Schwatz uns nicht stets von diesen Berg' und Thälern,
Du alter Thor, denn Niemand horcht auf Mähren
Aus deiner Kinderzeit, womit du quälst
Der Hörer Ohr. — rasch! Zur Sache!
Duo.
Herr Jones stand des folgenden Morgens mit der Sonne auf, ließ sein und Marmadukes Pferd satteln, und verfügte sich mit ungewöhnlich wichtiger Miene in, das Schlafgemach des Richters. Die Thüre war nicht verschlossen, und Richard trat mit einer Freimüthigkeit ein, welche nicht nur das gute Einvernehmen mit dem Vetter, sondern auch die gewohnte Weise des Sheriffs charakterisirte. —
„Nun, 'Duke, zu Pferde,“ rief er. „und ich will Dir auseinander setzen, was ich gestern Abend mit meinen Andeutungen meinte. David sagt in seinen Psalmen — nein, es war Salomo; doch das ist gleichgültig, er gehörte zur Familie — Salomo sagt, Alles hat seine Zeit; und nach meiner unmaßgeblichen Ansicht ist eine Fischerpartie kein geeigneter Moment, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen. — Ha was soll das? Was zum Teufel fehlt Dir, Marmaduke? Bist Du nicht wohl? Laß mich Deinen Puls fühlen. Du weißst, mein Großvater war —“
„Dem Körper nach befinde ich mich ganz wohl, Richard,“ fiel der Richter ein, indem er seinen Vetter zurück schob, welcher eben im Begriff war, dem Doctor Todd in's Handwerk zu greifen; „aber mein Gemüth ist leidend. Als ich in der letzten Nacht zurück kam, fand ich unter anderen Briefen auch diesen vor.“
Der Sheriff nahm den Brief auf, ohne jedoch seine Augen auf das Schreiben zu richten, denn er betrachtete fortwährend das Aeußere des Richters mit großem Erstaunen. Von dem Antlitz seines Vetters wanderte sein Blick nach dem Tische, wo mehrere Briefe, Pakete und Zeitungen lagen, und dann in dem Zimmer umher. Auf dem Bette war der Eindruck eines menschlichen Körpers sichtbar, ohne daß jedoch die Decke zurückgeschlagen gewesen wäre; und Alles verkündete, daß der Bewohner des Gemachs eine schlaflose Nacht zugebracht hatte. Die Kerzen waren bis in die Leuchter niedergebrannt und augenscheinlich von selbst erloschen. Marmaduke hatte seine Vorhänge aufgezogen und die Fenster geöffnet, um die balsamische Luft eindringen zu lassen, aber seine blassen Wangen, seine bebenden Lippen und seine eingesunkenen Augen zeigten so gar nicht die gewöhnliche männliche und heitere Ruhe des Richters, daß der Sheriff mit jedem Augenblicke bestürzter wurde.Endlich fand Richard Zeit, seine Blicke auf den Brief zu werfen, den er noch immer uneröffnet und zusammengeballt in seiner Hand hielt.
„Was, ein zu Schiff angekommener Brief,“ rief er, „und von England? Ha, 'Duke! der mag in der That wichtige Neuigkeiten enthalten.“
„Lies ihn,“ versetzte Marmaduke, in heftiger Aufregung durch das Zimmer auf und abschreitend.
Richard war gewöhnt, laut zu denken, und daher nicht im Stande einen Brief zu lesen, ohne einem Theile des Inhalts Worte zu leihen. Wir legen daher dem Leser das, was in dieser Weise von dem Briefe veröffentlicht wurde, nebst den gelegentlichen Bemerkungen des Sheriffs vor.
