Fünfzehntes Kapitel.

„Wie es lag, an jenem Tag, in der Bai von Biskay, oh!“



Noch ehe die im vorigen Kapitel beschriebene Seene im kühnen Dragoner ihren Anfang nahm, war Elisabeth wohlbehalten nach dem Herrenhause zurückgeleitet worden, wo sie nun, als die Gebieterin desselben, nach Belieben schalten und den Abend nach ihrer Neigung verbringen konnte. Die Lichter waren meistens erloschen; da jedoch Benjamin mit großer Pünktlichkeit und Vorsorglichkeit vier große Kerzen in eben so vielen massiven Messingleuchtern auf dem Servirtische der Reihe nach aufgepflanzt hatte, so gewann dadurch die Halle eine eigenthümliche Behaglichkeit, welche mit dem unerfreulichen Anblick des Akademiesaals in einem schroffen Gegensatze stand.

Remarkable hatte Herrn Grant's Predigt gleichfalls mitangehört und ihre Empfindlichkeit, welche die rauhen Worte des Richters nicht wenig erhöht hatten, war durch den Einfluß des Gottesdiensts etwas gemildert worden. Sie gedachte der Jugend Elisabeth's, und meinte, es dürfte nicht schwer werden, auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen jene Macht zu üben, welche sie bisher unbestritten besessen. Der Gedanke, Jemand über sich zu haben, gegen den sie in der Abhängigkeit eines Dienstboten stehen sollte, war ihr durchaus unerträglich, und sie hatte sich bereits ein halb Dutzend Entwürfe gebildet, wie sie es angreifen wolle, um sich rasch über ihre Stellung im Hause Gewißheit zu verschaffen. Aber so oft sie dem dunkeln, stolzen Auge Elisabeth's begegnete, die, sinnend über die Scenen ihrer Kindheit, die Veränderung ihrer Lage und vielleicht auch über die Ergebnisse des Tages, in dem Zimmer auf und nieder ging, empfand die Haushälterin eine Scheu, die ihr noch kein sterbliches Wesen einzuflößen vermocht hatte, obgleich sie sich's nicht gestehen wollte. Dieß schüchterte sie ein und hielt für eine Weile ihre Zunge in Banden. Endlich entschloß sie sich jedoch, das Gespräch einzuleiten, indem sie einen Gegenstand wählte, der geeignet war, die Rangunterschiede aufzuheben und ihre eigenen Fähigkeiten in einem vortheilhaften Lichte zu entfalten.

„Der Pfarrer Grant hat uns heute Abend eine prächtige Rede gehalten,“ begann Remarkable. „Die bischöflichen Geistlichen sind gemeiniglich gute Redner; dafür schreiben sie aber auch ihre Gedanken nieder, was ihnen sehr zu statten kommt. Ich glaube indeß nicht, daß sie eine Predigt aus dem Herzen zu halten vermöchten, wie die Geistlichen des stehenden Gottesdienstes.“

„Und was für ein Glaubensbekenntniß meint Ihr unter dem stehenden Gottesdienst?“ fragte Miß Temple mit einiger Ueberraschung.

„Je nun, die Presbyterianer, Congregationalen, die Taufgesinnten und noch viele andere, die bei dem Gebete nicht niederknieen.“ —

„Demnach würdet Ihr also alle, welche die Ueberzeugung meines Vaters theilen, in die Ordnung des sitzenden Gottesdienstes verweisen?“ bemerkte Elisabeth.

„Ich habe diese nie mit einem andern Namen als mit dem der sogenannten Quäcker bezeichnen hören,“ entgegnete Remarkable mit einiger Unruhe. „Ich wäre wohl die letzte, sie anders zur benennen, denn ich habe in meinem Leben nie ein unehrerbietiges Wort über den Richter oder über ein Glied seiner Familie geäußert. Die Quäcker stehen bei mir in hoher Achtung, denn es sind manierliche und gescheide Leute; aber es nimmt mich nur Wunder, wie Ihr Vater in eine englischkirchliche Familie heirathen konnte, da diese Religionen himmelweit von einander verschieden sind. Da sitzt man still und spricht meistens nichts, während die bischöflichen allerhand treiben, so daß man bisweilen meint, man sey in einer Komödie. Ich habe einmal im Lande drunten eine solche Kirche besucht —“

