Einundzwanzigstes Kapitel.

Schnell! Malise! Nie hat deinen Fuß


Beschleunigt ein so drängend Muß.

Scott.

Die Wege um den Otsego waren, mit Ausnahme der Hauptlandstraßen, in der frühen Periode unserer Erzählung nur wenig besser als Waldpfade. Die hohen Bäume, welche knapp an dem Rande der Fahrleisen standen, schlossen, wenn es nicht gerade Mittag war, die Strahlen der Sonne ganz aus, und die langsame Verdunstung, vereint mit dem Humus der hingestorbenen Vegetation, welcher den ganzen Strich bis zu der Tiefe mehrerer Zolle bedeckte, ließ den Huf der Pferde nicht den sichersten Grund finden. Rechnen wir hiezu die Unebenheiten der natürlichen Oberfläche überhaupt, und das beständige Wiederkehren ungeheuerer, schlüpfriger Wurzeln, die, da kein Sonnenstrahl einfiel, bloß dalagen, und der Baumstümpfe, so läßt sich denken, daß der Ritt nicht nur schwierig, sondern auch gefährlich war. Die Gesellschaft ließ jedoch über diese zahlreichen Hindernisse, die ein ungewohntes Auge wohl erschrecken konnten, keine Uuruhe blicken, mochten nun die Pferde bis an die Hacken in den Schlamm einsinken oder sonst mit unsicherem Fuße in dem dunkeln Wege fortschreiten. An vielen Stellen ließ sich der Weg nur aus Einschnitten in den Bäumen oder vielleicht an den Ueberresten einer Fichte erkennen, welche dicht über der Erde gefällt war und in einem Umkreis von zwanzig Fußen nichts als ihre Wurzeln sichtbar werden ließ. Derartige knapp über dem Boden abgehauene Bäume waren augenscheinlich Fingerzeige, daß man sich im Mittelpunkte der Straße befinde.

Sie waren von dem Zuckerwäldchen her einem Fußpfade gefolgt, und nun ritt der thätige Sheriff, um in eine der vorbemeldeten Straßen zu kommen, auf eine kleine Brücke zu, die so lose aus auf Wiederlagern von Fichtenpflöcken ruhenden Holzstämmen construirt war, daß die Verbindungsflächen häufig durch bedenklich weite Spalten unterbrochen wurden. Als Richards Pferd an einer solchen klaffenden Stelle anlangte, legte es die Nase an die Blöcke und überwand die Schwierigkeit des Uebergangs mit fast menschlicher Klugheit; aber das junge Vollblutroß, welches Miß Temple ritt, verschmähte eine solch niedrige Haltung; denn nachdem es einige Schritte mit ungewöhnlicher Vorsicht gethan hatte und an der breitesten Spalte angelangt war, setzte es, dem Zügel und der Reitgerte seiner furchtlosen Gebieterin gehorsam, mit der Behendigkeit eines Eichhörnchens über den gefährlichen Punkt weg.

„sachte, sachte, mein Kind,“ rief Marmaduke, der in Richards Weise nachfolgte; „dieß ist nicht der Ort für Reiter-Kunststücke. Wenn man ohne Gefährde auf diesen rauhen Pfaden weiter kommen will, so muß man die Klugheit vorwalten lassen. Auf den Ebenen von New-Jersey magst Du allenfalls Deine Geschicklichkeit zeigen können; aber in den Bergen des Otsego mußt Du zur Zeit noch darauf verzichten.“

„So könnte ich eben so gut meinen Sattel ganz an den Nagel hängen, lieber Vater,“ erwiederte die Tochter; „denn wenn ich ihn bei Seite legen soll, bis diese wilde Gegend urbar gemacht ist, so dürfte mich wohl das Alter überraschen, ehe ich eine Gelegenheit hätte, meine Reiter-Kunststücke, wie Du sie nennst, zu zeigen.“

