Viertes Kapitel.

Was soll's? Wem fiel das Roß? Was giebt's denn?

Falstaff.

Endlich zeigte sich durch das laublose Gehäge an der Seite der Straße ein großer Sleigh, der von vier Pferden — zwei Grauschimmeln vorn und zwei pechschwarzen Rossen an der Deichsel gezogen wurde. Zahllose Schellen waren so dicht, als sie nur Platz finden konnten, an den Geschirren angebracht, und die rasche Bewegung des Gespanns, trotz der jähen Steige, zeigte, daß es dem Lenker vorzugsweise um die luftige Musik seines Geläutes zu thun war. Der erste Blick auf den Sleigh ließ den Richter die darin enthaltene Gesellschaft, welche aus vier Männern bestand, erkennen. Einer jener Stühle, die man gewöhnlich vor Schreibpulten braucht, war fest an die Vorderseite des Schlittens gebunden, und auf der Höhe dieses improvisirten Bockes saß ein kleiner Mann, der in einen großen mit Pelzwerk verbrämten Mantel gehüllt, von seiner Gestalt weiter nichts als ein unveränderlich rothes Gesicht blinken ließ. Die Augen dieses Herrn waren immer aufwärts gerichtet, als sey ihr Besitzer unzufrieden mit der Nachbarschaft der Erde, während seine Züge den Ausdruck emsiger Geschäftigkeit trugen. Er war der Lenker des Gespanns und trieb die feurigen Thiere mit furchtlosem Auge und sicherer Hand den Absturz entlang. Unmittelbar hinter ihm, das Gesicht den beiden andern zugekehrt, befand sich eine hohe Gestalt; der nicht einmal der mit einem doppelten Kragen versehene Mantel und eine darüber geworfene Pferdedecke den Anschein von Beleibtheit zu verleihen vermochte. Sein Gesicht fprang unter einer wollenen Nachtmütze hervor und schien, als er es bei der Begegnung der beiden Sleighs Marmaduke zuwandte, von der Natur in einer Weise gebildet zu seyn, daß es die Atmosphäre mit möglichst geringem Widerstande durchschnitt. Die Augen allein schienen hier einiges Hinderniß zu finden, da sie zu jeder Seite seines Oberkopfs in lichtblauen, glasigten Kugeln hervorsprangen. Blässe war zu sehr die Leibfarbe des Mannes, als daß sein Antlitz sogar durch die in Mark und Bein einschneidende Kälte des Abends hätte eine Veränderung erleiden können. Diesem Herrn gegenüber saß eine kleine, gedrungene, viereckigte Gestalt, von der sich durch die Oberkleider gleichfalls nur das Gesicht unterscheiden ließ, in welchem die funkelnden, schwarzen Augen die übrigen ernsten Züge Lügen zu strafen schienen. Eine zierliche Perücke begränzte die Umrisse eines angenehmen, runden Antlitzes, während — wie bei den andern Herrn — eine Mardermütze die Kopfbedeckung bildete. Das vierte Glied dieser Gesellschaft war ein Mann mit einem langen, sanften Gesichte, der sich keines anderen Schutzes gegen die Kälte erfreuete, als eines schwarzen, ziemlich fadenscheinigen und etwas ins Röthliche spielenden Ueberrocks von nicht sehr modernem Schnitte. Er trug einen Hut von sehr anständiger Form, obgleich die Haare unter dem vielen Bürsten ausgegangen waren. Sein blasses Antlitz hatte einen nachdenksamen etwas melancholischen Ausdruck und war für den Augenblick, in Folge der Kälte, leicht geröthet, wie man es wohl bei Fieberbewegungen sieht. Der kummervolle Ausdruck in seinen Zügen bildete einen besonders schroffen Gegensatz zu der launigen Heiterkeit seines Nachbars nach vorn — des Rossebändigers. Dieser war dem andern Sleigh kaum nahe genug gekommen, um verstanden werden zu können, als er mit lauter Stimme ausrief:

