Dreiunddreißigstes Kapitel.

Den Stock herbei!


Du störr'ger alter Schuft, achtbarer Prahler,


Wir wollen dich belehren.

Lear.

Die langen Tage und der frühe Aufgang der Sonne im Juli ließen den Neugierigen Zeit, sich zu versammeln, ehe noch die kleine Glocke der Akademie die Stunde ankündigte, wo Gericht über die Uebelthäter gehalten und die Strafe über die Schuldigen ausgesprochen werden sollte. Vom frühen Grauen des Morgens an drängten sich auf den Landstraßen und Waldpfaden, die an der Seite des Gebirgs sich nach Templeton hinunterschlängelten, Gruppen von Reitern und Fußgängern, welche dem Hafen der Gerechtigkeit zusteuerten. Hier sah man einen gut gekleideten Grundbesitzer auf einem glatten dünnschwänzigen Pferde die Landstraße einhertraben, das rothe Gesicht auf eine Weise in die Luft geworfen, welche sagte: „ich habe mein Land bezahlt und bekümmere mich um keinen Menschen,“ während seine Brust von dem Stolze des Bewußtseyns, zu der großen Jury zu gehören, schwoll. An seiner Seite ritt ein Gefährte, der sich wohl ebenso unabhängig fühlen mochte, aber, was Besitzthum und Ansehen betraf, doch unter dem Ersteren stand. Er war ein berüchtigter Prozeßkrämer — ein Mann, dessen Namen jedesmal auf dem Gerichtskalender erschien — der sein auf den vielfältigen Wegen der veränderlichen Gewohnheiten eines Ansiedlers erworbenes Vermögen den Harpyen der Gerichtshöfe in den Rachen warf, und der sich eben bemühte, dem Großgeschworenen sein Recht in einer Sache, die heute zur Entscheidung kommen sollte, recht klar auseinander zu setzen. An der Seite dieser beiden befand sich ein Fußgänger mit einem gestreiften Kittel über seinem Hemde und seinem besten Wollenhut über einem sonnverbrannten Gesichte, der eben aus seinem Schlupfwinkel in den Wäldern mittelst eines Fußpfades herausgekommen war und mit den Andern gleichen Schritt zu halten suchte, da er im Sinne hatte, als Mitglied der kleinen Jury die Zwistigkeiten seiner Nachbarn mit anzuhören und schlichten zu helfen. Man konnte an diesem Morgen wohl fünfzig ähnliche Gruppen von Landleuten sehen, welche sich in gleicher Absicht dem Hauptorte zu bewegten.

Um zehn Uhr waren die Straßen des Dorfes mit geschäftigen Gesichtern erfüllt. Einige sprachen von ihren Privatangelegenheiten. Andere horchten auf einen populären, politischen Sprecher, und nach Andere begafften die ausgelegten Vorräthe, Bewunderten die Schönheit derselben, oder untersuchten Sicheln, Aexte und andere Artikel, welche ihre Neugierde erregten. Unter dem Gedränge befanden sich auch einige Weiber, welche meist Kinder bei sich hatten und ihren bäurischen Herren und Gebietern in trägem, schlenderndem Gange folgten. Besonders fiel ein junges Paar in den Flitterwochen des Ehestandes auf; sie gingen in achtungsvoller Entfernung neben einander her, während der Jüngling die schüchternen Schritte seiner jungen Frau durch galantes Anbieten eines Daumens leitete.

Bei dem ersten Schlage der Glocke trat Richard aus der Thüre des kühnen Dragoners, ein in der Scheide steckendes Schwert in der Hand, welches, seiner Aussage nach, einer seiner Vorfahren bei Cromwell's Siegen geführt hatte, und gebot in gebieterischem Tone, für den Gerichtshof Platz zu machen. Dem Befehle wurde augenblickliche, wenn auch nicht sclavische Folge geleistet, und die Zuschauer nickten vertraulich den Mitgliedern der vorüberziehenden Procession zu. Eine Abtheilung von Constablen mit ihren Amtsstäben folgte dem Sheriff, und unmittelbar darauf erschien Marmaduke mit vier einfachen, ernst aussehenden Grundeigenthümern, seinen Beisitzern auf der Gerichtsbank. Die untergeordneten Richter unterschieden sich von dem besseren Theile der Znschauer in nichts als in der Gravität, welche sie heute mehr als gewöhnlich zur Schau trugen; auch hatte einer derselben eine altmodische, militärische Uniform mit zwei silbernen Epauletten, die nicht halb so groß als ein Paar moderner Achselquasten waren, und mit Schößen, die kaum die Mitte der Oberschenkel erreichten, angelegt. Dieser Gentleman war ein Oberster der Miliz, dazu Mitglied des Kriegsgerichts, welcher so viel Muße gefunden hatte, sich einen Augenblick seinen militärischen Obliegenheiten zu entziehen, um den Verhandlungen eines Civilgerichtshofs beizuwohnen; eine so wunderliche Erscheinung erregte jedoch weder Aufmerksamkeit noch Bemerkungen. Drei oder vier reinlich rasirte Rechtsgelehrte folgten so demüthig wie Lämmer, welche zur Schlachtbank gehen: einer oder zwei davon hatten es versucht, sich durch Brillen eine gelehrte Würde zu geben. Den Schluß der Procession bildete eine weitere Abtheilung von Constablen, und die Menge folgte derselben nach der Halle, wo der Gerichtshof seine Sitzung hielt.

