Die Liebe herrscht ob Hof und Feld und Hain.
Lied des letzten Minstrels.
„Es wäre in der That traurig gewesen, Dich auf eine solche Weise zu verlieren, mein alter Freund,“ rief Oliver, so bald er so weit zu Athem gekommen war, um sprechen zu können. „Auf und fort! Vielleicht ist es jetzt schon zu spät. Die Flammen ziehen sich im Kreise um die Felsenspitze, und wenn wir hier nicht durchkönnen, bleibt uns kein anderer Ausweg als über den Absturz hinunter. Auf! Auf! Schüttle Deine Schlaffheit ab, John. Der Augenblick ist drängend.“
Mohegan deutete auf Elisabeth, welche, sobald sie die Töne von Edwards Stimme erkannt, der Gefahr vergessend sich hinter einen Felsenvorsprung zurückgezogen hatte, und sprach mit neu erwachendem Leben —
„Rette sie — laß John sterben.“
„Sie? wen meinst Du? rief der Jüngling, indem er sich rasch nach der von dem Indianer angedeuteten Stelle umwandte; — als er aber Elisabeths Gestalt sah, in deren Haltung sich sowohl der Schreck als auch ein Mißbehagen ausdrückte, mit dem jungen Manne an einem solchen Orte zusammen zu treffen, fühlte er sich vor Entsetzen fast der Sprache beraubt.
„Miß Temple!“ rief er, als er wieder Worte fand; „Sie hier? Ach, daß Ihnen ein solcher Tod vorbehalten seyn mußte!“
„Nein, nein, nein — kein Tod, hoffe ich, für irgend Jemand von uns, Herr Edwards,“ versetzte sie, indem sie sich bemühte, ruhig zu sprechen. „Es ist nur Rauch vorhanden, kein Feuer, das uns beschädigen könnte. Versuchen wir`s, zu fliehen.“
„Nehmen sie meinen Arm,“ entgegnete Edwards; „es muß irgendwo noch eine Lücke seyn, um uns durchzuhelfen. Aber sind Sie auch der Anstrengung gewachsen?“
„Gewiß. Doch ich glaube nicht, daß die Gefahr so groß ist, Herr Edwards. Führen Sie mich nach der Richtung, wo sie herkamen.“
„Ich will — ich will,“ rief der Jüngling mit einer Art verzweifelter Entschlossenheit. „Ja, ja — dort ist keine Gefahr, ich habe Sie unnöthig beunruhigt.“
„Aber sollen wir den Indianer verlassen? — Können wir ihn, wie er sagt, sterben lassen?“
Ein Ausdruck schmerzlicher Erregung flog über das Gesicht des jungen Mannes; er hielt an und warf einen wehmüthigen Blick auf Mohegan zurück, ohne jedoch seine Gefährtin loszulassen, die er mit gewaltigen Schritten vorwärts zog, um in der Richtung, in welcher er hergekommen, einen Weg durch den Flammenkreis zu suchen.
„Nehmen Sie keine Rücksicht auf ihn,“ sprach er mit der Ruhe der Verzweiflung: „er ist an die Wälder und an solche Scenen gewöhnt, und entkömmt vielleicht auf den Berg — über den Felsen — oder bleibt auch wohl, wo er ist, ohne daß seine Sicherheit gefährdet würde.“
„Sie waren eben erst noch anderer Ansicht, Edwards! — Lassen Sie ihn nicht dort, um eines solchen Todes zu sterben,“ rief Elisabeth und heftete dabei auf das Antlitz des Jünglings einen Blick, welcher die Gesundheit der Sinne ihres Führers zu bezweifeln schien.
