19

Walker Boh blinzelte.

Es war einer jener kristallklaren Tage, an dem das Sonnenlicht so hell ist und die Farben so strahlend sind, daß es die Augen fast schmerzt, sie anzusehen. Der Himmel war von Horizont zu Horizont wolkenlos, eine tiefblaue Leere, die sich endlos erstreckte. Aus dieser Leere und diesem Himmel brannte die Sonne in weißheißem Glanz am Mittag so herab, daß man ihn nur ansehen konnte, wenn man blinzelte und schnell wieder fortschaute. Er schien auf die Vier Länder herab und brachte die Farben des späten Sommers mit erschreckender Klarheit hervor, sogar die dumpfen Brauntöne getrockneter Gräser und staubiger Erde, aber besonders die Grüntöne der Wälder und des Graslands, die Blautöne der Flüsse und Seen und die eisengrauen Farbtöne und das verbrannte Kupfer der Berge und Tiefebenen. Die Hitze der Sonne erhob sich in jenen Winkeln in Wogen, in denen der Wind nicht abkühlte, aber selbst dort schien alles klar gezeichnet und mit der Präzision eines Handwerkes definiert, und da war das Gefühl, daß schon ein greller Schrei dies alles würde zerstören können.

Es war ein Tag der Lebensfreude, an dem vielleicht alle Versprechen erfüllt würden, die jemals gemacht wurden, und alle erdenklichen Hoffnungen und Träume wahr würden. Es war ein Tag des Nachdenkens über das Leben, und Gedanken an den Tod schienen merkwürdig fehl am Platze.

Walker lächelte schwach und verbittert. Er hätte gern einen Weg gefunden, solche Gedanken verschwinden zu lassen.

Er stand allein außerhalb der Mauern Paranors, direkt an der nordwestlichen Ecke unter einer Ausgestaltung der Brustwehren, die einen flachen, herausragenden Überhang bildeten und über das Land hinausschauten. Er stand dort schon seit dem Sonnenaufgang, war durch die Nordtore hinausgeschlüpft, während sich die Vier Reiter an der Westseite versammelt hatten und ihre tägliche Herausforderung erklärt hatten. Fast sechs Stunden waren seither vergangen, und die Schattenwesen hatten ihn nicht entdeckt. Er war auch diesmal in einen Unsichtbarkeitszauber gehüllt. Der Zauber hatte zuvor gewirkt, hatte er Cogline gegenüber argumentiert, als er ihm seinen Plan erläuterte. Es gab keinen Grund, warum er nicht erneut wirken sollte.

Bisher hatte er es.

Sonnenlicht überschwemmte die Wände der Drachenzähne, jagte auch die hartnäckigsten Schatten davon und entblößte die flache, kahle Oberfläche der Felsen. Er konnte nördlich über die Baumlinie hinweg bis zu den kahlen Flächen des Streleheim sehen. Er konnte östlich bis zum Jannisson und südlich bis zum Kennon sehen. Ströme und Teiche schimmerten blau durch die Bäume, die den Keep umgaben, und Singvögel flogen in überraschenden, wunderschönen, strahlenden Farbexplosionen dahin.

Walker Boh atmete tief die Mittagsluft ein. An einem Tag wie diesem war alles möglich. Alles.

Er war mit lockeren, grauen, um die Taille gegürteten Gewändern bekleidet, die Kapuze herabgezogen, so daß sein schwarzes Haar lose über seine Schultern hing. Er trug einen Bart, der aber ordentlich geschnitten und gekämmt war. Natürlich war nichts davon zu sehen. Für jeden Vorübergehenden, und besonders für die Schattenwesen, war er nur ein Teil der Mauer. Ruhe und gute Ernährung hatten seine Kräfte wiederhergestellt. Die Verletzungen, die er drei Tage zuvor erlitten hatte, waren fast völlig geheilt, wenn auch nicht vergessen. Aber er dachte allenfalls flüchtig daran, was ihn danach befallen hatte. Er konzentrierte sich auf das, was jetzt geschehen sollte, an diesem Tag, zu dieser Stunde.

Es war der zehnte Tag der Belagerung durch die Schattenwesen. Es war der Tag, der ihm ausersehen war, daß an ihm diese Belagerung enden sollte.

Er sah über die Schulter zurück und an der Festungsmauer entlang, als einer der Vier Reiter in Sicht kam. Es war Hungersnot, der um die Biegung kam, die ihn zur Nordseite der Mauer führen würde, ein skelettartiger Umriß, über sein Schlangenreittier gebeugt, verloren in seiner eigenen seltsamen Art von Wahnsinn. Grau wie Asche und vergänglich wie Rauch, verfolgte er arglos seinen Weg. Er kam in wenigen Fuß Entfernung an Walker Boh vorbei und schaute nicht auf.

Heute, dachte der Druiden-Novize bei sich.

Er schaute erneut über das Tal hinweg und dachte an andere Zeiten und Orte, an die Geschichte, die ihm vorausgegangen war, an all die Druiden, die nach Paranor gekommen waren und es zu ihrem Heim gemacht hatten. Es waren einst Hunderte gewesen, aber alle bis auf einen waren gestorben, als der Dämonenlord sie vor tausend Jahren dort gefangen hatte. Nur Bremen hatte überlebt, um als einziger Träger der Hoffnung für die Rassen und Führer der Druidenmagie weiterzumachen. Dann war Bremen vergangen, und Allanon war gekommen. Jetzt war Allanon vergangen, und nur Walker Boh war da.

