Drittes Kapitel.

Was rings um ist, hat die Natur geschaffen:


Die Felsen, hebend ihre moos'gen Häupter


Gleich Schlosseszinnen einer alten Zeit!


Die stolzen Stämme, deren breite Aeste


Der Winterstürme Wuth durchschüttert!


Das eis'ge Feld, das in der Sonne Strahl


Die Weiße einer Marmorbrust verspottet!


Doch wie der Jungfrau Ruf befleckt die Schmähsucht,


Also dies Bild des Menschen Ungeschmack.

Duo.


Es verging eine Weile, ehe Marmaduke Temple sich von seiner Bestürzung soweit erholt hatte, um seinen neuen Begleiter näher betrachten zu können. Jetzt aber bemerkte er, daß derselbe ein Jüngling von ungefähr zwei oder dreiundzwanzig Jahren und etwas mehr als mittlerer Größe war. Weiter ließ sich durch den groben Mantel, welcher, gleich dem des alten Jägers, durch einen Gürtel von Wollenzeug an dem Leibe festgehalten wurde, nicht erkennen. Die Augen des Richters erhoben sich, nachdem sie einen Moment auf der ganzen Gestalt des jungen Mannes geruht hatten, prüfend zu dessen Antlitz, in dem sich, als der Fremde den Sleigh bestieg, ein Zug von Widerwillen ausgesprochen hatte, welcher nicht nur Elisabeth's Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern auch ihre geheime Neugierde nach dem Grunde derselben weckte. Am lebhaftesten erschien seine Verlegenheit, als er seinem alten Begleiter Verschwiegenheit einschärfte, und selbst, nachdem er sich entschlossen — oder vielmehr, sich hatte drängen lassen, den Reisenden nach dem Dorfe zu folgen, zeigten seine Blicke keinen besonders hohen Grad von Selbstzufriedenheit über diesen Schritt. Doch wurden die Linien seines ungewöhnlich ansprechenden Gesichts allmählig ruhig, und jetzt saß er schweigend, in tiefes Nachsinnen versenkt, da. Der Richter blickte ihn eine Weile ernst an und begann dann mit einem Lächeln, das wohl seiner Vergeßlichkeit gelten mochte:

„Ich glaube, mein junger Freund, daß der Schrecken mich Euern Namen vergessen ließ. — Euer Gesicht ist mir bekannt; aber ich kann mich Eueres Namens nicht entsinnen, und wenn ich mit dadurch ein ganzes Schock Hirschschwänze auf die Mütze verdienen könnte.“

„Ich bin erst seit drei Wochen in dieser Gegend,“ versetzte der Jüngling kalt, „und dem Vernehmen nach sind Sie wohl zweimal so lang abwesend gewesen.“

„Morgen werden's fünf Wochen. Aber doch muß ich Euer Gesicht schon gesehen haben, obgleich es mich nach dem gehabten Schrecken nicht Wunder nehmen würde, wenn Ihr mir heute Nacht im Traume vorkämet und in Leintücher gehüllt an meinem Bette auf- und abspaziertet. Was sagst Du, 'Beß? Bin ich compos mentis oder nicht? — Hältst Du mich für geeignet, in einer großen Jury den Vorsitz zu führen, oder was im gegenwärtigen Augenblicke noch dringlicher ist — diesen Abend die Weihnachtshoneurs in der Halle von Templeton zu machen?“

„Für Beides weit geeigneter, lieber Vater,“ erwiederte eine neckische Stimme aus der Umhüllung des Caputzenmantels, „als einen Hirsch mit der Vogelflinte zu erlegen.“

Es erfolgte nun eine kleine Pause, nach welcher dieselbe Stimme, jedoch mit ganz verschiedenem Accente, fortfuhr:

„Wir haben heute allen Grund, aus mehr als einer Rücksicht Gott dankbar zu seyn.“

Die Pferde hatten bald eine Stelle erreicht, wo ihnen der Instinkt zu sagen schien, daß die Reise bald ein Ende nehmen würde. Sie bissen daher in die Zügel, warfen die Köpfe in die Höhe, jagten mit dem Sleigh über den ebenen Grund auf der Höhe des Berges und gelangten rasch zu dem Punkte, wo der Weg zwar plötzlich, aber in weiten Windungen thalabwärts führte.