„Stelle Dich auf in dem Steinbruch — stelle Dich auf. Du König der Griechen; fahre in den Steinbruch. Agamemnon, oder ich werde nicht im Stande seyn, an Dir vorbei zu kommen. Willkommen in der Heimath. Vetter 'Duke — willkommen, willkommen, schwarzäugige 'Beß. Du siehst, Marmaduke, daß ich Dir zu Ehren mit einer ausgesuchten Ladung ins Feld rücke. Monsieur Le Quoi hat nur eine einzige Mütze mitgenommen, der alte Fritz ließ die Flasche halbgeleert stehen und Herr Grant mußte es vor der Hand beim Studium des „ersten Theils“ seiner Predigt bewenden lassen. Auch die Pferde mußten sammt und sonders mit — Apropos, Richter, die Schwarzen kann ich nicht mehr behalten; ich werde sie Dir nächstens verkaufen, denn sie thun nicht nebeneinander gut- Ich löse vielleicht —„

„Verkaufe meinetwegen, was Du willst. Dick,“ unterbrach ihn die frohe Stimme des Richters, „wenn Du mir nur meine Tochter und meine Ländereien lässest. Ah, Fritz, Du alter Freund, ich weiß die Ehre zu schätzen, wenn Du, ein Siebenziger, einem Fünfundvierziger entgegen gehst. Monsieur Le Quoi. Ihr gehorsamster Diener. Herr Grant“ — er lüpfte dabei seine Mütze — „ich fühle mich Ihnen sehr verbunden für Ihre Aufmerksamkeit. Meine Herrn, ich habe die Ehre, Ihnen meine Tochter vorzustellen. Ihre Namen sind ihr bereits hinreichend bekannt.“

„Willkommen, willkommen. Richter,“ sagte der Aeltere von der Gesellschaft mit auffallend deutschem Accent. „Miß Betty wird mir doch einen Kuß erlauben?“

„Mit tausend Freuden, mein guter Sir,“ rief die weiche Stimme des Mädchens, die in der reinen Luft der Berge, trotz Richards lautem Schreien, wie ein Silberglöckchen tönte. „Ich habe immer einen Kuß für meinen alten Freund, Major Hartmann.“

Inzwischen hatte sich der Herr auf dem Vordersitze, der von Marmaduke als Monsieur Le Quoi angeredet worden, nicht ohne Mühe und unter Beihilfe des Bockes, auf den er seine Hand stützte, sammt seiner Masse von Unterkleidern in dem Sleigh aufgerichtet und lüpfte nun mit einer höflichen Verbeugung gegen den Richter und einer tiefen gegen Elisabeth die Mütze.

„Bedecke Deinen Schädel, Franzmann, bedecke Deinen Schädel,“ rief der Rossebändiger, der Niemand anders als Herr Richard Jones war; „bedecke Deinen Schädel, sonst erfrieren Dir die Paar Locken, die noch auf demselben vegetiren. Wäre Absalon's Kopf so dünn mit Haaren besäet gewesen, wie der Deinige, so könnte er heutigen Tages noch leben.“

Richard's Scherze verfehlten nie, ein Gelächter zu veranlassen, denn gewöhnlich erwies er schon in eigener Person seinem Witze diese Ehre, und auch diesmal begleitete er seine Worte mit einem herzlichen Lachen, während Monsieur Le Quoi mit einer höflichen Erwiederung dieses Heiterkeitsausbruches seinen früheren Platz einnahm. Der Geistliche, denn ein solcher war das als Herr Grant bezeichnete Glied der Gesellschaft, begrüßte die Ankömmlinge gleichfalls, zwar bescheiden, aber herzlich, und Richard schickte sich nun an, die Köpfe seiner Pferde der Heimath zuzuwenden.

Nur der Steinbruch setzte ihn in den Stand, diese Bewegung auszuführen, ohne daß er ganz den Berg hinanfahren mußte. Eine sehr beträchtliche Eintiefung, die an jenem Theile des Berges lag, wo Richard die Gespanne hatte Halt machen lassen und von wo aus die Bauten des Dorfes gewöhnlich mit dem nöthigen Gestein versehen wurden, diente zur Ausführung dieses Versuches, welcher jedoch nicht ganz so leicht und des engen Pfades wegen mit einiger Gefahr verbunden war, um so mehr, da Richard mit Vieren umzuwenden hatte. Der Neger bot daher seine Dienste an, um die Vorderpferde auszuspannen — eine Maßregel, die von dem Richter sehr ernstlich unterstützt, von Richard aber mit großer Verachtung abgelehnt wurde.