„Ein Indianer und verbrennen! Wer hat je gehört, daß ein Indianer im Feuer gestorben wäre? Ein Indianer kann nicht verbrennen — der Gedanke ist lächerlich. Eilen Sie, eilen Sie, Miß Temple — der Rauch könnte Ihnen gefährlich werden.“
„Edwards! Ihr Blick — Ihr Auge erschreckt mich! Sagen Sie mir aufrichtig, ist die Gefahr größer, als sie scheint? Und wenn es das Aeußerste wäre — ich bin darauf gefaßt.“
„Wenn wir jene Felsenspitze erreichen können, ehe sich die Feuermasse ihrer bemächtigt, so sind wir geborgen, Miß Temple!“ rief der junge Mann mit einer Stimme, welche alle Schranken seiner erzwungenen Fassung niederbrach. „Fliehen Sie, was Sie können — es gilt Ihr Leben!“
Der Ort, wo Miß Temple den Indianer getroffen, war, wie bereits gesagt, eine jener Felsenplateformen, welche in den Gebirgen dieser Gegend eine Art von Terrassen formiren und nach vorn tief und senkrecht abschießen. Sie bildete nahezu einen natürlichen Kreisbogen, dessen Enden sich in weniger steilen Ansteigungen mit dem Gebirge vereinigten. Ueber eine derselben war Edwards herabgekommen und eben dahin drängte er Elisabeth mit verzweifelter Hast zurück.
Ungeheure Wolken weißen Rauches umlagerten die Spitze des Berges und verbargen das Umsichgreifen des wüthenden Elements; aber ein prasselnder Ton zog die Augen der an Edwards Seite über den Grund hinfliehenden Miß Temple gegen die Grenzen des Raumes, wo sie bereits die wehenden Flammen dem Dunstgewölke voran schießen sah, bald hoch in die Luft auflodernd, bald wieder zur Erde sinkend, wo sie jeden Strunk und jedes Gesträuch, das ihrem glühenden Hauche nahe kam, zu verzehren schienen. Dieser Anblick steigerte die beiden Flüchtlinge zu gedoppelter Kraftanstrengung; aber unglücklicher Weise lag ein Haufen alter dürrer Baumwipfel quer über ihrem Wege, und in demselben Augenblicke, als sie sich schon gerettet glaubten, warfen die warmen Luftströmungen eine doppelte Flammenzunge nach dem Holzstoße, welcher im Augenblicke der Berührung auch Feuer fing, und als sie den Ort erreichten, fanden sie sich den Weg durch eine prasselnde Lohe, ähnlich der in einem hell auflodernden Ofen, versperrt. Sie bebten zurück und flüchteten sich nach einer Felsenspitze, von wo aus sie betäubt in die Flammen blickten, welche rasch weiter griffen und bald die ganze Seite des Berges in ein wogendes Feuermeer verwandelten. Elisabeth's leichter und luftiger Anzug machte es sogar gefährlich, sich nur in die Nähe des wüthenden Elements zu wagen, und dieselben fliegenden Gewänder, welche ihrer Gestalt so viel Weichheit und Anmuth verliehen, schienen nun bestimmt zu seyn, die Werkzeuge ihrer Vernichtung zu werden.
Die Dorfbewohner pflegten auf diesem Berge ihr Brenn- und Bauholz zu holen, wobei sie jedoch immer nur die Stämme nahmen und Wipfel und Zweige zurückließen, um an Ort und Stelle zu verwittern. Der Berg war daher mit Massen solchen leichten Brennstoffs bedeckt, der unter der sengenden Sonne der letzten zwei Monate bei der leichtesten Berührung mit Feuer entzündet werden konnte. In der That schien es auch in einzelnen Fällen der Berührung gar nicht zu bedürfen, denn es war, als ob die Flammen von Haufen zu Haufen schössen, wie das fabelhafte Feuer, welches die vernachläßigte Flamme des heidnischen Tempels wieder anzündete.
Der Anblick war ebenso schön als schrecklich, und Edwards schaute nebst Elisabeth auf die fortschreitende Verheerung mit einem seltsamen Gemische von Entsetzen und Theilnahme. Ersterer erwachte jedoch bald wieder zu neuen Kraftanstrengungen und zog seine Gefährtin an dem Saume des Rauches vorbei, wobei er oft, aber stets erfolglos, in den dichten Wolken einen Durchgang suchte. Sie hatten in dieser Weise einen Halbkreis um den oberen Theil der Terrasse beschrieben, bis sie, an dem anderen Ende derselben angelangt, zu der schrecklichen Ueberzeugung kamen, daß sie vollständig von dem Feuer umgeben seyen. So lange noch ein einzelner Paß, auf oder abwärts im Gebirge, unerspäht war, durfte man doch noch hoffen; sobald aber jedes Entkommen durchaus unmöglich erschien, erfaßten Elisabeth die Schrecken ihrer Lage so sehr, als sie bisher die Gefahr leicht zu nehmen geneigt gewesen war.
