Ich verstumme,
Wart Ihr der Doctor, und ich kannt' Euch nicht?
Shakespeare.
Während der fünf oder sechs Minuten, welche zwischen dem Wiedererscheinen des Jünglings und des Majors verflossen, hatten der Richter Temple, der Sheriff und die meisten der Freiwilligen die Terrasse erstiegen, wo die Letzteren sich in Vermuthungen über das, was jetzt kommen möchte, ergingen und die verschiedenen Dienste, die sie im Kampfe geleistet, zu erzählen begannen. Aber die Rückkehr der Friedensstifter aus der Höhle schloß Jedem den Mund. Sie brachten auf einem rohen, mit ungegerbten Hirschhäuten bedeckten Stuhle die Gestalt eines Greisen zum Vorschein, welchen sie sorgfältig und achtungsvoll in der Versammlung niedersetzten. Sein Haupt war von langen, weichen, silberweißen Locken bedeckt. Der ungemein saubere und reinliche Anzug bestand aus Stoffen, wie sie ur die vermöglichsten Classen zu tragen pflegten,
obgleich er jetzt abgetragen und geflickt war, und seine Füße stacken in einem Paar Mocassins, so schön, als sie nur der indianische Kunstfleiß zu schaffen vermochte. Die Züge seines Antlitzes waren ernst und würdevoll, obgleich das ausdruckslose Auge, welches sich der Reihe nach die umherstehenden Gesichter betrachtete, nur zu deutlich bekundete, die Periode sei angekommen, wo das Alter die geistigen Schwächen der Kindheit wiederbringt.
Natty folgte den Trägern dieser unerwarteten Erscheinung, lehnte sich, in Mitten seiner Verfolger und etwas hinter dem Stihle, auf seine Büchse und legte dabei eine Furchtlosigkeit an den Tag, welche zeigte, daß jetzt wichtigere Interessen, als die ihn selbst berührenden, zur Entscheidung kommen sollten. Major Hartmann stand mit unbedecktem Haupte an der Seite des alten Mannes, und in seinen Augen, die sonst nur von Fröhlichkeit und Heiterkeit strahlten, sprach sich jetzt die ganze Seele des Veteranen aus. Edwards ließ die eine Hand mit zärtlicher Vertraulichkeit auf dem Stuhl ruhen, währen sein Herz von Bewegungen schwoll, die er nicht auszusprechen vermochte.
Die gespannteste Erwartung herrschte in der Mitte der stummen Zuschauer. Endlich versuchte es der abgelebte Fremde, nachdem er die Anwesenden mit leeren Blicken betrachtet, von seinem Sitze aufzustehen, und ein schwaches Lächeln — der Ausdruck der Höflichkeit — flog über seine verfallenen Züge, als er mit hohler, bebender Stimme sprach —
„Ist es gefällig, Platz zu nehmen, meine Herren? Der Kriegsrath wird sogleich beginnen. Jeder, der den guten und tugendhaften König liebt, wünscht, daß diese Colonieen ihre Treue bewahrten. Setzen sie sich, setzen Sie sich — ich bitte, meine Herrn. Die Truppen brauchen für heute nicht weiter zu marschiren.“
„Das ist das Irrereden des Wahnsinns,“ sagte Marmaduke. „Wer erklärt uns diese Scene?“
„nicht doch, Sir,“ entgegnete Edwards mit Festigkeit; „es ist nur die Hinfälligkeit der Natur, und uns bleibt allein noch übrig, zu zeigen, wer für diesen bedauernswürdigen Zustand verantwortlich ist.“
„Wollen die Herren mit uns speisen, mein Sohn?“ fragte der alte Fremde, indem er sich der Stimme zuwandte, die er kannte und liebte. „Laß ein geeignetes Mahl für die Officiere Seiner Majestät bereiten, Du weißst, es steht uns immer das beste Wildpret zu Gebot.“
„Wer ist dieser Mann?“ fragte Marmaduke hastig, denn mit dem Antheile, welchen er an dem Auftritte nahm, schien sich eine Ahnung der Wahrheit zu verbinden.