„Warum und weßwegen, Vetter 'Duke?“ rief er etwas unmuthig. „Die Pferde sind so sanft wie die Lämmer. Du weißt ja, daß ich die Vordern selbst eingefahren habe, und die an der Deichsel sind meiner Peitsche zu nahe, um nicht bewältigt werden zu können, Frage nur den Monsieur Le Quoi, der doch etwas vom Kutschiren verstehen muß, weil er so oft mit mit gefahren ist; er soll sagen, ob auch nur die mindeste Gefahr zu befürchten ist.“

Es lag nicht in der Natur des Franzosen, so zuversichtlich ausgesprochene Erwartungen zu täuschen, obgleich er, als Richard mit den Grauschimmeln nach dem Steinbruch einlenkte, mit ein Paar Augen, welche ihm wie die eines Hummers aus dem Gesichte hervorstanden, in den vor ihm liegenden Abgrund hinunterblickte. Die Gesichtsmuskeln des Deutschen blieben ruhig, aber sein rascher Blick bewachte jede Bewegung. Herr Grant stemmte seine Hände an die Wände des Sleighs, um sich für den Sprung bereit zu halten, aber seine natürliche Schüchternheit hielt ihn ab, diesen Schritt in Ausführung zu bringen, obgleich ihn die Angst stark dazu drängte.

Inzwischen war es Richard durch eine plötzliche Anwendung der Peitsche gelungen, die Vorderpferde nach dem Schneedamm zu drängen, der den Steinbruch bedeckte; sobald aber die ungeduldigen Thiere fühlten, saß sie bei jedem Schritt tiefer einsanken, so weigerten sie sich entschieden, in dieser Richtung auch nur einen Zoll weiter vorwärts zu gehen, indem sie sich im Gegentheil, durch das verdoppelte Rufen und Darauflosschlagen ihres Treibers in Verwirrung gebracht, gegen die Deichselpferde zurückbäumten, welche ihrerseits den Sleigh hinter sich drängten. Nur ein einziger Holzpflock lag gegen das Thal hin als Schranke an dem Wege, und dieser war jetzt im Schnee begraben. Der Sleigh wurde leicht über ein schwaches Hinderniß weggeschoben und noch ehe Richard sich der Gefahr bewußt wurde, ragte bereits die Hälfte des Schlittenkastens über einem Abgrunde, der mehr als hundert Fuß senkrecht abfiel. Der Franzose, der von dem Rücksitze aus die volle Gefahr des drohenden Sturzes vor Augen hatte, schob unwillkührlichseinen Körper so weit vor, als möglich und rief:

„Ah, mon cher Monsieur Dihk! Mon Dieu! Que faites-vous!“

„Donner und Blitz, Richard,“ rief der deutsche Veteran in ungewöhnlicher Bewegung über die Seite des Sleighs hinaussehend; „wollen Sie denn den Schlitten sammt den Pferden in den Abgrund werfen?“

„Lieber Herr Jones,“ sagte der Geistliche, „seyen sie doch klug — nehmen Sie sich in Acht.“

„Vorwärts ihr störrischen Teufel!“ rief Richard, der sich aus einer Vogelperspective von der ganzen Gefahr seiner Lage überzeugte und, in ungeduldiger Hast vorwärts zu kommen, mit den Füßen an den Bock, auf dem er saß, trommelte, „vorwärts, sag' ich — Vetter 'Duke, ich werde die Grauschimmel auch verkaufen müssen; sie sind die am schlechtesten eingefahrenen Pferde, die mir je vorgekommen. Monsieur Le Quaw“ — Richard ear zu aufgeregt, um es mit der Prononciation genau zu nehmen, auf die er sich sonst ein bischen zu gute that — „Monsieur Le Quaw, ich bitte, lassen Sie mein Bein los; wenn Sie es so fest anfassen, so ist es kein Wunder, daß die Pferde zurückgehen.“

„Barmherziger Himmel!“ rief der Richter; „wir sind Alle verloren.“

Elisabeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, und der Schwarze, der die Pferde des andern Sleighs lenkte, veränderte seine Farbe zu einem schmutzigen Weiß.