Der leere Ärmel seines fehlenden Arms war zurückgeschlagen und an seinem Körper befestigt. Er griff hinüber, um seinen Sitz zu überprüfen und um versuchsweise seine Schulter und das Narbengewebe zu berühren, das nur wenige Zentimeter darunter endete. Er konnte sich jetzt kaum noch daran erinnern, wie es gewesen war, zwei Arme zu haben. Es schien ihm seltsam, daß das so schwierig sein sollte. Aber in den Wochen seit seiner Begegnung mit dem Asphinx war vieles mit ihm geschehen, und begreiflicherweise konnte man nicht von ihm erwarten, sich besonders gut an etwas aus seinem alten Leben zu erinnern, so vollständig hatte er sich verändert. Sogar die Verärgerung und das Mißtrauen, die er gegenüber den Druiden empfunden hatte, waren verschwunden, denn was sollten sie schon jemandem nützen, der ihr Nachfolger geworden war. Die Druiden, die er verachtet hatte, gehörten der Vergangenheit an. Auch der Zorn auf den Grimpond, den er in sich getragen hatte, war vergangen und in jene selbe Vergangenheit verbannt. Der Grimpond hatte sein Bestes versucht, ihn zu vernichten, und war gescheitert. Er würde keine weitere Chance bekommen. Der Grimpond war ein Schatten in einem Schattenland. Er würde niemals hervorkommen, und Walker würde niemals wieder zurückgehen, um ihn zu treffen. Die Vergangenheit hatte Pe Ell und auch den Steinkönig davongetragen. Walker hatte die Kraft gefunden, alle Feinde, die gegen ihn ausgesandt worden waren, zu überleben, und jetzt waren sie nur noch Erinnerungen, die angesichts der gegenwärtigen Anforderungen seines Lebens kaum wichtig waren.

Walker atmete die Luft ein, schloß seine Augen und entschwebte zu einem Ort tief in sich selbst. Krieg ritt jetzt vorbei, ganz scharfe Kanten und Dornen, glitzernde Rüstung und schwarze, atmende Höhlungen. Walker ignorierte das Schattenwesen. Gesammelt ließ er sich in dem Schweigen und der Stille in sich selbst nieder und spielte noch einmal durch, was geschehen sollte. Schritt für Schritt ging er den Plan durch, den er ersonnen hatte, während er genesen war, wobei er noch einmal die Ereignisse durchdachte, die er herbeiführen würde, und die Konsequenzen, die er unter Kontrolle halten mußte. Dieses Mal würde nichts dem Zufall überlassen bleiben. Es würde kein Ausprobieren geben, keine halbherzigen Maßnahmen, kein Zurückweichen. Er würde erfolgreich sein, oder er würde...

Er lächelte beinahe.

Oder er würde es nicht sein.

Er öffnete die Augen und schaute zum Himmel empor. Der Mittag war vergangen und strebte jetzt dem Nachmittag zu. Aber das Licht hatte noch nicht seine stärkste Helligkeit erreicht und die Hitze noch nicht ihren Höhepunkt, und so würde er noch ein wenig länger warten. Licht und Hitze würden eher ihm dienlich sein als den Schattenwesen, und das war der Grund, warum er am Mittag dort draußen war. Vorher hatte er die Absicht gehabt, im Dunkeln zu entkommen. Aber die Dunkelheit war der Verbündete der Reiter, denn sie waren Wesen, die daraus geboren waren und daraus ihre Kraft entnahmen. Walker würde seine Kraft mit Hilfe seiner Druidenmagie in der Helligkeit finden.

Es würde trotz allem ein Ausprobieren der Kräfte werden, und es würde sich entscheiden, wer an diesem Tag leben und wer sterben würde.

Kräfte aller Art.

Er erinnerte sich an seine letzte Unterhaltung mit Cogline. Es war kurz vor der Dämmerung gewesen, und er hatte sich darauf vorbereitet, hinauszugehen. Bewegung war auf der Treppe zu spüren gewesen, die zu dem Eingangshof führte, wo er sich befunden hatte, und Cogline war erschienen. Sein stockdünner Körper war mit leisem Flattern der Gewänder und mühsamem Atmen aus den Schatten der Treppe geglitten. Sein zerfurchtes, bärtiges Gesicht hatte Walker unter dem Rand seiner ausgefransten Kapuze heraus kurz angesehen, und dann hatte er wieder fortgeschaut. Er hatte sich genähert und war stehengeblieben, der nach draußen führenden Tür zugewandt.

»Bist du bereit?« hatte er gefragt.

Walker hatte genickt. Sie hatten alles durchdiskutiert – oder zumindest so viel, wie Walker zu erörtern bereit gewesen war. Es war nichts mehr zu sagen geblieben.

Die Hände des alten Mannes hatten auf den steinernen Bollwerken geruht, die den eisenbeschlagenen Eingang schützten, um ihn zu stützen. Sie waren so dünn, daß sie fast transparent erschienen waren. »Laß mich mit dir gehen«, hatte er leise gesagt.