„Dieser Mann?“ erwiederte Edwards ruhig, obgleich sich seine Stimme im Verlauf der Rede steigerte; „dieser Mann, Sir, den Sie in Höhlen versteckt und alles dessen beraubt sehen, was das Leben wünschenswerth machen kann, war einst der Gefährte und Rathgeber derjenigen, welche dieses Land beherrschten. Der Mann, den Sie hier schwach und hilflos sehen, war einst ein so braver und furchtloser Krieger, daß selbst die unerschrockenen Eingeborenen ihm den Namen des Feueressers gaben. Der Mann, den Sie hier obdachlos sehen, war einst der Besitzer großer Reichthümer — ja, Richter Temple, und noch dazu der rechtmäßige Eigenthümer des Bodens, auf dem wir stehen. Dieser Mann war der Vater von —“
„So ist er also“ — rief Marmaduke in heftiger Bewegung — „so ist er also der verloren geglaubte Major Effingham?“
„Ja wohl verloren,“ entgegnete der Jüngling, einen durchbohrenden Blick auf den Richter heftend.
„Und Sie? und Sie?“ fuhr der Richter kaum verständlich fort.
„Ich bin sein Enkel.“
Eine tiefe Pause erfolgte. Aller Augen hafteten an den Sprechern, und selbst der alte Deutsche schien den Ausgang in höchster Spannung abzuwarten. Aber der Augenblick der Erregung war bald vorüber. Marmaduke erhob sein Haupt, das — nicht aus Scham, sondern in demüthigem Danke — auf die Brust gesunken war, und große Thränen fielen über sein schönes Gesicht, während er die Hand des Jünglings mit vieler Wärme ergriff und sprach —
„Oliver, ich vergebe Dir all Deine Härte — all Deinen Argwohn. Ich vergebe Dir alles, nur nicht, daß Du diesen Greis an einem solchen Orte weilen ließest, während nicht bloß meine Wohnung, sondern mein ganzes Vermögen Dir und ihm zu Gebote gestanden wären.“ '
„Er ist treu wie Stahl!“ rief Major Hartmann. „Hab' ich's Dir nicht gesagt, Junge, daß Marmaduke Temple keiner von Denen sey, die einen Freund zur Zeit der Noth verlassen?“
„Es ist wahr, Richter Temple, daß meine Ansichten über Sie durch das, was mir dieser würdige Mann erzählt hat, zum Wanken gebracht worden sind. Da es mir unmöglich war, meinen Großvater dahin zurück zu bringen, woher ihn die Liebe dieses alten Mannes geführt hat, ohne eine Entdeckung befürchten zu müssen, so begab ich mich an den Mohawk, um einen seiner früheren Kameraden aufzusuchen, auf dessen Gerechtigkeitssinn ich vertraute. Er ist Ihr Freund, Richter Temple; wenn aber das, was er sagt, wahr ist, so haben mein Vater und ich Sie zu hart beurtheilt.“
„Sie nennen Ihren Vater?“ entgegnete Marmaduke gefühlvoll. „Ist er wirklich mit dem Packetboot verunglückt?“
„Ja, Er hatte mich nach mehrjährigen, fruchtlosen Bewerbungen und in beziehungsweiser Armuth, in Neuschottland zurückgelassen, — um sich eine Entschädigung für seine Verluste auszuwirken, die endlich auch von der britischen Krone bewilligt wurde. Nachdem er ein Jahr in England verbracht, kehrte er auf seinem Wege nach Westindien, wo er eine Statthalterstelle übernehmen sollte, nach Halifax zurück, um den Ort aufzusuchen, wo mein Großvater seit dem Kriege geweilt hatte — um uns Beide mit sich zu nehmen.“
„Aber Du?“ versetzte Marmaduke mit warmer Theilnahme. „Ich glaubte, Du wärest mit ihm umgekommen.“
Der junge Mann erröthete, als er der verwunderten Gesichter der Umstehenden gewahr wurde, gab jedoch keine Antwort. Marmaduke wandte sich jetzt an Capitän Hollister, der sich eben wieder seiner Mannschaft angeschlossen hatte und sprach —