„Dieser Berg trägt die Bestimmung, mir verderblich zu werden!“ flüsterte sie; — „wir werden hier unser Grab finden!“
„Sprechen Sie nicht so, Miß Temple; noch ist die Hoffnung nicht verloren,“ entgegnete der Jüngling in dem gleichen Tone, obgleich der starre Ausdruck seines Auges diesen Worten widersprach. „Wir wollen zu der Spitze des Felsens zurückkehren; dort ist — dort muß noch eine Stelle seyn, wo wir hinab steigen können.“
„So führen Sie mich hin,“ rief Elisabeth. „Wir wollen nichts unversucht lassen.“
Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern flog dem Rande des Absturzes zu, während sie in unterdrücktem, krampfhaftem Schluchzen vor sich hinmurmelte:
„Mein Vater! mein armer, mein unglücklicher Vater!“
„Edwards war im Augenblick an ihrer Seite und sah sich in den Spalten der Klippen fast die Augen aus, um eine Oeffnung zu erspähen, welche die Flucht hätte erleichtern können. Aber schon die obere Fläche des Felsens war so glatt, daß sie dem Fuß kum sicher aufzutreten gestattete; wie viel weniger war nun daran zu denken, sich der schwachen Vorsprünge zu benützen, um etwa hundert Fuß hinabsteigen zu können! Edwards sah bald ein, daß auch hier nichts zu hoffen war, und mit einer Art fieberischer Verzweiflung, die ihn zu erneuter Thätigkeit drängte, schritt er zu einem weiteren Versuche.
„Es bleibt uns nichts übrig, Miß Temple,“ sagte er, „als Sie von hier aus auf den unten liegenden Felsen hinabzulassen. Wenn Natty hier wäre, oder wenn nur dieser Indianer aus seiner Erstarrung aufgeweckt werden könnte, so würde ihr Scharfsinn und ihre lange Erfahrung leicht Wege finden; ich bin jedoch für den gegenwärtigen Augenblick in allem Andern, nur nicht in meinem Muthe, wie ein Kind. Wo finde ich einen Ausweg? Mein Anzug ist so leicht und ungenügend; — doch Mohegan's Decke! Wir müssen es versuchen — wir müssen es versuchen — was es auch sey, alles ist besser, als Sie das Opfer eines solchen Todes werden zu sehen!“
„Und was soll aus Ihnen werden?“ versetzte Elisabeth. „Nein weder Sie noch John sollen meiner Rettung zum Opfer fallen!“
Er hörte sie nicht, sondern war bereits an Mohegan's Seite, der sich ohne Widerrede die Decke nehmen ließ, indem er dabei mit indianischer Würde und Fassung seinen Sitz beibehielt, obgleich seine eigene Lage gefährlicher als die der Andern war. Die Decke wurde in Streifen geschnitten, und die Bruchstücke an einander geknüpft, wobei auch noch die Linnenjacke des Jünglings und Elisabeths leichter Mousselin-Shawl Beihilfe leisten mußten. Die Leine wurde mit Blitzesschnelligkeit über den Felsen hinabgeworfen; aber sie reichte nicht zur Hälfte zu, um den Boden zu berühren.
„Es geht nicht — es geht nicht!“ rief Elisabeth. „Für mich ist keine Hoffnung! Das Feuer greift zwar langsam, aber sicher um sich. Sehen Sie, es verzehrt sogar den Boden vor sich her.“
Hätten sich die Flammen an dieser Stelle nur halb so schnell verbreitet, als es an andern Theilen des Berges der Fall war, wo sie von Busch zu Baum lecken konnten, so wäre unser peinliches Geschäft bereits geendet, da die Eingeschlossenen ihnen schon längst hätten zum Raube werden müssen. Aber die Eigenthümlichkeit ihrer Lage gewährte Elisabeth und ihrem Gefährten so viel Aufschub, daß sie die erwähnten Versuche noch machen konnten.