Walker hatte den Kopf geschüttelt. »Darüber haben wir bereits gesprochen.«

»Ändere deine Meinung, Walker. Laß mich mitgehen. Du wirst mich brauchen.«

Er hatte so sicher geklungen, erinnerte sich Walker, als er jetzt erneut darüber nachdachte. »Nein. Du und Ondit werdet hier warten. Bleibt in der Nähe der Tür – damit ihr mich wieder hereinlassen könnt, wenn dies fehlschlägt.«

Coglines Kinn hatte sich angespannt. »Wenn dies fehlschlägt, wirst du mich nicht brauchen, um dich wieder hereinzulassen.«

Wie wahr, hatte Walker gedacht. Aber das hatte nichts an den Dingen geändert. Er hatte den alten Mann und die Moorkatze nicht mit sich dort hinausnehmen wollen. Er hatte nicht auch noch für ihr Leben verantwortlich sein wollen. Es würde genügen, wenn er sich Gedanken darüber machen mußte, wie er selbst heil aus der Sache herauskommen konnte.

»Du denkst, ich könnte nicht auf mich selbst aufpassen«, hatte der alte Mann gesagt, als habe er seine Gedanken lesen können. »Du vergißt, daß ich schon jahrelang auf mich selbst aufgepaßt habe, bevor du dahergekommen bist – bevor es überhaupt Druiden gegeben hat. Ich habe einst auch auf dich aufgepaßt.«

Walker hatte genickt. »Ich weiß.«

Der alte Mann war unruhig gewesen. »Könnte sein, daß es so gedacht ist, daß ich erneut auf dich aufpassen soll, weißt du. Könnte sein, daß du mich dort draußen brauchst.« Er hatte ihm sein Gesicht in der Kapuze zugewandt, um ihn ansehen zu können. »Ich bin ein alter Mann, Walker. Ich lebe schon eine lange Zeit – ein ganzes Leben lang. Es ist nicht mehr so wichtig, was mit mir geschieht.«

»Mir ist es wichtig.«

»Das sollte es nicht. Das sollte es kein bißchen«, hatte Cogline eindringlich gesagt. »Warum sollte es wichtig sein? Seit wann magst du mich überhaupt so sehr? Ich war derjenige, der dich in diese Geschichte hineingezogen hat. Ich war derjenige, der dich dazu überredet hat, zum Hadeshorn zu ziehen und dann die Druidengeschichte zu lesen. Hast du das vergessen?«

Walker hatte den Kopf geschüttelt. »Nein, ich habe nichts davon vergessen. Aber ich war es, der die wichtigen Entscheidungen getroffen hat – nicht du. Wir haben auch über das alles gesprochen. Du warst genauso sehr ein Unterpfand der Druiden wie ich. Alles wurde bereits vor dreihundert Jahren beschlossen, als Allanon Brin Ohmsford das Erbe übergeben hat. Dir kann man für nichts von alledem die Schuld geben.«

Cogline hatte betrübt und abwesend gewirkt. »Man kann mir für alles, was in meinem und auch in deinem Leben geschehen ist, die Schuld geben, Walker Boh. Ich habe mich früh für den Druidenweg entschieden und habe mich später entschieden, ihn wieder zu verlassen. Ich habe mich entschieden, die alten Wissenschaften zu erlernen und in kleinen Schritten zu genesen. Ich habe mich zu einem Wesen beider Welten herausgebildet, Druide und Mensch, habe genommen, was ich brauchte, behalten, wonach mir verlangte, und von beiden gestohlen. Ich bin das Verbindungsglied zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen dem Neuen und dem Alten, und Allanon konnte mich als solches benutzen. Wie vieles von dem, was ich bin, hat deine eigene Umwandlung möglich gemacht, Walker? Wie weit wärst du gegangen, wenn ich nicht dagewesen wäre, um dich anzuspornen? Glaubst du auch nur einen Moment lang, ich sei mir dessen nicht bewußt gewesen? Oder daß Allanon es nicht bemerkt hätte? Nein, ich kann nicht von meiner Schuld befreit werden. Du kannst mich nicht davon freisprechen, indem du sie auf dich selbst lädst.«

Walker erinnerte sich an die Vehemenz in der Stimme des anderen, die Härte, die sie offenbart hatte, die Beharrlichkeit, die sie übermittelt hatte. »Dann sollte ich nicht versuchen, dich von der Schuld freizusprechen, alter Mann«, hatte er erwidert. »Aber ich sollte auch mich nicht von Schuld freisprechen. Du hast weder für mich die Wahl getroffen, noch hast du mich daran gehindert, sie selbst zu treffen. Ja, es gab zwingende Gründe für meine jeweilige Wahl, aber diese Gründe wurden von dir nicht eingebracht, bevor ich sie mir nicht selbst überlegt hätte. Außerdem könnte ich, wenn ich wollte, dasselbe behaupten wie du. Welchen Anteil hättest du ohne mich an alledem gehabt? Wärst du mehr als ein Bote für Par und Wren gewesen, wenn du nicht auch an mich gebunden gewesen wärst? Ich glaube nicht, daß du das sagen kannst.«

Das Gesicht des alten Mannes hatte sich dann in die Schatten gesenkt, hatte die Unbeugsamkeit des anderen gesehen und seine Entschlossenheit gehört.