„ ,London den zwölften Februar siebzehnhundertdreiundneunzig‘ — Was zum Teufel, das hat lange gebraucht! Aber der Wind ist, bis auf die letzten vierzehn Tage, sechs Wochen lang nordwestlich gewesen.“
„ ,Sir, Ihre verehrlichen Schreiben vom 10. August, 23. September und 1. December habe ich zur rechten Zeit erhalten und das erste umgehend beantwortet. Seit dem Empfang des letzteren habe ich —‘ “ hier folgte ein langer Satz, welchen der Sheriff unbestimmt vor sich hin murmelte. „ ,Es thut mir leid Ihnen sagen zu müssen, daß‘ — hum, das ist allerdings schlimm — ,hoffe aber, daß es die gütige Vorsehung für passend gehalten hat‘ — hum, hum, hum; scheint ein religiöser Mann zu seyn 'Duke; wahrscheinlich ein Bischöflicher; hum, hum — ,Schiff abgesegelt von Falmouth, ungefähr am 1. September des vorigen Jahrs und‘, — — hum, hum, hum. ,Wenn etwas von dieser verdrüßlichen Sache verlaufen sollte, so werde ich nicht ermangeln‘ — hum, hum; in der That ein sehr gutherziger Mann für einen Rechtsgelehrten — ,kann jedoch nichts weiteres mittheilen‘ — hum hum. ,Der Nationalconvent‘ — hum hum — ,unglückliche Louis‘ — hum, hum - ,Bespiel Eures Washington‘ — gewiß ein sehr verständiger Mann, und keiner von jenen verrückten Democraten. Hum, hum, — ,unsere tapfere Flotte‘ — hum, hum, — ,unter unserem ausgezeichneten Monarchen‘ — ja, mag ein guter Mann seyn, dieser König Georg; hat aber schlechte Rathgeber. Hum, hum — ,schließe mit den Versicherungen meiner vollkommenen Hochachtung‘ — Hum, hum. ,Andreas Holt!‘ — Andreas Holt! — ein sehr verständiger theilnehmender Mann, dieser Andreas Holt, — schreibt aber schlimme Botschaft. Was willst Du zunächst thun, Vetter?“
„Was kann ich thun, Richard, als die Zeit und die Führung des Himmels abzuwarten? Da ist ein anderer Brief aus Connecticut, welches übrigens nur eine Bestätigung des früheren enthält. Nur Eines tröstet mich bei diesen Neuigkeiten aus England, daß er nämlich mein letztes Schreiben erhalten haben muß, ehe das Schiff absegelte.“
„Das ist freilich schlimm genug; sehr schlimm, 'Duke, und macht alle meine Pläne, an dem Huse Flügel anzubringen, zu Wasser. Ich habe Vorkehrungen zu einem Ausritt getroffen, um Dir etwas ungemein Wichtiges mitzutheilen. Es liegen Dir immer Minen im Kopf —“
„rede jetzt nichts von Minen,“ fiel ihm der Richter ins Wort; „denn ich habe ohne Verzug eine heilige Pflicht zu erfüllen. Ich muß diesen Tag mit Schreiben zubringen, und Du wirst mir helfen, Richard. Ich mag Oliver nicht von einem so wichtigen Geheimniß Einsicht nehmen lassen.“
„Nein, nein, 'Duke,“ rief der Sheriff, dem Richter die Hand drückend; „ich stehe ganz zu Deinen Diensten. Wir sind Geschwisterkinder, und Blut ist im Grunde doch der beste Mörtel, der die Freundschaft zusammen hält. Meinetwegen; es hat keine Eile mit der Silbermine; denn morgen ist so gut wie heute. Ich denke, wir werden hiebei den Dirky Van brauchen?“
Marmaduke bejahete diese indirekte Frage, und der Sheriff stand von seinem beabsichtigten Ausritte ab, begab sich in das Frühstückzimmer und entsandte sogleich einen Boten, um Dirck Van der School her zu bescheiden.