„Ihr habt mich da auf einen Vorzug der Liturgie dieser Kirche aufmerksam gemacht, der mir bisher entgangen ist. Seyd indeß so gut und seht, ob das Feuer in meinem Zimmer brennt. Ich bin von der Reise ermüdet und möchte zu Bette gehen.“

Remarkable fühlte sich ungemein geneigt, der jungen Gebieterin des Herrnhauses zu sagen, sie möchte selber die Thüre aufmachen und nachsehen; aber die Klugheit lehrte sie, ihre Empfindlichkeit niederzukämpfen, und nach einer kleinen Pause, die ihre Würde wahren sollte, that sie, wie ihr geheißen worden. Die Antwort lautete befriedigend, und die junge Dame zog sich zurück, nachdem sie zuvor Benjamin, welcher Holz nachlegte, und der Haushälterin gute Nacht gesagt hatte.

Sobald sich die Thüre hinter Miß Temple geschlossen, begann Remarkable ein etwas geheimnißvolles und zweideutiges Gespräch, in welchem sie sich weder billigend noch mißbilligend über die Eigenschaften der Abwesenden ausließ, obgleich sie sich nicht entbrechen konnte, allmählig ihren ganzen Unmuth kund zu geben. Der Majordomo gab keine Antwort, sondern machte emsig in seinem Geschäfte fort. Nachdem er damit zu Stande gekommen war, sah er nach dem Thermometer, öffnete sodann eine Schublade des Servirtisches und brachte etwelche Herzstärkungen zum Vorschein, welche ihn, auch ohne Beihülfe des ungeheuern Feuers, das er eben angeschürt, hätten warm halten können. Sofort holte er die

nöthigen Gläser aus einem Wandschranke bei dem Kamin, stellte sie auf den Tisch, rückte ein paar Stühle herzu, und nun schien Benjamin zum erstenmale seiner Gefährtin Gehör schenken zu wollen.

„Kommt,“ rief er, „kommt, Jungfer Remarkable; legt Euch in diesem Stuhle vor Anker; 's geht ein scharfer Wind draußen, kann ich Euch sagen, gute Frau. Aber was kümmert's mich? Mag er hoch oder nieder blasen, seht Ihr, das ist Ben all' eins. Die Neger sind hübsch in den untern Raum gestaut und haben ein Feuer vor sich, daß man einen Ochsen dabei braten könnte. Das Thermometer steht gegenwärthig auf fünfundfünfzig; aber das Ahornholz hat vortreffliche Eigenschaften, und ehe ich ein Glas geleert habe, wird er noch um zehn Grade gestiegen seyn, so daß es der Squire, wenn er aus Betty Hollister's warmer Stube heimkömmt, so heiß finden soll, wie eine Hand, die das Tackelwerk mit schlechtem Theer eingeschmiert hat. Kommt, Jungfer Remarkable, legt in diesem Stuhle bei, und sagt mir wie Euch die neue Erbin gefällt.“

„Je nun, nach meiner Ansicht, Herr Penguillum — —“

„Pump,“ unterbrach sie Benjamin, „'s ist heute Christnacht, Jungfer Remarkable, und da seht Ihr, ist es viel besser, wenn Ihr michPump nennt. Einmal ist der Name viel kürzer, und dann habe ich im Sinne, an dieser Flasche hier zu pumpen, so lange sie gluckert. Ihr könnt mich daher mit Fug und Recht Bump nennen.“

„Immer der Alte!“ rief Remarkable mit einem Lachen, das jedes Gelenk an ihrem Körper auslösen zu wollen schien. „Ihr seyd ein spaßhafter Bursche, Benjamin, wenn Ihr's darauf anlegt. Aber was ich sagen wollte — ich denke, daß es nun bald andere Zeiten in dem Hause geben wird.“

„Andere Zeiten?“ rief der Majordomo, seine Flasche beäugelnd, die mit erstaunlicher Schnelle nur den durchsichtigen Anblick des geschliffenen Glases aufzunehmen drohte. „Das macht mir nicht viel aus, Jungfer Remarkable, so lange ich die Schlüssel zu den Kellern in der Tasche trage.“

„Ich will nicht gerade sagen,“ fuhr die Haushälterin fort„daß man in dem Hause nicht immer genug zu essen und zu trinken bekommen hätte, — ein Bischen mehr Zucker in das Glas, Benjamin, — denn Squire Jones ist ein trefflicher Lieferant. Aber neue Herren bringen neues Regiment und es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn Ihr und ich einer etwas ungewissen Zukunft entgegen sähen.“

