31

Stresa kam erst zu Wren Elessedil, als die Dämmerung schon fast hereingebrochen war. Sterne standen am samtigen schwarzen Himmel, und der Wald war voller Schatten. Nur ein schwacher Lichtstreifen im Osten verkündete das Herannahen des neuen Tages. Aufgeregt und erleichtert erhob sie sich, als er erschien. Sie hatte die ganze Nacht lang auf ihn gewartet, obwohl er ohne weiteres auch noch einen weiteren Tag hätte entfernt sein können. Mit dem Hörvermögen der Elfen hatte sie seine Bewegungen schon registriert, bevor er aus dem Dunkel herankam, daher rief sie ihn.

»Stresa«, flüsterte sie. »Hier drüben.«

Er walzte bereitwillig heran, die Stacheln an seinen muskulösen Körper angelegt, die Schnauze angehoben, um die Luft zu schmecken, und die Augen wie Kerzen schimmernd.

»Ich kann dich ganz gut sehen, Elfenkönigin«, murmelte der Stachelkater, während er zu ihr herankam. »Und auch ganz gut hören.«

Wren lächelte beim Klang seiner Stimme. Es war noch keine drei Tage her, daß sie gefürchtet hatte, sie würde sie niemals wieder hören. Daß sie Tib Arne und Gloon so knapp entkommen war, hatte ihr eine neue Wertschätzung vieler Dinge ermöglicht, die sie einst für selbstverständlich erachtet hatte. Es war seltsam, daß man plötzlich besser hört, wenn das Flüstern des Todes erklingt. Sie fragte sich, wie viele Male sie ihm wohl noch lauschen mußte, bevor sie sich an ihre Lektion erinnern würde.

»Was hast du gefunden?« fragte sie ihn und kauerte sich hin, damit sie sein Gesicht besser sehen konnte.

Stresa witterte. »Einen Weg hinein für sie und einen hinaus für uns. Phffftt. Es kann gelingen.« Er sah sich um. »Wo ist der sstttpp Baumschreier?«

Sie machte eine Handbewegung. »Er wartet bei den anderen. Ich wollte nicht, daß jemand unser Gespräch mithört. Seltsam, wieviel besser er und ich uns jetzt verständigen können.«

Die Stacheln des Stachelkaters richteten sich auf und legten sich wieder an. »Das ist kaum eine Leistung. Baumschreier haben nicht viel zu sagen. Hsssttt. Halte dich mit deinen Verständigungsbemühungen zurück, Elfenkönigin.«

Sie verbiß sich ein Lächeln, um ihn nicht zu ermutigen. »Also können wir es tun, du und ich?«

»Hier ist nicht Morrowindl, und die Brakes sind nicht der In Ju. Natürlich können wir es tun. Sppptt!« Er spie aus. »Die Idee hätte mir selbst kommen sollen.«

Kaum drei Tage waren seit ihrer Flucht vor den Schattenwesen vergangen, und Wren schickte sich wieder an, sie herauszufordern. Sie war mit Tiger Ty zum Lager geflogen und war von den Elfen der Vorhut mit freudiger Erregung begrüßt worden. Sie lagerten noch immer in den Randgebieten des Waldes von Drey, beobachteten den kontinuierlichen Vormarsch der Föderationsarmee und lenkten die Südländer ab, wenn sie sich ihrer Deckung näherten, während sie auf Barsimmon Oridio und die Hauptmacht der Elfenarmee warteten. Desidio war bei seiner Begrüßung sehr überschwenglich gewesen und hatte ihr geradeheraus gesagt, daß die Elfen ihre Führung brauchten und er sich ihrem Befehl unterstellte. Damit sagte er in diesem einzigen Moment mehr, als er die ganze Zeit über gesagt hatte, seit sie Arborlon verlassen hatten. Triss war auf sie wütend gewesen und hatte ihr erklärt, daß sie sich mit ihrer Impulsivität ihre Entführung selbst zuzuschreiben hatte, hatte sie gewarnt, daß sie niemals ohne die Bürgerwehr fortgehen sollte, daß sie vor allem niemals ohne seine persönliche Begleitung fortgehen sollte. Sie hatte beide mit einem Handschlag und der Zusicherung begrüßt, daß sie ein solches Risiko nie wieder auf sich nehmen würde – obwohl sie wußte, daß sie eine solche Absicht sehr wohl hatte.

In ihrer Abwesenheit war die Vorhut fleißig gewesen. Desidio und Triss hatten alle strategischen Differenzen beseitigt, um weiterführen zu können, was sie so erfolgreich begonnen hatte, und hatten, nachdem sie gefangengenommen worden war, nachts einen zweiten Überfall auf die Föderation durchgeführt, hatten die Vorräte und Wagen in Brand gesteckt, das Vieh vertrieben, schlafende Gruppen gestört und alles getan, was ihnen einfiel, um ihren Feinden Unbehagen und Verwirrung zu verschaffen und sie am Weiterziehen zu hindern. Mit dem Tode Erring Rifts war die Befehlsgewalt über die Flugreiter auf Tiger Ty übergegangen, denn der war der erfahrenste von ihnen und ein Anführer, mit dem sie sich wohl fühlten. Tiger Ty, schroff und rauh, aber der Herausforderung gewachsen, hatte die Flugreiter ausgesandt, damit sie die Landelfen unterstützten. Die Föderationsarmee war diesmal besser vorbereitet gewesen, aber noch immer nicht gut genug, um Schaden an den Vorräten und am Vieh zu verhindern. Die Elfen hatten dieses Mal mehr als ein Dutzend Männer verloren, aber die Truppen der Föderierten waren erneut zum Halten gezwungen worden und mußten ihren Marsch so lange unterbrechen, bis die Pferde sich erholt hatten, Nahrung und Wasser besorgt und ihre Verwundeten behandelt worden waren.