»Du kannst mir am besten helfen, indem du hier wartest«, hatte Walker erklärt und die Hand ausgestreckt, um den Arm des anderen zu berühren. »Sonst hast du immer die Wichtigkeit dessen verstanden, wann man handeln muß und wann nicht. Tu es für mich auch jetzt.«

Damit war die Debatte beendet gewesen, und Cogline hatte bei ihm gestanden, bis das Geräusch der Herausforderung der Schattenwesen durch die Steinmauern Paranors hallte und Walker in die trübe Dämmerung hinausgegangen war, um sich ihr zu stellen.

Kräfte aller Art, wiederholte er, während er jetzt im Schutz der Festungsmauer stand und auf das Herannahen des nächsten der die Festung umkreisenden Schattenwesen lauschte. Er würde vor allem eine Entschlossenheit von der Art brauchen, wie Cogline sie besaß – eine wilde Entschlossenheit, auch nicht den härtesten und unbestreitbarsten Diktaten des Lebens nachzugeben –, wenn er diesen Tag überleben sollte. Hungersnot, Seuche, Krieg und Tod – die Vier Reiter der Apokalypse waren gekommen, um seine Seele zu fordern. Aber an diesem Tag war er Schicksal, und Schicksal würde das Geschick aller beschließen.

Er schaute auf, als Seuche erschien, und streckte sich dann merklich. Es war an der Zeit.

Walker Boh wartete im Schatten der Mauer. Eine unsichtbare Gegenwart, während sich der Reiter näherte. Er kam desinteressiert und lethargisch heran, von seinem Schlangenreittier getragen, ein summender Schwärm Insekten, die in der Gestalt eines Mannes versammelt waren. Seuche fehlten Gesichtszüge und somit auch ein Gesichtsausdruck, und Walker konnte nicht sagen, was er sah oder dachte. Er zog vorüber, ohne langsamer zu werden, die Schlangenklauen rauh auf dem Pfad kratzend. Walker schloß sich ihm an. Der Unsichtbarkeitszauber verhinderte, daß er gesehen wurde, und die Geräusche der Schlange verhinderten, daß er gehört wurde. Walker hatte überlegt, den Unsichtbarkeitszauber zu benutzen, um an den Schattenwesen vorbeizuschlüpfen. Aber sie hatten ihn schnell genug entdeckt, als er versucht hatte, durch die unterirdischen Tunnel Paranors zu entkommen, obwohl er so leise wie ein Gedanke gewesen war, und er glaubte, daß sie ihn spüren konnten, wenn er sich zu weit vom Keep entfernte, von seiner Zufluchtsstätte und der Quelle seiner Druidenmacht. Sogar die Unsichtbarkeit würde ihn dann vielleicht nicht beschützen. Es war besser, so hatte er beschlossen, seinen Vorteil zu nutzen, wenn er sich auf sie verlassen konnte, und den Reitern ein für allemal ein Ende zu bereiten.

Im Kielwasser von Seuche umkreiste er die Festungsmauern, die Stille des Mittags nur von dem Kratzen der Schlangenklauen und dem Summen der eingesperrten Insekten gebrochen. Sie zogen von der kühleren Nordmauer fort und die westliche Mauer entlang, kamen an den Toren vorbei, an denen sich die Reiter jeden Morgen versammelten, um ihre Herausforderung zu erklären. Er hatte sich die Nordmauer ausgesucht, um sich darin zu verbergen, sowohl eingedenk der Tatsache, daß er Stunden dort draußen in der Hitze sein würde, und in der Hoffnung, daß ihm die Schatten der windabgewandten Seite der Festung ein wenig Schutz geben würden. Aber er würde die Schattenwesen an der Südmauer bekämpfen – im Süden, wo das Sonnenlicht am stärksten war. Sie begann voraus bereits stärker zu brennen, während sie von den letzten Schatten, die die Brustwehr warf, ins Licht traten.

Sie umrundeten die Ecke zur südlichen Mauer, einer hoch aufragenden, glatten Fläche flammenden Gesteins, die über einen breiten Streifen Waldland zu den dicht zusammenstehenden Gipfeln der Drachenzähne hinausschaute. Ein ausgedörrtes, staubiges Stück Fels ließ einen Durchgang unterhalb der Mauer, kahl bis auf etwas Gestrüpp und einige wenige verkümmerte Bäume, die an einem steilen Hang entlang auf die kühleren Waldgebiete zu abfielen. Die Hitze erhob sich als Schwüle, die die Luft aus Walkers Lungen zu saugen drohte, aber er kämpfte entschlossen gegen den brennenden Ansturm an, folgte Seuche immer in der gleichen Entfernung, erblickte weit voraus kurzzeitig Hungersnot, der gerade in den von einem Bogen der Brustwehr erzeugten Schatten unterhalb des östlichen Teils der Festung verschwand.

Die Sekunden vergingen. Walker konnte spüren, wie sich die Spannung in ihm aufbaute. Sei geduldig, mahnte er sich. Warte, bis es soweit ist.

Seine Magie begann sich in ihm zu sammeln.