In diesem bedenklichen Augenblicke sprang der Jäger, der während der gegenseitigen Begrüßungen in stummem Schweigen da gesessen, aus Marmadukes Schlitten und eilte zu den widerspenstigen Grauschimmeln. Die Pferde, auf welche Richard noch immer unbarmherzig und unverständig lospeitschte, drängten noch immer zurück und droheten, der Quälerei ein schleuniges und schreckliches Ende zu machen. Der Jüngling versetzte denselben einen kräftigen Schlag vor den Kopf, daß sie zur Seite prallten und wieder in den frühern Weg einbogen. Der Sleigh wurde dadurch zwar seiner gefährlichen Lage entrissen, schlug aber nichts desto weniger um, so daß der Deutsche und der Geistliche ohne viele Umstände, jedoch auch ohne Gefährdung ihrer Knochen, auf die Landstraße geworfen wurden. Richard beschrieb ein Kreissegment durch die Luft, von dem die Zügel die Radien bildeten, und langte in einer Entfernung von ungefähr fünfzig Fußen mit in die Höhe gestreckten Beinen auf demselben Schneedamme an, vor dem die Pferde gescheut hatten. Da er bei dieser Luftfahrt, wie Ertrinkende den Strohhalm, instinktartig die Zügel fest gehalten hatte, so entsprach er auf eine bewunderungswürdige Weise dem Zweck eines Ankers. Der Franzose, der sich in dem Schlitten sprungfertig gemacht hatte, kam fast in der Stellung der Knaben, wenn sie Laubfrosch spielen, gleichfalls zum Fliegen, und fuhr mit seinem Kopfe in den Schneedamm, wo er liegen blieb und seine dünnen Beine wie eine in einem Kornfelde stehende Vogelscheuche

hoch in die Höhe reckte. Major Hartmann, der während des ganzen Vorgangs seine Geistesgegenwart auf eine bewunderungswürdige Weiße bewahrt hatte, war der erste in der Gesellschaft, der wieder auf seine Beine und zum Gebrauch seiner Stimme kam.

„Der Teufel, Richard!“ rief er in halb ernstem, halb komischen Tone — „Ihr habt da eine saubere Methode, Euern Schlitten auszuladen!“

Es ist zweifelhaft, ob die Lage, in welcher Herr Grant einen Augenblick nach seinem Umsturz verblieb, eine Folge des stattgehabten Unfalls, oder eine freiwillig angenommene war, um sich vor der Macht, die er verehrte, zu beugen und ihr für seine Rettung zu danken. Als er sich von seinen Knieen erhob, begann er ängstlich und am ganzen Leibe bebend um sich zu blicken, um sich von dem Zustand seiner Gefährten zu überzeugen. Auch Herrn Jones Geistesvermögen war in einiger Verwirrung; als sich aber der Nebel vor seinen Blicken allmählig klärte, und er gewahr wurde, daß Niemand Schaden genommen hatte, rief er mit großer Selbstzufriedenheit aus:

„Nun, wir sind doch ordentlich davon gekommen. Es war ein glücklicher Gedanke von mir, die Zügel nicht fahren zu lassen, sonst wären die wilden Teufel schon lange den Berg hinunter gerumpelt. Habe ich mich nicht wacker gehalten, 'Duke? Im nächsten Augenblicke wäre es zu spät gewesen: aber ich wußte wohl den rechten Fleck, wo ich die Vorderpferde treffen mußte. Der Schlag in die rechte Seite und der plötzliche Ruck an den Zügeln brachte sie schnell wieder in Ordnung; das wird mir Niemand streitig machen.“ [Seit undenklichen Zeiten haben die Zuschauer beim Umschlagen eines Schlittens das Recht, zu lachen — ein Recht, dessen sich der Richter in seinem vollem Umfange bediente, sobald er sah, daß Niemand zu Schaden gekommen war.]

„Es hat sich wohl mit Deinem Ruck und Deinem Wackerhalten, Dick, sagte der Richter. „Ohne jenen wackeren Jungen dort wäre weder von Dir, noch von Deinen — oder vielmehr von meinen

Pferden ein Stück ganz geblieben. Aber wo ist Monsieur Le Quoi? —

„Oh! Mon cher juge! Mon ami!“ rief eine erstickte Stimme: „gottlob! ich leb'; woll' Sie, liebster Agamemnon, so gefällig seyn, su komm ici und su helf mir auf die Bein?“

Der Geistliche und der Neger ergriffen den mit Schnee bedeckten Gallier an den Füßen und zogen ihn aus den drei Fuß tiefen Damme heraus, aus dem seine Stimme wie aus einem Grabe hervorgequollen war. Herrn Le Quoi's Gedanken unmittelbar nach seiner Befreiung waren nicht sehr gesammelt, und als er wieder an's Licht gelangte, schlug er zuerst seine Augen auf, um die Entfernung seines Fluges zu bemessen; seine gute Laune kehrte jedoch mit der Ueberzeugung, nicht beschädigt worden zu seyn, zurück, obgleich es einige Zeit dauerte, ehe er darüber ins Klare kam.

