Und wagtest Du, dem Leu'n
In seinem Nest zu dräu'n,
Dem Douglas in seiner Halle?
Marmion.
Diese Aufregung hatte sich bereits wieder gelegt: die kleinen Gruppen der Dorfbewohner begannen sich zu zerstreuen, um nach ihren Wohnungen zurück zu kehren und mit der ernsten Miene von Leuten, welche ihre politischen Gefühle auch in ihrem Aeußeren zur Schau tragen wollen, die Thüren hinter sich abzuschließen, als Oliver Edwards auf seinem Heimwege von Herrn Grant's Wohnung dem jungen Rechtsgelehrten begegnete, welcher dem Leser bereits als Herr Lippet bekannt ist. Die Charaktere und Ansichten der Beiden hatten nur wenig Aehnlichkeit; sie gehörten jedoch der intelligenteren Classe einer sehr kleinen Gemeinde an, weßhalb sie sich natürlich nicht fremd waren, und da ihr Zusammentreffen in einer Weise geschah, wo Schweigen als Unhöflichkeit erschienen wäre, so entspann sich unter ihnen folgendes Gespräch:
„Ein schöner Abend, Herr Edwards,“ begann der Rechtsgelehrte, bei dem es wenigstens sehr zweifelhaft war, ob ihm dieser Anlaß ungelegen komme; „aber das lange Ausbleiben des Regens ist ein schlimmer Umstand. Ein übles Klima, das unsrige, denn wir haben entweder Dürre oder Ueberschwemmungen. Wahrscheinlich sind Sie an eine gleichförmerige Temperatur gewöhnt?“
„Ich bin in diesem Staate geboren,“ entgegnete Edwards kalt.
„Nun, ich habe oft über diesen Punkt streiten hören; aber das Naturalisiren wird einem so leicht gemacht, daß wenig daran liegt, wo Einer geboren ist. Ich bin neugierig, welchen Weg der Richter in der Geschichte mit Natty Bumppo einzuschlagen gedenkt.“
„Mit Natty Bumppo?“ wiederholte Edwards. „Was wollen Sie damit sagen?“
„Ei, haben Sie noch nichts davon gehört?“ rief der Andere, mit einer so natürlich angenommenen Ueberraschung, daß Edwards völlig dadurch getäuscht wurde. „Ja, das kann schlimm ausfallen. Es scheint, der alte Mann ist in den Bergen gewesen und hat diesen Morgen einen Hirsch geschossen. Sie wissen, daß etwas der Art in den Augen des Richters ein Hauptvergehen ist.“
„Wirklich?“ entgegnete Edwards, indem er sein Gesicht abwandte, um die Glut zu verbergen, die seine sonnverbrannten Wangen überflog. „Je nun, wenn es nichts weiter ist, so muß er eben die Strafe bezahlen.“
„Sie beträgt fünf Pfund klingender Münze,“ erwiederte der Rechtsgelehrte. „Kann Natty wohl auf einmal so viel Geld aufbringen?“
„Ob er es kann?“ rief der Jüngling. „Ich bin nicht reich, Herr Lippet — im Gegentheil, ich bin arm, und habe meinen Gehalt für einen Zweck, der mir nahe am Herzen liegt, aufgespart; aber ehe man diesen alten Mann nur eine Stunde ins Gefängniß sperrt wollte ich lieber den letzten Heller hergeben, um es zu verhindern! Außerdem hat er zwei Panther erlegt, und das Schußgeld dafür wird die Strafe bei weitem übersteigen.“
„Ja, ja,“ versetzte der Rechtsgelehrte, indem er mit dem Ausdrucke ungekünstelter Freude seine Hände rieb; „wir werden es durchführen; ich sehe klar ein, wir werden es durchführen.“
„Was durchführen, Sir? Ich muß um eine Erklärung bitten."