„rede nicht also, mein Kind,“ entgegnete der Vater; „aber wenn Du wieder so verwegen über diese Brücke setzest, so wirst Du von dem Alter nichts zu besorgen haben, wohl aber mich in Trauer zurücklassen, was ich dann einzig Deinem Stolz zu danken hätte, Elisabeth. Hättest Du diesen Landstrich im tiefen Schlafe der Natur gesehen, wie es bei mir der Fall ist, und wärest Du Zeuge der raschen Veränderung gewesen, zu welcher ihn das Bedürfniß des Menschen weckte, so würdest Du Deine Ungeduld ein wenig zügeln, wenn Du schon bei Deinem Rosse den Gebrauch des Zügels verschmähst.“

„Ich erinnere mich, daß ich Dich einmal von Deinem ersten Besuch in diesen Wäldern sprechen hörte; aber der Eindruck ist nur noch schwach und durch wirre Bilder aus meiner Kindheit verwischt. So wild die Gegend auch jetzt noch erscheinen mag, so muß sie doch damals tausendmal trübseliger gewesen seyn. Willst Du mir nicht noch einmal sagen, lieber Vater, was Du damals von Deinem Unternehmen dachtest, und was Du jetzt empfindest?“

Während dieser Worte, welche Elisabeth mit zärtlicher Wärme sprach, ritt der junge Edwards näher an die Seite des Richters und heftete sein dunkles Auge mit einem Ausdrucke auf dessen Züge, welcher die innersten Gedanken lesen zu wollen schien.

„Du warst damals jung, mein Kind, aber doch mußst Du Dich der Zeit noch erinnern, als ich Dich und Deine Mutter verließ, um diese unbewohnten Gebirge in Augenschein zu nehmen,“ sagte Marmaduke. „Doch Du kannst die geheimen Beweggründe nicht theilen, die den Mann veranlassen, sich Entbehrungen aller Art zu unterziehen, um Reichthümer zu sammeln. Die meinigen sind nicht gering gewesen, aber es hat Gott gefallen, meine Bemühungen erfolgreich werden zu lassen. Wenn ich übrigens auch Kummer, Hunger und Krankheiten durchmachen mußte, um in diesem rauhen Landstrich eine Ansiedelung zu Stand zu bringen, so hatte ich doch nicht das Unglück, meine Bekümmernisse durch ein Fehlschlagen meiner Absichten vermehrt zu sehen.“

„Hunger?“ erwiederte Elisabeth. „Ich meinte, wir lebten in einem Lande des Ueberflusses! Auch mit Hunger hattest Du zu kämpfen?“

„Es ist so, mein Kind,“ versetzte der Vater. „freilich, wer sich jetzt umsieht und der Produkte gewahrt, die auf jedem dieser wilden Bergplätze ausgeführt werden, wird kaum glauben, daß erst fünf Jahre verflossen sind, seit die Bewohner dieser Wälder sich genöthigt sahen, die spärlichen Früchte des Forstes zu essen, um ihr Leben zu fristen, und mit ungeübter Hand das Wild zu jagen, um dem Hunger ihren Familien zu wehren.“

„Ja!“ rief Richard, der ob seinen Bemühungen, das Lied des Holzfällers vor sich hinzu summen, nur den Theil dieser Worte gehört hatte; „das war eine wahre Hungerzeit, Bäschen Elisabeth.“ [Der Autor kann die abschweifende Einflechtung solcher Dialoge mit nichts anderem entschuldigen, als daß sie sich auf Thatsachen beziehen. Da übrigens so viele Jahre seitdem entschwunden sind, so giebt er gerne zu, daß solche Anspielungen den gerechten Anforderungen des Lesers im Allgemeinen nicht entsprechen. Eines dieser Erlebnisse ist in dem Beginne des gegenwärtigen Capitels leicht berührt.Vor mehr als dreißig Jahren nemlich starb eine sehr nahe und theure Verwandte des Autorseine ältere Schwester, die ihm eine zweite Mutter waran den Folgen eines Sturzes vom Pferde, als sie über das in unserer Erzählung beschriebene Gebirg ritt. Wenige Damen von ihrem Alter waren mehr gekannt und geliebt, als die bewunderungswürdige Frau, die ein Opfer der Gefahren einer Wildniß wurde.]