„Wie, Monsieur?“ sagte Richard, der dem Neger emsig beim Abspannen der Vorderpferde an die Hand ging; „sind Sie da? Ich dachte, ich hätte Sie eben gegen die Bergspitze hinauf fliegen sehen.“

„Gott Dank! daß ich nicht hinuntergeflog' in der See,“ entgegnete der Franzose mit einem Gesichte, in welchem sich ein Gemisch von Schmerz, veranlaßt durch ein paar schwere Schrammen, die er beim durcharbeiten des Kopfs durch die Schneekruste erhalten, und dem Ausdrucke der Höflichkeit, die seinen schmiegsamen Zügen natürlich schien — aussprach: „Ah mon cher Mister Dihk, was woll Sie anfang zunächst? Es ist nichts, was Sie nicht versuch.“

„Das Nächste, ich stehe dafür, wird seyn, daßer fahren lernt,“ erwiederte der Richter, indem er den Hirsch nebst mehreren Artikeln seines Gepäcks aus dem eigenen Sleigh in den Schnee warf. „Da sind Sitze für euch alle, meine Herrn. Der Abend wird schneidend kalt, und die Stunde rückt heran, wo Herr Grant durch sein Amt in Anspruch genommen wird. Wir wollen es unserem Freund Jones überlassen, unter Agamemnon's Beistand den Schaden wieder gut zu machen, und dem warmen Feuer zueilen. Da, Dick, ist einiges von Elisabeth's Siebensachen, die Du auf deinen Schlitten werfen kannst, wenn Du ihn wieder in gehörigen Stand gesetzt hast; auch werde ich es Dir Dank wissen, wenn Du diesen Hirsch, den ich geschossen, mitbringst. — Aggy! vergiß nicht, daß heute Abend der Santiclaus [Die periodischen Besuche des heiligen Nicolaus oder Santiclaus blieben bei den Bewohnern New-Yorks im Schwunge, bis die Einwanderungen aus Neu-England auch die Sitten und Ansichten der Puritaner in diese Gegenden verpflanzten. Er kömmt, wie der „bon homme de Noèl“ jeden Weihnachtsabend.] einkehrt.“

Der Schwarze grinste bei der Erwähnung des Lohnes, der ihm für sein Schweigen über den eigentlichen Erleger des Thiers in Aussicht gestellt wurde, während Richard, ohne im mindesten den Schluß von den Worten seines Vetters abzuwarten, seine Erwiederung begann:

„Fahren lernen, sagst Du, Vetter? Gibt es einen Menschen, der sich besser auf die Leitung der Pferde versteht, als ich? Wer ritt das Fohlen zu, das Niemand zu besteigen wagte? Dein Kutscher ist zwar anmaßend genug, zu behaupten, er habe es vorher gezähmt, ehe ich es unter die Hände bekam; aber alle Welt konnte sehen, daß es erlogen war, denn wer kennt nicht John's Lügenzunge? Was ist das — ein Hirsch?“ — Richard verließ die Pferde und eilte zu der Stelle, wo Marmaduke das Thier abgeworfen hatte. „Wahrhaftig ein Hirsch! Ja, da sind zwei Löcher; er hat zwei Läufe abgefeuert und ihn jedesmal getroffen. Tausend alle Welt, wie wird jetzt Marmaduke dick thun! Er zieht bei geringeren Ausbeuten schon die große Glocke — wie nicht erst jetzt, da er noch vor Weihnachten einen ausgewachsenen Bock geschossen! Nun ist vollends gar kein Auskommen mehr mit ihm. Es sind indessen ein paar schlechte Schüsse — reiner Zufall, reiner Zufall. Ich habe in meinem Leben nie zweimal nach einem Spalthüfler geschossen — entweder getroffen oder gefehlt — todt oder durchgebrannt. Ja, wenn es noch ein Bär oder eine wilde Katze gewesen wäre; da mag man wohl beide Läufe in Anwendung bringen. He, Aggy! wie weit stand der Richter ab, als er diesen Bock schoß?“

„Ey, Massa Richard, mag seyn gewesen zehn Ruthen,“ rief der Schwarze, indem er sich unter die Pferde beugte, als wolle er dort eine Schnalle befestigen, in der That aber, um das Grinsen zu verbergen, das ihm den Mund von einem Ohre bis zum andern verzog.