Der Richter wurde aus seinen Betrachtungen geweckt, als er die vier Rauchsäulen, welche über seinen eigenen Schornsteinen aufstiegen, gewahrte, und er war kaum seines Landhauses im Thal ansichtig geworden, als er seiner Tochter freudig zurief:

„Sieh', 'Beß, dort ist Dein Ruheplätzchen für's ganze Leben — und auch das Deinige, junger Mann, wenn Du bei uns wohnen willst.“

Die Augen seiner Zuhörer begegneten sich unwillkührlich; und wenn das hohe Roth, das Elisabeth's Antlitz umflog, im Widerspruche mit dem kalten Ausdrucke ihrer Augen stand, so schien nicht minder das zweideutige Lächeln, das wieder um den Mund des Fremden spielte, die Wahrscheinlichkeit von dessen Einwilligung, einen Theil des Familienkreises zu bilden, in Abrede zu ziehen. Die Scene, welche sich vor dem Auge aufthat, war übrigens großartig genug, um sogar ein weniger menschenfreundlicheres Herz, als das des alten Marmaduke Temple zu erwärmen.

Die Seite des Berges, an welcher unsere Reisenden hinunterfuhren, war — wenn auch nicht gerade senkrecht — doch steil genug, um große Sorgfalt nöthig zu machen, wenn man auf dem rauhen und engen Pfade, der sich an dem Absturze hinwand, nicht verunglücken wollte. Der Neger zügelte seine ungeduldigen Rosse, und Elisabeth erhielt dadurch Zeit, eine Landschaft näher zu betrachten, die sich unter den rührigen Händen der Menschen so schnell verwandelt hatte, daß das Mädchen nur an den allgemeinen Umrissen den Schauplatz ihrer Kinderjahre wieder erkannte dessen Bild sie sich so oft mit Entzücken vergegenwärtigt hatte. Unmittelbar unter ihnen lag eine weiße Ebene, scheinbar ununterbrochen und ganz von Bergen umschlossen. Letztere waren hauptsächlich gegen den Thalgrund hin abschüssig und mit Wald bedeckt. Lange Einschnitte in das Gebirg unterbrachen hin und wieder die Gleichförmigkeit der Umrisse, während an anderen Stellen Vorsprünge in das lange und weite Schneefeld hereinragten, welches ohne Haus, Baum oder einen sonstigen augenfälligen Gegenstand einer fleckenlosen Wolke ähnelte, die über der Erde lagerte. Nur einige dunkle bewegliche Punkte ließen sich auf der ebenen Fläche unterscheiden, die Elisabeth's scharfes Auge für eben so viele Schlitten erkannte, welche von oder nach dem Dorfe fuhren. An dem westlichen Rande des Thalgrundes war das Gebirg — obschon gleich hoch — doch weniger schroff und hatte unregelmäßige Thaleinschnitte. Terrassenbildungen und Eintiefungen, welche der Cultivirung zugänglich waren. Obgleich das Immergrün der Nadelhölzer noch auf vielen der Berge, welche auf dieser Seite des Thales in die Höhe stiegen, vorherrschend war, so boten doch die wellenförmigen Umrisse des mit Buchen- und Ahornwäldern bedeckten ferneren Gebirgs dem Auge einen angenehmen Wechsel und ließen einen milderen Boden hoffen. Hin und