Das Dorf Templeton durfte sich des Beistandes von nur zwei Rechtsgelehrten erfreuen, von denen wir den Einen unseren Lesern bereits in der Wirthsstube zum kühnen Dragoner vorgeführt haben; der Andere war der von Richard vertraulicher Weise „als Dirck oder Dirky Van nahmhaft gemachte Gentleman. Große Gutmüthigkeit, ziemliche Gewandtheit in seinem Fach und, so weit dieß bei einem Advokaten möglich ist, ein beträchtlicher Grad von Ehrlichkeit waren die Hauptzüge in dem Charakter dieses Mannes, welcher unter den Ansiedlern als Squire Van der School bekannt war und bisweilen auch durch den schmeichelhaften, obgleich anomalen Titel des „Holländers“ oder des „ehrlichen Advokaten“ bezeichnet wurde. Wir wünschen jedoch nicht, unserem Leser einen falschen Begriff von irgend einem unserer Charaktere beizubringen und sehen uns daher veranlaßt, beizufügen, daß das Adjectiv in Herrn Van der School's Standesbezeichnung in unmittelbarer Beziehung zu seinem Substantiv gemeint war. Wir dürfen unsern orthodoxen Freunden nicht sagen, daß alles Verdienst in der Welt nur beziehungsweise ein solches ist; und wenn wir irgend einem Charakter Eigenschaften zuschreiben, so ist dieß so zu verstehen, daß man dabei auch die Umstände in's Auge zu fassen hat.
Den Rest des Tages über blieb der Richter mit seinem Vetter und seinem Rechtsfreunde eingeschlossen, und Niemand hatte Zutritt ins Zimmer als seine Tochter. Marmaduke hatte die tiefe Betrübniß, die ihn augenscheinlich bedrängte, einigermaßen auch Elisabeth mitgetheilt, denn ein kummervoller Blick beschattete ihre schönen Züge, und die Schwungkraft ihres lebensvollen Geistes war merklich gelähmt. Der junge Edwards, der mit Verwunderung Zeuge der plötzlichen Veränderung bei den Hauptgliedern der Familie war, bemerkte sogar, wie sich einmal eine Thräne über Miß Temple's Wange stahl und ihre leuchtenden Augen mit einer Weichheit übergoß, welche gewöhnlich bei ihr nicht zu finden war.
„Haben Sie schlimme Nachrichten erhalten, Miß Temple?“ fragte er mit einer Theilnahme, welche Luise Grant veranlaßte, mit einer Raschheit, über welche sie selbst erröthete, ihr Antlitz von ihrer Arbeit zu erheben. „Ich würde gerne Ihrem Vater meine Dienste anbieten, wenn er, wie ich vermuthe, an irgend einem fernen Orte eines Agenten bedarf, sobald ich hoffen dürfte, daß es zu Ihrer Beruhigung beitrüge.“
„Wir haben allerdings schlimme Kunde vernommen,“ versetzte Elisabeth, „und mein Vater wird wohl für eine Weile die Heimath verlassen müssen, wenn ich ihn nicht überreden kann, das Geschäft meinem Vetter Richard anzuvertrauen, obgleich auch seiner Abreise aus dem Bezirke dermalen Hindernisse im Weg stehen dürften.“
Der Jüngling schwieg eine Weile und das Blut stieg langsam nach seinen Schläfen, während er fortfuhr:
„Wenn das Geschäft von der Art wäre, daß ich es ausführen könnte — —“
„Es ist ein solches, daß es nur Jemanden, den wir kennen nämlich Einem von den Unsrigen anvertraut werden kann.“
„Ich hoffe, daß Sie mich kennen, Miß Temple,“ fügte er mit einer Wärme bei, die er selten an Tag legte, die aber doch bei ihren früheren Mittheilungen nicht ganz ohne Vorgang war. „Habe ich fünf Monate unter ihrem Dache geweilt, um nur als ein Fremder betrachtet werden zu können?“
Elisabeth war gleichfalls mit ihrer Nadel beschäftigt, und sie beugte ihr Haupt zur Seite, indem sie that, als ob sie ihr Nähzeug ordne; aber ihre Hand bebte, ihr Antlitz erglühte, und ihre Augen verloren ihre Feuchtigkeit in einem Ausdrucke ununterdrückbarer Theilnahme, als sie erwiederte:
„Aber wie viel wissen wir von Ihnen, Herr Edwards?“