Als sich Seuche auf halbem Weg zwischen dem nächstgelegenen Wachturm und den Südtoren befand, schlug Walker zu. Noch immer in dem Unsichtbarkeitszauber verborgen, schoß er einen Blitzstrahl auf Seuche ab, der sowohl den Reiter als auch sein Tier zu Boden stürzen ließ. Der Reiter versuchte aufzustehen, aber Walker schlug erneut zu, die Magie eine gelassene, aus seinen Händen hervorschießende Hitze, die das Schattenwesen entsetzt rückwärts taumeln ließ. Walker konnte bereits das Geräusch der anderen als schrillen Ton in seinem Geist hören, während sie herannahten. Er konnte bereits ihre Verärgerung spüren.

Hungersnot erschien als erster, wirbelte unter dem von den Brustwehren gebildeten Bogen hindurch, der ihn kurzzeitig verschluckt hatte. Er war näher an dem Kampfplatz gewesen als die anderen. Der skelettartige Umriß beugte sich tief herab, die knochigen Hände streckten sich aus, und der Reiter preschte vorwärts. Aber eine Wolke aus Staub und Rauch hing in seinem Weg. Walker hatte sie aufgerührt, weil er sein Kommen erwartete, und Hungersnot konnte nicht deutlich sehen, was geschah. Als er durch den Schild hindurchbrach, fand er sich genau über seiner Beute wieder. Walker Boh kämpfte mit Seuche, rang mit dem Schattenwesen und versuchte, es von seiner sich windenden Schlange herabzuziehen. Er kämpfte darum, daß sich beide nicht wieder würden erheben können.

Hungersnot schoß vorüber, und die Fingerknochen strichen an Walkers Gesicht vorbei.

Aber sie verfehlten ihn.

Sie erwischten statt dessen Seuche. Und Hungersnot wurde umgekehrt von dem anderen erwischt.

Beide Reiter schrien auf, als ihre jeweilige Magie den anderen angriff. Seuche fiel zurück, geschwächt von Hunger und Notwendigkeit. Hungersnot sprang voller Übelkeit und würgend zurück.

Feuer brach aus den Steinmauern zwischen ihnen auf und versetzte Hungersnot einen wilden Stoß, der ihn herumwirbelte.

Jetzt erschien Krieg. Er kam um das Westende der Mauer herum, die riesige Keule über den Kopf erhoben, während der Reiter auf den Kampfplatz zupreschte. Seine Schlange atmete Flammen, und ein feuriges Schimmern zeigte sich in den Augenschlitzen unter der Rüstung. Er sah Walker Boh deutlich, sah den Druiden mit Hungersnot ringen, und er griff sofort an. Er hatte vielleicht den Warnschrei von Hungersnot gehört, aber selbst wenn er ihn gehört hatte, beachtete er ihn nicht. Er senkte die Keule mit knirschender Wut und der Absicht, Walker Boh mit einem Schlag zu vernichten. Aber Walker war verschwunden, und der Schlag traf statt dessen Hungersnot, krachte durch das Schattenwesen hindurch und tief in seine Schlange hinein. Hungersnot heulte vor Schmerz und brach zu einem Knochenhaufen zusammen. Schlange und Reiter lagen regungslos im Staub.

Krieg wirbelte erneut herum, und plötzlich waren lästige Fliegen überall um ihn herum, stachen und bissen an den Waffen und durch die Rüstung hindurch. Krieg schrie auf, aber der Schlag war schnell und sicher ausgeführt worden. Seuche hatte Walker Boh dem Angriff, der Hungersnot gefällt hatte, ausweichen sehen, hatte gesehen, wie er sich gegen Krieg geworfen hatte und das Schattenwesen zu würgen begonnen hatte. Seuche, benommen und zerschlagen, hatte instinktiv reagiert und in einem schnellen Gegenschlag Fieber und Übelkeit gesandt. Aber die Dinge waren bereits außer Kontrolle der Reiter geraten. Nicht Walker Boh war getroffen worden, sondern Krieg.

Flach an die Festungsmauer gedrückt, zog Walker das Bild von sich selbst hinter dem kämpfenden Krieg in eine Staubwolke hinein und sandte einen Feuerblitz in Seuche, der das Schattenwesen vollständig von seinem Reittier warf. Der Felsstreifen bestand jetzt nur noch aus einem Staubschleier und Hitze, aufgeworfen von den sich windenden, knurrenden Schlangen und ihren rasenden Reitern. Die Bilder waren ein alter Trick, den der junge Jair Ohmsford vor drei Jahrhunderten in seinem Kampf mit den Mord Wraiths perfektioniert hatte. Walker hatte sich daran erinnert und wandte den Trick jetzt zu seinem Nutzen an. Er ließ die Schattenwesen hierhin und dorthin wirbeln, legte ein Bild von sich selbst zuerst über den einen und dann über den anderen, während er die ganze Zeit über seinen Rücken fest an die Festungsmauer preßte.

Spiegel und Licht, aber es erwies sich als ausreichend.