„Führe Deine Soldaten wieder zurück und entlasse sie. Der Eifer des Sheriffs hat ihn über die Grenzen seiner amtlichen Wirksamkeit hinaus geführt. Doctor Todd, ich werde es Euch Dank wissen, wenn Ihr nach der Beschädigung seht, welche Hiram Doolittle bei dieser unangenehmen Geschichte davon getragen hat. Richard, Du wirst mich verbinden, wenn Du den Wagen heraufschickst. Benjamin, Ihr kehrt zu Eurem Dienst in meiner Familie zurück.“
So ungelegen auch diese Befehle den meisten Anwesenden kamen, so bewirkte doch die Besorgniß, den heilsamen Zwang des Gesetzes zu weit getrieben zu haben, und die gewohnte Achtung vor den Geboten des Richters schleunigen Gehorsam. Als sie sich entfernt hatten und der Fels nur noch im Besitz Derjenigen war, für welche die Entwicklung der Sache einen besondern Werth hatte, deutete Marmaduke auf den alten Major Effingham und sagte zu dessen Enkel —
„Wäre es nicht besser, Deinen Großvater dem Luftzuge zu entnehmen, bis mein Wagen ankömmt?“
„Verzeihung, Sir; die Luft thut ihm gut, und er hat sich stets an ihr gelabt, so oft keine Entdeckung zu besorgen war, Ich weiß nicht, wie ich mich zu benehmen habe, Richter Temple; darf ich — kann ich zugeben, daß der Major Effingham in Ihr Haus ziehe?“
„Das magst Du selbst beurtheilen,“ entgegnete Marmaduke. „Dein Vater war mein Jugendfreund. Er vertraute mir sein Vermögen an. Als wir uns trennten, setzte er eine so große Zuversicht in mich, daß er weder Empfangschein noch sonstige Sicherheit von mir nehmen wollte, selbst wenn ich Zeit oder Gelegenheit gehabt hätte, letztere zu leisten. — Du mußst hievon wohl gehört haben?“
„Allerdings. Sir,“ versetzte Edwards, oder vielmehr Effingham, wie wir ihn jetzt nennen müssen.
„Wir hatten verschiedene politische Ansichten. Siegte die Sache Amerikas, so wußte Niemand von unserer Uebereinkunft, und Deines Vaters Vertrauen war mir heilig; blieb aber die Herrschaft der Krone bestehen, so mußte es ein Leichtes seyn, einem so loyalen Unterthanen, als Obrist Effingham war, sein Eigenthum zurückzustatten. — Ist dies nicht klar?“
„Die Einleitung ist gut, Sir,“ entgegnete der Jüngling mit demselben ungläubigen Blicke wie früher.
„Höre ihn vollends an, höre ihn vollends an, junger Mensch,“ sagte der Deutsche. „Es ist kein Haar auf dem Kopfe des Richters, das es nicht ehrlich meinte.“
„Wir alle kennen den Ausgang des Kampfes,“ fuhr Marmaduke fort, ohne die Worte der Beiden zu beachten. „Dein Großvater blieb in Connecticut, wo ihn Dein Vater mit den Mitteln versah, die für einen anständigen Unterhalt nöthig waren. Ich weiß dies, obgleich ich selbst in unsern glücklichsten Tagen nie einen Verkehr mit ihm hatte. Dein Vater zog mit den Truppen ab, um seine Ansprüche an die Krone zu verfolgen. Jedenfalls muß sein Verlust groß gewesen seyn, denn seine Liegenschaften fielen dem Fiscus anheim, und ich wurde ihr gesetzlicher Käufer. War es etwa ein unnatürlicher Wunsch, daß der rechtmäßigen Wiedererwerbung derselben von seiner Seite kein Hinderniß im Wege stehen möchte?“
„Es war überhaupt keines vorhanden, als die Schwierigkeit, für so viele Ansprüche zu sorgen.“
„Aber ein unüberwindlicher Riegel wäre vorgeschoben worden, wenn ich der Welt verkündigt hätte, daß ich diesen Grundbesitz, welcher durch die Zeit und meinen Fleiß um das Hundertfache in seinem Werth gestiegen ist, nur als ein mir anvertrautes Gut betrachte. Es kann Dir nicht fremd seyn, daß ich Deinen Vater unmittelbar nach dem Kriege mit beträchtlichen Summen versah.“
