgehen sollen, weßhalb er vor sich hin murmelte —

„Es kann unmöglich so seyn, denn der junge Mensch wäre sonst wohl nicht an den äußersten Rand der Armuth getrieben worden.“

„Gibt es wohl einen augenfälligeren Grund, nach Geld zu graben, als die Armuth?“ rief der Sheriff.

„Außerdem verdankt Oliver seiner Erziehung eine gewisse Würde des Charakters, welche sich nicht mit einem so heimlichen Treiben verträgt.“

„Könnte ein unwissender Tropf wohl Metall schmelzen?“ fuhr Richard fort.

„'Beß sagte mir, er habe den letzten Schilling ausgegeben, als ich ihn in unsere Wohnung nahm.“ „Für das andere hat er Werkzeuge gekauft. Und würde er überhaupt seinen letzten Heller für einen Schuß auf einen Truthahn ausgegeben haben, wenn er nicht gewußt hätte, wo er mehr holen kann?“

„Sollte es möglich seyn, daß ich so lange zum Besten gehalten worden wäre? Sein Benehmen ist zuweilen roh gegen mich gewesen; aber ich schrieb es dem Umstande zu, daß er wähnt, durch mich beeinträchtigt zu seyn, und daß er sich in die Veränderungen, welche die Zeit mit sich führt, nicht recht zu finden weiß.“

Hat man Dich nicht Dein ganzes Leben über zum Besten gehalten. 'Duke? und kann er sich nicht schlauer Weise anstellen, als wisse er nichts von den Verhältnissen der Zeit, nur um seinen wahren Charakter zu verbergen?“

„Wenn er es auf Täuschung abgesehen hätte, so würde er wohl seine Kenntnisse verborgen haben und in der Maske eines untergeordneten Menschen aufgetreten seyn.“

„So etwas geht nicht so leicht. Ich könnte ebenso gut einen Versuch mit dem Fliegen machen, als einen Pinsel spielen. Kenntnisse lassen sich nicht verbergen, wie ein Licht unter einem Scheffel.“

„Richard,“ sagte der Richter, an seinen Vetter gewendet, „es gibt viele Gründe gegen die Wahrheit meiner Vermuthungen, aber Du hast einen Verdacht in mir geweckt, den ich zur Gewißheit bringen muß. Doch wohin jetzt unsere Wanderung?“

„Jotham, der in meinem und Hirams Auftrage sich im Gebirge viel aufgehalten, hat eine Entdeckung gemacht, welche er zur Zeit noch nicht mittheilen will, da er, wie er sagt, durch einen Eid gebunden ist. Nur so viel ist gewiß, daß er weiß, wo das Erz liegt, und daß er zu graben angefangen hat. Ich wollte ohne Dein Vorwissen nicht darauf eingehen, 'Duke, weil das Land Dein Eigenthum ist. Und nun kennst Du den Zweck unseres Rittes. Ich nenne dieß eine Gegenmine — Ha! ha!“

„Und wo wäre die ersehnte Stelle?“ fragte der Richter mit halb scherzender, halb ernster Miene.

„Nicht mehr weit; und wenn wir sie besucht haben, so will ich Dir einen von den Plätzen zeigen, den wir vor einer Woche aufgefunden, und wo seit sechs Monaten unsere Jäger ihr Wesen getrieben haben.“

Die beiden Retter fuhren fort, den Gegenstand zu besprechen, während ihre Pferde über die Baumzweige und den unebenen Boden des Gebirgs weiter trabten. Sie erreichten bald das Ziel ihrer Reise und fanden daselbst Jotham bis an den Hals in einem Loche stecken, welches er ausgegraben hatte.

Marmaduke fragte den Minirer umständlich über die Gründe aus, welche denselben veranlaßt hatten, gerade in dieser Gegend das kostbare Metall aufzusuchen; aber der Kerl entfaltete eine beharrliche Geheimnißthuerei in seinen Antworten. Er behauptete, aus gewichtigen Gründen zu handeln, und fragte den Richter mit einem Ernste, welcher bewies, wie fest sein Glaube war, wie viel ihm von dem Gewinne zu Theil werden sollte, wenn seine Bemühungen zu einem Erfolge führten. Nachdem der Richter eine Stunde in der Stelle verweilt, das Gestein untersucht und nach den gewöhnlichen Anzeigen, welche die Nähe von Erz verkünden, gespäht hatte, ließ er sich von seinem Vetter nach der Stelle führen, wo das geheimnißvolle Triumvirat seine Grabversuche angestellt hatte.

Der von Jotham ausgewählte Ort befand sich an der Rückseite des Berges, welcher gegen Lederstrumpfs Hütte überhing; und der von Natty und seinen Gefährten gewählte Platz befand sich auf der andern Seite desselben Berges, aber oberhalb des Fahrwegs und natürlich in einer Richtung, derjenigen ganz entgegen gesetzt, welchen die Damen für ihren Spaziergang eingeschlagen hatten.