Die dünne Erdrinde, welche den Felsen bedeckte, barg nur einige welke Kräuter, und die meisten Bäume, die in den Spalten Wurzel gefaßt hatten, waren in Folge der heißen Temperatur, welche mehrere Sommer zuvor stattgefunden, bereits hingestorben. Die einzigen noch erkennbaren Lebensäußerungen daran bestanden aus etlichen dürren und welken Blättern, während die übrigen bloß todte Rumpfe von Fichten, Eichen und Ahornbäumen waren. Ein besseres Material zur Nahrung für das Feuer hätte nicht aufgefunden werden können, wenn es mit den Flammen in Berührung gekommen wäre; der Boden entbehrte jedoch ganz und gar des Gebüsches, durch welches das zerstörende Element, einem Waldstrome gleich, den übrigen Berg entlang fortgepflanzt wurde. Neben diesem Mangel an Brennstoff brach auch eine der großen Quellen, von denen es in diesem Bezirke wimmelt, über dem Abhange hervor, die, nachdem sie eine Weile träg auf dem ebenen Lande fortgeflossen, die Moosdecke des Felsens befeuchtete und um die Basis des kleinen Kegels rann, welcher die Spitze des Berges bildete; sie rieselte unter dem Rauchgewölke in der Nähe eines Endes der Terrasse vorbei, und fand ihren Weg nach dem See durch die geheimen Canäle der Erde, ohne von Fels zu Fels zu stürzen. In nassen Jahreszeiten bildete sie wohl hin und wieder ein Bächlein, aber in trockenen Sommern ließ sie sich nur an dem moosigen, sumpfigen Grunde erkennen, welcher die Nähe von Wasser anzeigte. Als das Feuer diese Barriere erreichte, mußte es inne halten, bis eine Concentration der Hitze die Feuchtigkeit überwand, einer Armee gleich, die nur das Heranrücken ihres Nachtrabs erwartet, um den Weg der Zerstörung weiter zu gehen.
Der verhängnißvolle Augenblick schien nun gekommen zu seyn, denn die zischenden Dämpfe der Quelle waren beinahe erschöpft und das Moos der Felsen kräuselte sich bereits unter der sengenden Hitze, während die Rindenreste, welche noch an den todten Bäumen hingen, sich von ihren Stämmen zu trennen begannen und als gerollte Massen zur Erde fielen. Die Luft schien unter den Hitzestrahlen zu beben und mit den vertrockneten Zweigen ihr Spiel zu treiben. Hin und wieder fegten dunkle Rauchwolken über der kleinen Terrasse weg und erhöhten, während sie das Auge trübten, die Empfänglichkeit der übrigen Sinne für die Schrecken der Scene. In solchen Augenblicken vereinigte sich das Rauschen der Flammen — das Prasseln des wüthenden Elements mit dem Knistern der fallenden Zweige, auch hin und wieder mit dem donnernden Wiederhalle irgend eines gestürzten Baumes, um die Angst der dem Tode Verfallenen zu steigern. Von den Dreien war jedoch der Jüngling augenscheinlich der Aufgeregteste. Elisabeth hatte die Hoffnung des Entkommens ganz aufgegeben und sah dem Ausgang mit jener gefaßten Ruhe entgegen, welche man nicht selten sogar bei den Zartesten ihres Geschlechtes in der Lage eines unabwendbaren Uebels antrifft, während Mohegan, der sich der Gefahr am nächsten befand, mit der durch nichts zu bewältigenden Resignation eines indianischen Kriegers seinen Sitz beibehielt. Ein oder zweimal wandte sich das Auge des betagten Häuptlings, das gewöhnlich in der Richtung der fernen Berge hinstierte, nach dem jungen Paare, welches zu einem so frühen Tode verurtheilt zu seyn schien, und ein leichter Zug von Mitleid durchlief seine gefaßten Züge; dann aber kehrte er wieder zu seinen Bergen zurück, als blicke er bereits in den Schooß der Zukunft. Meist sang er dabei eine Art von Todtenlied in der Sprache der Delawaren und in den tiefen eigenthümlichen Kehllauten seines Volkes.