„Wie viel?“ wiederholte der Jüngling, indem er von der
Spcrecherin auf Luisens mildes Antlitz blickte, auf welchem sich gleichfalls Neugierde abmalte. „Wie viel? Bin ich nicht lange genug ihr Hausgenosse gewesen, daß man mich wohl hätte kennen lernen können?“
Elisabeth's Haupt richtete sich langsam aus ihrer erkünstelten Haltung auf, und der Blick der Verwirrung, der sich so lebhaft mit dem Ausdrucke der Theilnahme gemischt hatte, ging in ein Lächeln über. '
„Wir kennen Sie allerdings, Sir: Sie nennen sich Oliver Edwards und haben, dem Vernehmen nach, meiner Freundin Miß Grant mitgetheilt, daß Sie ein Eingeborener wären — —“
„Elisabeth!“ rief Luise, bis über die Schläfe erröthend, und wie Espenlaub bebend; „Sie haben mich nicht recht verstanden, liebe Miß Temple; ich — ich — es war nur eine Vermuthung von mir. Außerdem — wenn Herr Edwards auch mit den Eingeborenen verwandt ist, warum sollten wir ihm dieß zum Vorwurf machen? Worin sind wir besser? Wenigstens ich, die ich nur das Kind eines armen heimathlosen Geistlichen bin.“
Elisabeth schüttelte mit einem zweifelnden Lächeln ihren Kopf ohne jedoch etwas zu erwiedern, bis sie des wehmüthigen Ausdrucks gewahrte, der, bei dem Gedanken an die Armuth und die Mühen ihres Vaters, das Antlitz ihrer Gefährtin überflog; dann fuhr sie fort:
„Nein Luise; Ihre Demuth führt Sie zu weit. Die Tochter eines Dieners der Kirche steht hoch genug, um Niemand über sich anzuerkennen. Weder ich noch Herr Edwards kann sich ganz zu Ihres Gleichen zählen, wenn er nicht —“ fügte sie abermals lächelnd bei — „im Geheimen ein König ist.“
„eun treuer Diener des Königs der Könige, Miß Temple, ist Niemand auf Erden untergeordnet,“ sagte Luise; „aber doch gibt es einen Unterschied der Stände, und ich bin nur das Kind eines armen undfreudlosen Mannes, das auf keine andere Auszeichnung Anspruch machen kann. Warum sollte ich mich also erhaben über Herrn Edwards fühlen – weil — weil — er in einem sehr entfernten Grade mit John Mohegan verwandt ist?“
Bedeutungsvolle Blicke wurden zwischen der Erbin und dem jungen Mann gewechselt, als Luise, indem sie seine Abstammung vertheidigte, ihr Widerstreben an Tag legte, ihn mit dem alten Krieger in eine nähere Verbindung zu bringen; aber weder sie noch er erlaubten sich auch nur ein Lächeln über die Einfalt der Predigerstochter. —
„Wohl erwogen, muß ich zugestehen, daß meine Stellung hier im Hause etwas Zweideutiges hat,“ begann Edwards, „obwohl ich sagen darf, daß sie mit meinem Blute erkauft wurde.“
„Und noch obendrein mit dem Blute eines der eingeborenen Herrn dieses Bodens?“ rief Elisabeth, welche augenscheinlich seiner Abstammung von den Ureingeborenen nur wenig Glauben schenkte.
„Sind die Merkmale meiner Abkunft so offen in meinem Aeußeren abgedrückt? Meine Haut ist dunkel, aber nicht sonderlich roth — nicht mehr als gewöhnlich.“
„Doch, doch — gerade im gegenwärtigen Augenblick.“
„Ich bin überzeugt, Miß Temple,“ rief Luise, „daß Sie Herrn Edwards noch nicht genau ins Auge gefaßt haben. Seine Augen sind nicht so schwarz wie Mohegan's — nicht einmal so wie Ihre eigenen; und ebenso wenig ist dieß bei seinem Haare der Fall.“
„Sehr möglich; ich könnte also auf eine gleiche Abkunft Anspruch machen. Auch würde es mir zu einem großen Troste gereichen, wenn ich es thun dürfte, denn ich gestehe, es berührt mich schmerzlich, wenn ich den alten Mohegan in diesen Gegenden umher streifen sehe, wie den Geist eines ihrer alten Besitzer, und wenn ich dabei bedenke, wie wenig statthaft meine Eigenthumsrechte sind.“
„Wirklich?“ rief der Jüngling mit einer Heftigkeit, ob der die Damen erschracken.