„Das thaten Sie bis — —“
„Meine Briefe unerbrochen zurückkamen. Dein Vater hatte viel von Deinem Charakter, Oliver. Er war bisweilen ungestüm und vorschnell.“ Der Richter fuhr jetzt in dem Tone der Selbstrüge fort. „Vielleicht liegt der Fehler an mir, der ich zu viel rechnete und zu weit in die Zukunft blickte. Es war gewiß eine herbe Prüfung für mich, den Mann, den ich am meisten liebte, sieben Jahre übel von mir denken zu lassen, um mir seiner Zeit eine ehrliche Rückerstattung möglich zu machen. Hätte er übrigens meine letzten Briefe geöffnet, so würdest Du die ganze Wahrheit erfahren haben. Diejenigen, welche ich nach England schickte, hat er, wie mir mein Agent mittheilt, gelesen. Er hat vor seinem Tode noch Alles erfahren und ist als mein Freund gestorben; ich glaubte jedoch. Dich habe ein gleich trauriges Verhängniß ereilt.“
„Unsere Armuth gestattete uns nicht, die Ueberfahrt für zwei Personen zu bezahlen,“ versetzte der Jüngling mit jener ungewöhnlichen Bewegung, die er immer an den Tag legte, so oft er den herabgekommenen Zustand seiner Familie berühren mußte. „Ich blieb in der Provinz, um seine Rückkehr zu erwarten, und als die traurige Nachricht, daß er mir für immer entrissen sey, an mich gelangte, war ich fast von allen Geldmitteln entblößt.“
„Und wie brachtest Du Dich fort, Junge?“ fragte Marmaduke mit bebender Stimme.
„Ich lenkte meinen Wanderstab hieher, um meinen Großvater aufzusuchen, denn ich wußte, daß mit dem halben Solde meines Vaters auch seine Hülfsquellen versiegt waren. Als ich seine Wohnung aufsuchte, erfuhr ich, daß er sie heimlich verlassen hatte, obgleich mir der Miethling, der um dieser Armuth willen aus seinen Diensten getreten war, auf mein dringendes Flehen bedeutete, er glaube, ein alter Mann, der früher sein Diener gewesen, habe ihn mit sich fort genommen. Das konnte niemand Anders als Natty gewesen seyn, denn mein Vater hat oft — —“
„War Natty ein Diener Deines Großvaters?“ rief der Richter.
„Wie? und das wußten Sie nicht?“ entgegnete der Jüngling in augenscheinlicher Ueberraschung.
„Wie hätte ich es wissen sollen? ich traf nie mit dem Major zusammen, und auch Bumppo's Name wurde nie in meiner Gegenwart erwähnt. Ich kannte ihn nur als einen Jäger, der in den Wäldern lebte. Solche Leute kommen einem zu oft vor, als daß sie größere Aufmerksamkeit erregen sollten.“
„Er wurde in der Familie meines Großvaters erzogen, diente ihm viele Jahre in seinen Feldzügen im Westen, wo er eine Vorliebe für die Wälder faßte, und blieb dann hier als eine Art von locum tenens in dem Lande, welches aus Veranlassung des alten Mohegans meinem Großvater, weil er demselben einmal das Leben gerettet, von den Delawaren überlassen worden war. Letztere hatten ihn auch als Ehrenmitglied ihrem Stamme zugezählt.“
„Daher rührt also Dein indianisches Blut?“
„Nicht anders,“ erwiederte Edwards lächelnd, „Major Effingham wurde von Mohegan, welcher damals der größte Mann seiner Nation war, an Sohnesstatt angenommen, und mein Vater, welcher diese Leute einmal in seiner Jugend besuchte, erhielt von ihnen den Namen des Adlers — um der Form seines Gesichtes willen, wie ich mir sagen ließ. Sie haben seinen Titel auch auf mich ausgedehnt. Ich habe keine anderen indianischen Ahnen, obgleich es in meinem Leben Stunden gegeben hat, Richter Temple, wo ich wünschte, meine Abstammung und Erziehung diesem Volke zu verdanken.“
„Fahre weiter in Deiner Erzählung,“ sagte Marmaduke.