Von einem Dutzend tödlichen Fieberanfällen getroffen, riß Krieg seine Schlange herum. Walker Boh war erneut erschienen, saß rittlings auf dem gefallenen Reiter Seuche, versuchte die anderen Schattenwesen auszulöschen. Krieg griff halb blind und wahnsinnig an und hob eine große Streitaxt. Innerhalb von Sekunden war er über dem Druiden, und die Axt fuhr herab und schnitt ihn entzwei.

Nur daß der wieder nicht da war und die Klinge statt dessen durch Seuche und seine Schlange hindurchschnitt.

Von seinem Platz an der Festungsmauer aus ließ Walker Feuer in Krieg prallen. Das Schattenwesen ging zu Boden und wurde von seinem Reittier getrennt. Als sich das Tier zu erheben versuchte, verbrannte Walker es zu Asche.

Die Tiere teilten nicht die Beweglichkeit ihrer Reiter, wie Walker inzwischen erkannt hatte. Und die Vier Reiter konnten sich zwar von seiner Magie erholen, waren aber nicht immun gegenüber ihrer eigenen. Er hatte sehr wohl bemerkt, wie sie ihn jedesmal angegriffen hatten – immer nur einer von ihnen, einer nach dem anderen, niemals alle zugleich. Ein gemeinsamer Angriff hätte ihn vernichtet, aber trotzdem war keiner erfolgt. Die Vier Reiter waren nicht nur für ihre Feinde, sondern auch füreinander tödlich. Als schwache Imitationen der Legenden waren ihre Magien ein Fluch. Damit hatte er gerechnet. Davon war sein Plan genauso abhängig gewesen wie von dem Mittagslicht und der Hitze, die diese Wesen der Dunkelheit schwächen würden. Er hatte recht gehabt.

Verzweifeltes Umsichschlagen erklang von der Stelle, an der Krieg sich in seiner Rüstung windend dalag und gegen die Übelkeit ankämpfte, die in ihm wütete. Hungersnot und Seuche waren regungslose Haufen. Ihre Schlangen lagen still neben ihnen, und grünliches Blutwasser rann aus ihren Körpern in den Boden. Die trübe Luft klarte auf, Staub und Sand setzten sich auf der Erde ab. Flächen des Himmels, der Berge und des Waldes wurden wieder sichtbar.

Walker trat von der Mauer fort. Noch einer übrig. Wo war...

Das schwere schwarze Seil zischte mit einem Falkenschrei aus dem Dunst heraus, prallte gegen Walker und peitschte um ihn herum, während er dem Schlag standzuhalten versuchte. Verwirrt fiel er auf die Knie und dann auf den Rücken. Sofort erschien Tod, kam aus dem Sonnenlicht herangeritten und hob seine große Sense. Walker schluckte Luft in seine stechenden Lungen. Wie hatte er ihn finden können? Wie hatte er sehen können, wo er war? Der Reiter stürzte sich auf ihn, während die Klauen seiner Schlange wild auf der felsigen Erde scharrten. Walker richtete sich wieder auf die Knie auf und kämpfte darum, freizukommen. Tod war wohl vorsichtiger herangekommen als die anderen. Er hatte sicherlich gesehen, wie er die Schlange des Reiters Krieg verbrannt hatte, hatte dann das Feuer bis zu seinem Ursprung verfolgt und vermutet, wo er sich verbarg.

Walker ließ den Unsichtbarkeitszauber fallen, da er ihm jetzt, wo er entdeckt worden war, nichts mehr nützte, und rief in einem blendenden Wirbelwind das Druidenfeuer herauf, das das Seil des Tods in Fetzen schnitt. Gerade als der Reiter ihn erreichte, kämpfte sich Walker hoch, warf einen Schutzschild auf und wehrte die Sense ab, als sie herabfuhr. Dennoch warf ihn die Wucht des Schlages zu Boden. Er sprang wieder auf, als das Schattenwesen herumwirbelte. Walker versteifte sich. Es war niemand geblieben, der diesen Kampf für ihn hätte führen können. Er hatte den Bildertrick solange benutzt wie möglich. Dieses Mal mußte er es allein durchstehen.

Er berief das Feuer erneut herauf. Tod gegen Schicksal. Walker kauerte sich zusammen.

Der Reiter strich ein zweites Mal vorbei, und Walker sandte das Feuer brennend in ihn hinein. Tod wurde zurückgeschleudert, und die Klinge der Sense wurde gerade weit genug abgeschlagen, daß sie ihr Ziel verfehlte. Aber die Luft in ihrem Schwung wurde frostig, und Walker spürte eine Welle der Übelkeit durch sich hindurchwogen.

Das Schattenwesen fuhr erneut herum, und Walker ging sofort zum Gegenangriff über, wobei das Druidenfeuer aus seiner ausgestreckten Hand schoß. Die Sense fuhr hoch, fing das Feuer ab und zerschmetterte es. Tod drängte die Schlange erneut auf Walker zu. Wieder schlug der Druide zu, aber das Feuer wollte die Abwehr des Reiters nicht durchdringen. Tod war jetzt fast über ihm, die Schlange zischte durch den Staub und die Hitze, und die Sense schimmerte. Walker erkannte plötzlich, daß Tod seine Art des Angriffs geändert hatte und ihn einfach niederreiten wollte. Sofort verlagerte er den Mittelpunkt des Druidenfeuers und schlug auf die Beine der Schlange ein, bekämpfte sie von unten und traf als nächstes den sich windenden Körper, bis alles nur noch eine Masse geschwärzten Fleisches war.