Das Gebäude bestand aus einer Grundlage von viereckigtem Zimmerholze, hin und wieder durch kleine, vergitterte Fenster durchbrochen, aus welchen einige nachdenkliche Gesichter auf das Gedränge niedersahen. Unter den Gefangenen befanden sich die schuldbewußten, eingeschüchterten Falschmünzer und unser ehrlicher Lederstrumpf. Die Kerker unterschieden sich, dem Aeußern nach, von den Gemächern der Schuldner nur durch den kleineren Umfang der Licht-Oeffnungen, die größere Stärke der Eisengitter und die Köpfe von Kloben, welche als Schutz gegen den ungesetzlichen Gebrauch von schneidenden Instrumenten in das Holz eingetrieben waren. Der obere Stock war Rahmenarbeit, regelmäßig mit Dielen bedeckt, und enthielt ein einziges Gemach, das für die Zwecke des Gerichtshofs anständig decorirt war. Eine Bank erhob sich auf einer schmalen Plateform bis auf Mannshöhe über dem Boden und zog sich, vorn durch ein Geländer gestützt, durch die gänze Raumbreite. Im Mittelpunkt befand sich ein roher Armstuhl zum Gebrauche des präsidirenden Richters. Weiter vorn auf dem Boden des Zimmers stand ein großer mit grünem Wollenzeug überzogener und von Bänken umgebener Tisch, und an jeder seiner Seiten waren Reihen sich erhöhender Sitze für die Geschworenen angebracht. Jeden einzelne dieser Abtheilungen umgab ein Gitter. Der übrige Theil des Gemachs war freier Raum zum Gebrauche der Zuschauer.

Als die Richter sich gesetzt, die Advokaten an dem Tische Platz genommen und der Lärmen und das Scharren mit den Füßen in der Area sich gelegt hatte, wurden die üblichen Proclamationen erlassen, die Geschworenen beeidigt, die Klagen vorgebracht, und der Gerichtshof schritt zur Tagesordnung.

Wir wollen den Leser nicht mit einer Beschreibung der verfänglichen Diskussionen, welche die ersten zwei Stunden ausfüllten, ermüden. Richter Temple hatte Kraft seines Amtes, den Geschworenen die Nothwendigkeit einer schleunigen Abfertigung an's Herz gelegt, indem er ihnen, aus Rücksichten der Menschlichkeit, zuerst die Gefangenen im Kerker zur Beachtung empfahl. Demgemäß verkündigte, nach Abfluß der eben erwähnten Zeit, der Ruf eines Gerichtsdieners: „für die große Jury Platz zu machen“, den Eintritt dieser Körperschaft. Die gewöhnlichen Förmlichkeiten wurden beobachtet, worauf der Obmann zwei Klagschriften auf die Gerichtsbank legte, von denen dem Richter zuerst der Name Nathanael Bumppo's in's Auge fiel. Im Saale herrschte tiefe Stille, indem nur von der Seite der Gerichtsbank aus ein kurzes Flüstern mit dem Sheriff stattfand, welcher sofort seiner Dienstmannschaft ein Zeichen gab. Ein paar Minuten nachher wurde das Schweigen durch eine allgemeine Bewegung unter den Zuhörern unterbrochen, und unmittelbar darauf wurde Lederstrumpf von zwei Constablen in die Angeklagtenschranke geführt. Das Gesumme legte sich; das Volk drang wieder in den geöffneten Raum, und bald trat aufs Neue eine so tiefe Stille ein, daß man die schweren Athemzüge des Gefangenen vernehmen konnte.

Natty trug seine hirschledernen Kleider, jedoch ohne den Rock, dessen Stelle nur durch ein Hemd von grober Leinwand, das oben lose mittelst einer Hirschsehne schloß und den rothen Hals unter den wetterbraunen Zügen des Mannes schauen ließ, vertreten wurde. Es war das erste Mal, daß er die Schwelle eines Gerichtshofs überschritten hatte, und in seine persönlichen Gefühle schien sich ein bedeutender Grad von Neugierde zu mischen. Er erhob seine Augen zu der Gerichtsbank und von da nach der Geschworenen-Loge, der Schranke und dem Gedränge außerhalb derselben, wo er allenthalben auf Blicke traf, die fest auf ihn geheftet waren. Er betrachtete sodann sich selbst, als suche er hier die Ursache dieser ungewöhnlichen Anfmerksamkeit, sah sich noch einmal in der Versammlung um, und öffnete dann den Mund zu seinem stummen und bezeichnenden Lachen.

„Gefangener, nehmt Eure Mütze ab,“ sagte Richter Temple.

Der Befehl wurde vielleicht nicht gehört, jedenfalls aber nicht beachtet.

„Nathanael Bumppo, man steht hier nicht mit bedecktem Haupte,“ wiederholte der Richter.

Natty fuhr bei dem Klange seines Namens zusammen, erhob dann sein Gesicht ernstgegen die Gerichtsbank und sagte:

„Wie?“

Herr Lippet stand von seinem Sitze am Tische auf und flüsterte dem Gefangenen etwas in's Ohr, worauf Natty beifällig nickte und seine hirschlederne Kopfbedeckung abnahm.

„Herr Distriktsanwalt,“ fuhr der Richter fort, „der Gefangene ist bereit. Wir harren der Anklage.“

Das Amt eines öffentlichen Anklägers war Dirck Van der School übertragen, der seine Brille aufsetzte und einen bedächtigen Blick auf seine Collegen vor den Schranken warf, worauf er, über seine Brillengläser wegsehend, die Anklage laut zu verlesen begann.