„Ich habe nicht mehr viel mitzutheilen, Sir. Ich verfügte mich nach dem See, wo Natty, wie ich oft gehört hatte, wohnte, und fand, daß dieser im Geheim für seinen alten Herrn Sorge trug; denn nicht einmal er konnte es ertragen, einen Mann, auf den ehedem ein ganzes Volk mit Achtung geblickt, der Welt in seiner Armuth und Geistesschwäche zu zeigen.“
„Und was begannst Du?“
„Ich? Je nun, ich gab mein letztes Geld aus, um eine Büchse zu kaufen, hüllte mich in ein grobes Gewand und bildete mich an Lederstrumpfs Seite zum Jäger. Das Uebrige ist Ihnen bekannt, Richter Temple.“
„Und warum wollte man nichts von dem alten Fritz Hartmann?“ sprach der Deutsche vorwurfsvoll. „Hast Du nie den Namen des alten Fritz Hartmann aus dem Munde Deines Vaters gehört, Junge? “
„Ich mag wohl Uurecht gethan haben, meine Herrn,“ entgegnete der Jüngling; „ aber ich besaß zu viel Stolz, um unser Unglück zur Schau zu stellen, das auch an dem heutigen Tage gegen meinen Willen an's Licht gefördert wurde. Ich hatte Pläne, die vielleicht träumerisch waren; ich gedachte aber immer, meinen Großvater, wenn er den Herbst erleben sollte, nach New-York mitzunehmen, wo noch einige entfernte Verwandte leben, die wohl im Laufe der Zeit vergessen haben müssen, daß er Tory war. Aber er schwindet rasch dahin,“ fuhr er wehmüthig fort, „und wird bald an der Seite des alten Mohegan ausruhen.“
Die Luft war rein, der Tag schön, und so blieb die Gesellschaft auf dem Felsen, bis man die Räder von Richter Temples Wagen an der Seite des Berges herauf rasseln hörte. Die Unterhaltung wurde in der Zwischenzeit mit lebhaftem Interesse fortgeführt, und jeder Augenblick warf auf irgend eine zweideutige Handlung ein günstigeres Licht, so daß der Widerwille des Jünglings gegen Marmaduke sichtlich schwächer wurde. Er hatte nicht länger etwas gegen die Entfernung seines Großvaters einzuwenden, der eine kindische Freude an den Tag legte, als er sich wieder einmal in einem Wagen sitzen sah. In der weiten Halle des Herrnhauses angelangt, ließ der Greis seine Augen langsam über die Ausstattung des Raumes hingleiten und durch das peinliche Irrereden, worin er den Umstehenden ohne Unterlaß irgend eine nutzlose Höflichkeit anbot, schien für Momente ein und der andere Lichtblick des Geistes seine Züge zu überfliegen. Die Anstrengung und die Veränderung seiner Lage hatten bald eine solche Erschöpfung zur Folge, daß man ihn zu Bette bringen mußte, wo er viele Stunden liegen blieb, zwar erfreut über die neue Bequemlichkeit, die sich ihm jetzt darbot, aber auch ein schmerzliches Bild der menschlichen Natur, in welchem sich deutlich aussprach, daß die thierischen Neigungen fortwähren, selbst wenn der edlere Theil unseres Wesens entschwunden ist.
Effingham verließ seinen Großvater nicht, bis derselbe zur Ruhe gebracht war, worauf Natty an seiner Seite Platz nahm. Dann erst entsprach er den Aufforderungen des Richters, ihm in das Bibliothekzimmer zu folgen, wo der Letztere nebst Major Hartmann seiner harrte.
„Lies dieses Papier, Oliver,“ begann Mrmaduke, als der Jüngling eingetreten war, „und du wirst finden, daß es mir nicht entfernt zu Sinne kam. Deiner Familie bei meinen Lebzeiten Unrecht zu thun, der ich mir's im Gegentheil zur Aufgabe machte, Sorge zu tragen, daß ihr auch nach meinem Tode noch Gerechtigkeit widerfahre.“
Der Jüngling nahm das Blatt, und der erste Blick sagte ihm, daß es das Testament des Richters sey. Trotz seiner Aufregung entgieng es ihm doch nicht, daß das Datum genau mit der Zeit zusammentraf, da er an Marmaduke jene ungewöhnliche Gemüthsbeschwerung wahrgenommen hatte. Während des Lesens begannen seine Augen feucht zu werden, und die Hand, welche das Document hielt, zitterte heftig.
