Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Oft sucht die Spur er in bewegter Fluth


Zu bergen, kühlend das erhitzte Blut.

Thomson.

„Ich wußt' es ja — ich wußt' es ja!“ rief Natty, als er des Hirsches und der Hunde ansichtig wurde. „der Bock ist ihnen durch den Wind gelaufen, und da konnten sich die armen Schelme nicht mehr halten. Aber ich muß Ihnen die Gelüste vertreiben, sonst bringen sie mich in Ungelegenheiten. Herein! Herein! — An's Land mit Euch, ihr Schufte! Ans Land mit Euch — wollt Ihr? — Laß ab, alter Hector, oder ich will dir das Fell mit dem Ladestock hecheln, wenn ich über dich komme.“

Die Hunde erkannten die Stimme ihres Herrn, und nachdem sie in einem Kreise herumgeschwommen waren, als gäben sie nur ungern eine Jagd auf, die sie nicht fortzusetzen wagten, kehrten sie ans Land zurück, wo sie die Luft mit ihrem Heulen erfüllten.

Inzwischen war der geängstigte Hirsch weit über die Hälfte der zwischen dem Ufer und den Booten liegenden Entfernung in den See hinein geschwommen, ehe ihm sein Schrecken gestattete, die neue Gefahr zu bemerken. Aber bei dem Klnge von Natty's Stimme hielt er an, und schien einige Augenblicke Willens zu seyn, zurück zu eilen und den Hunden Trotz zu bieten. Der Rückzug in dieser Richtung war ihm jedoch wirksam abgeschnitten, weßhalb er eine Wendung machte und schräg nach dem Mittelpunkte des Sees schwamm, um an dem westlichen Ufer ans Land zu kommen. Als der Bock an den Fischern vorbei schwamm und dabei die Nase hoch in die Luft hob, während sein schlanker Hals das Wasser, wie der Schnabel einer Galleere, kräuselnd vor sich her trieb, begann Lederstrumpf in seinem Kahne unruhig zu werden.

„Welch ein edles Geschöpf!“ rief er. „Seht nur das herrliche Geweih! man könnte alle seine Kleider an den Stangen desselben aufhängen! Laßt sehen — der July ist der letzte Monat, und das Fleisch kann nicht mehr so gar übel seyn.“

Während dieser Worte hatte Natty mechanisch das innere Ende des Taues, welches statt der Kabel fiente, an ein Ruder befestigt, und nun sprang er plötzlich auf, warf die Boje weg und rief:

— „Streich aus, John! drauf los! das Thier ist ein Narr, daß es einen Menschen in dieser Weise in Versuchung führt.“

Mohegan warf die Bindseile von Edwards Boot aus dem Kahn, und mit einem Ruderschlage schoß das leichte Rindenfahrzeug, einem Meteore ähnlich, über das Wasser hin.

„Halt!“ rief Edwards. „Denkt an das Gesetz, meine alten Freunde. Man kann uns vom Dorfe aus sehen, und ich weiß, daß Richter Temple entschlossen ist, unnachsichtig gegen Alle zu verfahren, welche ein Thier außer der Zeit erlegen.“

Die Vorstellung kam jedoch zu spät. Der Kahn war bereits weit von dem Boote entfernt, und die beiden Jäger folgten zu emsig ihrer Beute, um auf die Stimme des Warnenden zu hören.

Der Bock befand sich nun etwa fünfzig Ellen von seinen Verfolgern, schnitt rüstig durch das Wasser und schnaubte gewaltig vor Angst und Anstrengung, während das Canoe über die Wogen hin zu tanzen schien, wie es auf den Wellen sich hob und senkte. Lederstrumpf erhob seine Büchse, versah die Pfanne mit neuem Zündpulver und stand zweifelhaft da, ob er auf sein Opfer Feuer geben solle oder nicht.