„Allerdings,“ erwiederte Elisabeth, als sie sich in einer kleinen Weile von ihrer Ueberraschung erholt hatte. „Aber was kann ich thun? Was kann mein Vater thun? Wenn wir auch dem alten Manne eine Heimath und ein anständiges Auskommen anböten, so würde er es schon um seiner Gewohnheiten willen ausschlagen. Auch könnten wir, wenn wir einen so thörichten Wunsch hegten, diese Lichtungen und Meiereien nicht wieder in Jagdgründe verwandeln, wie es Lederstrumpf so gerne zu sehen wünschte.“
„Sie haben Recht, Miß Temple. Was wäre da wohl zu thun? Aber doch gibt es eines, was Sie gewiß thun können und wollen, wenn Sie Herrin dieser schönen Thäler geworden sind: — verwenden Sie ihren Reichthum zum Wohle der Armen und Nothleidenden; — weiter können sie in der That nicht thun.“
„Und damit ist schon viel geschehen,“ entgegnete Luise, indem jetzt die Reihe des Lächelns an ihr war. „Aber zweifelsohne wird sich Jemand einstellen, der ihr die Leitung solcher Angelegenheiten abnimmt.“
„Es fällt mir nicht ein, dem Ehestande absagen zu wollen wie ein thörichtes Mädchen, das gleichwohl vom Morgen bis in die Nacht an nichts Anderes denkt; aber ich bin hier eine Nonne, ohne das Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt zu haben; wie sollte ich in diesen öden Wäldern einen Gatten finden?“
„Hier ist Keiner, Miß Temple,“ sagte Edwards rasch, „der sich vermessen dürfte, um ihre Hand zu werben, und ich bin überzeugt, daß Sie zuwarten, bis Sie von einem Ihres Gleichen aufgesucht werden — oder sterben, wie Sie gelebt haben, geliebt und geachtet von allen, welche Sie kennen.“
Der junge Mann schien zu glauben, er habe alles gesagt, was die Galanterie forderte, denn er stand auf, nahm seinen Hut und eilte aus dem Gemache. Luise mochte denken, daß er mehr als nöthig gesagt, denn sie seufzte mit einem so leisen Athemzuge, daß sie es wohl kaum gewahrte, und beugte ihr Antlitz wieder über ihre Arbeit. Möglich, daß Miß Temple noch mehr zu hören gewünscht hätte, denn ihre Augen hafteten noch eine geraume Weile auf der Thüre, durch welche der junge Mann verschwunden war, und wandten sich sodann rasch auf ihre Gefährtin. Das nun folgende lange Stillschweigen bewies, wie sehr die Unterhaltung zweier Mädchen unter achtzehn Jahren durch die Gegenwart eines Jünglings von dreiundzwanzig belebt werden kann.
Die erste Person, welcher Herr Edwards begegnete, als er aus dem Hause stürzte, war der kleine viereckiggebaute Rechtsgelehrte, mit einem großen Aktenbündel unter dem Arm und einer grünen Brille mit Seitengläsern auf der Nase, als wolle er durch diese scharfe Bewaffnung seines Auges seine Fähigkeit, die Hinterlist eines Gegners aufzuspüren, multipliciren.
Herr Van der School war ein Mann von Bildung, aber langsamer Fassungsgabe, der den Collisionen mit seinen lebhafteren und fähigeren Collegen, welche den Grund zu ihrem practischen Takte an den östlichen Gerichtshöfen gelegt und die Verschlagenheit mit der Muttermilch eingesogen hatten, seine Vorsicht in Reden und Thun verdankte. Die Behutsamkeit dieses Herrn sprach sich in letzterer Hinsicht als pedantische Methodik und Pünktlichkeit aus, wobei freilich auch ziemlich viel Schüchternheit mit einfloß, während er in seinen Reden so sehr den parenthetischen Styl beobachtete, daß seine Zuhörer oft lange suchen mußten, bis sie den Sinn seiner Worte fanden.