Sie betraf den Angriff auf die Person Hiram Doolittle's und war in der veralteten Sprache solcher Instrumente abgefaßt, wobei besonders Bedacht darauf genommen war, in der Schrift auch nicht eine einzige Benennung der verschiedenen im Gesetz erwähnten Angriffswaffen auszulassen. Sobald dieß geschehen, nahm Herr Van der School seine Brille ab, verwahrte sie im Futterale und steckte sie in die Tasche, augenscheinlich um sich das Vergnügen zu verschaffen, sie wieder herausholen und auf seine Nase setzen zu können. Nachdem dieses Manöver ein oder zwei Mal wiederholt worden, händigte er die Klagschrift Herrn Lippet ein, und zwar mit einer Miene, welche deutlich ausdrückte: „finde mir da einen Fehler auf, wenn du kannst!“

Natty horchte auf die Anklage mit großer Aufmerksamkeit, wobei er sich mit einem Ernste, welcher seine tiefe Theilnahme verrieth, gegen den Vorleser verbeugte — und als dieser fertig war, richtete er sich mit einem tiefen Seufzer seiner ganzen Länge nach auf. Aller Augen waren dem Gefangenen zugekehrt, von dessen Stimme man vergeblich erwartete, sie würde das Schweigen in der Halle unterbrechen.

„Ihr habt gehört, was man vor der großen Jury gegen Euch vorgebracht hat, Nathanael Bumppo,“ sagte der Richter; „Was habt Ihr gegen die Klage geltend zu machen?“

Der alte Mann ließ nachdenkend seinen Kopf sinken, erhob ihn aber bald wieder und lachte, ehe er antwortete:

„Ich kann nicht in Abrede ziehen, daß ich mit dem Menschen ein bischen rauh umgegangen bin; aber daß ich von all den Dingen, von welchen der Herr da gesprochen hat, hätte Gebrauch machen wollen, ist in seinen Hals hinein gelogen. Ich bin in meinem Alter kein sonderlicher Ringer mehr; aber als ich unter den Schottischirländern war — wartet ein wenig — es muß wohl um das erste Jahr des alten Krieges gewesen seyn — —“

„Herr Lippet, wenn Ihr der Advokat des Gefangenen seyd,“ fiel Richter Temple ein, „so belehrt Euren Clienten über das, was von ihm verlangt wird. Andernfalls wird ihm der Gerichtshof einen Rechtsbeistand zuweisen.“

Durch diesen Aufruf in dem Studium der Klagschrift unterbrochen, stand der Rechtsgelehrte auf, besprach sich eine Weile leise mit dem Jäger und erklärte sodann gegen den Gerichtshof, daß sie bereit seyen fortzufahren.

„Seyd Ihr schuldig, oder nicht schuldig?“ fragte der Richter.

„Ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich nicht schuldig bin,“ versetzte Natty; „denn es kann von keiner Schuld die Rede seyn, wenn man thut was recht ist; und ich hätte mich lieber auf der Stelle umbringen lassen, ehe ich ihm erlaubt haben würde, in jenem Augenblick seinen Fuß in meine Thüre zu setzen.“

Richard richtete sich bei dieser Erklärung auf, und heftete einen Blick auf Hiram, den dieser mit einer leichten Bewegung seiner Augenbraunen erwiederte.

„Fahrt in der Sache fort, Herr Distriktsanwalt,“ sprach der Richter. „Sekretair, tragt die Erklärung des Angeklagten ein.“

Nach einer kurzen Anrede von Seiten Herrn Van der Schools wurde Hiram vor die Schranke gefordert, um sein Zeugniß abzulegen. Es war vielleicht buchstäblich wahr, aber mit all jener captatio benevolentia verklausulirt, welche sich in Sätzen, wie „keine schlimme Absicht“. „Pflichtgefühl als obrigkeitliche Person“, und „Augenzeuge, wie der Constable in der Ausübung seines Amtes gehemmt wurde“, ausdrücken ließ. Als dieß geschehen war und der Distriktsanwalt auf keinem weiteren Verhöre bestand, erhob sich Herr Lippet mit inquisitorischer Miene und stellte folgende Fragen:

„Seyd Ihr ein Constable dieses Bezirks, Sir?“

„Nein, Sir,“ versetzte Hiram; „ich bin bloß ein Friedensrichter.“

„Ich frage Euch, Herr Doolittle, im Angesichte dieses Gerichtshofes, bei Eurem Gewissen und Eurer Gesetzeskenntniß, ob Ihr ein Recht hattet, in die Wohnung dieses Mannes zu dringen?“

„Herr!“ räusperte sich Hiram, in dessen Innerem sich ein heftiger Kampf zwischen seiner Rachsucht und der Achtung seines Rufs als Gesetzmann erhob; „ich glaube — daß in — das heißt — dem strengen Recht nach — unter der Voraussetzung — vielleicht kein eigentliches — gesetzliches Recht vorhanden war; aber wie die Sache lag — und Billy nicht vorwärts wollte so dachte ich, ich dürfe mich wohl darein legen.“

„Ich frage Euch noch einmal, Sir,“ fuhr der Rechtsgelehrte, seinen Vortheil verfolgend, fort, „ob dieser alte — dieser freundlose alte Mann Euch wiederholt das Eintreten verbot oder nicht?“

„Je nun, ich muß gestehen,“ sagte Hiram, „daß er gewaltig widerhaarig war — nicht, was ich freundlich nenne; während er doch sah, daß ich bloß als Nachbar kam, der in das Haus eines Andern gehen will.“