„Was meinst Du. John — soll ich, oder soll ich nicht?“ begann er. „Doch nein, das wäre ein gar zu armseliger Vortheil über das dumme Ding; es hat seinem eigenen Naturtrieb zufolge welchem der See ein Spiel ist, seine Zuflucht zu dem Wasser genommen; rudre also wacker drauf los, John. Wir wollen den Bock eine Möglichkeit des Entrinnens lassen; wir können ihn fangen, obgleich er sich winden wird wie eine Schlange.“

Der Indianer lachte über den Einfall seines Freundes, fuhr jedoch fort, den Kahn mit einer Schnelligkeit anzutreiben, die eher eine Folge seiner Geschicklichkeit als seiner Kraft war. Die beiden Alten bedienten sich bei dieser Gelegenheit der Sprache der Delawaren.

„Hugh!“ rief Mohegan. „Der Hirsch wendet den Kopf. Hawk-eye, halte deinen Speer bereit.“

Natty gieng nie aus, ohne alle seine Vorräthe mit zu nehmen, die ihm möglicher Weise bei seinem Gewerbe förderlich werden konnten. Von der Büchse trennte er sich nie; und selbst wenn er nur zu einer Angelfischerei ausging, so versah er den Kahn unabänderlich mit allem Zubehör, bis auf den Feuerrost hinaus. Diese Vorsicht war dem Jäger, der durch seine Jagdzüge oft weit über die Grenzen seines gewöhnlichen Bezirkes hinaus geführt wurde, zur Gewohnheit geworden. Einige Jahre vor dem Zeitpunkte unserer Erzählung hatte Lederstrmupf mit seiner Büchse und seinen Hunden die Hütte an den Ufern des Otsego verlassen, um etliche Tage in den Bergen zu jagen; aber ehe er zurückkehrte, hatte er die Gewässer des Ontario gesehen. Ehedem kamen ein, zwei oder dreihundert Meilen bei seiner kräftigen Muskulatur, die jetzt allerdings durch das Alter etwas Noth gelitten hatte, nicht in Betracht. Der Jäger befolgte Mohegan's Rath, und schickte sich an, die mit Widerhacken versehenen Waffen in den Nacken des Bocks zu stoßen.

„Mehr links, John!“ rief er; „mehr links! Noch einen Ruderschlag, und ich habe ihn!“

Mit diesen Worten erhob er den Speer und ließ ihn wie einen Pfeil dahin fliegen. In diesem Augenblicke machte der Bock eine Wendung, daß der Schaft, dessen Eisen nur das Geweih streifte, an ihm vorbei sauste und sich, ohne Schaden gebracht zu haben, in dem See begrub.

„Halt inne!“ rief Natty, als der Kahn über die Stelle glitt, wo der Speer hinein gefallen war; „halt inne, John!“

Der Schaft tauchte bald wieder aus dem See auf, und der Jäger ergriff denselben, während der Indianer den leichten Kahn umwendete, um die Jagd zu erneuern. Aber diese Zögerung setzte den Bock sehr in Vortheil, wie denn auch Edwards dadurch Zeit gewann, sich dem Schauplatze der Handlung zu nähern.

„Laßt ab, Natty; laßt ab!“ rief ihm der Jüngling zu. „Gedenkt, daß es außer der Zeit ist.“

Inzwischen war jedoch der Kahn bereits dem Orte nahe gekommen, wo der Hirsch ritterlich mit dem Wasser kämpfte und bald mit dem Rücken über die Oberfläche auftauchte, bald wieder untersank, je nachdem die Wellen sich vor seiner Brust brachen.