„Ich wurde in jenem Herbst so dünne, wie ein Wiesel, und mein Gesicht bekam eine Farbe, als litte ich an einem kalten Fieber, Monsieur Le Quoi fiel zusammen, wie ein vertrockneter Kürbis, und es ist mir fast, als hätten Sie sich noch nicht ganz erholt, Monsieur. Benjamin war, glaube ich, der ungeberdigste in der ganzen Familie, denn er schwur Stein und Bein, daß ein solches Leben härter sey, als die Verkürzung der Rationen in den Windstillen-Breiten. Der Bursche ist gleich mit dem Schwören bei der Hand, wenn man ihn auch noch so wenig hungern läßt. Ich hatte damals im Sinne, Dich zu verlassen, 'Duke, um nach Pennsylvanien zu gehen und mich wieder herauszumästen; dann meinte ich aber wieder: ,ey zum Henker, wir sind ja Geschwisterkinder, und so will ich denn mit ihm leben und sterben.‘ “

„Ich werde Deine Freundlichkeit ebenso wenig vergessen, als unsere Verwandtschaft!“ entgegnete Marmaduke.

„Aber, mein lieber Vater,“ rief Elisabeth verwundert; „es war also Noth vorhanden? Wie stand es denn mit den schönen und fruchtbaren Thälern des Mohawk? Ließ sich nicht von dort her dem Mangel abhelfen?“

„Es war ein Mißjahr; die Lebensmittel hatten in Europa hohe Preise und wurden von den Spekulanten gierig aufgekauft. Die aus dem Osten kommenden Auswanderer nahmen ihren Zug ohne Unterschied durch das Mohawkthal und zehrten die Vorräthe wie ein Heuschreckschwarm auf. Auch die Bewohner der Ebene waren in keiner viel besseren Lage. Sie litten selbst Mangel und darbten sich alles, was nicht gerade der höchsten Nothdurft entsprach, mit der Sparsamkeit des deutschen Charakters am Munde ab. Den Armen ging es dabei am härtesten. Das Wort Speculation war damals noch unbekannt unter ihnen, und ich habe manchen kräftigen Mann sich unter der Last eines Mehlsacks hin schleppen sehen, den er von den Mühlen des Mohawks durch die zerrissenen Gebirgspässe trug, um seine halb verhungerten Kinder zu sättigen; wenn er sich dann seiner Hütte näherte, so geschah es mit so leichtem Herzen, als wären die dreißig zurückgelegten Meilen gar nichts gewesen. Du darfst nicht vergessen, mein Kind, daß dieß in unserer ersten Kindheit war, als wir weder Mühlen, noch Getreide, weder Wege, noch bedeutende Lichtungen hatten. Unser ganzer Zuwachs bestand in Mäulern, die essen wollten; denn selbst in jenem verhängnißvollen Augenblick ließ der unruhige Geist der Auswanderung nicht nach, — da im Gegentheil der allgemeine Mangel im Osten die Zahl der Abenteurer noch vergrößerte.“

„Und wie, liebster Vater, bestandest Du dieses schreckliche Ungemach?“ erwiederte Elisabeth. „Auf Dir mußte jedenfalls die Verantwortlichkeit, wenn auch nicht der Nothstand lasten.“

„Es war so, Elisabeth,“ versetzte der Richter, indem er für einen Augenblick inne hielt, als wolle er sich die Vergangenheit ins Gedächtniß zurückrufen. „Ich hatte in jener verhängnißvollen Zeit hunderte, die täglich nach mir um Brod aufsahen. Der Nothstand der Familien und die düstre Aussicht für die Zukunft hatte den Unternehmungsgeist und die Kräfte meiner Ansiedler gelähmt. Der Hunger trieb sie in die Wälder, um dort Lebensmittel zu suchen; aber verzweiflungsvoll, entkräftet und ohne Nahrung kehrten sie des Abends zu den Kissen zurück, die kein Schlummer heimsuchen wollte. Es war eine Zeit allgemeiner Unthätigkeit. Ich kaufte Weizen aus den Kornspeichern Pennsylvaniens, der in Albany auf Boote gebracht und den Mohawk hinabgeführt wurde; von dort aus ließ ich ihn durch Saumrosse in die Wildniß bringen, und unter meine Leute vertheilen. Wir setzten Stellnetze aus, und durchwühlten, die Seen und Flüße nach Fischen. Einmal geschah ein wahres Wunder zu unseren Gunsten, denn wir bemerkten, daß ungeheure Schaaren von Häringen fünfhundert Meilen weit in den Windungen des ungestümmen Susquehanna aufwärts zogen und den See mit ihren Massen belebten. Sie wurden gefangen und mit den nöthigen Portionen Salz unter die Leute vertheilt. Von diesem Augenblick an begann unser Gedeihen.“ [Alles dieses gründet sich buchstäblich auf Thatsachen.]