„Ah, Ihr gesteht also zu, daß das Ganze nur als ein Besuch von Eurer Seite gemeint war, ohne daß eine gesetzliche Autorität dabei in's Spiel kam? Bemerken Sie sich die Worte des Zeugen, meine Herren: ,er kam bloß als Nachbar, der in das Haus eines Andern gehen will‘. Ich frage Euch nun, Sir, hat Nathanael Bumppo Euch nicht wiederholt den Eintritt verboten?“

„Es sind einige Worte zwischen uns gewechselt worden,“ entgegnete Hiram, „aber ich las ihm meine Vollmacht ausdrücklich vor.“

„Ich wiederhole meine Frage: „Hat er Euch nicht ausdrücklich gesag, Ihr solltet seine Wohnung nicht betreten?“

„Es ist zu einem ziemlichen Wortwechsel gekommen, aber ich habe die Vollmacht in der Tasche; sollte vielleicht der Gerichtshof Einsicht davon nehmen wollen?“

„Zeuge,“ unterbrach Richter Temple, „beantwortet die Frage: hat Euch der Beklagte den Eintritt in seine Hütte verboten oder nicht?“

„Je nun, ich dächte — —“

„Wir wollen eine unumwundene Antwort,“ fuhr der Richter mit Ernst fort.

„Ja, er that es.“

„Und versuchtet Ihr, nach diesem Verbot einzudringen?“

„Ja, aber ich hatte die Vollmacht in meiner Hand.“

„Fahrt fort in Eurem Verhör, Herr Lippet.“

Da jedoch der Anwalt sah, daß der Eindruck zu Gunsten seines Clienten war, so winkte er nur stolz mit der Hand, als wolle er die Einsicht der Jury nicht so weit in Zweifel ziehen, um eine fernere Vertheidigung für nöthig zu erachten, und versetzte:

„Nicht doch, Sir; ich überlasse das Weitere Euer Gnaden; mein Amt ist hier zu Ende.“

„Herr Distriktsanwalt,“ sagte der Richter, „ habt Ihr noch etwas beizufügen?“

Herr Van der School entfernte seine Brille, legte sie zusammen, setzte sie abermals auf seine Nase, betrachtete die andere Klagschrift, die er in Händen hatte, und erwiederte sodann, über die Gläser seines optischen Werkzeugs nach der Schranke sehend:

„Ich stehe, mit dem Wohlnehmen des Gerichtshofs, von einer weiteren Verfolgung der Sache ab.“

Richter Temple stand auf und faßte die Anklage zusammen.

„Meine Herren Geschworenen,“ fuhr er fort, „ihr habt den Zeugen vernommen, und ich will euch nicht lange aufhalten. Wenn einem Diener des Gesetzes in Ausübung eines Befehls Widerstand geleistet wird, so hat er ein unbezweifeltes Recht, jeden Bürger zu seinem Beistand aufzufordern: und der Act einer solchen Beihülfe steht gleichfalls unter dem Schutze des Gesetzes. Ich stelle es daher Eurem Ermessen anheim, meine Herren, in wie weit, dem abgelegten Zeugniß zufolge, der Zeuge in einer solchen Eigenschaft betrachtet werden kann, und überlasse den Fall, trotz seiner mangelhaften Form, um so eher eurer Entscheidung, weil noch ein anderer Punkt klagbar geworden ist, welcher den unglücklichen Gefangenen eines weit schwereren Vergehens beschuldigt.“

Der Ton von Marmaduke's Stimme war sanft und gewinnend, und da seine Ansichten mit so augenscheinlicher Unparteilichkeit ausgesprochen waren, so ermangelten sie nicht, auf die Jury den geeigneten Eindruck zu üben. Die ernst aussehenden Grundbesitzer, welche dieses Tribunal bildeten, steckten, ohne die Loge zu verlassen, auf einige Minuten die Köpfe zusammen, worauf der Obmann aufstand, und nach pflichtlicher Beobachtung der Formen des Gerichtshofs erklärte, daß der Angeklagte „nicht schuldig“ sey.

„Ihr seyd von dieser Anklage entbunden, Nathanael Bumppo,“ sagte der Richter.

„Wie?“ fragte Natty,

„Man hat Euch hinsichtlich des Angriffs auf Herrn Doolittle für nicht schuldig erklärt.“

„Nein, nein, ich will nicht in Abrede ziehen, daß ich ihn etwas rauh an den Schultern anfaßte,“ entgegnete Natty, indem er mit großer Einfalt um sich blickte. „und daß ich— —“

„Ihr seyd frei gesprochen,“ fiel ihm der Richter in's Wort, „und es ist in der Sache nichts mehr zu sagen oder zu thun.“

Ein Lichtblick der Freude zuckte über die Züge des alten Mannes, der nun den Fall begriff; er setzte hastig seine Mütze wieder auf den Kopf, warf die Schranke seines kleinen Gefängnisses auf und sprach nicht ohne Innigkeit:

„Nun, ich muß es Ihnen nachrühmen, Richter Temple, daß das Gesetz nicht so hart gegen mich gewesen ist, als ich fürchtete. Ich hoffe, Gott wird Sie für die Freundlichkeit segnen, die Sie mir heute erwiesen haben.“

Aber der Stab des Constable verhinderte seine Entfernung, und Herr Lippet flüsterte ihm einige Worte ins Ohr, worauf der alle Jäger auf seinen früheren Sitz zurücksank, seine Mütze abnahm, und mit einer Miene, in der sich Schmerz und Ergebung aussprachen, die Reste seiner dünnen grauen Locken niederstrich.