wieder waren mitten in den Forsten der entgegengesetzten Berge weiße Stellen zu sehen, welche durch den Rauch, der über den Spitzen der Bäume emporwirbelte, kund thaten, daß dort Menschen wohnten und der Feldbau seinen Anfang nähme. Diese Stellen, obgleich meistens nur klein und inselartig, waren doch bisweilen durch die vereinte Bemühung von Menschenhänden erweitert und zu einem Umfang gediehen, den man eine Ansiedelung zu nennen pflegt; wie denn überhaupt der Wechsel, welchen die ausdauernde Anstrengung von Menschen hervorbrachte, die sich von dem Erfolg ihres Unternehmens ihr ganzes Glück versprachen, so überraschend schnell weiter griff, daß es Elisabeth's Einbildungskraft nicht schwer wurde, sich vorzustellen, die Veränderungen, welche die kurze Frist von einigen Jahren in dem Aussehen dieses Landstriches geschaffen, nähmen unter ihren Augen zu, während sie dieselben mit stummer Verwunderung betrachtete. Die Gränzpunkte auf der Westseite dieser merkwürdigen Fläche, auf denen keine Pflanze Wurzel gefaßt hatte, waren weit größer und zahlreicher, als die im Osten, und besonders einer derselben schob sich in einer Weise vor, daß er auf jeder Seite schöne, gekrümmte Schneebuchten bildete. An seinem äußersten Ende breitete eine herrliche Eiche ihre Zweige aus, als wolle sie mit ihrer Krone eine Stelle überschatten, aus der ihre Wurzeln keine Nahrung holen durften. Sie stand frei und von dem Joche gesondert da, den ein Nachwuchs von Jahrhunderten den Aesten der benachbarten Bäume aufgelegt, und streckte ihre knorrigen Arme fantastisch hinaus in die wilde Freiheit. Nur ein dunkler Fleck — wenige Morgen im Umfang — an dem südlichen Ende dieser schönen Ebene, der unmittelbar unter den Füßen unserer Reisenden lag, zeigte durch seine gekräuselte Oberfläche und die Dünste, welche davon ausgingen, daß das, was im Anfang als ebener Grund erschienen, einer von den Bergseen in seinem Wintergewande war. Ein schmaler Strom brach an der erwähnten offenen Stelle hervor, und ließ sich meilenweit in seinem Laufe nach Süden durch den eigentlichen Thalgrund an den Schierlingstannen und Fichten, welche seine Ufer säumten, wie auch an den feuchten Dünsten erkennen, die sich von seiner wärmeren Oberfläche in die kältere Atmosphäre der Berge erhoben. Die Ufer dieses einsamen Beckens waren an dem Ausflusse des Stroms oder an seinem südlichen Ende zwar abschüssig, aber nicht hoch, und in derselben Richtung fort, so weit das Auge reichen konnte, bildete der Boden ein schmales, anmuthiges Thal, in dem die Ansiedler ihre bescheidenen Wohnungen in einer Anzahl aufgeschlagen hatten, welche am besten für die Vortrefflichkeit des Grundes und für die verhältnißmäßige Leichtigkeit des Verkehrs Zeugniß ablegte. Hart an dem Ufer des Sees und seines Dammes lag das Dorf