„Zehn Ruthen?“ erwiederte der Andere. „Aggy, der Hirsch, den ich letzten Winter schoß, war zwanzig — ja, eher dreißig, als zwanzig entfernt. Ich möchte kein Thier schießen, das nur zehn Ruthen von mir absteht; — außerdem, Du weist. Aggy, daß ich nur ein Mal feuerte.“

„Ja. Massa Richard; weiß noch. Natty Bumppo feuern das andere Gewehr. Ihr wissen, Sir, alle Leute sagen, Natty ihn haben geschossen.“

„Die Leute lügen. Du schwarzer Schlingel.“ rief Richard aufgebracht. „Ich habe in diesen vier Jahren nicht einmal ein graues Eichhörnchen schießen können, ohne daß dieser alte Schuft oder ein Anderer für ihn Anspruch auf die Ehre gemacht hätte. Verwünschte neidische Welt, in der wir leben! Immer wollen die Leute von dem Ruhme, den einer verdient, etwas abfangen, damit er in ihre gemeine Sphäre herabgezogen werde. Da tragen sie sich in dem Patent [Die Ueberlassungen von Land geschahen sowohl von Seite der Krone als von Seite der vereinigten Staaten durch mit großen Siegeln versehene Urkunden, die Patente hießen — ein Name, der denn auch den in dieser Weise abgetretenen größeren Distrikten beigelegt wurde. Zur Zeit der englischen Oberherrschaft hafteten an der Erwerbung von Grund auch Manorial- (grundherrliche) Rechte, weßhalb in den alten Landen noch häufig der Ausdruck „Manor“ gebraucht wird. So gibt es zum Beispiel in New-York viele Manors, obgleich alle politischen und Gerichtsbarkeitsrechte aufgehört haben.] mit einer Geschichte, daß Hiram Doolittle mir zu dem Plane des St. Pauls Kirchthurmes geholfen habe, obgleich Hiram weiß, daß es nicht war ist. Ich gebe zwar zu, daß ich den Riß des Paulsthurms in London dabei benützte, aber im Wesentlichen ist er doch nur das Ergebniß meines eigenen Erfindungsgeistes.“

„Ich nicht wissen, wo er herkommen,“ sagte der Schwarze, indem er jeden Zug von Heiterkeit in einen Ausdruck von Bewunderung umwandelte. „Aber Jedermann sagen, er wunderbar schön seyn.“

„Das darf man auch, Aggy,“ rief Richard , indem er von dem Hirsche wegtrat und mit der Miene eines Mannes, in dem ein neues Interesse geweckt worden ist, auf den Neger zuging.“Ich denke, ich darf ohne Ruhmredigkeit sagen, daß es die schönste und am wissenschaftlichsten construirte Provinzialkirche in Amerika ist. Die Ansiedler von Connecticut sprechen zwar viel von ihrem Versammlungshause in Weatherfield, aber ich glaube ihnen kaum die Hälfte davon, denn sie sind heillose Prahlhänse. Kaum hat man etwas zu Stande gebracht, dessen Werth sie anerkennen müssen, so kommen sie gleich mit etwas dazwischen; und dann ist zehn gegen eins zu wetten, daß sie sich die Hälfte, wo nicht gar das Ganze des Ruhms zueignen. Du erinnerst Dich noch, Aggy, wie ich den Schild des Dragoners für den Capitän Hollister malte; da km denn ein Kerl, der in dem Dorf die Häuser mit Röthel anstrich, eines Tages zu mir und erbot sich, mir das Haarschwarz, das ich so nenne, weil es gerade wie Roßhaar aussieht, für den Schwanz und die Mähne zu mischen. Hintendrein geht er hin und erzählt aller Welt, daß der Schild von ihm und Squire Jones gemalt worden sey. Wenn Marmaduke diesen Schuft nicht aus dem Patent jagt, so kann er meinetwegen in Zukunft sein Dorf mit eigenen Händen ausschmücken.“