„Herr Distriktsanwalt,“ sagte Richter Temple, indem er that, als sey er mit den Akten beschäftigt, „schreitet zu der zweiten Anklage.“

Herr Van der School gab sich große Mühe, daß ja kein Theil der Vorstellung, welche er jetzt verlas, seinen Zuhörern entgehen möchte. Er beschuldigte den Gefangenen des Widerstandes gegen den Vollzug einer gerichtlichen Hausdurchsuchungs-Vollmacht durch Gewalt der Waffen, unter denen er, nach Maßgabe seines weitschweifigen Gerichtsstyls, nebst vielen andern auch den Gebrauch der Büchse angab. Hier handelte es sich in der That um eine ernstere Anschuldigung, als die einer gewöhnlichen Balgerei, weßhalb denn auch die Zuhörer eine entsprechende Theilnahme an dem Resultate derselben an den Tag legten. Der Gefangene wurde nach der üblichen Form abermals aufgefordert, seine Einreden vorzubringen, und ihm zu diesem Ende von Herrn Lippet die Antworten zugeflüstert. Aber die Gefühle des alten Jägers waren durch einige Ausdrücke der Klagschrift gekränkt worden, und alle Vorsicht vergessend, rief er:

„Das ist eine gottlose Lüge; ich verlange nach keines Menschen Blut. Selbst die spitzbübischen Irokesen würden mir nicht nachsagen, daß ich je nach eines Menschen Blut gedürstet hätte. Ich habe als Soldat, der seinen Schöpfer und seine Vorgesetzten ehrt, gefochten, aber nie meine Büchse auf jemand Anderes abgedrückt, als auf einen Krieger, der wach und auf den Beinen war. Niemand kann mir nachsagen, daß ich auch nur einen Mingo in seinem Schlafe getödtet hätte. Ich glaube,es gibt hier Leute, welche meinen, es gäbe in der Wildniß keinen Gott!“

„Nehmt auf Eure Einrede Bedacht, Bumppo,“ sagte der Richter. „Ihr hört, daß Ihr angeschuldigt seyd, Eure Büchse gegen einen Diener der Gerechtigkeit gebraucht zu haben. Seyd Ihr schuldig, oder nicht schuldig?“

Natty's gereizte Gefühle hatten sich inzwischen vertobt, und er ruhte einen Augenblick nachsinnend auf der Schranke, worauf er mit seinem schweigsamen Lachen das Gesicht erhob, und mit einem Winke nach der Stelle, wo der Holzfäller stand, entgegnete:

„Glaubt Ihr wohl, Billy Kirby würde dort stehen, wenn ich von der Büchse Gebrauch gemacht hätte?“

„Ihr zieht es also in Abrede,“ sagte Herr Lippet; „Ihr erklärt Euch für nicht schuldig?“

„Gewiß,“ entgegnete Natty. „Billy weiß, daß ich gar nicht schoß: Billy, erinnert Ihr Euch noch des Truthahns vom letzten Winter? Ja, das war kein schlechtes Schießen; aber es geht nicht mehr so gut, als es sonst zu gehen pflegte.“

„Tragt die Erklärung nicht schuldig, ein,“ sagte Richter Temple, tief ergriffen von der Einfalt des Gefangenen.

Hiram wurde abermals beeidigt, um in der zweiten Anklage Zeugniß abzulegen. Da er seinen früheren Irrthum eingesehen hatte, so ging er jetzt vorsichtiger zu Werke und berichtete mit großer Bestimmtheit und einer, für einen solchen Mann erstaunlichen Zierlichkeit den Verdacht, der gegen den Jäger vorgelegen, die Anklage, die Erlassung der Vollmacht und Kirby's Beeidigung, was alles, wie er versicherte, in gehöriger Form Rechtens geschehen sey. Er fügte sodann bei, wie der Constable aufgenommen worden, und erklärte ausdrücklich, daß Natty auf ihn angelegt und ihn todt zu schießen gedroht habe, wenn er es versuche, seinen Auftrag zu vollziehen. All dieß wurde durch Jotham bestätigt, der ganz genau dasselbe berichtete, als die Magistratsperson. Herr Lippet leitete ein listiges Kreuz- und Querverhör zwischen diesen beiden Zeugen ein, was er geraume Zeit fortführte, aber endlich aufgeben mußte, weil durchaus kein Vortheil dadurch zu erringen war. Endlich forderte der Distriktsanwalt den Holzfäller vor die Schranken.

Billy erstattete einen ungemein verwirrten Bericht über den ganzen Vorgang, obgleich er augenscheinlich die Wahrheit zu sagen beabsichtigte, bis ihm Herr Van der School durch einige directe Fragen Beihilfe leistete:

„Aus diesen Papieren erhellt, daß Ihr gesetzlich Eingang in die Hütte verlangtet; Ihr habt Euch daher wohl durch Furcht vor seiner Büchse und seinen Drohungen abhalten lassen?“

„Ich habe mich nicht so viel darum bekümmert,“ versetzte Billy, mit den Fingern schnippend. „Ich müßte ein armer Tropf seyn, wenn ich mich von dem alten Lederstrumpf einschüchtern lassen sollte.“

„Aber wie ich Euch verstand, so sagtet Ihr (ich beziehe mich dabei auf Eure frühern Worte [wie sie nämlich vor dem Gerichtshof gesprochen wurden], in dem Beginne Eurer Aussage). Ihr hättet geglaubt, er wolle auf Euch schießen.“

„Freilich glaubte ich das; und Euch wäre es wohl eben so gegangen, Squire, wenn Ihr gesehen hättet, wie der Bursche sein nie fehlendes Büchsenrohr herunterließ und über dem Gewehre weg blinzelte. Ich dachte mir's indeß wohl, daß er mir bloß einen Dunst vormachen wollte, und so war ich im Augenblick im Reinen; aber Lederstrumpf gab mir dann die Haut, womit die Sache abgethan war.“