Templeton. Es bestand im Ganzen aus ungefähr fünfzig, meist aus Holz gebauten Häusern, deren Architektur keinen besonders gewählten Geschmack verrieth, sondern im Gegentheil schon durch das unvollendete Aeußere der Wohnungen die Raschheit bekundete, womit sie aufgeführt worden waren. Dem Auge bot sich bei dieser Gelegenheit eine große Mannigfaltigkeit der Farben dar. Einige der Häuser waren vorn und hinten weiß angestrichen, andere aber trugen diese kostspielige Farbe nur an der Vorderseite, indem ihre weniger ehrgeizigen, aber sparsameren Besitzer die übrigen mit einem schmutzigen Roth übertüncht hatten. Ein Paar hatten allmählig das Nußbraune des Alters angenommen; aber die unbeworfenen Balken, die sich durch die zerbrochenen Fenster in den Gelassen des zweiten Stockes blicken ließen, bewiesen, daß entweder der Geschmack oder die Eitelkeit ihrer Eigenthümer sie zu einem Unternehmen veranlaßt hatte, welches sie nicht zu vollenden im Stande waren. Die Gruppirung des Ganzen war eine Nachäffung der Straßen einer Stadt, wobei man augenscheinlich die Anleitung eines Mannes befolgt hatte, dem es mehr um die Bedürfnisse der Nachkommen, als um die Bequemlichkeit der gegenwärtigen Generation zu thun gewesen. Drei oder vier bessere Gebäude, mit einem gleichförmigen Anstrich, waren mit grünen Fensterblenden versehen, welche, in dieser Jahreszeit wenigstens, seltsam gegen den erkältenden Anblick des Sees, der Berge, der Wälder und des weiten Schneegefilds abstachen. Vor den Thüren dieser anspruchsvolleren Wohnungen standen einige junge Bäume, die entweder zweiglos, oder doch nur mit den schwachen Schößlingen einiger Sommer — wie ebensoviele Grenadiere aussahen, die an dem Portale eines Fürstenhaus Wache stehen. In der That waren diese Gebäude auch der Sitz des Adels von Templeton, dessen König Marmaduke war. Es wohnten da einige rechtskundige junge Männer, eine gleiche Anzahl guter Krämer, die unter dem Titel von Kaufleuten für die Bedürfnisse der Gemeinde sorgten, und ein Schüler des Aesculap, der sich des seltenen Glückes erfreute, mehr Menschen in die Welt, als aus der Welt gefördert zu haben. In der Mitte dieser wunderlichen Häusergruppe erhob sich der Wohnsitz des Richters, alle seine Nachbarn bei weitem überragend und von einem mehrere Morgen haltenden eingezäunten Baumgut umgeben. Die Bäume desselben stammten noch zum Theil von den Indianern her und bildeten deßhalb in ihrer Hinfälligkeit und mit ihren moosbewachsenen Rinden einen merkwürdigen Gegensatz zu den jugendlichen Anpflanzungen, die im Dorfe fast über jeden Pfahlzaun blickten. Neben dieser Zurschaustellung von Kultur säumten zwei Reihen junger lombardischer Pappeln (einer erst neuerdings in Amerika eingeführten Baumart) die Seiten eines Fußpfads, der von der nach der Straße zu liegenden