„Hurrah!“ schrie Edwards, bei dem Anblick über die Grenzen der Klugheit entflammt. „Gebt auf sein Laviren acht! Rudert mehr rechts. Mohegan, mehr rechts; ich kann ihm dann das Tau über das Geweih werfen.“

Begeisterung, und die träge Ruhe, mit welcher seine betagte Gestalt bisher in dem Kahn gesessen, wandelte sich nun in die rührigste Thätigkeit um. Der Kahn drehte sich bei jeder Bewegung des gehetzten Thiers wie eine auf einem Wirbel schwimmende Blase, und so oft das Jagdmanöver einen geraden Curs gestattete, schoß das kleine Rindenfahrzeug mit einer Schnelligkeit dahin, die den Hirsch veranlaßte, sein Heil in neuen Wendungen zu suchen. Diese stets wechselnde Bewegung auf einem so kleinen Raume setzte den Jüngling auch in den Stand, in der Nähe seiner Gefährten zu bleiben. Mehr als zwanzig mal glitten Wild und Verfolger an ihm vorbei, so daß er fast mit dem Ruder darnach hätte langen können, bis es ihm räthlich schien, ruhig liegen zu bleiben und die Gelegenheit zu erlauschen, in so weit einen Beistand anzubieten, daß das erlegte Thier in seinem größeren Fahrzeuge untergebracht würde.

Er brauchte indeß nicht lange zu warten; denn kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt und sich im Boote aufgerichtet, als er den Hirsch muthig auf sich zukommen sah, augenscheinlich in der Absicht, das Land in einiger Entfernung von den Hunden, die noch immer an dem Ufer bellten und heulten, zu erreichen. Edwards griff nach der Fangleine seines Nachens, drehte eine Schleife, und warf dieselbe aus Leibeskräften und zwar so glücklich aus, daß sie sich in dem einen Geweihe des Books verfing.

Einen Augenblick lang wurde der Nachen durch das Wasser hingeschleppt; aber im nächsten gewann der Kahn einen Vorsprung, und Natty, der sich tief niederbeugte, stieß sein Messer durch die Kehle des Thiers, dessen Blut nunmehr das Wasser färbte. Der Hirsch verendete nach kurzem Kampfe, und inzwischen brachten die Jäger ihre Boote zusammen, welche sie an einander banden; dann zog Lederstrumpf den entseelten Hirsch aus dem Wasser und legte ihn in dem Kahne nieder. Er befühlte die Rippen und die verschiedenen andern Theile seiner Beute, erhob dann seinen Kopf und lachte in seiner eigenthümlichen Weise —

„Ich gebe nicht so viel für Marmaduke's Gesetz“ sagte er. „Ein solcher Anblick erwärmt einem das Blut, alter John, denn ich habe seit Jahren keinen Bock mehr auf dem See erlegt. Es ist ein herrliches Wildpret, Junge, und ich kenne Leute, welche sich den Ziemer dieses Thieres trefflich schmecken lassen werden, trotz aller Gesetze im Lande.“

Den Indianer hatten längst seine Jahre und vielleicht auch das Unglück seines Stammes gebeugt; aber diese belebende und aufregende Jagd ließ einen Sonnenblick über seine schwärzlichen Züge fliegen, welcher denselben lange fremd gewesen war. Augenscheinlich erfreuten bei dieser Jagd den alten Mann mehr die Erinnerungen an die Thätigkeit seiner Jugend, als etwaige Aussichten auf die Vortheile, die daraus erzielt wurden. Seine von der ungewöhnlichen Anstrengung bereits zitternden Hände befühlten jedoch die Beute, und er lächelte mit beifälligem Kopfnicken, indem er in der kurzen und nachdrücklichen Weise seines Volkes sprach:

„Gut!“

„Ich fürchte, Natty.“ begann Edwards, als die Hitze des Augenblicks vorüber war und sein Blut ruhiger zu fließen anfieng. „daß wir uns sammt und sonders eine Gesetzesübertretung haben zu Schulden kommen lassen. Behalten wir indessen die Sache für uns, da Niemand in der Nähe ist, welcher uns verrathen könnte. Wie kamen aber diese Hunde ins Freie? Ich sah sie doch erst vor Kurzem noch gut angebunden, wie ich mich selbst durch Untersuchung der Stränge und Knoten überzeugte, als ich vor der Hütte Halt machte.“

„Die Witterung eines solchen Thieres wirkte zu kräftig auf die armen Tröpfe,“ versetzte Natty, „Seht, Junge, die Lederriemen hängen ihnen noch von dem Halse. Rudere an's Land, John; ich will sie herbei rufen, damit ich klarer in der Sache sehe.“

Als aber der alte Jäger an's Land stieg und die Riemenreste an dem Hals der Hunde untersuchte, wechselte der Ausdruck seines Gesichtes, und er schüttelte bedenklich den Kopf.