„Ah, Billy,“ sagte Natty kopfschüttelnd, „es war ein glücklicher Gedanke von mir, die Haut herauszuwerfen, sonst hätte es zum Blutvergießen kommen können, und gewiß, wäre es das Eurige gewesen — es hätte mir für die kurze Frist meines Lebens keine Ruhe mehr gelassen.“

„Nun, Lederstrumpf,“ entgegnete Billy, indem er dem Gefangenen mit einer Freimüthigkeit und Vertraulichkeit Blicke zuwarf, die sich durchaus nichts aus der Anwesenheit des Gerichtshofs zu machen schienen, „ da Ihr gerade von der Sache sprecht, so ist es wohl möglich, daß Ihr — —“

„weiter in Eurem Verhör, Herr Distriktsanwalt.“

Der aufgerufene Herr, welcher die vertraulichkeit zwischen dem Zeugen und dem Gefangenen mit augenscheinlichem Misfallen angesehen hatte, kündigte dem Gerichtshofe an, daß er fertig sei.

„Ihr ließt Euch also nicht einschüchtern, Meister Kirby?“ nahm der Rechtsbeistand des Gefangenen das Wort.

„Ich? Nicht im Geringsten,“ antwortete Billy, indem er mit augenscheinlicher Selbstzufriedenheit seinen riesenmäßigen Muskelbau betrachtete; „ich bin nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen.“

„Ihr seht wie ein unerschrockener Mann aus; wo seyd Ihr geboren?“

„Im Vermontstaate; 's ist ein gebirgiges Land, hat aber einen guten Boden und hübsche Buchen- und Ahornwälder.“

„das habe ich auch schon gehört,“ entgegnete Herr Lippet zutraulich. „Ihr habt wohl in diesem Lande auch Schießen gelernt?“

„Ich bin der zweitbeste Schütze in diesem Bezirk; denn seit ich Natty Bumppo die Taube schießen sah, räume ich ihm gerne den Vorrang ein.“

Lederstrumpf erhob seinen Kopf, lachte wieder und sagte, plötzlich seine runzlichte Hand ausstreckend:

„Ihr seyd noch jung, Billy, und habt nicht mitgemacht, was ich mitgemacht habe; aber da ist meine Hand — ich trage Euch keinen Groll nach.“

Herr Lippet ließ diesen versöhnlichen Verkehr geschehen und schwieg klüglicher Weise, während der Geist des Friedens solchergestalt seinen Einfluß über die Beiden übte — aber der Richter machte sein Ansehen geltend.

„Dieß ist ein ungeeigneter Platz für solch eine Zwiesprache,“ sagte er. „Fahrt fort, diesen Zeugen zu verhören, Herr Lippet, oder ich werde Euch zur Ordnung bieten.“

Der Anwalt fuhr auf, als ob er sich keiner Unziemlichkeit bewußt sei, und sprach weiter —

„Ihr habt also die Sache mit Natty ganz freundschaftlich an Ort und Stelle ausgeglichen, nicht wahr?“

„Er gab mir die Haut — und was sollte ich mich weiter mit dem alten Mann in Händel einlassen? — Ich für meinen Theil sehe darin nichts so Arges, wenn man einen Bock schießt.“

„Und Ihr schiedet als Freunde? Und Ihr würdet nie daran gedacht haben, die Angelegenheit vor den Gerichtshof zu bringen, wenn Ihr nicht vorgefordert worden wäret?“

„Ich glaube nicht, daß ich's gethan hätte; er gab mir die Haut und ich hatte nichts gegen den Alten, obgleich Squire Doolittle ein wenig schimpfirt wurde.“

„Ich bin fertig, Sir,“ sagte Herr Lippet, der wahrscheinlich auf den Beistand des Richters baute, als er sich mit der Miene eines Mannes, der seines Erfolges gewiß ist, niedersetzte.

Nun erhob sich Herr Van der School abermals, um die Geschworenen folgendermaßen anzureden —

„Meine Herrn Geschworenen, ich hätte eigentlich das Verhör, welches der Anwalt des Gefangenen führte (da derselbe Fragen stellte, welche dem Verhörten die Worte in den Mund legten), unterbrechen sollen, wenn ich nicht die feste Ueberzeugung hegte, daß das Gesetz des Landes über was immer für einen Vortheil (ich meine gesetzlichen Vortheil), der sich durch List erringen läßt, erhaben ist. Der Beistand des Gefangenen, meine Herrn, hat sich die Mühe gegeben, Euch (im Gegensatz zu Eurem eigenen gesunden Menschenverstand) zu dem Glauben zu bereden, daß das Richten einer Büchse auf einen Constable (mag er nun ein permanenter oder jeweiliger seyn) eine ganz unschuldige Sache sey, und daß die Gesellschaft (ich meine das Gesammtwohl, meine Herrn) nicht im Mindesten dadurch gefährdet werde. Mögt Ihr mir aber Eure Aufmerksamkeit leihen, während wir die Einzelnheiten dieses hochgefährlichen Verbrechens betrachten.“

Hier begünstigte Herr Van der School die Jury mit einem Auszug aus dem Zeugenbericht, den er in einer Weise vorbrachte, welche geeignet war, die geistigen Fähigkeiten seiner Zuhörer in eine gänzliche Verwirrung zu bringen. Nach dieser Auseinandersetzung schloß er, wie folgt:

„Und nun meine Herrn, nachdem ich klar dargethan habe, welch eines schweren Vergehens dieser unglückliche Mann sich schuldig gemacht hat (unglücklich, sowohl in Anbetracht seiner Unwissenheit als seiner Schuld), überlasse ich die Sache Eurer eigenen Gewissenhaftigkeit — nicht im Mindesten zweifelnd, daß Ihr die Wichtigkeit (trotz dem, daß der Anwalt des Gefangenen [ohne Zweifel sich verlassend auf Euer früheres Verdict] so zuversichtlich einem günstigen Ausgang entgegen zu sehen scheint) der Bestrafung des Verbrechers einsehen und die Würde des Gesetzes wahren werdet.“

Die Reihe kam jetzt an den Richter, sich seiner Obliegenheit zu entledigen. Sie bestand in einer kurzen, verständlichen Zusammenfassung der Zeugenaussagen, wobei er auf den Kunstgriff, welchen sich der Anwalt des Gefangenen erlaubt, aufmerksam machte, und die Thatsachen in ein so augenfälliges Licht stellte, daß nicht wohl mehr ein Mißverständniß statt finden konnte.

„Wir leben, meine Herrn,“ schloß er, „an den Grenzen des gesellschaftlichen Verbands, und es wird daher doppelt nothwendig, die Diener des Gesetzes zu unterstützen. Wenn Ihr den Zeugen, wie sie die Handlung des Gefangenen darstellten, Glauben beimeßt, so ist es Eure Pflicht, das Schuldig über ihn auszusprechen; wenn Ihr aber der Ansicht seyd, daß der alte Mann, der heute vor Euch erscheint, dem Constable kein Leides zu thun gedachte, sondern mehr unter dem Einflusse der Gewohnheit, als von einem bösen Willen geleitet, handelte, so ist es zwar auch Eures Amtes, über ihn zu richten, aber es mit Milde zu thun.“

Wie früher verließ die Jury ihre Loge nicht, sondern nach einer kurzen Berathung stand der Obmann abermals auf und erklärte, der Gefangene sei „schuldig.“

Dieser Ausspruch erregte nur wenig Ueberraschung in dem Gerichtssaale, da die Zeugenaussagen, die wir großentheils übergangen haben, zu klar und bestimmt waren, um nicht volle Beachtung zu verdienen. Die Richter schienen eine solche Wendung vorausgesehen zu haben, denn auch unter ihnen fand — gleichzeitig mit der der Jury — eine Berathung statt, und die vorangehenden Bewegungen auf der Gerichtsbank verkündigten die Publication des Urtheils.

„Nathanael Bumppo,“ begann der Richter, indem er nach Nennung des Namens die übliche Pause eintreten ließ.

Der alte Jäger, der bisher, den Kopf auf die Schranke gelehnt, dagesessen, erhob sich jetzt und erwiederte alsbald in militärischem Tone —

„Hier!“

Der Richter winkte mit der Hand zum Schweigen, und fuhr fort —

„Bei Fällung des Urtheils hat sich der Gerichtshof eben so sehr durch die Rücksicht auf Eure Gesetzesunkenntniß, als durch die dringende Ueberzeugung leiten lassen, wie wichtig es sei, ein Verbrechen, wie Ihr Euch desselben schuldig gemacht habt, zu bestrafen. Er hat Euch daher, in Anbetracht Eurer Jahre, die gesetzliche Strafe des Auspeitschens auf dem bloßen Rücken in Gnaden erlassen; da aber die Würde des Gesetzes eine offene Zurschaustellung der Folgen Eures Verbrechens fordert, so ist verordnet worden, daß Ihr von diesem Zimmer aus nach dem öffentlichen Stock geführt und daselbst auf eine Stunde eingesperrt werden sollt; daß Ihr eine Strafe von hundert Dollars bezahlt, daß Ihr in dem Gefängniß des Bezirks eine dreißigtägige Haft zu erstehen habt; und daß ferner die Zeit Eurer Haft nicht früher erloschen sein solle, bis die besagte Strafe bezahlt ist. Ich halte mich daher für verpflichtet, Nathanael Bnmppo — —“

„Und wo sollte ich das Geld hernehmen?“ fiel ihm Lederstrumpf hastig in's Wort; „wo soll ich das Geld hernehmen? Ihr zieht das Schußgeld für die Panther zurück, weil ich einem Hirsch den Hals abgeschnitten; und wie soll ein alter Mann so viel Gold oder Silber in den Wäldern finden? Nein, nein, Richter; bedenken Sie sich eines Bessern und reden Sie nicht davon, mich für den kurzen Rest meines Lebens in ein Gefängniß einzusperren.“

„Wenn Ihr etwas gegen den Urtheilspruch vorzubringen habt, so wird Euch der Gerichtshof anhören,“ versetzte der Richter mit Milde.

„Ich habe genug dagegen vorzubringen,“ rief Natty, während seine Finger, convulsivisch zuckend, in die Schranken griffen. „Wo soll ich Geld hernehmen? Laßt mich in die Wälder und auf die Berge, deren reine Luft ich zu athmen gewohnt bin, und trotz meiner siebenzig Jahre will ich mich Tag und Nacht abmühen, bis ich die Summe abbezahlt habe, ehe noch der Herbst vorüber ist, wenn Ihr anders noch genug Wild übrig gelassen habt. Ja, ja, — Ihr seyd wohl vernünftig genug, um einzusehen, wie schändlich es wäre, einen alten Mann einzusperren, der seine Tage dort zugebracht hat, wo er, so zu sagen, immer in die Fenster des Himmels sehen konnte."