Thüre des Gutes zu der Vorderthüre des Wohnhauses führte. Das letztere war ganz unter der Leitung eines gewissen Richard Jones gebaut worden — eines Mannes, dessen wir bereits erwähnten, und der seiner Gewandtheit in den kleineren Angelegenheiten des Haushaltes, wie auch der Bereitwilligkeit, womit er seine Talente in Anspruch nehmen ließ, endlich dem Umstande, daß er Geschwisterkind von Marmaduke Temple war, das Amt der Aufsicht über die untergeordneten Zweige in seines Vetters Hauswesen verdankte. Richard sprach gerne von diesem Kinde seines erfinderischen Geistes, und meinte, es hätte wie eine Predigt seine zwei Theile, deren einen er im ersten Jahre ihres dortigen Aufenthalts in der Form eines hohen, schmalen, mit dem Giebel nach der Straße blickenden Blockhauses ausgeführt hätte. Unter diesem Obdache, denn weiter konnte man es nicht nennen, hauste die Familie an drei Jahre, nach deren Ablauf Richard mit seinem zweiten Theile zu Stande gekommen war. Er hatte bei diesem schwierigen Unterfangen die Erfahrungen eines wandernden enropäischen Zimmergesellen benützt, der ihm ein Paar besudelte architektonische Zeichnungen aus England vorgelegt und so gelehrt von Friesen, Getäfeln und zumalen von zusammengesetzten Ordnungen gesprochen hatte, daß er einen sehr ungebührlichen Einfluß über Richard's Geschmack in Allem, was zu diesem Zweige der bildenden Künste gehörte, geübt. Zwar gab sich Herr Jones den Anschein, als betrachte er Hiram Doolittle als einen bloßen Empiriker in seiner Kunst, indem er dessen Abhandlungen über Architektur nur mit einer Art nachsichtigen Lächelns Gehör schenkte; demungeachtet unterwarf er sich jedoch stets, sey es, weil er seinem Gehilfen nichts Stichhaltiges aus dem Bereich seines eigenen Wissens entgegenzustellen wußte, oder weil er den Mann im Stillen bewunderte, dessen Ansichten und Gründen. So hatten sie gemeinschaftlich nicht nur eine Wohnung für Marmaduke Temple errichtet, sondern auch den Ton für den Baustyhl der ganzen Umgegend angegeben. Herrn Doolittle's zusammengesetzte Ordnung war ein Gemisch von vielen andern und wurde bald für die nützlichste von allen gehalten, weil sie alle Veränderungen gestattete, welche durch die Gemächlichkeit oder sonstige Umstände gefordert wurden. Solchen Ansichten gab Richard natürlich seine Zustimmung; und wenn wetteifernde Genies, die sich nicht nur auf die Anerkennung, sondern auch auf das Geld ihrer Umgebung ein Monopol sichern wollen eines Sinnes sind, so sieht man sie nicht selten auch in ernsteren Dingen den Ton angeben. In dem gegenwärtigen Falle wurde das Schloß, wie man Richter Templeton's Wohnung gemeiniglich nannte, in der einen oder der andern seiner zahlreichen Vollkommenheiten ein Modell für jedes auständigere Gebäude auf zwanzig Meilen im Umkreise.