„Guten Morgen, Herr Van der School,“ sagte Edwards. „Es scheint, wir haben heute einen rührigen Tag in dem Herrenhause.“
„Guten Morgen, Herr Edwards, (wenn dies wirklich Ihr Name ist. [denn da Sie fremd sind, so haben wir kein anderes Zeugniß für die Thatsache, als Ihre eigene Aussage] wie ich auch bereits dem Richter Temple zu verstehen gegeben); guten Morgen Sir. Augenscheinlich ist's ein rühriger Tag (aber einem Mann von Ihrer Klugheit braucht man nicht zu sagen [sintemal Sie ohne Zweifel selbst schon diese Entdeckung gemacht haben], daß derr Schein oft trügt) in dem Hause droben.“
„Haben Sie wichtige Papiere, welche abgeschrieben werden müßen? Ist man in irgend einer Weise meines Beistandes benöthigt?“
„Da sind wohl Papiere (wie Sie ohne Zweifel [denn ihre Augen sind jung] an der Außenseite sehen), welche copirt werden sollten. —
„Nun so will ich Sie auf ihre Schreibstube begleiten und mir das Nöthigste herausgeben lassen. Wenn es Eile hat, so soll es bis auf den Abend gefertigt seyn.“
„Es wird mich immer freuen, Sir, Sie in meinem Geschäftslokal zu sehen, (wie nicht mehr als billig [nicht als ob es mir lieber wäre, einen Mann wie Sie (wenn Sie nicht wollen) in Ihrer eigenen Wohnung, welche [um mich höflich auszudrücken] ein Schloß ist, zu empfangen, sintemal mir jeder Platz gelegen kömmt]; aber die Papiere sind mir im Vertrauen übergeben (als solche dürfen sie natürlich von Niemand gelesen werden), und wenn es nicht (in Folge eines feierlichen Befehls von Seite des Richters Temple) angeordnet wird, so sind sie für alle Augen unsichtbar — diejenigen ausgenommen, welche durch Obliegenheiten (ich meine gesetzlich übertragene Obliegenheiten) dazu berechtigt sind.“
„Nun, Sir, wie ich bemerke, bedarf man meiner Dienste nicht, und so wünsche ich Ihnen abermals guten Morgen. Ich bitte jedoch, nicht zu vergessen, daß ich gegenwärtig ganz müßig bin, weshalb es mir lieb wäre, wenn Sie dem Richter Temple bedeuteten, daß ich mich anheischig machte, seine Aufträge in irgend einem Theile der Welt zu besorgen, wenn — wenn — er nicht allzuweit von Templeton liegt.“
„Ich will ihm dies eröffnen, Sir, in Ihrem Namen (mit Ihren eigenen Ausdrücken) als Ihr Agent. Guten Morgen, Sir — aber halten Sie, Herr Edwards (wenn Sie so heißen) nur einen Augenblick. Wünschen Sie, daß ich Ihr Anerbieten vorbringe, in Maßgabe eines zu schließenden Contrakts (in Folge dessen [durch zu bezahlende Vorschüsse] eine Verbindlichkeit eingegangen wird,) oder als eine Dienstleistung, für welche (nach später erfolgender Uebereinkunft unter den Partien) nach Lösung der Bedingungen Entschädigung gereicht würde?“
„Mir gleichgültig, mir gleichgültig,“ versetzte Edwards. „Er scheint in Sorgen zu seyn, und ich möchte ihm Beistand leisten.“
„Der Beweggrund ist gut, Sir (dem Anscheine nach [welcher freilich oft trügt] so viel mir vorkömmt) und gereicht Ihnen zur Ehre. Ich will Ihres Wunsches erwähnen, junger Gentleman (denn ein solcher scheinen Sie zu seyn) und werde (so Gott will) nicht ermangeln. Ihnen um fünf Uhr post meridiem des gegenwärtigen Tages die Antwort mittheilen, wenn Sie mir Gelegenheit dazu geben.“