„Ich muß mich durch das Gesetz leiten lassen — —“

„Reden Sie mir nicht von dem Gesetz, Marmaduke Temple,“ unterbrach ihn der Jäger. „Kümmerte sich das Thier des Waldes auch um Euere Gesetze, als es nach dem Blute Ihres eigenen Kindes hungerte und dürstete? Sie knieete vor ihrem Gott um eine größere Gunst, als ich jetzt erbitte, und er erhörte sie; und wenn Sie jetzt zu meinem Flehen nein sagen, glauben Sie. Er werde es nicht mit anhören?“

„Meine persönlichen Gefühle dürfen nichts gemein haben mit — —“

„Hören Sie mich, Marmaduke Temple,“ fiel ihm der alte Mann mit wehmüthigem Ernst in's Wort, „und Sie hören die Stimme der Vernunft. Ich habe diese Berge durchwandert, als Sie noch nicht Richter, sondern ein Kind in den Armen Ihrer Mutter waren; und ich fühle es, daß ich ein Recht habe, sie wieder zu durchstreifen, ehe ich sterbe. Haben Sie der Zeit vergessen, als Sie an das Seeufer kamen, wo noch kein Gefängniß da war, um ehrliche Leute hineinzusperren? und habe ich Ihnen nicht meine eigene Bärenhaut zum Kissen überlassen und mit dem besten Stücke eines edlen Bocks Ihren Hunger gestillt? Ja, ja, damals hielten Sie es für keine Sünde, einen Hirsch zu tödten! Ich that dieß, obgleich ich keinen Grund hatte, Sie zu lieben, denn Sie haben denen, die mich liebten und schützten, nur Leides angethan. Und nun wollen Sie mir meine Freundlichkeit damit bezahlen, daß Sie mich in Ihre Kerker schließen? Hundert Dollars! woher sollte ich das Geld nehmen? Nein, nein, man sagt Ihnen wohl Schlimmes nach, Marmaduke Temple, aber Sie können nicht so schlecht sein, um zu wünschen, daß ein alter Mann im Gefängniß sterbe, weil er sich um sein Recht wehrte. Kommt, guter Freund, laßt mich gehen; ich bin lange genug unter diesem Gedränge gewesen und sehne mich wieder nach den Wäldern. Sie haben nichts von mir zu besorgen. Richter — gewiß, Sie haben nichts von mir zu besorgen; denn so lange es noch Biber genug an den Strömen gibt, oder die Hirschhaut noch einen Schilling gilt, soll die Strafe bis auf den letzten Penny bezahlt werden. Wo seyd Ihr, Jungen, kommt, kommt, meine Hunde! Wir haben eine saure Arbeit für unsere Jahre; aber sie soll gethan werden ja, ja, ich habe es versprochen, und so soll es geschehen!“

Es ist unnöthig, zu sagen, daß Lederstrumpfs Bewegung sogleich durch den Constable gehemmt wurde; aber ehe er noch Zeit hatte, zu sprechen, zog ein lebhaftes Geräusch und ein lautes „Hem!“ aller Augen an das Ende des Gemaches.

Es war Benjamin gelungen, sich einen Weg durch die Volksmassen zu bohren, und man sah ihn jetzt seinen kurzen Körper mit einem Fuße in einem Fenster und mit dem andern auf der Geschworenenloge balanciren. Zum Erstaunen des Gerichtshofes schickte sich der Hausmeister augenscheinlich an, zu sprechen. Nach einigen vergeblichen Anstrengungen brachte er aus seiner Tasche einen kleinen Beutel zum Vorschein, und nun erst fand er Laute.

„Wenn es Euer Gnaden genehm ist,“ begann er. „dem armen Teufel einen neuen Kreuzzug gegen die Bestien zu gestatten, so ist hier eine Kleinigkeit, welche die Gefahr desselben ein bischen vermindern wird, denn es sind gerade fünfunddreißig spanische Thaler darin; und ich wünschte aus dem Grunde meines Herzens, um des alten Knaben willen, daß es ächte und gerechte britische Guineen wären. Das ist aber leider nicht der Fall, und wenn Squire Dickens so gut sein will, dieses Stückchen Rechenholz zu überzählen und so viel aus dem Beutel zu nehmen, als zur Tilgung der Striche erforderlich ist, so mag er den Rest aufbewahren, bis Lederstrumpf mit besagten Bibern handgemein wird, oder meinetwegen auch für immer — er braucht mir keinen Dank dafür zu sagen.“

Nach diesen Worten streckte Benjamin mit der einen Hand das Kerbholz hinaus, auf dem sein Schuldregister im kühnen Dragoner verzeichnet war, während er mit der andern seinen Beutel mit Dollars anbot. Das Erstaunen über diese sonderbare Unterbrechung veranlaßte ein tiefes Schweigen in dem Zimmer, welches nur durch den Sheriff unterbrochen wurde, der mit seinem Schwerte auf den Tisch schlug und rief:

„Stille!“

„Man muß der Sache ein Ende machen,“ warf der Richter ein, der seine Gefühle zu bezwingen suchte. „Constable, führt den Gefangenen nach dem Stock. Secretair, an was kömmt jetzt die Reihe?“

Natty schien sich in sein Geschick zu fügen, denn er senkte den Kopf auf die Brust und folgte dem Constable schweigend aus dem Gerichtssaale. Die Zuschauer machten dem Gefangenen Platz, und sobald man ihn die äußere Thüre verlassen sah, stürmte das Volk nach, um die Schmach des alten Jägers mit auzusehen.


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