„Ja,“ rief Richard. „und ich theilte die Fische und das Salz aus. Als die armen Teufel kamen, um ihre Rationen in Empfang zu nehmen, mußte Benjamin, der mir dabei half, mit Stricken Schranken um mich ziehen, denn die Leute rochen so stark nach Knoblauch (sie hatten nämlich nichts als dieses wilde Zwiebelgewächs zu essen), daß die Düfte davon mich oft aus meinem Concepte brachten. Du warst damals noch ein Kind, 'Beß, und weißst nichts von der Sache, denn man bot allem auf, Euch nichts von dem Mangel fühlen zu lassen. Jenes Jahr brachte mich schrecklich zurück, sowohl in der Schweine- als in der Truthühnerzucht.“

„Ja, 'Beß,“ fuhr der Richter in einem heitereren Tone fort, ohne die Unterbrechung seines Vetters zu beachten; „wer die Ansiedelungen nur vom Hörensagen kennt, weiß wenig, mit wie viel Mühe und Entbehrung sie bewerkstelligt werden. So wild auch jetzt der Distrikt Deinen Augen vorkommen mag — Du hättest ihn sehen sollen, als ich zum erstenmal diese Berge besuchte. Ich verließ meine Gesellschaft an dem Morgen nach meiner Ankunft in der Nähe des Ortes, wo jetzt die Meiereien des Kirschenthales stehen, und ritt, einem von den Hirschen gebahnten Pfade folgend, auf den Gipfel des Berges, welchen ich seitdem den Visionsberg nenne, denn der Anblick, der sich dort vor meinen Augen aufthat, erschien mir nur wie das Gebilde eines Traumes. Das Feuer hatte auf dem Gipfel aufgeräumt und die Aussicht großentheils freigegeben. Die Blätter waren abgefallen und ich bestieg einen Baum, wo ich wohl eine Stunde sitzen blieb und in die schweigende Wildniß hinausschaute. Nicht eine Oeffnung war in dem endlosen Urwalde zu sehen, die Stelle ausgenommen, wo der See wie ein Spiegel da lag. Das Wasser war von Myriaden wilder Zugvögel bedeckt, und während ich so auf meinem Buchenaste ritt, sah ich eine Bärin mit ihren Jungen an das Ufer hinunter steigen, um ihren Durst zu stillen. Ich hatte während meiner Reise manchen Hirsch durch die Wälder gleiten sehen; aber nirgends konnte ich die Spur eines Menschen entdecken, selbst nicht von meinem erhöhten Standpunkt aus. Es gab noch keine der Lichtungen, der Hütten, der gewundenen Wege, die man jetzt antrifft — nichts als Berge auf Berge und das Thal mit struppigem Reiswerk erfüllt, dem nur hin und wieder ein Baum, welcher ungerne seine verblichenen Blätter fallen ließ, einiges Leben mittheilte. Selbst der Susquehanna war damals noch von den hohen und dichten Urwäldern verborgen.“

„Und du warst allein?“ fragte Elisabeth. „Brachtest Du vielleicht die ganze Nacht in diesem einsamen Zustande zu?“