Das Haus selbst, oder der beste Theil von Richard's so betitelter Predigt, war aus Stein, groß, in's Geviert gebaut und sehr bequem — vier Erfordernisse, auf denen Marmaduke mit etwas mehr als gewöhnlicher Hartnäckigkeit bestanden hatte; alles Andere blieb gutwillig Vetter Richard und seinem Gehilfen überlassen. Die beiden Künstler fanden freilich das Material ein wenig zu fest für das Schiff und Geschirr ihrer Werkleute, das wenig an die Bearbeitung anderer Substanzen als der Weißtanne von den nahen Bergen gewöhnt war, eines Holzes, welches — wie das Sprichwort sagt so weich ist, daß es die Jäger gewöhnlich als Kopfkissen brauchen; und ohne diesen ärgerlichen Umstand hätte uns der hochstrebende Geschmack der beiden Baumeister sicherlich noch weit mehr zum Beschreiben gegeben. Da sich aber an den harten Steinmauern nichts von Verschönerungen anbringen ließ, so nahm ihr ästhetischer Sinn seine Zuflucht zu dem Portale und zu dem Dache. Das erstere sollte entschieden klassisch ausfallen und das letztere ein Musterbild der Vorzüge der zusammengesetzten Ordnung abgeben. Das Dach, räsonnirte Richard, ist ein Theil des Gebäudes, den die Alten gewöhnlich zu verbergen pflegten, weil er in der Architektonik ein Auswuchs ist, den man nur seines Nutzens wegen bestehen läßt. Außerdem, fügte er scharfsinnig bei, ist es ein Hauptverdienst für ein Gebäude, wenn es eine Front bietet, von welcher Seite aus man es auch ansehen mag. Da ferner das gegenwärtige nach allen Himmelsgegenden dem Auge zugänglich ist, so dürfen die Seiten nicht schmal seyn, um der neidischen Tadelsucht der Nachbarn keinen Stoff zu bieten. Es wurde daher entschieden, daß das Dach eine Platform und vier Façaden haben müsse. Dagegen hatte freilich Marmaduke einzuwenden, daß der Schnee, welcher die Erde nicht selten zu einer Höhe von drei bis vier Fußen bedecke und monatelang liegen bleibe, durch seine Schwere nachtheilig einwirken dürfte. Die Leichtigkeit, womit sich jedoch die zusammengesetzte Ordnung in Alles zu fügen wußte, führte zu einem Vergleich, demgemäß die Dachränder verlängert wurden, um eine Neigung hervorzubringen, mittelst der das erstarrte Element in einiger Entfernung von dem Hause abfallen könnte. Unglücklicherweise war jedoch bei der Bemessung dieses wesentlichen Theils ein Mißgriff vorgegangen, dessen Wirkung man, da Hiram's größter Vorzug in seiner Fähigkeit, den Winkelhacken handzuhaben, bestand, erst entdeckte, als das schwere Gebälk auf die vier Mauern des Gebäudes aufgesetzt wurde, wobei denn freilich alle Welt sah, daß, allen Regeln trotzbietend, das Dach bei weitem der augenfälligste Theil des ganzen Gebäudes geworden war. Richard und sein Gehilfe trösteten sich mit der Hoffnung, dieser Uebelstand werde durch die Bedeckung versteckt werden; aber jede Schindel vermehrte das Unangenehme des Anblicks. Richard versuchte nun, durch Malerei den Schaden zu heilen und legte eigenhändig vier verschiedene Farben auf. Die erste war himmelblau, mit der man umsonst das Auge täuschen und zu dem Glauben veranlassen wollte, der Himmel selbst hänge so ausdrucksvoll über Marmaduke's Wohnung; dann wurde der Versuch mit einer sogenannten Wolkenfarbe gemacht die indess nicht, weiter als eine Nachahmung des Rauchs war; die dritte war eine Mischung, welche Richard ein unsichtbares Grün betitelte — ein Experiment, das wegen des Hintergrundes nicht gelang. So wurde denn die Hoffnung, die Sache zu bemänteln, aufgegeben und die beiden Architekten boten nun ihren ganzen Erfindungsgeist auf, das, was sich nicht verbergen ließ, zu verschönern. Nach reiflicher Erwägung und einigen Versuchen beim Mondscheine beendigte Richard die Augelegenheit durch eine kühne Bedeckung des Ganzen mit einer Farbe, die er „Sonnenschein“ taufte, eine wohlfeile Methode, wie er seinem Vetter, dem Richter, versicherte, immer schön Wetter über dem Kopfe zu haben. Die Platform sowohl, als die Dachrinnen wurden mit halbbemalten Geländern umgeben, und Hiram's hoher Geist übte sich in Anfertigung verschiedener Urnen und Simse, die reichlich an diesem Theile ihrer Arbeit angebracht wurden. Richard hatte gleich anfangs den schlauen Einfall gehabt, die Schornsteine so niedrig zu halten und so geschickt zu vertheilen, daß sie zu den Ornamenten der Balustraden zu gehören schienen; aber die Bequemlichkeit forderte, daß sie mit dem Dache sich erhöhten, um gegen den Rauch sichern zu können, wodurch sie denn zu weithin in die Augen fallenden Thürmchen angewachsen waren.