Das Testament begann mit den gewöhnlichen Förmichkeiten, die durch den Scharfsinn des Herrn Van der School noch weitläufig ausgesponnen waren; nach der Einleitung ließ sich jedoch Marmaduke's Styl nicht verkennen. Er berichtete in klarer, bestimmter, männlicher und sogar beredter Sprache seine Verbindlichkeiten gegen den Obersten Effingham, die Natur ihrer Verbindung und die Umstände, durch welche sie getrennt worden. Er ging sodann auf die Gründe seines langen Schweigens über, ohne dabei der großen Summen zu vergessen, die er seinem Freunde zugeschickt, aber in den uneröffneten Briefen wieder zurück erhalten hatte. Ferner sprach er von seinen Bemühungen, den Großvater, der auf eine räthselhafte Weise verschwunden, aufzusuchen, und von seinen Besorgnissen, der nächste Erbe der ihm anvertrauten Güter möchte mit seinem Vater in den Wellen des Oceans umgekommen seyn.
Nach einer kurzen, deutlichen Nebeneinanderstellung der Ereignisse, deren Zusammenhang der Leser jetzt herausfinden wird, waren die Summen aufgeführt, welche Obrist Effingham seinem Freunde anvertraut hatte. Dann kam eine Theilung von Marmaduke's ganzem Besitzthum in zwei gleiche Hälften, deren Vollzug an bestimmte verantwortliche Curatoren verwiesen war. Vermöge derselben sollte der eine Theil an seine Tochter, der andere an Oliver Effingham, früher Major in der brittischen Armee, seinen Sohn Eduard Effingham und den Sohn dieses Letzteren oder deren Nachkommen fallen. Dieses Testament sollte bis 1810 in Kraft bleiben: wenn in dieser Frist Niemand erschien oder, nach hinreichender Veröffentlichung, aufgefunden werden könnte, um genannte Hälfte in rechtmäßigen Anspruch zu nehmen, so sollte eine gewisse Summe im Betrag der Capital- und Zinsenschuld an den gesetzlichen Erben der Effingham'schen Familie ausbezahlt werden, und die Gesammtmasse des Grundbesitzes seiner Tochter oder ihren Erben verbleiben.
Thränen entfielen den Augen des jungen Mannes, während er dieses unzweifelhafte Zeugniß von Marmaduke's Redlichkeit las, und sein wirrer Blick haftete noch immer auf dem Papiere, als eine Stimme, bei deren Tönen ihm jeder Nerv bebte, in seiner Nähe sprach:
„Zweiseln Sie noch immer an uns, Oliver?“
„An Ihnen habe ich nie gezweifelt,“ rief der Jüngling, indem er sich aufraffte und auf Elisabeth zueilte, um ihre Hand zu ergreifen. „Nein, mein Glaube an Sie hat keinen Augenblick gewankt.“
„Und mein Vater — —“
„Gottes Segen über ihn!“
„Ich danke Dir, mein Sohn,“ versetzte der Richter, indem er den warmen Händedruck des Jünglimgs erwiederte. „Wir waren jedoch beide auf einem Irrwege; Du bist zu hastig gewesen und ich war zu langsam. Die eine Hälfte meines Besitzthums ist Dein Eigenthum, sobald es auf Dich übertragen werden kann, und wenn mich meine Ahnungen nicht trügen, so vermuthe ich, daß ihr die andere wohl auch bald folgen wird.“
Er nahm die Hand, welche er noch immer festhielt, und vereinigte sie mit der seiner Tochter, worauf er dem Major nach der Thüre winkte.