„Nicht doch, mein Kind,“ antwortete der Vater. „Nachdem ich mir die Landschaft ungefähr eine Stunde mit dem gemischten Gefühl der Freude und der Einsamkeit betrachtet hatte, verließ ich meine Vogelstange und ging wieder den Berg hinab. Ich ließ mein Pferd an den Zweigen weiden, die es erreichen konnte, während ich die Ufer des Sees und die Gegend untersuchte, wo jetzt Templeton steht. Wo jetzt meine Wohnung liegt, befand sich eine Fichte von ungewöhnlicher Größe. Eine Windlichtung hat sich von da aus bis an den See hin Bahn gebrochen, und meinem Auge stellten sich nur wenige Hindernisse in den Weg. Unter den Zweigen jenes Baumes nahm ich mein Mahl ein und war eben damit fertig geworden, als ich in der Nähe des östlichen Seeufers, unter dem Berge, Rauch aufsteigen sah. Dieß war die einzige Spur von der Nähe eines Menschen, welche ich bisher entdeckt hatte. Ich brach mir mühsam Bahn bis zu der Stelle, wo das Feuer brannte, und fand daselbst eine rauhe Blockhütte an dem Fuße eines Felsens, in welcher sich auch Spuren des Bewohntseyns vorfanden, obgleich ich keinen Insassen sehen konnte.“

„Es war Lederstrumpfs Hütte,“ sagte Edwards rasch.

„Ganz recht; ich hielt sie jedoch anfangs für eine Indianerwohnung. Aber während ich mich noch an der Stelle befand, kam Natty, wankend unter der Last eines Bockes, den er geschossen hatte, zurück. Damals begann unsere Bekanntschaft: früher hatte ich nie gehört, daß die Wälder von einem solchen Wesen bewohnt würden. Er machte seinen Rindenkahn los und ruderte mich nach dem untern Theil des Sees hin zu der Stelle, wo ich mein Pferd angebunden hatte, indem er mich zugleich auf einen Ort aufmerksam machte, wo das Thier bis zum Morgen eine spärliche Waide finden konnte. Sodann kehrte ich zurück und brachte die Nacht in der Hütte des Jägers zu.“

Miß Temple war von der gespannten Aufmerksamkeit, welche der junge Jäger diesen Worten lieh, so betroffen, daß sie ihre Frage wieder aufzunehmen vergaß. Der junge Jäger aber setzte das Gespräch fort, indem er fragte:

„Und wie entledigte sich Lederstrumpf der Obliegenheiten eines Wirthes, Sir?“

„Je nun, einfach aber freundlich, bis spät in die Nacht hinein. Als er jedoch meinen Namen und meine Absicht erfuhr, minderte sich seine Zutraulichkeit sichtlich, oder verschwand, wie ich lieber sagen möchte, ganz und gar. Er betrachtete, glaube ich, die Uebersiedelung von Auswanderern als einen Eingriff in seine Rechte, denn er zeigte sich sehr unzufrieden über unsere Maßregeln — freilich nur in seiner verwirrten und zweideutigen Weise. Ich verstand seine Einwürfe nicht ganz, aber ich vermuthete, daß sie sich hauptsächlich auf eine Störung seiner Jagd bezogen.“

„Hatten Sie damals den Grund und Boden schon angekauft, oder war es blos ihre Absicht, ihn als Kaufliebhaber zu beaugenscheinigen?“ fragte Edwards etwas abgebrochen.

„Er war schon seit mehreren Jahren mein Eigenthum und ich untersuchte den See, weil ich dort eine Ansiedelung zu gründen gedachte. Natty behandelte mich, nachdem er den Zweck meiner Reise erfahren zwar gastfreundlich, aber mit Kälte. Demungeachtet aber überließ er mir jene Nacht seine eigene Bärenhaut, und des andern Morgens vereinigte ich mich wieder mit meinen Begleitern.“

„Sprach er nichts von den Rechten der Indianer. Sir? Lederstrumpf ist stets geneigt, das Recht der Weißen auf den Besitz dieser Gegend zu bestreiten.“

„Ich erinnere mich, daß er diesen Gegenstand zur Sprache brachte; aber ich begriff ihn nicht ganz und habe daher vergessen, was er sagte. Sind doch die Ansprüche der Indianer seit dem Schlusse des alten Krieges erloschen; und wenn dieß auch nicht der Fall wäre, so habe ich die Patente des königlichen Gouverneurs, bestätigt durch eine Akte unserer eigenen Gesetzgebung, so daß kein Gerichtshof des Landes meine Rechte beanstanden kann.“

„Ohne Zweifel ist Ihr Anspruch ebenso gesetzlich, als gerecht, Sir,“ erwiederte der Jüngling kalt, indem er sein Pferd zügelte und schweigend zurückblieb, bis die Unterhaltung einen andern Gegenstand berührte.