Da dieses Dach das erste wichtige architektonische Werk war, das Herr Jones je unternommen, so hatte das Mißlingen desselben auch einen entsprechenden Grad von Verdruß zur Folge. Anfangs flüsterte er seinen Bekannten in's Ohr, der Grund davon liege in dem Umftande, daß Hiram mit dem Winkelhacken nicht umzugehen wisse; aber als sich sein Auge allmählig an den Anblick seines Werkes gewöhntei so gefiel es ihm immer besser, und statt dessen Mängel zu entschuldigen, begann er die Schönheiten des Landhauses herauszustreichen. Er gewann bald Anhänger; und da Reichthum und Wohlstand zu allen Zeiten Anbeter findet, so wurde das Schloß, wie bereits gesagt, ein Modell für die Nachahmung in kleinem Style. Ja, es stund kaum zwei Jahre an, so hatte Ehrn Richard das Vergnügen, von der hohen Platform aus auf drei demüthige Abbilder seines Meisterstückes herunterzusehen. — So geht es immer mit der Mode, die sogar den Mängeln und Fehlern der vornehmen Welt Bewunderung verschafft.

Marmaduke ertrug die Unförmlichkeit seiner Wohnung mit großem Gleichmuth und suchte derselben durch eigene Verbesserungen ein behagliches und den Rang ihres Besitzers bekundendes Aeußere zu verschaffen. Demungeachtet fehlte es aber allenthalben an der gehörigen Harmonie; denn obgleich zur Verzierung der Wiesengründe Pappeln aus Europa,verschrieben worden waren, und allmählig in der Nähe des Schlosses Weiden neben noch andern Bäumen emporschossen, so deutete doch noch mancher Schneehaufen auf das Vorhandenseyn eines Tannenstumpfes, während hin und wieder die schwarzgebrannten Ueberreste eines Baumes, dunkeln Säulen gleich, zwanzig bis dreißig Fuß über das blendende Weiß des Schnees emporragten. An solchen Gegenständen, die man in der dortigen Gegend „Stubben“ nennt, wimmelte es auf den freien Feldern in der Umgebung des Dorfes, auf denen nur hin und wieder eine ihrer Reize beraubte Fichte oder Schierlingstanne eine Abwechselung bot, deren erstorbene Aeste — ein Gerippe ihrer vormaligen Herrlichkeit —dürre in dem Winde rasselten. Aber diese und noch viele andere störende Beigaben der Scenerie wurden von der entzückten Elisabeth ganz üdersehen, die während ihrer Fahrt an der Seite des Berges nach dem Thale hinunter für nichts ein Auge hatte, als für die Häusergruppen, welche wie ein Teppich unter ihren Füßen lagen; für die Menge von Rauchsäulen, die von dem Thal aus gegen die Wolken wirbelten; für den übereisten See, der zwischen immergrünenden Bergen eingebettet und dessen weiße Oberfläche von den in der Abendsonne sich verlängernden Schatten riesiger Tannen anmuthig umdüstert war; für das dunkle Wasserband, das sich gegen die Mündung des Sees hinzog und sich nach dem fernen Chesapeake seinen gewundenen Weg bahnte-mit einem Worte, für die veränderten, aber doch noch wohlbekannten Tummelplätze ihrer Kinderjahre.

Fünf Jahre hatten größere Wechsel hervorgebracht, als man in einem Lande, wo Zeit und Mühe den Werken der Menschen Dauer verleiht, in einem Jahrhundert sieht. Für den jungen Jäger und den Richter hatte die Scene weniger Neues, obgleich wohl Niemand aus den düstern Forsten des Gebirges auftauchen und mit einemmale die herrliche Scenerie des Thales überschauen konnte, ohne ein inneres Entzücken zu fühlen. Der erstere ließ seinen Blick bewundernd von Norden nach Süden gleiten und senkte sein Antlitz wieder in die Falten seines Mantels, während der letztere mit philanthropischer Lust die Fortschritte des Wohlstandes, die sich um ihn her sichtbar machten, betrachtete. War doch alles die Folge seines Unternehmungsgeistes, und viel davon die Frucht seines eigenen Fleißes.

Das lustige Klingeln von Schlittengeläute lockte jedoch plötzlich die Aufmerksamkeit der Reisenden an, und der lebhafte Ton desselben ließ auf das rasche Annähern eines Sleighs schließen, dessen man übrigens des Gebüsches wegen, welches die Straße säumte, erst ansichtig wurde, als beide Gespanne ganz nahe bei einander waren.


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