„Ei nun, der erlegte Bock ist eine Kleinigkeit in Vergleichung mit dem, was diesen Abend statt gefunden hat,“ fuhr Herr Lippet mit einer Zutraulichkeit fort, welche den Jüngling unwillkührlich bestach, so wenig er den Mann sonst liebte. „Es scheint, daß das Factum klagbar und ein Eid darauf abgelegt worden ist, das Wildpret befinde sich wahrscheinlich in der Hütte. Das Gesetz hat sich auch für solche Fälle vorgesehen, und der Richter Temple erließ eine Vollmacht zur Hausdurchsuchung — —“
„Zur Hausdurchsuchung?“ echote Edwards mit entsetzter Stimme und mit einem Gesichte, welches er abermals abwenden mußte, um dessen Blässe zu verbergen. „Und was entdeckte man, was hat man gesehen?“
„Nichts, als des alten Bumppo's Büchse, und das ist schon ein Anblick, welcher den meisten Leuten in den Wäldern die Neugierde vertreiben kann.“
„Wirklich, wirklich?“ frohlockte Edwards, in ein convulsivisches Lachen ausbrechend. „So hat sie also der alte Held zurückgeschlagen! — Schlug er sie wirklich zurück, Sir?“
Der Rechtsgelehrte heftete seine Augen erstaunt auf den Jüngling; und als seine Verwunderung den Gedanken Raum gab, welche in seinem Geiste gemeiniglich die vorherschenden waren, versetzte er:
„Ich muß Ihnen sagen, Sir, daß da durchaus kein Grund zum Lachen vorhanden ist. Die vierzig Dollar Schußgeld und Ihr sechsmonatiges Gehalt werden wohl ziemlich zusammen gehen, ehe sich dieser Handel ins Reine bringen läßt. Ein Angriff auf eine Magistratsperson, wenn sie in Vollziehung ihrer Pflicht begriffen ist, und eine gleichzeitige Bedrohung des Constable mit Feuerwaffen sind gar ernste Händel, die sowohl mit Geldstrafe als mit Gefängniß gebüßt werden.“
„Gefängniß?“ wiederholte Oliver. „Lederstrumpf und Gefängniß? Nein, nein, Sir, es würde den alten Mann ins Grab bringen. Nimmermehr wird man den Lederstrumpf einsperren.“
„Nun, Herr Edwards,“ entgegnete Lippet, indem er jetzt alle Zurückhaltung fallen ließ, „man hält Sie für einen Gelehrten, aber wenn Sie mir sagen können, wie man eine Jury verhindern kann, in einem solchen Falle, wo der Beweis so sonnenklar ist, das Schuldig auszusprechen, so will ich zugeben, daß Sie mehr von dem Gesetze verstehen, als ich, obgleich ivh meine licentiam practicandi schon seit drei Jahren in der Tasche trage.“
Inzwischen hatte Edwards' Vernunft die Oberhand über seine Gefühle gewonnen, und als er die wirklichen Schwierigkeiten des Falles einzusehen begann, lieh er den Worten des Advokaten ein aufmerksameres Ohr. Die nicht unterdrückbare Aufregung, welche der Jüngling im ersten Augenblick der Ueberraschung an den Tag gelegt hatte, war ganz verschwunden, und obgleich er noch immer von dem Gehörten sehr ergriffen zu seyn schien, so gelang es ihm doch, mit der größten Achtsamkeit auf den Rath des Andern zu horchen.
Oliver entdeckte, ungeachtet seines verwirrten Gemüthszustandes, bald, daß sich die meisten Entwürfe des Advokaten auf eine List begründeten, deren Ausführung soviel Zeit erforderte, als weder sein Charakter noch die Umstände zulässig machten. Er gab jedoch Herrn Lippet zu verstehen, er werde für den Fall, daß die Sache vor Gericht komme, seine Zuflucht zu ihm nehmen — eine Zusicherung. die den Rechtsgelehrten vollkommen zufrieden stellte; und so trennten sie sich, indem der Eine mit bedächigen Schritten die Richtung nach einem kleinen Gebäude einschlug, ob dessen Thüre sich ein hölzernes Schild mit den Worten „Chester Lippet. Rechtsgelehrter“ befand, und der Andere eiligen Fußes dem Herrenhause zuging, Wir verlassen vorderhand den Advokaten, und wenden die Aufmerksamkeit des Lesers seinem Clienten zu.
Als Edwards in die Hausflur trat, wo die ungeheueren Thüren sich dem Durchzug einer milden Abendluft geöffnet hatten, traf er Benjamin mit einer feiner häuslichen Verrichtungen beschäftigt; und fragte denselben rasch, wo der Richter Temple sey.