„Das Leben ist etwas so Ungewisses, als das Blasen des Windes,“ sagte Benjamin mit einer moralisirenden Geberde; „und nichts ist veränderlicher als der Wind, Jungfer Remarkable, wenn man nicht zufällig in den Strich der Passatwinde geräth; dann geht's aber wohl einen Monat in einem fort, mit Leesegeln auf beiden Seiten, oben und unten, und ein Kajütenjunge kann steuern.“

„Jedermann weiß, daß das Leben etwas Ungewisses ist,“ versetzte Remarkable, indem sie ihr Gesicht der guten Laune ihres Gefährten anpaßte; „aber ich sehe voraus, daß große Veränderungen in dem Hause stattfinden werden, und habt nur Acht, man wird Euch bald einen jungen Menschen zum Vorgesetzten geben, wie man es eben erst mit mir gemacht hat. Freilich ist dieß etwas Hartes, Benjamin, wenn man so lange wie Ihr treue Dienste geleistet hat.“

„Die Beförderung sollte nach der Dauer der Dienstzeit stattfinden,“ meinte der Majordomo; „und wenn man mir Einen vor der Nase einschiebt, so lege ich mein Amt in kürzerer Zeit nieder, als man ein Lootsenboot in eine Rhede bringen kann. Doch Squire Dickens“ — so pflegte Benjamin Richard gewöhnlich zu nennen — ist ein prächtiger Herr und so gut, als man sich nur einen wünschen kann. Seht Ihr, dem will ich's dann rund heraus sagen, daß ich auf meinen Dienst verzichte, wenn man mir irgend einen ungeleckten Hans vorsetzen will. Ich habe vorn angefangen Jungfer Pettybone, und mich wie ein Mann hinaufgearbeitet. Ich war sechs Monate an Bord eines Gernsey-Luggers, bediente die Leeschotten und half beim Aufhießen des Tackelwerks. Dann machte ich einige Krenz- und Querzüge, wobei ich das gleiche Geschäft verrichtete; im Grunde aber segelt man dabei nur im Dunkeln herum, und man lernt weiter nichts, als wie man nach den Sternen steuern muß, Nun seht Ihr, dann lernte ich wie die Stengen gesetzt werden müssen und wie man ein Bramsegel befestigt; und dann verrichtete ich die kleinen Geschäfte in der Kajüte, wie z. B. das Grogmischen für die Matrosen — bei dieser Gelegenheit kam ich zu meiner feinen Zunge, die, wie Ihr oft gesehen haben mögt, ihres Gleichen sucht. Niemand versteht das besser zu beurtheilen, als Ihr.“

Remarkable erwiederte dieses Kompliment mit einem Kopfnicken und schlürfte aus dem vor ihr stehenden Glase; denn hin und wieder ein Schlückchen von einem solchem Getränke, wenn es stark mit Zucker versetzt war, behagte ihr gar nicht übel. Nach diesem kleinen Höflichkeitsaustausche zwischen dem würdigen Paare nahm die Unterhaltung ihren Fortgang.

„Ihr müßt in Eurem Leben viele Erfahrungen gesammelt haben Benjamin, denn die Schrift sagt, diejenigen, die in Schiffen das Meer besuchen, sehen die Werke des Herrn.“

„Nun, was das anbelangt, so haben die in einer Brigg oder in einem Schooner den gleichen Vortheil, und ich könnte sagen, sie sähen auch die Werke des Teufels. Die See, Jungfer Remarkable, bietet den Menschen viele Belehrung, denn man lernt dabei die Gebräuche der Völker und die Gestalt des Landes kennen. Was meine Person anbelangt, so bin ich freilich in Vergleichung mit Vielen, welche die Meere besuchen, nur ein ungelehrter Mann; aber ich glaube, daß es von der Küste des Kaps Ler Hogue bis hinunter zum Kap Finister kein Vorgebirg und keine Insel gibt, von der ich nicht den Namen oder sonst Eines und das Andere wüßte. — Nehmt doch auch genug, Jungfer Remarkable, daß das Wasser eine Farbe kriegt; hier ist Zucker. Ihr seyd ein Leckermaul und habt's gern süß, Jungfer Prettybones. — Aber was ich sagen wollte: nehmen wir die ganze Küste an, so kenne ich sie so gut, als den Weg nach dem kühnen Dragoner, besonders aber die verteufelte Bai von Biskay, Puh! ich wollte. Ihr könntet den Wind dort pfeifen hören. Man braucht da oft zwei Leute zum Halten, daß er einem nicht das Haar von dem Kopfe bläst. Durch diese Bai lenssen ist so ziemlich das Nämliche, wie wenn man hier zu Lande auf der einen Seite einen Berg hinan und auf der andern hinunter klettert.“