Richard hielt einen Augenblick inne und klärte seine Kehle durch ein lautes Hem, während der Neger, der die ganze Zeit über mit Zurichtung des Schlittens beschäftigt gewesen war, sein Geschäft mit respectvollem Schweigen fortsetzte. In Gemäßheit der religiösen Bedenklichkeiten des Richters war Aggy nur Richard's jeweiliger Sclave, [Die Freilassung der Sclaven in New-York ging nur allmählig vor sich. Sobald sich die öffentliche Meinung für dieselbe erklärte, wurde es üblich, die Dienste eines Sclaven auf acht oder zehn Jahre unter der Bedingung zu erkaufen, daß derselbe nach Ablauf dieser Periode in Freiheit gesetzt werde. Dann traf das Gesetz die Verfügung, daß alle auf dem amerikanischen Continent geborenen Neger nach einer bestimmten Frist — die Männer im achtundzwanzigsten, die Weiber im dreiundzwanzigsten Jahre — frei sein sollten. Der Eigenthümer mußte sie später lesen und schreiben lernen lassen, ehe sie das achtzehnte Jahr erreicht hatten, und endlich wurden alle noch vorhandenen Sclaven durch eine im Jahr 1826 erlassene Akte — also erst nach Veröffentlichung der gegenwärtigen Erzählung — für Freie erklärt. Bei Leuten, welche mehr oder weniger mit Quäkern, bei denen das Sclavensystem schon viel früher abgeschafft war, in Berührung kamen, war die erstere dieser Methoden die üblichste.] weßhalb indeß der Gebieter natürlich mit Recht die Achtung des jungen Negers ansprechen konnte. Doch wenn irgend ein Streit zwischen seinem gesetzlichen und seinem eigentlichen Herrn vorfiel, so fühlte der Schwarze zu viel Verehrung für beide, um einer eigenen Meinung Worte zu leihen. Inzwischen fuhr Richard fort, den Neger zu beobachten, wie dieser eine Schnalle nach der andern anzog, bis er mit einem Blicke nach seinem Gehülfen, in dem sich einiges Schuldbewußtseyn aussprach, fortfuhr:

„Nun, wenn der junge Mann, der in jenem Sleigh war, ein ächter Ansiedler aus Connecticut ist, so wird er Jedermann erzählen, daß er meine Pferde gerettet, obgleich ich sie mit der Peitsche und dem Zügel weit besser vorwärts gebracht hätte, und zwar ohne umzuwerfen, wenn er mich nur noch eine halbe Minute hätte warten lassen, denn ein Pferd hat's nicht gerne, wenn man ihm eins auf den Kopf gibt. Es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn mir durch diesen Schlag der ganze Zug so verdorben wäre, daß ich die Rosse sammt und sonders verkaufen müßte.“

Richard hielt inne und hustete abermals, denn sein Gewissen schlug ihn stärker wegen des Tadels über einen Mann, der ihm eben das Leben gerettet hatte.

„Wer ist der junge Mensch, Aggy?“ fügte er bei; „ich kann mich nicht erinnern, ihn je vorher gesehen zu haben.“

Der Schwarze gedachte der Hindeutung auf den Santiclaus und erstattete einen kurzen Bericht, wie sie die fragliche Person auf dem Gipfel des Berges getroffen, wobei er es aber vermied, der zufälligen Verwundung zu erwähnen und nur beifügte, daß er glaube, der Jüngling sey ein Fremder. Richard war mit dieser Erklärung völlig zufrieden, denn es kam oft vor, daß Leute vom ersten Rang Fremde, die sie im Schnee hinwaten sahen, in ihre Schlitten nahmen. Er hörte Aggy mit großer Aufmerksamkeit an und bemerkte sodann:

„Nun, wenn der junge Mensch nicht durch die Leute in Templeton verderbt worden ist, so läßt er sich vielleicht bescheiden an, und da seine Absicht ohne Zweifel eine gute war, so will ich einige Notiz von ihm nehmen. Vielleicht ist er ein Land-Jäger, [Land-hunter, einer der Land für eine Niederlassung aufsucht.] Aggy — meinst Du nicht?“

„Ey, ja, Massa Richard,“ entgegnete der Schwarze ein wenig verwirrt, denn ihm schwebte bereits die Peitsche seines Gebieters vor, die einen nicht geringen Schrecken in ihm weckte: — „ja. Sir, ich glaube, er so seyn.“

„Hatte er einen Pack und eine Axt?“

„Nein.,Sir, nur eine Büchse.“

„Büchse?“ rief Richard, als er die zum Entsetzen sich steigernde Verwunderung des Schwarzen gewahrte. „Beim Jupiter, so hat er den Hirsch erlegt! Ich wußte ja, daß Marmaduke keinen Bock im Sprunge schießen kann. Wie war es, Aggy? Erzähle mir alles. Wie ich meinen Vetter aufziehen will! Heraus damit, Aggy nicht wahr, der junge Mensch hat den Bock geschossen und der Richter ihn gekauft? Ha, ha, ha! Nicht wahr? — und jetzt nimmt er ihn mit hinunter, um ihm das Geld auszuzahlen?“