Die Schlange erschauerte, wand sich seitwärts, verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorn. Walker sprang beiseite, als die unförmige Bestie, eingehüllt in Flammen und panisch schreiend, vorbeischoß. Der Schwanz schlug wild hin und her, schlug Walker gegen die Brust und ließ ihn heftig auf dem Boden aufschlagen. Staubwolken stiegen auf, vermischten sich mit dem Rauch des verkohlten Körpers der Schlange, und alles verschwand in Nebelwolken.

Zerschlagen und blutig, mit zerrissenen Gewändern, zwang Walker sich hoch. Neben ihm lag die sterbende Schlange. Ihr Atem war ein unregelmäßiges Kratzen in der plötzlichen Stille. Walker spähte um sich und suchte den Nebel ab.

Dann erschien Tod plötzlich hinter ihm, die Sense bösartig auf seinen Kopf zu schwingend. Walker warf das Druidenfeuer auf, blockierte damit den Schlag und streckte sich dann, um dem Angriff von Tod zu begegnen. Seine gesunde Hand schloß sich um den Griff der Sense, und sein Körper drängte sich gegen Tods Körper. Lähmende Kälte durchdrang ihn. Der mit einer Kapuze bedeckte Kopf des Schattenwesens senkte sich, als sie über den Fels hin und her sprangen. Die seltsamen roten Augen waren auf ihn gerichtet und versuchten ihn langsam in sich hineinzuziehen. Walker wandte sein Gesicht schnell ab und ließ das Druidenfeuer aus seiner Hand heraus – und in den Griff der Sense hineinschießen. Tod schrak zurück, und die Kapuze fiel nach hinten, aber innen war sie leer bis auf die karmesinroten Augen. Eine Hand ließ die Sense los und schlug auf Walker ein und stieß ihn zurück. Walker schwankte von dem Schlag und spürte dann, wie sich die Kälte erneut in ihm ausbreitete. Seine Magie ließ ihn im Stich. Erneut schlug Tod zu und richtete einen gefährlichen Schlag auf seine Kehle. Walker ließ die Sense los und fiel rückwärts.

Tod schritt entschlossen voran. Er war jetzt eine furchtbare Schwärze vor dem Nebel. Walker rollte sich auf die Knie, und der Schmerz fuhr durch ihn hindurch, als er seine Brust umklammerte und nach Atem rang. Die Klinge der Sense wurde erhoben – und fallengelassen.

Denn plötzlich war Cogline zwischen ihnen, als wäre er aus dem Nichts gekommen, eine vogelscheuchenähnliche Gestalt in zerschlissenen, flatternden Gewändern und mit dünnem, fliegendem Haar. Er umfaßte den Griff der Sense und wandte den Schlag ab und ließ die Klinge tief in die Erde neben Walker einschneiden. Walker wirbelte herum und versuchte wieder Fuß zu fassen, während er dem alten Mann zuschrie, er solle sich fernhalten. Aber Cogline hatte sich auf das Schattenwesen geworfen und zwang es weiter nach hinten. Tod hatte eine Hand an Coglines Kehle und die andere um den Griff der Sense gelegt und hob sie zum Schlag. Der alte Mann war entschlossen und kämpfte mit jedem Funken Kraft, den er besaß, aber das Schattenwesen war zu stark für ihn. Cogline wurde langsam zurückgedrängt, die Hand an seiner Kehle bog ihn zurück, die andere Hand verlagerte sich, um die Sense besser halten zu können. Lauf weg! bat Walker im stillen, ohne die Worte aussprechen zu können. Cog- line, lauf weg!

Walker kam stolpernd auf die Füße, kämpfte sich durch seine Erschöpfung und den Schmerz hindurch und streckte sich nach innen zu seinen letzten Kraftreserven aus.

Coglines stockdünner Umriß bog sich wie totes Holz im Sturm und brach unter dem Angriff des Schattenwesens zusammen. Dann schrie er plötzlich auf, nahm eine Handvoll schwarzes Pulver, das er in seinem Gewand verborgen gehalten hatte, und warf es mit einem Fluch auf den Reiter.

Im selben Augenblick fuhr die Sense herab.

Das Pulver explodierte als Feuerblitz durch Tod hindurch, erwischte auch Cogline und ließ beide auseinanderstieben. Walker wich vor dem Ausbruch, dem plötzlichen grellen Licht und dem Anblick der zerfetzten Körper zurück. Dann stolperte er vorwärts, rief im Lauf die Magie herauf und drängte, daß sich das Druidenfeuer in seiner Faust aufbaute. Er sah, wie sich Tod aus dem Staub erhob, eine schwarzgekleidete, versengte und rauchende Gestalt, aus der Flammenreste aus den Enden seiner Ärmel hervorzuckten. Die Sense lag zerschmettert neben ihm am Boden, und seine roten Augen flackerten, als er nach ihren Überresten griff.