„Was Ihr da sagt,“ rief Remarkable. „Und steigt denn dort das Meer berghoch an, Benjamin?“

„Nun, ich will Euch das erzählen; aber erst laßt uns ein Schlückchen Grog versuchen. — Hm! ich muß gestehen, es ist ein ganz wackerer Stoff, den man hier zu Lande führt; aber man hat ja auch Westindien gerade neben Bord und braucht also nicht weit darnach zu schicken. Bei'm Lord Harry, Jungfer Remarkable, wenn Gernsey nur irgendwo zwischen dem Kap Hatteras und dem Bite von Logann läge, wie wohlfeil müßte nicht da der Rum seyn? Was die See in der Bai von Biskay anbelangt, so wirft sie gerade nicht sonderlich hohe Wellen, wenn nicht allenfalls ein Südwester losbricht, wo sie dann freilich hübsch genug umher tummeln, obgleich man eigentliche Schwellen nicht in den kleinen Meeren suchen darf. Da muß man bei einer westlichen Bö an den westlichen Inseln hinauffahren, das Land auf der Backbordseite, den Schnabel nach Süden gekehrt, und unter dicht gerefftem Marssegel beigedreht; meinetwegen kann auch das Focksegel mit dem Fockmarsstagsegel und dem Besahnsegel gerefft seyn, um wo möglich seewärts halten zu können. Ja, da braucht man nur zwei Wachen liegen zu bleiben, wenn man berghohe Wellen sehen will. Ich war einmal auf der Boadishey-Fregatte dort, gute Jungfer, als man von dem Himmel nicht weiter als einen Fetzen, vielleicht von der Größe des Schönfahr-Segels, sehen konnte. Wir lagen damals in Hohlwellen, die groß genug waren, um die ganze brittische Flotte bergen zu können.“

„Ach! um Gotteswillen! und Ihr habt Euch nicht gefürchtet, Benjamin? Wie habt Ihr Euch denn durchgeholfen?“

„Gefürchtet? Wer zum Teufel, glaubt Ihr, wird sich denn fürchten, wenn ihm ein bischen Salzwasser über den Kopf zusammen schlägt? Und was das Durchhelfen anbelangt — je nun, als wir genug davon hatten und unsere Verdecke hübsch abgewaschen waren, so riefen wir alle Matrosen auf; denn seht Ihr, die Wache unten lag in ihren Hängematten, gerade als ob sie in dem besten Schlafzimmer gewesen wäre; und so blieben wir eine geraume Weile wach, drückten das Steuer luvwärts, ließen das Focksegel fallen und fingen an zu laviren. Wie wir dann wieder so im Gange waren, so frage ich Euch, Jungfer Prettybone, meint Ihr wohl, daß es da rascher ging oder nicht? Ich lüge nicht, wenn ich sage, daß ich das Schiff von einer Wellenspitze zur andern hüpfen sah, gerade so wie die mit einer Flatterhaut versehenen Eichhörnchen von einem Baume zum andern fliegen.“

„Was? ganz aus dem Wasser heraus?“ rief Remarkable, indem sie ihre zwei dürren Arme erhob und erstaunt die Finger aus einanderspreizte.

„Es war nicht so leicht aus dem Wasser heraus zu kommen, Jungfer Remarkble, denn die Sprühe flog so hoch, daß man nicht sagen konnte, was See und was Wolke war. So trieben wir's wohl eine Stunde lang. Der erste Lieutenant kommandirte das Schiff selbst, und außer dem Steuermann waren vier Schiemänner am Steuer beschäftigt, während sechs Matrosen von dem Vorderkastell in dem Geschützraum bei den Aufholern blieben. Aber das Schiff hielt sich brav! O, es war ein herrliches Fahrzeug, Jungfer Remarkable! Ich hätte lieber in dieser einen Fregatte wohnen mögen als in dem besten Hause von England. Wenn ich der König von England gewesen wäre, so hätte ich sie über die Londoner Brücke aufhohlen lassen, und sie zu einem Pallast eingerichtet. Und warum nicht? Wenn ein Mensch sich ein behagliches Leben verschaffen kann, so muß es Seine Majestät können.“