Es war selten, daß Herr Jones ein Gespräch so lange fortgehen ließ, ohne sich selbst auch darein zu mischen. Wahrscheinlich gehörte er damals gleichfalls zu Richter Temple's Begleitung, denn er griff die gelegentliche Pause, welche durch den Rückzug des jungen Edwards veranlaßt wurde, begierig auf, um die Unterhaltung fort zu führen, und das, was weiter geschehen, in seiner eigenen Weise zu erzählen. Da jedoch seine Schilderungen nicht so interessant waren als die des Richters, so unterlassen wir es, sie zu Papier zu bringen.

Bald war die Stelle erreicht, wo die verheißene Merkwürdigkeit zu sehen war. Es war eine jener malerischen und eigenthümlichen Naturscenen, die dem Otsego eigen sind; um sich jedoch ihrer ganzen Schönheit erfreuen zu können, hätte die eisige Verödung durch die Weichheit einer Sommerlandschaft ersetzt werden müssen. Marmaduke hatte seiner Tochter vorausgesagt, die Starrheit des Winters werde den Eindruck der Partie stören; und nachdem man sie nur flüchtigen Blickes betrachtet hatte, kehrte die Gesellschaft wieder nach Hause zurück, vollkommen überzeugt, daß die Schönheit derselben wohl die Mühe eines zweiten Ritts zu einer günstigeren Jahreszeit lohnen dürfte.

„Der Frühling ist in America die trübseligste Zeit des Jahres,“ sagte der Richter; „und dieß gilt namentlich hier von diesen Bergen. Der Winter scheint sich in diese Verschanzungen gleichsam wie in eine Citadelle seines Herrschergebietes zurück zu ziehen, aus der er sich nur nach einer langen Belagerung, in welcher bisweilen jede Partei den Sieg davonzutragen scheint, austreiben läßt.“

„Eine sehr passende Vergleichung, Richter Temple,“ bemerkte der Sheriff; „und die Garnison unter Jack Frosts Commando macht verzweifelte Sorties — Sie wissen, was man unter Sorties versteht, Monsieur; Ausfälle in unserer Sprache — und treibt bisweilen den General Lenz und seine Truppen wieder nach dem Küstenlande zurück.“

„Ja. Sir,“ entgegnete der Franzose, dessen hervorragende Augen die unsicheren Tritte des Thieres, welches er ritt, bewachten, indem es einen gar gefährlichen Weg über Baumwurzeln, Löcher, Holzbrücken und Moräste, was den Inbegriff der Landstraße bildete, zu gehen hatte — „Je vous entends; die Küstenland is gefror für der halb Jahr.“

Monsieur Le Quoi's Irrthum wurde von dem Sheriff nicht beachtet; und der Rest der Gesellschaft begann bereits den Einfluß der veränderlichen Jahreszeit zu fühlen, denn die kälter werdende Luft that kund, daß eine anhaltend milde Witterung sobald noch nicht zu erwarten sey. Ein gedankenvolles Schweigen folgte der heiteren Unterhaltung, welche während des ganzen Spazierritts stattgefunden hatte, da sich jetzt von allen Strichen her Wolken am Himmel aufzuthürmen begannen, die in rascher Bewegung forttrieben, ohne daß man gerade den Einfluß eines Windes verspüren konnte.