„In einem solchen Augenblicke, Herr Edwards, hat aller Erdenunterschied ein Ende,“ flüsterte Elisabeth. „Ueberreden Sie John, näher zu kommen, damit wir zusammen sterben können.“
„Unmöglich — er wird sich nicht von der Stelle bewegen,“ versetzte der Jüngling in den gleichen, grausig leisen Tönen. „Er betrachtet dies als den glücklichsten Augenblick seines Lebens. Siebenzig Winter sind über ihn hingegangen, und in der letzten Zeit hat er schnell abgenommen; auch erhielt er bei jener unglücklichen Jagd auf dem See eine Verletzung. Ach, Miß Temple! das war in der That eine unglückliche Jagd; sie hat, wie ich fürchte, auch diese entsetzliche Scene herbeigeführt.“
Auf Elisabeths Antlitz strahlte ein Himmelsschein, während sie Sprach:
„Warum erwähnen Sie jetzt dieser Kleinigkeit? In solchen Augenblicken ist das Herz todt für alle irdischen Gefühle.“
„Wenn etwas den Menschen mit einem solchen Tode versöhnen kann,“ rief der Jüngling, „so ist es der Gedanke, ihn in solcher Gesellschaft zu erleiden.“
„Reden Sie nicht so, Edwards, reden Sie nicht so,“ unterbrach ihn Miß Temple. „Ich kenne meinen Unwerth, und Sie selbst thun sich Unrecht. Wir müssen sterben; ja — ja — wir müssen sterben — es ist der Wille Gottes, und deshalb unsere Pflicht, uns desselben wie gehorsame Kinder zu unterwerfen.“
„Sterben!“ lautete der Entsetzensruf des Jünglings. „Nein v nein — es muß noch Hoffnung da seyn — Sie wenigstens sollen — dürfen nicht sterben.“
„Wie wäre es zu ändern?“ fragte Elisabeth, indem sie mit der Ruhe der Verklärung auf das Feuer zeigte. „sehen Sie! Die Flamme überschreitet die Grenzlinie des feuchten Grundes; sie kömmt langsam, aber sicher näher. Ah! dort! der Baum! Der Baum lodert bereits auf!“
Sie hatte nur zu wahr gesprochen. Die sengende Hitze war endlich Herr geworden über die widerstrebende Quelle, und das Feuer stahl sich langsam auf dem halbtrockenen Moose fort, während eine abgestorbene Fichte unter der Berührung einer Flammenzunge die sich nur einen Moment um den Stamm des Baumes schlängelte, unter dem Einflusse des Windes hoch aufloderte. All dies war das Werk eines Augenblicks. Die Flammen tanzten längs dem vertrockneten Stamme wie rasch sich folgende Blitze hin, und unmittelbar darauf wüthete eine lebende Feuersäule auf der Terrasse. Sie schoß von Baum zu Baum, und die Scene näherte sich ihrem Ende. Der Stamm, auf welchem Mohegan saß, brannte bereits an seinem fernen Ende und der Indianer schien ganz von Feuer umgeben. Er bewegte sich nicht. Sein schutzloser Körper mochte wohl schwer leiden, aber die Seelenstärke des Mannes überwand allen Schmerz. Man konnte sogar mitten in diesem Graus seine Stimme noch hören.
Elisabeth wandte das Auge von dem schrecklichen Anblicke ab und sah nach dem Thale hinunter. Die Hitze erzeugte wüthende Wirbelwinde, und in dem nämlichen Augenblicke fegten sie die Rauchwolke weg, welche das Thal überhing, um das friedliche Dorf unter ihren Füßen schauen zu lassen.
„Mein Vater! — mein Vater!“ schrie Elisabeth. „Ach — warum konnte mir dies nicht erspart werden! — Doch, ich ergebe mich.“
Die Entfernung war nicht weit genug, um nicht die Gestalt des Richters Temple unterscheiden zu lassen, der auf einem seiner Güter stand, und, augenscheinlich nichts von der Gefahr seines Kindes ahnend, den brennenden Berg betrachtete. Dieser Anblick war noch peinlicher, als die so nahe Gefahr, und Elisabeth wandte sich wieder nach dem Berge um.