„Der Richter ist eben mit Meister Doolittle, dem Zimmermann, auf seine Amtsstube gegangen; aber Miß 'Lizzy ist dort im Wohnzimmer. Ich sage Ihnen, Herr Oliver, das hätte einen schlimmen Handel mit den Panthern absetzen können. Ich sagte es letzten Winter oft, daß eine solche Bestie in den Bergen seyn müßte, denn ich hörte sie eines Herbstabends, als ich im Nachen nach dem Fischergrund hinunter fuhr, an dem Seeufer heulen. Wäre das Thier in das offene Wasser herausgekommen, wo man sehen kann, wie und wo man mit seinem Fahrzeug arbeitet, so hätte ich wohl mit ihm angebunden; aber so unter den Bäumen aufwärts zu sehen, das kömmt mir gerade vor, als wenn man auf dem Deck eines Schiffes steht und nach dem Mars eines andern Fahrzeugs schaut. Man kann da kein Tau von dem andern unterscheiden — —“
„Schon gut,“ fiel ihm Edwards ins Wort. „Ich muß Miß Temple sehen.“
„Das sollen Sie, Sir,“ versetzte der Hausmeister; „sie ist in diesem Zimmer. Barmherziger Himmel, Herr Edwards, welch ein Verlust wäre dieß für den Richter gewesen! der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, wo er eine andere solche Tochter hätte hernehmen wollen — ich meine nämlich eine erwachsene. Ich' sage Ihnen. Sir, dieser Meister Bumppo ist ein Ehrenmann, und scheint trefflich mit Feuerwaffen und Bootshacken umspringen zu können. Ich bin sein Freund, Herr Oliver, und will mich gegen ihn und Sie als einen solchen erweisen.“
„Wir bedürfen vielleicht Eurer Freundschaft, braver Mann,“ rief Edwards, indem er convulsivisch seine Hände drückte. „Wir bedürfen vielleicht Eurer Freundschaft, und in diesem Falle werden wir sicher auf Euch Bedacht nehmen.“
Ohne die aufrichtige Entgegnung, welche Benjamin hervorbringen wollte, abzuwarten, entwand der Jüngling seine Hand dem kräftigen Drucke des Hausmeisters und trat in das Zimmer.
Elisabeth war allein und saß noch immer auf denselben Sopha zurückgelehnt, wo wir sie zuletzt gesehen haben. Eine Hand, welche an Gestalt und Farbe in was immer für einem Kunstgebilde nicht ihres Gleichen hatte, verhüllte ihre Augen, während die Jungfrau selbst in tiefe Betrachtungen versunken schien. Betroffen von der Haltung und Liebenswürdigkeit der Gestalt, die jetzt seinem Auge entgegen trat, zügelte der junge Mann seine Ungeduld, so daß er nur leise und achtungsvoll näher trat.
„Miß Temple — Miß Temple,“ begann er; „ich hoffe, daß ich nicht störe; aber ich muß Sie sprechen, wäre es auch nur auf einen Augenblick.“
Elisabeth erhob ihr Antlitz und ließ ihre schwarzen, in Thränen schwimmenden Augen gewahr werden.