Während sie über eine der gelichteten Anhöhen ritten, die auf ihrem Wege lag, machte der Richter Temple seine Tochter darauf aufmerksam, daß ein Sturm herannahe. Schneegestöber verdüsterten bereits das Gebirg, welches die Nordgrenze des Seees bildete, und die behagliche Wärme, welche den Umlauf des Blutes beschleunigt hatte, wich bereits dem erkältenden Einfluß eines bevorstehenden Nordwesters.

Die ganze Gesellschaft beeilte sich nun, so gut sie konnte, um nach dem Dorfe zu kommen, obgleich die schlechten Wege sie nicht selten nöthigten, die Ungeduld der Thiere zu zügeln, da dieselben oft Stellen führten, wo man nur Schritt reiten konnte.

Richard, dem Monsieur Le Quoi folgte, war fortwährend der Vorderste; nach ihnen kam Elisabeth, welche durch die Zurückhaltung angesteckt zu seyn schien, die sich in dem Benehmen des jungen Edwards aussprach, seit derselbe sein Gespräch mit ihrem Vater so rasch abgebrochen hatte. Marmaduke ritt hinter seiner Tochter, indem er ihr oft wohlmeinende Winke über die Behandlung ihres Pferdes gab. Vielleicht war es Miß Grant's augenscheinliche Bedürftigkeit eines Beistands, was den jungen Mann veranlaßte, während des Ritts durch den trübseligen dunkeln Wald, wo kaum ein Sonnenstrahl durchdringen konnte und wo selbst der Tag durch den düstern, unabsehbaren Forst verdunkelt wurde — an ihrer Seite zu bleiben. Der Wind hatte die Stelle, auf der sich unsere Gesellschaft bewegte noch nicht erreicht; aber die Todtenstille, die oft einem Sturme voran geht, machte ihre Lage noch beklemmender, als wenn derselbe bereits zu wüthen angefangen hätte. Plötzlich hörte man die Stimme des jungen Edwards in jenen erschreckenden Tönen rufen, welche Einen in der tiefsten Seele erschüttern und das Blut der Hörer gerinnen machen:

„Ein Baum! ein Baum! die Peitsche — den Sporn — so lieb Euch Euer Leben ist! — Ein Baum! ein Baum!“

„Ein Baum! ein Baum!“ wiederholte Richard, und versetzte seinem Pferde einen Schlag, welcher das beunruhigte Thier zu einem fast ruthenweiten Sprung veranlaßte, während der Koth und das Wasser wie unter einer Windsbraut in die Luft spritzten.

„Ein Baum! ein Baum!“ schrie der Franzose, indem er seinen Körper gegen den Hals seines Pferdes vorbeugte, die Augen schloß, und die Rippen seines Thieres mit den Fersen bearbeitete, bis dasselbe mit bewundrungswürdiger Eile dem des Sheriffs nachfolgte.

Elisabeth zügelte ihr Roß und sah, zwar unruhig, aber ohne die Ursache der Gefahr zu ahnen, auf, indem sie auf die krachenden Töne horchte, welche die Stille des Waldes unterbrachen. Aber im nächsten Augenblick ergriff der Richter den Zügel ihres Pferdes und rief:

„Gott beschütze mein Kind!“

Sie fühlte sich fortgerissen von der kräftigen Gewalt seines Armes.

Alle bückten sich gegen die Sattelknöpfe vor, als dem Rauschen der Zweige ein Ton, ähnlich dem Sausen des Windes, folgte. Dann vernahm man ein donnerndes Getöse und verspürte eine Erschütterung, unter der die Erde erbebte, denn eine der edelsten Ruinen des Urwalds war gerade über ihren Weg gefallen.

Ein Blick war hinreichend um den Richter Temple zu überzeugen, daß seine Tochter und alle seine Vordermänner in Sicherheit waren; und nun sah er in wahrer Todesangst zurück, um das Schicksal der Uebrigen zu erfahren. Der junge Edwards befand sich auf der andern Seite des Baumes: er hatte sich so weit wie möglich im Sattel zurückgelehnt, und seine linke Hand hielt gewaltsam den Zügel, während seine Rechte den von Miß Grant's Thier gefaßt hatte, so daß der Kopf desselben ganz gegen den Leib hinunter gezerrt war. Beide Pferde zitterten vor Schrecken und schnaubten furchtbar. Luise selbst hatte die Riemen losgelassen, und saß, die Hände vor das Gesicht gedrückt und gegen den Sattel vorgebeugt in einer Haltung da, in welcher sich die Verzweiflung auf eine seltsame Weise mit Ergebung gepaart hatte.