„Wir können uns jetzt ohne Störung der Stelle nähern,“ sagte Richard, während sie abstiegen und ihre Pferde anbanden, „denn ich habe, ehe wir von Hause weggingen, John und Lederstrumpf in ihrem Kahne fischen sehen, und Oliver ist in derselben Absicht ausgezogen. Vielleicht thun sie's aber blos zum Scheine, um unsere Augen zu verblenden; wir wollen uns daher beeilen, denn es wäre doch gerade nichts Angenehmes, wenn sie uns hier überraschten.“

„Wie? auf meinem eigenen Grund und Boden?“ versetzte Marmaduke ernst. „Wenn es so ist, wie Du vermuthest, so sollen sie mir den Grund angeben, warum sie hier gegraben haben.“

„St,“ entgegnete Richard, indem er einen Finger an seine Lippen legte und einen sehr mühsamen Abhang hinab zu einer Art natürlicher Höhle in dem Felsen, welche einem Feuerplatze nicht unähnlich war — voranging. An der Vorderseite dieser Höhle lag ein Haufen Erde, welche augenscheinlich aus dem Innern herausgeschafft worden und zum Theil noch frisch war. Eine Untersuchung des Aeußern brachte den Richter nicht in's Klare, ob er es hier mit einem Naturspiele oder einem Werke von Menschenhand aus irgend einer früheren Periode zu thun habe. Das Innere aber ließ keinen Zweifel, daß es seine Gestaltung menschlicher Bemühung verdankte, denn an dem weichen, bleifarbigen Fels, der sich den Fortschritten der Minirer in den Weg gelegt hatte, waren noch die Spuren der Eisenwerkzeuge zu entdecken. Das Ganze bildete eine ungefähr zwanzig Fuß weite und fast noch einmal so tiefe Höhle. Die Höhe war weit beträchtlicher als dieß gewöhnlich bei einem solchen Versuche der Fall ist, was aber augenscheinlich Wirkung des Zufalls war, da der Fels oben dachförmig überhing und um viele Fuß gegen die Basis vorsprang. Unmittelbar vor dieser Felsennische befand sich eine kleine, theils durch die Natur, theils durch die von den Arbeitern sorglos herausgeworfene Erde gebildete Terasse. Vor derselben fiel das Gebirg steil ab, so daß die klippenreichen Seitenzugänge schwierig und sogar etwas gefährlich waren. Der ganze Schauplatz war wild, roh und augenscheinlich unvollendet; und als sich der Sheriff in dem Gebüsch umsah, fand er die Werkzeuge vor, welche bei der Arbeit benützt worden waren.

Als Richard glaubte, sein Vetter habe die Stelle hinreichend untersucht, fragte er feierlich:

„Bist Du jetzt befriedigt, Richter Temple?“

„Ich habe mich allerdings überzeugt, daß hier etwas Geheimnißvolles und Seltsames vorgeht. Es ist ein schlau gewählter, abgelegener Ort; aber doch sehe ich keine Spur von Erz.“

„Du wirst doch nicht meinen, Vetter, daß man Gold und Silber wie Kieselsteine auf der Oberfläche der Erde findet — Dollars und Dimes, [Der zehnte Theil eines Dollars, oder zehn Cents.] bereits ausgeprägt, daß man sie nur auszugeben braucht? Nein, nein — der Schatz muß erst gesucht werden, ehe man ihn benützen kann. Aber laß sie nur graben; ich will schon entgegen miniren.“

Der Richter besichtigte sich die Stelle genau und notirte in seinem Gedenkbuch Merkmale, welche es ihm möglich machten, dieselbe auch ohne Richard aufzufinden; dann kehrten sie zu ihren Pferden zurück.

Als sie die Landstraße erreicht hatten, trennten sie sich — der Sheriff, um vierundzwanzig „gute und getreue Männer“ aufzubieten, die am nächsten Montage, an welchem Marmaduke Gerichtsitzung hielt, als Gehilfen der Obrigkeit functioniren sollten; der Richter, um nach Hause zurückzukehren, wobei er sich mit ernstlichen Gedanken über das, was er im Laufe des Morgens gesehen und gehört hatte, beschäftigte.

Als das Pferd des Letzteren an die Stelle gelangte, wo sich die Landstraße gegen das Thal senkte, ließ Marmaduke sein Auge auf derselben Scene ruhen, welche zehn Minuten vorher so beruhigend auf die Gefühle seiner Tochter und ihrer Freundin, nachdem sie aus dem Walde aufgetaucht, gewirkt hatten; aber die Gegenstände schwebten nur wirre vor seinen Blicken. Er ließ seinem sichern Thiere die Zügel, und gestattete demselben, nach Belieben weiter zu traben, während er folgendermaßen mit sich selber sprach —

„Es mag doch mehr hinter dieser Suche stecken, als ich anfangs dachte. — Ich habe meinen Gefühlen die Herrschaft über die Vernunft eingeräumt, indem ich einem Unbekannten in dieser Weise Eingang in mein Haus gestattete; — doch wir leben in einem Lande, wo man Argwohn nicht aufkommen lassen darf. Ich will Lederstrumpf rufen lassen, und einige offene Fragen werden diesem alten, einfachen Manne wohl die Wahrheit entlocken.“

In diesem Augenblicke wurde der Richter Elisabeth's und Luisens ansichtig, die in kurzer Entfernung langsam den Berg hinabstiegen. Er drückte seinem Roß die Sporen in die Seite, ritt auf sie zu, saß ab, und führte sein Pferd auf dem engen Pfade am Zügel. Während der bewegte Vater auf die lebendige Schilderung horchte, welche ihm seine Tochter von ihrer kürzlichen Gefahr und ihrem unverhofften Entrinnen gab, wichen alle Gedanken an Minen, Herrenrechte und Verhöre vor der Aufregung des Augenblicks; und wenn ihm jetzt Natty's Bild vor das geistige Auge trat, so war es nicht das eines gesetzlosen, diebischen Squatters, sondern das des Retters seines Kindes.


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