„Wohl. Benjamin.“ rief die Zuhörerin, die bei dem Bericht über die Gefahren des Majordomo ganz außer sich gerieth; „aber was habt Ihr dabei gethan?“

„Was ich dabei gethan habe? Ei, wir thaten alle unsere Schuldigkeit, wie herzhafte Bursche. Freilich wenn die Landsleute des Monschür Ler Quaw an Bord gewesen wären, so würde das Fahrzeug gewiß an dem Ufer einer der kleinen Inseln zerschmettert worden seyn; aber wir liefen an dem Lande hin, bis wir todt leewärts von den Bergen des Piko lagen, und ich will verdammt seyn, wenn ich bis auf den heutigen Tag herausgebracht habe, wie wir hinkamen und ob wir über die Insel weggeschifft oder um sie herumgefahren sind. Aber wir waren einmal da, und lagen da unter leichtem Segel, lavirten hin und her, so daß die Fregatte hin und wieder ihre Nase hinausstrecken konnte, und sahen dem Winde entgegen, bis die Kühlte aus dem letzten Loche pfiff.

„Was das für Wundergeschichten sind!“ rief Remarkable, die nunmehr eine wirre Vorstellung von dem Wüthen eines Sturms gewonnen hatte, obgleich ihr die Ausdrücke, welche Benjamin brauchte, unverständlich waren. „Es muß doch etwas Schreckliches seyn, auf dem Meere draußen, und ich finde es sehr natürlich, daß Ihr Euch nicht mit dem Gedanken befreunden könnt, von einem so behaglichen Heerd, wie dieser, weggedrängt zu werden. Zwar läge nicht besonders viel daran, denn es gibt noch mehr Häuser die Einem ein anständiges Auskommen bieten. Als der Richter mir seine Wirthschaft übergab, fiel es mir gar nicht ein, daß hier lange meines Bleibens wäre, denn ich kam ganz zufällig, ungefähr eine Woche nach Frau Temple's Tode her, um zu sehen, wie sich die Familie befinde, und gedachte Abends wieder heimzukehren; aber das Hauswesen war in einem so verwirrten Zustande, daß ich es nicht übers Herz bringen konnte, zu gehen, ohne meine Dienste anzubieten. Der Platz stund mir an, da ich als eine unverheirathete Person über mich verfügen konnte; und weil man meiner Hilfe nenöthigt war, so blieb ich.“

„Nun seyd eine schöne Zeit an denselben Platze vor Anker gelegen, Jungfer Remarkable. Ich denke, die Rhede hat Euch nicht übel behagt.“

„Wie mögt Ihr auch so reden, Benjamin! Es ist kein wahres Wort an Allem, was Ihr sagt. Ich muß zwar gestehen, daß der Richter und Squire Jones ganz ordentlich mit mir umgegangen sind; aber ich sehe voraus, daß sich der Stiel bald umdrehen wird. Ich hörte zwar wohl, daß der Richter weit fortgereist sey und daß er seine Tochter heimzuholen beabsichtigte, aber auf ein solches Treiben habe ich nicht gerechnet. Ich fürchte, Benjamin, daß sie sich gegen uns als eine recht herrische und häßliche Frauensperson erweisen wird.“

„Häßlich?“ rief der Majordomo, indem er seine Augen, die sich in sehr verdächtiger Schläfrigkeit bereits zu schließen begannen, verwundert aufriß. „Beim Lord Harry, Weibsbild, Ihr könntet ebenso gut Boadishey eine garstige Fregatte nennen! Was zum Teufel wollt Ihr denn? Sind nicht ihre Augen so leuchtend wie der Morgen- und der Abendstern; und sind nicht ihre Haare so glänzend wie ein Takelwerk, das so eben mit Theer beschiert worden? Bewegt sie sich nicht so stattlich wie ein Schiff ersten Ranges in glattem Wasser, das vor seiner Kabel tanzt? Ei, Weib, das Gallionbild der Boadishey war eine Trulle gegen sie, und doch hörte ich den Capitän oft sagen, es stelle eine große Königin vor. Und sind Königinnen nicht immer schön? Meint Ihr, ein König wäre einfältig genug, sich nicht eine schöne Bettgenossin zu wählen?“