„Ich will Dir was sagen, Mädel!“ sprach jetzt der alte Deutsche gut gelaunt. „Wenn ich noch wäre, was ich war, als ich mit seinem Großvater an den Seen Dienst leistete, so sollte mir der träge Hund da den Preis nicht so mir nichts dir nichts vor der Nase wegschnappen.“
„Komm, komm alter Fritz,“ sagte der Richter; „Du bist siebenzig, nicht siebzehn. Richard hat für uns in der Halle eine Bowle Eierpunsch parat.“
„Richard? Ei, der Teufel?“ rief der Andere, aus dem Zimmer eilend; „der macht seinen Punsch für die Pferde. Ich muß es dem Sheriff eigenhändig zeigen. Zum Teufel, er wäre im Stande, ihn mit Yankeesyrup zu zuckern!“
„Marmaduke lächelte, nickte dem jungen Paare freundlich zu und schloß die Thüre hinter sich; wenn indeß der geneigte Leser glaubt, daß wir, ihm zu Gefallen, sie wieder öffnen werden, so ist er im Irrthume.
Das tête-à-tête währte eine geraume Zeit; wie lange? können wir nicht sagen, denn es ist uns nur bekannt, daß es um sechs Uhr Abends durch die Ankunft Monsieur Le Quoi's unterbrochen wurde, welcher, der Uebereinkunft des vorangehenden Tages zu Folge, sich bei Miß Temple eine Audienz erbat. Er wurde vorgelassen, und trug sofort der Dame in den zierlichsten Ausdrücken die Hand an, wobei er es nicht unterließ, auf seine einflußreichen amis, seinen père, seine mère und seine Sucre-plantage aufmerksam zu machen. Elisabeth mußte wohl bereits irgend eine bindende Verpflichtung gegen Oliver eingegangen haben, denn sie lehnte das zarte Anerbieten zwar in höflichen, aber doch vielleicht in entschiedeneren Ausdrücken ab, als es gestellt worden war.
Der Franzose begab sich nun zu dem Deutschen und dem Sheriff in die Halle, wo er eingeladen wurde, an dem Tische Platz zu nehmen, und mit Beihilfe des Weins und Eierpunsches hatte man dem gefälligen Monsieur Le Quoi den Zweck seines Besuches bald entlockt. Es war augenscheinlich, daß er seinen Antrag nur als ein Compliment betrachtet hatte, welches ein Mann von Erziehung einer Dame an einem so abgelegenen Orte vor seiner Abreise gleichsam schuldig war, und daß seine Gefühle nur wenig oder gar nicht dabei in's Spiel kamen. Nach etlichen Libationen überredete das neckische Paar den heitern Franzosen, daß es eine nicht zu entschuldigende Parteilichkeit wäre, wenn er diese Höflichkeit nur der einen Dame erwiese und sie nicht auch auf die andere ausdehnte, weßhalb Monsieur Le Quoi sich auch um neun Uhr nach der Rectorei verfügte, um Miß Grant ein ähnliches Anerbieten zu machen, welches jedoch keinen besseren Erfolg als das erste hatte.
Als er um zehn Uhr nach dem Herrenhause zurückkehrte, saßen der Major und Richard noch immer an dem Tische. Sie suchten nun den Gallier, wie ihn der Sheriff nannte, zu bewegen, daß er den Versuch bei Remarkable Pettibone machen solle. Aber trotz der Weinlaune des also Bedrängten waren doch die zwei Stunden, welche die losen Vögel auf ihre Demonstrationen verwandten, verlorene Zeit, denn er lehnte ihren Rath mit einer Hartnäckigkeit ab, die für einen so höflichen Mann warhaft erstaunlich war. Als Benjamin Monsieur Le Quoi nach der Thüre leuchtete, sagte er beim Scheiden —
„Mon schür, wenn Sie neben Mistreß Prettibones beigelegt hätten, wie Squire Dickens zu bereden suchte, so müßte Sie, nch meiner Ansicht, der Teufel geritten haben, denn sehen Sie, Sie würden Mühe gehabt haben, wieder klar von ihr abzukommen. Freilich Miß 'Lizzy, und ddes Pfarrers Töchterlein sind ein paar zierliche Schifflein, die man wohl im Winde neben sich her laufen lassen kann, aber Mistreß Remarkable hat so etwas von einer Galeere an sich; wenn Sie diese einmal ins Schlepptau nehmen, so wird sie sich nicht so leicht wieder abschütteln lassen.“