„Es ist euch doch nichts geschehen?“ rief der Richter, zuerst das furchtbare Schweigen unterbrechend:

„Gott sey Dank, nein,“ antwortete der Jüngling; „hätte aber der Baum Aeste gehabt, so wären wir verloren gewesen.“

Er hatte kaum ausgesprochen, als Luise im Sattel zu wanken begann, und ohne die Beihülfe seines Armes wäre sie nothwendig zur Erde gesunken. Sie hatte jedoch außer dem Schrecken keinen weitern Schaden genommen, und unter Elisabeths Beistand kam sie bald wieder zu sich. Man zögerte eine kleine Weile, bis sie sich ganz erholt hatte; und nun wurde sie wieder in den Sattel gesetzt, worauf sie, zu beiden Seiten von dem Richter Temple und Herrn Edwards unterstützt, der Gesellschaft langsam folgte.

„Der plötzliche Umsturz eines Baumes ist das gefährlichste Begebniß in den Wäldern,“ sagte Marmaduke, „da man es nie voraussehen kann. Es kömmt vor, ohne daß ein Lüftchen geht, und ohne irgend eine erkennbare Ursache, gegen welche man auf der Hut seyn könnte.“

Der Grund eines solchen Umsturzes liegt nahe genug, Richter Temple,“ sagte der Sheriff. „Der Baum ist alt und in Folge der Kälte morsch geworden; und wenn dann der Schwerpunkt über die Basis hinausfällt, so muß er stürzen. Ich möchte wissen, ob es ein zwingenderes Argument gibt, als eine mathematische Gewißheit. Ich studirte Mathe — —“

„Ganz recht, Richard,“ unterbrach ihn Marmaduke; „Deine Begründung ist richtig, und wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt, so wurde sie von mir selbst bei einer früheren Gelegenheit aufgestellt. Aber wie kann man sich gegen die Gefahr schützen? Kannst Du durch die Wälder gehen, um die Basen abzumessen und die Schwerpunkte der Eichen zu berechnen? Beantworte mir das, Freund Jones, und ich will Dir zugestehen, daß Du dem Land einen großen Dienst erwiesen hast.“

„Das soll ich Dir beantworten, Freund Temple?“ erwiederte Richard, „Ein Mann von Bildung kann Dir alles beantworten. Stürzt etwa ein anderer Baum in dieser Weise, als ein morscher?

Nimm Dich in Acht, der Wurzel eines mürben Baumes nahe zu kommen, und Du wirft sicher genug seyn.“

„Da dürften wir nur ganz aus den Wäldern wegbleiben,“ versetzte Marmaduke. „Aber zum Glücke räumen die Winde mit so gefährlichen Ruinen auf, wenn ihnen durch die Lichtungen der Zugang gebahnt wird, Ein Sturz wie der gegenwärtige gehört zu den Seltenheiten.“

Luise hatte sich inzwischen so weit erholt, daß die Gesellschaft einen schärferen Schritt einhalten konnte. Aber lange ehe sie die Heimath erreichten, wurden sie von dem Sturm überholt, und als sie an der Thüre des Herrenhauses abstiegen, waren die schwarzen Federn auf Miß Temples Hut von einer Masse Schnees geknickt und die Röcke der Herren mit dem gleichen Material eingepudert.

Während Edwards Luisen vom Pferde half, ergriff das warmherzige Mädchen seine Hand mit Feuer und flüsterte:

„Jetzt, Herr Edwards, verdanken Euch Vater und Tochter das Leben.“

Es folgte bald ein heftiger Nordwest-Orkan, und noch ehe die Sonne untergieng, war jede Spur des Frühlings wieder verwischt. Der See, die Berge, der Wald und die Felder lagen abermals unter einer blendenden Schneehülle vergraben.


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