„Redet sittsamer, Benjamin, sagte die Haushälterin, „oder ich bleibe nicht in Eurer Gesellschaft. Ich habe nichts gegen ihr hübsches Aueßere einzuwenden, aber das behaupte ich, daß sie sich wahrscheinlich nicht zum Besten benehmen wird. Es kommt mir vor, als halte sie sich für zu gut, um Jemanden ein Wort zu gönnen. Nach dem, was mir Squire Jones erzählt hat, glaubte ich von ihrer Gesellschaft ganz bezaubert werden zu müssen; aber nun muß ich sagen, daß sich Louise Grant viel anständiger zu benehmen weiß, als Betty Temple. Sie würdigte mich gar keiner Antwort, als ich sie fragte, wie es ihr in der Heimath wäre, da ihr die Mama fehlte?“

„Vielleicht hat sie Euch nicht verstanden, Jungfer Prettybones. Ihr sprecht nicht zum Besten, und Miß Betty hat sich unter den großen Londoner Damen nur an das ursprüngliche Königliche Englisch gewöhnt; sie spricht es daher so gut als ich selbst, oder als irgend ein anderer geborener brittischer Unterthan. Ihr habt das Bischen, was Ihr könnt und was Ihr in der Schule gelernt, wieder ausgeschwitzt, während die junge Herrin alles noch gut im Gedächtniß hat und gewiß auch fleißiger gewesen ist, als Ihr.“

„Herrin?“ rief Remarkable. „Wollt Ihr etwa gar eine Negerin aus mir machen, Benjamin? Sie ist nicht meine Herrin und wird es nie seyn. Und was meine Aussprache anbelangt, so nehme ich's da mit Jedem in Neu-England auf. Ich bin in der Grafschaft Essex geboren und erzogen, und habe immer sagen hören, daß der Baystaat wegen seiner Pronunschation berühmt ist.“

„Ich habe von dieser Staatbay gehört,“ versetzte Benjamin, „Kann aber nicht sagen, daß ich je dort gewesen wäre, oder überhaupt auch nur wüßte, wo sie liegt. Sie mag guten Ankergrund haben, und das ist jedenfalls nicht übel, wenn man eine Weile zu bleiben denkt; was aber die Größe anbelangt, so kann sie in Vergleichung mit der Bay von Biskay oder meinetwegen auch der Tox-Bay nicht mehr seyn, als eine Yolle gegen eine Kriegsschaluppe. Wenn Ihr indeß von der Aussprache redet und das ganze Wörterbuch wie ein Kabel in einem Zuge ablaufen hören wollt, so müßt Ihr nach Wapping gehen und die Londoner hören; das sind die rechten Leute. Ich sehe jedoch gar nicht ein, was Euch Miß Lizzy so groß Unrecht gethan hat, gute Jungfer Remarkable. Nehmen wir daher noch ein Schlückchen von unserm Gebräu und vergeben und vergessen wir wie ehrliche Christenseelen.“

„Nein das thue ich gewiß nicht, Benjamin. Eine solche Behandlung ist mir etwas Neues, und ich lasse sie nicht auf mir liegen. Ich habe hundert und fünfzig Dollars im Vermögen, nebst einem Bett und zwanzig Schafen; und da brauch ich denn nicht in einem Hause zu leben, wo man ein junges Frauenzimmer nicht bei ihrem Taufnamen nennen darf. Ich will sie Betsy nennen, so oft es mir beliebt, denn wir leben in einem freien Lande und Niemand kann mir's wehren. Ich habe zwar den Sommer über bleiben wollen; so aber ziehe ich gleich morgen ab, und will dabei noch meine Zunge brauchen, wie sie mir gewachsen ist.“

„Was das anbelangt, Jungfer Remarkable,“ erwiederte Benjamin, „so ist Niemand hier, der Euch wiedersprechen wird; denn ich bin der Ansicht, daß es ebenso leicht ist, einer Windsbraut mit einem Barcellona-Schnupftuch Einhalt zu thun, als Eure Zunge zum Schweigen zu bringen. Doch sagt mir jetzt, Jungfer Haushälterin, gibt es auch viele Affen an den Ufern jener Staatsbay?“