„Ah, sind Sie's, Edwards,“ versetzte sie mit einer Anmuth in ihrer Stimme und einer Weichheit in ihren Mienen, welche sich dem Verkehre mit ihrem Vater oft beimischten, die aber dem jungen Manne gegenüber so neu waren, daß es ihm alle Nerven durchfuhr. „Wie haben Sie unsere arme Luise verlassen?“
„Glücklich und von Dank erfüllt, in den Armen ihres Vaters,“ entgegnete Oliver. „Ich habe nie einen so schönen Gefühlsausdruck gesehen, als den, welchen sie an den Tag legte, während ich es wagte, ihr meine Freude über ihr glückliches Entkommen auszudrücken. Miß Temple, als ich zuerst Ihre schreckliche Lage schildern hörte, waren meine Empfindungen zu gewaltig, um sich auszusprechen zu lassen, und ich fand erst wieder Worte, nachdem mir der Spaziergang zu Herrn Grants Wohnung Zeit gelassen hatte, mich zu sammeln. Ich glaube — ich glaube, ich habe mich dort besser benommen, denn sogar Miß Grant weinte, als ich ihr meine Theilnahme ausdrückte.“
Elisabeth schwieg einen Augenblick, und bedeckte abermals die Augen mit ihrer Hand. Diese Erregung war jedoch nur vorübergehend; sie erhob ihr Antlitz aufs Neue und fuhr lächelnd fort —
„Ihr Freund Lederstrumpf ist nun auch der meinige geworden, Edwards, und ich dachte eben daran, wie ich ihm am besten einen Dienst leisten könnte. Vielleicht sind Sie, der Sie so gut mit seinen Gewohnheiten und Bedürfnissen bekannt sind, im Stande mir zu sagen — —“
„O, gewiß —“ rief der Jüngling mit einem Ungestüm, ob dem die Dame erschrak — „gewiß bin ichs im Stande, und Gott möge Ihren guten Willen belohnen. Natty ist so unklug gewesen, des Gesetzes zu vergessen und heute einen Hirsch zu tödten; und ich glaube sogar, daß ich gleichfalls bei der Strafe betheiligt bin, da ich bei dem ganzen Vorgange sein Mitschuldiger war. Bei Ihrem Vater ist eine Klage vorgebracht worden, und er hat eine Vollmacht zu Durchsuchung — —“
„Ich weiß Alles,“ unterbrach ihn Elisabeth; „ich weiß Alles, Der gesetzlichen Form mußte Genüge geschehen. Die Durchsuchung des Hauses war nothwendig, um den Hirsch auffinden und die Strafe erkennen zu können. Aber ich muß Ihnen eine frühere Frage zurück geben. Haben Sie so lange in unserer Familie gelebt, nur um uns nicht zu kennen? Sehen Sie mich an, Oliver Edwards. Erscheint Ihnen mein Aeußeres, wie das einer Person, welche zugeben würde, daß ein Mann, der ihr eben erst das Leben gerettet hat, für eine so kleine Summe, als diese Strafe ist, in einem Gefängniß schmachte? Nein, nein, Sir; mein Vater ist nicht allein Richter, sondern auch Mensch und Christ. Die Sache ist bereits vorher zwischen uns besprochen worden, und es soll dem alten Manne kein Leides geschehen.“
„Welch eine Last von Besorgnissen wälzen Sie durch diese Erklärung von meiner Brust!“ rief Edwards. „Er soll also nicht wieder beunruhigt werden? Ihr Vater will ihn beschützen? Ich habe Ihre Versicherung, Miß Temple, und muß es daher glauben.“
„Sie sollen seine eigene haben, Herr Edwards.“ entgegnete Elisabeth, „denn da kömmt er eben.“
Aber das Aeußere Marmaduke's, als er in das Zimmer trat, stand ganz im Gegensatz zu den schmeichelhaften Hoffnungen seiner Tochter. Seine Stirne war tief gefurcht und seine Miene verstört. Weder Elisabeth noch der Jüngling sprachen; sie ließen den Richter etliche Male im Zimmer auf und ab gehen, worauf er anfing —
„Unsere Pläne sind vereitelt, Mädchen! Lederstrumpfs Starrsinn hat den ganzen Unwillen des Gesetzes auf sein Haupt herab gerufen, und es steht jetzt außer meiner Macht ihn abzuwenden.“
„Wie so? In welcher Weise?“ rief Elisabeth. „Die Geldstrafe ist für nichts anzuschlagen; gewiß — —“
„Ich erwartete nicht — ich konnte nicht voraussetzen, daß ein alter, freundloser Mann wie er, es wagen würde, den Beamten der Gerechtigkeit Widerstand entgegen zu halten,“ fiel ihr der Richter ins Wort. „Ich hoffte, daß er sich der Strafe unterwerfen würde, und mit Bezahlung der Strafe wäre dem Gesetz Genüge geschehen; jetzt aber hat er seine ganze Strenge zu befahren.“
„Und welche Strafe könnte über ihn erkannt werden, Sir?“ fragte Edwards, der sich bemühte, Festigkeit in den Ton seiner Stimme zu bringen.