„Da ist ein Messer mit im Spiele gewesen,“ begann er. „Dieser Riemen ist weder zerrissen noch durch den Hund abgebissen. Nein, nein — ich fürchte, der Fehler liegt nicht an Hector.“

„Ist das Leder durchschnitten?“ rief Edwards.

„Nein, nein — ich will das nicht gerade sagen, Junge; aber hier ist ein Merkzeichen, das weder durch einen Riß noch durch einen Biß gemacht werden kann.“

„Sollte es der schuftige Zimmermann gewagt haben —“

„der nimmt sich freilich Alles heraus, wo keine Gefahr dabei ist,“ erwiederte Natty. „Er ist ein neugieriger Kerl, der sich gern in anderer Leute Sachen mischt. Er wird übrigens gut thun, sich nicht all zu viel meinem Wigwam zu nahen.“

Inzwischen hatte Mohegan mit indianischer Umsicht die Stelle untersucht, wo der Riemen getrennt worden war. Nach genauer Besichtigung erklärte er in der Sprache der Delawaren:

„Es ist ein Messerschnitt — eine scharfe Klinge und ein langer Handgriff. Der Mann fürchtete sich vor den Hunden.“

„Woraus schließest du das, Mohegan?“ rief Edwards. „Du hast es nicht gesehen und kannst daher unmöglich mit solcher Bestimmtheit sprechen.“

„Höre mein Sohn;“ versetzte der Krieger, „das Messer war scharf, denn der Schnitt ist glatt; — der Handgriff war lang, denn eines Mannes Arm würde von diesem Schnitt nicht bis zu jenem reichen, der den Riemen nicht durchschnitt; — und ein Feigling that's, sonst würde er das Lederwerk am Hals der Hunde abgeschnitten haben.“

„Bei meinem Leben,“ rief Natty, „John ist auf dem rechten Sprunge. Es war der Zimmermann, der den Felsen hinter der Hundehütte erstieg und die Thiere durch ein an einem Stocke befestigtes Messer los ließ. Sollte es nicht ein Leichtes seyn, so etwas zu thun, wenn ein Mensch schlimme Absichten hat?“

„Aber was hätte ihn dazu beranlassen können?“ fragte Edwards.

„Wer hat ihm etwas zu Leide gethan, daß er zwei alte Männer wie Euch, beunruhigen sollte?“

„Ich finde immer, daß es schwer ist. Junge, die Absichten der Menschen zu errathen, seit die Ansiedler ihre neuen Moden in's Land gebracht haben. Sollte übrigens seine Neugier nicht schon hinreichen? Vielleicht verlangt ihn, nach dem Treiben anderer Leute zu sehen, da er sich ohnehin gerne in Alles mischt.“

„Euer Verdacht ist begründet. Gebt mir den Kahn; ich bin jung und kräftig, und komme vielleicht noch zeitig genug, um ihm sein Handwerk zu legen. Verhüte der Himmel, daß wir der Willkühr eines solchen Menschen anheim fallen sollten!“

Dieser Vorschlag wurde angenommen, der Hirsch aus dem Kahne in das Boot gebracht, und in weniger als fünf Minuten glitt das leichte Rindenfahrzeug über den Spiegel des Seees hin. Bald entschwand es hinter den Landspitzen und schoß an's Ufer.

Mohegan folgte langsam mit dem Boote, während Natty, die Hunde an der Ferse und die Büchse auf der Schulter, das Gebirg erstieg, um zu Land nach seiner Hütte zurückzukehren.


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