„Ihr seyd selbst ein Affe, Herr Penguillum,“ rief die Haushälterin wüthend; „oder ein Bär! ein schwarzer, viehischer Bär, und durchaus nicht die Person, bei der eine anständige Frauensperson bleiben kann. Gott bewahre mich vor Eurer Gesellschaft, und wenn ich auch noch dreißig Jahre in des Richters Haus bleiben sollte. Ein solches Geschwätz taugt allenfalls für die Küche, nicht aber für die Ausgeberin eines Hauses, dessen Herr sich in der Welt sehen lassen darf.“

„Na, sehe man, Jungfer Pitty — Patty — Prettybonrs; kann seyn, daß ich so eine Art Bär bin, wie jeder empfinden soll, der mir auf den Leib rücken will; aber hole mich der T — —, wenn ich ein Affe bin — ein Ding, das an einem fortschnattert, ohne zu wissen , was es sagt ein Papagei, der in einem Duzend Sprachen redet, sey es nun in der der Staatsbay-Sprache, oder in der griechischen, oder in der deutschen. Weiß er aber, was er damit sagen will? Kannst Du mir das beantworten, gute Jungfer? Ein Seekadet kann die Commandoworte nachschreien, wenn er sie vom Capitän gehört hat; aber man lasse ihn nur einmal selber machen, und das Schiff nach seinem eigenen Kopfe lenken — der Grog soll zu Gift in meinem Leibe werden, wenn ihn nicht sogar die Schiffsjungen auslachen!“

„Der ist freilich Gift in Eurem Leibe!“ entgegnete Remarkable, indem sie in heftigem Zorne eine Kerze ergriff. „Ihr seyd ein trunkener Narr, und ich will das Zimmer verlassen, ehe ich weitere ungebührliche Worte von Euch vernehme.“

Die Haushälterin entfernte sich mit einem Anstande, der, ihrer Meinung nach, dem der Erbin wenig nachgab, und murmelte, als sie die Thüre mit dem Krachen einer Muskete hinter sich zuschlug, die Schimpfworte. „Trunkenbold,“ „Narr,“ und „Vieh,“ vor sich hin.

„Wen nennt Ihr betrunken?“ rief Benjamin, indem er sich mit einer Geberde aufrichtete, als gedenke er auf Remarkable loszufahren. „Wollt Ihr da die Dame spielen — Ihr, die Ihr zu nichts auf der Welt seyd, als zum Brummen und Splitter aufsuchen? Wo zum Teufel hättet Ihr auch ein anständiges Benehmen und eine ordentliche Aussprache lernen sollen? In Eurer verdammten Staatbay? Ha, ha!“

Damit fiel Benjamin wieder in seinen Stuhl zurück und machte sich bald in einigen ominösen Tönen Luft, die eine ziemlich große Aehnlichkeit mit dem Brummen seines Lieblingsthieres, des Bären, hatten. Ehe er jedoch ganz — um mich eines Ausdrucken zu bedienen, der dem Della-crusca-Sentiment gewisser edlen Seelen unserer Tage behagen würde — von Morpheus Armen umschlungen war, ließ er laut unter abgemessenen Pausen die ausdrucksvollen Worte „Affe,“ „Papagai,“ „Theertopf“ und „Sprachmeisterin“ vernehmen.

Wir wollen es nicht versuchen, die Bedeutung dieser Worte zu erklären, oder dieselbe in einen Zusammmenhang zu bringen; und der Leser muß sich schon mit unserer Mittheilung begnügen, daß sie mit all' der kalten Verachtung ausgesprochen wurden, die ein Mensch möglicher Weise gegen einen Affen empfinden kann.

Der Majordomo mochte ungefähr zwei Stunden schlafend verbracht haben, als er durch den geränschvollen Eintritt Richard's, des Majors Hartmann und des Hausherrn geweckt wurde. Benjamin sammelte seine verwirrten Seelenvermögen so weit, um die beiden ersteren nach ihren Gemächern zu begleiten, worauf er jedoch selbst unsichtbar wurde und das Geschäft, das Haus zu schließen, dem überließ, welcher am meisten bei einer solchen Sicherung betheiligt war. Schlösser und Riegel waren in jener frühen Zeit der Ansiedelung nur wenig im Gebrauch, und sobald Marmaduke nach den ungeheueren Feuerstellen seiner Wohnung gesehen hatte, verfügte er sich gleichfalls nach seinem Schlafgemache. Wir folgen dem Beispiel unserer Helden und schließen, nachdem wir Feuer und Licht verwahrt haben, die erste Nacht unserer Erzählung.


Загрузка...