Walker ließ das Feuer das Schattenwesen durchbohren, durch die gesichtslose Kapuze hinunter und durch das hindurch, was darin lebte. Tod schwankte getroffen rückwärts; Walker folgte ihm, ließ das Feuer unaufhörlich weiterpulsieren und brennen und brennen. Tod wandte sich abrupt ab und versuchte zu fliehen. Aber es gab kein Entkommen. Walker holte ihn ein, rammte seine Faust in die flatternde Kapuze und legte alle ihm verbliebene Kraft in diesen Schlag hinein.

Tod erschauerte einmal und brach dann in Flammen auf.

Walker wich zurück, riß seinen Arm los und wandte sich schnell von dem Licht und der Hitze ab. Seine Verbündeten, Licht und Hitze, dachte er benommen – er hatte von ihnen gewußt, daß die Schattenwesen sie nicht überleben konnten. Er schaute einmal zurück. Tod brannte leblos und still in Fetzen auf dem staubigen Boden.

Dann ging Walker Boh zurück zu der Stelle, an der Cogline auf dem Boden zusammengebrochen war. Sanft wandte er den alten Mann um, kniete sich hin, um seine Arme und Beine ausstrecken und den geschwärzten, versengten Kopf auf seinen Schoß betten zu können. Coglines Haare und Bart waren fast fortgebrannt. Blut lief aus seinem Mund und seiner Nase. Er war zu nah am Feuer gewesen, als daß er ihm hätte entgehen können. Walker spürte, wie sich etwas in seiner Brust verkrampfte. Der alte Mann hatte das natürlich gewußt. Er hatte es gewußt und das Puder dennoch benutzt.

Coglines Augen öffneten sich. Sie waren erschreckend weiß in dem geschwärzten Gesicht. »Walker?« hauchte er.

Walker nickte. »Ich bin hier. Es ist vorbei, alter Mann. Sie sind erledigt – sie alle.«

Ein rasselndes Atmen endete in einem keuchenden Luftholen. »Ich wußte, daß du mich brauchen würdest.«

»Du hattest recht. Ich habe dich gebraucht.«

»Nein.« Coglines Hand griff aufwärts und umfaßte besitzergreifend seinen Arm. »Ich wußte es, Walker.« Er hustete Blut, aber seine Stimme kräftigte sich. »Es wurde mir gesagt. Von Allanon. Am Hadeshorn, als er mich gewarnt hat, daß meine Zeit vorbei sei, daß mein Leben enden würde. Erinnerst du dich, Walker? Ich habe dir nur einen Teil von dem erzählt, was ich an diesem Tag erfahren habe. Den Teil über die Druidengeschichten. Da war noch mehr, was ich vor dir geheimgehalten habe. Du würdest mich brauchen, wurde mir gesagt. Es würde mir noch ein wenig Zeit gegeben sein, hier, in Paranor, um bei dir zu sein. Ich würde lange genug am Leben bleiben, um noch einmal nützlich sein zu können.«

Er hustete und wurde vom Schmerz überwältigt. »Verstehst du?«

Walker nickte. Er erinnerte sich daran, wie abwesend und zurückgezogen der alte Mann im Druidenkeep gewirkt hatte. Etwas hatte sich verändert, hatte er gedacht, aber er hatte sich nicht die Zeit genommen, herauszufinden, was es war, weil er so sehr mit seinem Kampf, den Schattenwesen zu entkommen, beschäftigt gewesen war. Jetzt war es klar. Cogline hatte gewußt, daß sein Leben fast vorüber war. Allanon hatte ihm einen Aufschub für seinen Tod gewährt, aber er hatte ihm den nicht erlassen. Die Magie der Druidengeschichten hatte ihn in Hearthstone gerettet, damit er in Paranor sterben konnte. Es war ein Handel gewesen, auf den der alte Mann bereitwillig eingegangen war.

Walker schaute auf den verfallenen Körper hinab. Wo die Sense durch ihn hindurchgeschnitten hatte, waren silberne Froststreifen in den Stoff seiner Gewänder eingewoben.

»Du hättest es mir sagen sollen«, sagte er leise. Seine Augen standen voller Tränen. Er wußte nicht, wann sie gekommen waren. Ein Teil von ihm erinnerte sich daran, daß er einst, vor langer Zeit, fähig gewesen war zu weinen. Er verstand nicht, warum er jetzt dazu in der Lage war, dachte aber auch nicht, daß er es jemals wieder tun würde.

Cogline schüttelte in einer langsamen und schmerzvollen Bewegung den Kopf. »Nein. Ein Druide sagt nicht, was er nicht sagen muß.« Er hustete erneut. »Du weißt das.«

Walker Boh konnte nicht sprechen. Er schaute nur auf den alten Mann hinab.

Cogline blinzelte. »Du hast mir einmal gesagt, daß ich immer wüßte, wann ich handeln müßte und wann nicht.« Er lächelte. »Du hattest recht.«

Er schluckte erneut. Dann wurde sein Blick starr, und er hörte auf zu atmen. Walker sah weiterhin auf ihn hinab, kniete im Staub und in der Hitze da, lauschte auf die Stille, die sich ungebrochen ausstreckte, und dachte in bitterem Trost, daß Allanon den alten Mann das letzte Mal benutzt hatte.

Er schloß Coglines blinde Augen.

Es mußte sich erst noch zeigen, ob der Druide ihn zum Guten benutzt hatte.

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