Marmaduke wandte sich rasch nach der Stelle um, nach welcher sich der Jüngling zurückgezogen hatte, und rief :
„Ah, Sie hier? Ich habe Ihrer nicht wahrgenommen. Ich weiß nicht, was das Ende seyn wird, Sir; denn ein Richter kann nicht entscheiden, bis er die Zeugen verhört und die Jury ihr Verdict ausgesprochen hat. Jedenfalls können Sie übrigens versichert seyn, Herr Edwards, daß geschehen wird, was das Gesetz heischt, wenn ich auch eine augenblickliche Schwäche an den Tag gelegt haben mag, weil der unglückliche Mann meiner Tochter einen so ausgezeichneten Dienst erwiesen hat.“
„Niemand bezweifelt, meines Wissens, den Gerechtigkeitssinn des Richters Temple.“ entgegnete Edwards bitter; „aber reden wir ruhig von der Sache. Werden nicht die Jahre, die Gewohnheiten und insbesondere die Unwissenheit meines alten Freundes ihm gegen diese Anklage Schutz verleihen?“
„Wie wäre das möglich? Diese Einreden mögen seine Schuld vielleicht mindern, aber können sie dieselbe austilgen? Läßt sich überhaupt ein geselliger Verband denken, junger Mann, wo man den Dienern der Gerechtigkeit mit bewaffneter Faust entgegen tritt? Sollte ich nur deßhalb die Wildniß gezähmt haben?“
„Wenn Sie die Bestien gezähmt haben würden, welche so kürzlich noch Miß Temple's Leben bedrohten, Sir, so möchten Ihre Argumente allenfalls besser am Orte seyn.“
„Edwards!“ rief Elisabeth — —
„Ruhig, mein Kind,“ unterbrach sie der Vater. „Der junge Mann ist ungerecht, ohne daß ich ihm Anlaß dazu gegeben hätte. Ich will Nachsicht mit Deinen Worten haben, Oliver, denn ich weiß, daß Du ein Freund Natty's bist, und deßhalb hat Dich Dein Eifer für ihn zu weit geführt.“
„Ja, er ist mein Freund,“ rief Edwards, „und ich bin stolz auf diesen Titel. Er ist zwar einfach, ungelehrt, sogar unwissend, und man könnte ihm vielleicht Vorurtheile zur Last legen, obgleich ich fühle, daß seine Ansicht von der Welt nur zu richtig ist. Aber er hat ein Herz, Richter Temple, das für tausend Fehler Ersatz leistet; er kennt seine Freunde und verläßt sie nie, und wenn es auch nur seine Hunde wären.“
„Das ist allerdings ein lobenswerther Charakter, Herr Edwards,“ entgegnete der Richter mit Milde, „ich bin aber nie so glücklich gewesen, seine Achtung zu gewinnen, denn gegen mich war er immer zurückstoßend, was ich ihm übrigens, als die Grille eines alten Mannes, nachgesehen habe. Auch soll er, wenn ich ihm als sein Richter entgegen treten muß, wegen seines früheren Benehmens nichts von mir zu befahren haben, ebenso wenig als seine kürzlich geleisteten Dienste sein Verbrechen mildern können.“
„Verbrechen?“ wiederholte Edwards. „Ist es ein Verbrechen, einen lauernden Spürhund von seiner Thüre zu treiben? Verbrechen! O nein, Sir, wenn in dieser Sache ein Verbrechen vorgefallen ist, so kömmt es nicht auf seine Rechnung.
„Auf wessen sonst, Sir?“ fragte Richter Temple, indem er den aufgeregten Jüngling mit seiner gewohnten Ruhe in's Auge faßte.
Diese Frage war mehr, als der junge Mann ertragen konnte. Bisher hatten seine Gefühle mehr in der Tiefe seiner Seele getobt, aber nun kam der Vulkan zum Ausbruch.