Die Freude über diese Entdeckung versetzte Richard in eine so gute Laune, dß die Furcht des Negers einigermaßen verschwand und er sich wieder an die Strümpfe des Santiclaus erinnern konnte. Nach einigem Rülpsen schickte er sich zu der Erwiederung an:

„Ihr vergeßt, daß zwei Schuß da seyn, Sir.“

„Lüge nicht, Du schwarzer Schlingel!“ rief Richard, indem er auf den Schneedamm stieg, um den rücken des Negers mit seiner Peitsche erreichen zu können. „Sprich die Warheit, oder Du sollst mir's büßen.“

Mit diesen Worten erhob Richards Rechte langsam den Peitschenstock und wichste die Schnur mit der Linken, wie es der Profoß macht, ehe er die „Katze“ wissenschaftlich applicirt, worauf Agamemnon, nachdem er jede Seite seines Körpers seinem Herrn zugewendet, aber nicht für räthlich gefunden hatte, eine derselben der beabsichtigten Züchtigung auszusetzen, nachgab. Er bekannte in wenig Worten das wahre Sachverhalten, indem er zugleich Richard dringend beschwor, ihn gegen den Unwillen des Richters in Schutz zu nehmen.

„Das will ich, Junge — das will ich,“ rief der Andere, sich entzückt die Hände reibend. „Sage nichts und überlasse es mir, meinen Vetter zu bearbeiten. Ich hätte gute Lust, den Hirsch hier liegen zu lassen und den alten Knaben selbst heraufzuschicken, um ihn abzuholen. Doch nein, Marmaduke soll mir zuvor ein Bischen dick thun, ehe ich über ihn her will. Beeile Dich, Aggy; ich muß den jungen Mann verbinden helfen. Dieser Yankee-Doktor [Der Ausdruck „Yankee“ hat in Amerika blos eine locale Bedeutung und mag wohl in der Art, wie die Indianer in Neu-England das Wort „English“ oder „Yengeese" ausprechen, seine Entstehung ableiten. Da New-York ursprünglich eine holländische Provinz war, so kannte man ihn dort natürlich nicht, und weiter im Süden haben wahrscheinlich die verschiedenen Dialekte unter den Eingeborenen selbst eine verschiedene Pronunciation veranlaßt. Marmakuke und sein Vetter, als eingeborne Pennsylvanier, waren keine Yankees in der amerikanischen Bedeutung des Worts.] versteht nichts von der Chirurgie — habe ich doch auch des alten Milligan's Bein halten müssen, während er es amputirte."

Richard setzte sich nun wieder auf den Bock, der Schwarze nahm den Hintersitz ein, und die Pferde trabten der Heimath zu. Während sie so den Berg hinunter fuhren, wandte der Rossebändiger sein Gesicht von Zeit zu Zeit nach dem Schwarzen zurück und fuhr fort zu sprechen, denn ungeachtet ihres kürzlichen Zerwürfnisses herrschte doch jetzt wieder die vollkommenste Eintracht zwischen Herr und Diener.

„Ein neuer Beweis, daß ich mit meinen Zügeln die Pferde in das rechte Geleise brachte; denn ein Mensch, der in seinen rechten Arm geschossen ist, hat unmöglich Kraft genug, solche störrige Teufel herumzubringen. Ich wußte es gleich anfangs, aber ich wollte gegen Marmaduke nicht so viele Worte darüber verlieren. — Was, Du willst beißen, Bestie? — Hü! Und noch der alte Natty dazu, das ist das Beste an der ganzen Geschichte! — Nun, nun — 'Duke soll mir nur wieder etwas von meinem Hirsch sagen. Feuert er da beide Läufe ab, ohne etwas anderes zu treffen als einen armen Jungen, der hinter einer Tanne steht; und hintendrein muß ich dem Ouacksalber die Hirschposten herausnehmen helfen.“

In dieser Weise langte Richard im Thale an. Die Schellen klingelten und Herrn Jones' Zunge schwatzte, bis sie das Dorf erreichten, wo der Rossebändiger seine ganze Aufmerksamkeit auf eine gehörige Entfaltung seiner Kutscherkünste verwendete, um die Bewunderung aller gaffenden Weiber und Kinder auf sich zu ziehen, die sich an die Fenster gedrängt hatten, um Zeuge der Ankunft des Richters und seiner Tochter zu seyn.


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