Das Ungewisse in Oliver's Stellung und Charakter hatte ihn für den Rechtsgelehrten zu einem Gegenstand besonderen Argwohns gemacht, weßhalb auch der Jüngling viel zu sehr an solche zweideutige und behutsame Reden gewöhnt war, um sich durch das vorstehende Gespräch ärgern zu lassen. Er sah wohl ein, daß der Rechtsgelehrte die Absicht hatte, die Natur seines Geschäftes sogar vor dem Privatsecretär des Richters Temple geheim zu halten, und wußte zu gut, wie schwierig es war, den Sinn von Herrn Van der School's Worten zu begreifen, selbst wenn dieser Ehrenmann sich Mühe gab, recht deutlich zu seyn, um nicht jeden Gedanken an irgend einen Aufschluß aufzugeben, zumal er sah, daß der Anwalt sich Mühe gab, Alles zu vermeiden, was zu einem verfänglichen Examen führen konnte. Sie trennten sich an der Hausthüre des Advokaten, und Letzterer verfügte sich mit wichtigthuender Eile nach seinem Schreibzimmer, indem er die Papiere mit seinem rechten Arme so fest an sich drückte, als gewärtige er in jedem Augenblicke, daß man ihm dieselben entreißen wolle.
Die Leser müssen bereits bemerkt haben, daß der Jüngling ein ungewöhnliches und tief gewurzeltes Vorurtheil gegen den Charakter des Richters hegte; aber in Folge irgend einer Gegenwirkung waren seine Gefühle jetzt mehr die einer innigen Theilnahme an dem dermaligen Zustande seines Gönners und an der Ursache seiner geheimen Unruhe. Er sah dem Rechtsgelehrten nach, bis sich die Thüre hinter demselben und dem geheimnißvollen Packete geschlossen hatte, worauf er langsam nach seiner Wohnung zurückkehrte und seine Neugierde in den gewöhnlichen Obliegenheiten seines Dienstes zu vergessen suchte.
Als der Richter wieder in dem Kreise seiner Familie erschien, lagerte ein wehmüthiger Schatten über seinen sonst heiteren Zügen, welcher viele Tage nicht von seiner Stirne weichen wollte; aber das zauberartige Fortschreiten der Jahreszeit weckte ihn aus seiner jeweiligen Apathie, und mit dem Sommer kehrte auch sein Lächeln wieder.
Die heißen Tage und das öftere Eintreten erfrischender Regenschauer hatten in unglaublich kurzer Zeit den Wuchs der Pflanzen vollendet, welche der zögernde Frühling so lange in der Knospe zurgehalten hatte, und die Wälder prunkten in jeder Abschattung von Grün, um derenwillen die americanischen Wälder so berühmt sind. Die Stümpfe der gelichteten Wälder waren bereits unter dem Weizen verborgen, der unter jedem Sonnnenlüftchen in seinem sammtartig schillernden Farbenwechsel dahin wogte.
So lange der Kummer des Richters anhielt, vermied es Herr Jones rücksichtsvoll, die Anfmerksamkeit seines Vetters auf eine Angelegenheit zu wenden, die mit jeder Stunde mehr an dem Herzen des Sheriffs nagte und die wohl von großer Wichtigkeit seyn mochte, wenn wir anders eine Folgerung aus seinem häufigen Verkehr mit dem Manne ziehen dürfen, der dem Leser in der Wirthsstube zum kühnen Dragoner unter dem Namen Jotham vorgeführt wurde. —
Endlich wagte es der Sheriff wieder auf den Gegenstand anzuspielen, und eines Abends, im Beginne des July, gab ihm Marmaduke das Versprechen, ihn des andern Morgens auf dem ersehnten Ausfluge zu begleiten.