„Anf wessen? und das mir,“ rief er. „Frage Dein eigenes Gewissen. Richter Temple. Gehe hinaus zu dieser Thüre und betrachte das Thal, den ruhigen See, diese schattigen Berge, und frage Dein eigenes Herz, wenn Du eines hast: woher kamen diese Reichthümer, dieses Thal, diese Berge, und warum bin ich ihr Besitzer? Ich sollte meinen, die Gestalten Mohegan's und Lederstrumpfs, die verarmt und verlassen durch das Land ziehen, sollten Dir allein schon den Anblick entleiden.“
Marmaduke hörte diesen leidenschaftlichen Ausbruch anfangs mit hohem Erstaunen an; aber als der Jüngling geendet hatte, winkte er seiner ungeduldigen Tochter, zu schweigen, und erwiederte:
„Oliver Edwards. Du vergißst, vor wem Du stehst Ich habe gehört, junger Mann, daß Du Ansprüche auf die Abkunft von den eingebornen Eigenthümern dieses Bodens gründest; aber sicherlich kann Dich die Erziehung, die Du erhalten, nichts nützen, wenn sie Dich nicht gelehrt hat, die Berechtigung der Weißen anzuerkennen. Diese Ländereien sind mein Eigenthum durch die Abtretung Deiner Vorfahren, wenn es anders mit Deiner angeblichen Abkunft seine Richtigkeit hat, und ich rufe den Himmel zum Zeugen auf für den Gebrauch, den ich davon gemacht habe. Nach einer solchen Sprache müssen wir uns trennen. Ich habe Dir zu lange Schutz in meinem Hause gegeben; aber jetzt ist die Zeit da, wo Du es verlassen mußst. Komm auf mein Zimmer und ich will Dir auszahlen, was ich Dir noch schulde; auch soll Dein dermaliges Ungestüm Deinem Glücke nicht im Wege stehen, wenn Du auf den Rath eines Mannes hören willst, der um so viele Jahre älter ist, als Du.“
Das nicht zu bewältigende Gefühl, welches einen so leidenschaftlichen Ausbruch des Jünglings herbeigeführt hatte, war entschwunden, und er sah Marmaduke's sich entfernender Gestalt mit einer Leerheit in den Blicken nach, welche die Abwesenheit seines Geistes bekundete. Endlich faßte er sich und langsam im Zimmer umherblickend, bemerkte er Elisabeth, welche noch immer mit gesenktem Haupte auf dem Sopha saß und ihr Antlitz mit den Händen bedeckt hielt.
„Miß Temple,“ begann er, denn in seinem Benehmen zeigte sich keine Spur mehr von der frühern Wildheit — „Miß Temple, ich habe mich vergessen; ich habe Ihrer vergessen. Sie haben den Entschluß Ihres Vaters vernommen, und ich verlasse noch diesen Abend das Haus. Von Ihnen aber wenigstens möchte ich in Frieden scheiden.“
Elisabeth erhob langsam ihr Antlitz, über das sich ein flüchtiger Ausdruck der Trauer hinstahl; als sie aber ihren Sitz verließ, leuchteten ihre Augen wieder von dem gewöhnlichen Feuer; ihre Wange brannte, und ihre ganze Haltung schien einem anderen Wesen anzugehören.
„Ich vergebe Ihnen, Edwards , und mein Vater wird Ihnen gleichfalls vergeben,“ sagte sie, als sie die Thüre erreicht hatte. „Sie kennen uns noch nicht, aber die Zeit wird wohl kommen, wo Sie Ihre Ansichten wechseln werden.“
„Ueber Sie? Niemals!“ unterbrach sie der Jüngling. „Ich—“
„Ich will sprechen, Sir, und nicht hören. Es liegt etwas in dieser Sache, was ich nicht begreife; aber sagen Sie Lederstrumpf, daß er in meinem Vater nicht bloß den Richter, sondern in uns auch Freunde vor sich hat. Beunruhigen Sie den alten Mann nicht unnöthiger Weise durch eine Erzählung des eben stattgehabten Vorgangs. Er hat die gerechtesten Ansprüche an uns, und sie sollen durch das, was Sie gesprochen, nicht gemindert werden. Herr Edwards, ich wünsche Ihnen Glück und wärmere Freunde.“
Der Jüngling wollte noch reden, aber sie verschwand so schnell durch die Thüre, daß er, als er in die Hausflur trat, nirgends mehr etwas von ihr erblicken konnte. Er blieb einen Augenblick wie betäubt stehen; dann stürzte er aus dem Hause und schlug, statt Marmaduke auf sein Zimmer zu folgen, unmittelbar den Weg nach der Hütte der Jäger ein.