„Meine ungezügelte Hitze ist an all' diesem Schuld,“ rief Edwards verzweifelt. „Hätte ich nur die Hälfte Ihrer himmlischen Ergebung besessen, Miß Temple, so wäre vielleicht noch alles gut gegangen.“
„Nichts mehr davon — nichts mehr davon!“ versetzte sie. „Wozu soll es nützen? Wir müssen sterben. Edwards, wir müssen sterben — und so wollen wir es denn als Christen thun. Doch — nein — Sie können vielleicht noch entkommen. Ihr Anzug ist Ihnen nicht so hinderlich als mir der meinige. Fliehen Sie! Verlassen Sie mich — doch halt! Sie werden meinen Vater sehen meinen armen kinderlosen Vater! Sagen Sie ihm dann Edwards, — sagen Sie ihm alles, was seinen Kummer beschwichtigen kann. Erzählen Sie ihm, daß ich glücklich und gefaßt starb, daß ich zu meiner lieben Mutter gegangen bin, daß die Stunden des Erdenlebens nichts sind, wenn sie in die Wagschaale der Ewigkeit fallen. Sagen Sie ihm, daß wir uns wiedersehen werden. Und sagen Sie ihm,“ fuhr sie fort, indem sie ihre Stimme, die sich mit ihren Gefühlen gesteigert hatte, dämpfte, als sey sie sich ihrer irdischen Schwäche bewußt, „wie innig, wie unaussprechlich innig meine Liebe zu ihm gewesen sey — zu innig vielleicht, um nicht meiner Liebe zu Gott Eintrag zu thun!“
Der Jüngling horchte auf die rührenden Laute, jedoch ohne sich von der Stelle zu bewegen. Endlich fand er selbst die Sprache wieder und entgegnete —
„Sie wollen mir gebieten, Sie zu verlassen — Sie am Rande des Grabes zu verlassen? Ach, Miß Temple! wie wenig haben Sie mich gekannt!“
Er sank jetzt vor ihr auf die Kniee nieder und umfaßte ihr fliegendes Gewand mit seinen Armen, als wolle er dasselbe gegen die Gier der Flammen schützen.
„Ich wurde voll Verzweiflung in die Wälder getrieben, aber Ihre Gesellschaft hat den Löwen in mir gezähmt. Wenn ich meine Zeit in einer entwürdigenden Stellung verbrachte, so war es der Zauber Ihrer Person, der mich dazu veranlaßte. Wenn ich meines Namens und meiner Familie vergaß, so trat Ihre Gestalt an die Stelle der Erinnerung; und wenn ich den Rückblick auf erlittenes Unrecht aus meiner Seele bannte, so waren Sie es, die mich Vergebung lehrte. Nein — nein — theuerste Elisabeth, ich kann mit Ihnen sterben, aber nimmermehr Sie verlassen!“
Elisabeth antwortete nicht und stand regungslos. Es war klar, daß ihre Gedanken nicht mehr auf der Erde weilten. Die Erinnerung an ihren Vater und der Schmerz des Scheidens waren durch ein heiliges Gefühl gemildert, welches sie über die Erdendinge erhob, und die Schwäche ihres Geschlechtes schwand hin vor dem Blicke in die nahe Ewigkeit. Noch einmal wurde sie jedoch Weib, als sie diese Worte hörte. Sie kämpfte gegen ihre Gefühle und lächelte, denn sie glaubte jetzt den letzten Rest zeitlicher Fesseln abgestreift zu haben, als plötzlich die Welt mit all ihren Reizen auf's neue in den durchbohrenden Tönen einer menschlichen Stimme zu ihrem Herzen drang.
„Mädchen, wo bist Du, Mädchen? Erfreue das Herz eines alten Mannes, wenn Du noch den Lebenden angehörst?“
„Horch!“ sagte Elisabeth; „das ist Lederstrumpf! Er sucht mich!“
„Es ist Natty!“ jauchzte Edwards. „Wir können vielleicht noch gerettet werden!“
Eine weite, im Kreise umher aufblitzende Flamme überstrahlte für einen Augenblick sogar das Feuer der Wälder, und ein lauter Knall folgte.
„Das ist die Büchse! das ist das Pulver!“ rief dieselbe Stimme, augenscheinlich in größerer Nähe. „Ach, es ist die Büchse, und das kostbare Kind ist verloren!“
Im nächsten Augenblick tauchte Natty aus den Dämpfen der Quelle auf und wurde auf der Terrasse sichtbar: er hatte keine Mütze, das Haar seines Hauptes war versengt, sein gewürfeltes Hemd schwarz und voller Löcher — und sein rothes Gesicht erschien in Folge der Hitze dunkler als je.