Barsimmon Oridio hatte das Tal von Rhenn erreicht und begann ihnen durch das Tal hindurch entgegenzuziehen. Boten waren ihnen von dem alten Befehlshaber gesandt worden, die ankündigten, daß Hilfe unterwegs sei. Desidio und Triss hatten die Boten mit Grüßen von der Königin wieder zurückgesandt, denn sie waren nicht bereit, gerade jetzt zu zeigen, daß die Elfenkönigin selbst vermißt wurde. Außerdem waren sie nicht darauf vorbereitet gewesen, einzugestehen, daß sie unauffindbar war, vor allem nicht, nachdem sie entdeckt hatten, was mit Erring Rift und Grayl passiert war. Wren erkannte erfreut, daß sie ihr Verschwinden geheimgehalten hatten.

Aber sie hatte bereits beschlossen, daß die Vorhut mehr tun mußte, als nur auf die restliche Armee zu warten. Sie hatte es während des Fluges vom Grasland her überdacht. Ihr Körper war von dem Kampf mit Tib Arne und Gloon erschöpft gewesen, aber ihr Geist war seltsam scharf und klar. Sie wußte, was getan werden mußte, und zwar ungeachtet alles anderen, was geschah. Die Kriecher mußten aufgehalten werden. Sie würden die Föderationsarmee jetzt sicherlich bald einholen, da sie aus dem Tirfing heraus und über den Mermidon hinweg und in das Grasland östlich des Pykon gelangt waren. Sie würden in wenigen Tagen herangekommen sein und sich mit ihren Verbündeten bei der Jagd nach den Elfen zusammenschließen können. Wenn das geschah, war alles vorbei. Die Elfen konnten sich nicht gegen die Kriecher verteidigen, weder von ihrer Anzahl noch von ihrem Können oder ihrer Kraft her, und die Schattenwesen würden sie durch alle Westlandwälder hindurch bis nach Arborlon verfolgen und ihnen ein schnelles Ende bereiten.

Sie hatte versprochen, daß sie das verhindern würde, und sie hatte an Morrowindl und die Wesen, die sie dort gejagt hatten, zurückgedacht und dann wieder an die Wesen, die während all der Jahre, in denen sie den Druiden gedient hatten, Ohmsfords gejagt hatten, und überraschenderweise, unerwarteterweise hatte sie die Antwort gefunden, die sie brauchte.

Aber sie würde dadurch erneut in Gefahr geraten, und sie würde erneut die Elfensteine gebrauchen müssen.

Sie hatte Tiger Ty, Triss und Desidio noch in derselben Nacht von ihrem Plan erzählt, und alle drei waren entsetzt gewesen. Sie hatten sie gebeten, diesen Plan aufzugeben und sich etwas anderes auszudenken, eine andere Taktik zu versuchen. Sie hatten sie angefleht, darüber nachzudenken, was es für die Elfen bedeuten würde, wenn sie erneut verschwände – und wiederum aus eigenem Antrieb. Aber sie hatte ihnen mit Vernunft und harten Tatsachen, mit Stärke und Willen ihre Argumente entgegengehalten, und am Ende waren sie gezwungen gewesen, ihre Entscheidung zu akzeptieren, wie widerwillig auch immer. Es war ihnen allerdings gelungen, sie zu einer Konzession zu überreden – Tiger Ty und Triss würden mit ihr gehen, so lange es irgend möglich war.

Das war vor zwei Tagen gewesen. Sie war am selben Tag mit Triss, Tiger Ty, fünfzig Angehörigen der Bürgerwehr und einem halben Dutzend Flugreitern nach Süden gezogen. Die Rocks hatten die Bürgerwehr in den großen Körben mit sich getragen, hatten sich geschickt im Schutz der Bäume und Berge gehalten, wo sie von den Ebenen aus nicht gesehen werden konnten, und Wren war mit Tiger Ty geflogen. Sie hatte aber zuvor Faun in den Wald von Drey geschickt, damit er Stresa ausfindig machte und zu ihr brachte. Sie hatte dem Stachelkater gesagt, was sie vorhatte, und weil so vieles von ihm abhing, hatte sie auf seine Zusicherung gewartet, daß ihr Plan durchführbar wäre. Als er bestätigt hatte, daß dies der Fall war, hatte sie ihn hochgenommen, ihn auf Spirits Rücken festgegurtet, Faun in ihrem Gepäck verstaut, und dann erst waren sie aufgebrochen.

Desidio und die restliche Vorhut waren nach Norden gesandt worden, um sich mit Barsimmon Oridio zu treffen und auf ihre Rückkehr zu warten.

Das war vor zwei Tagen gewesen. Sie waren die ganze Nacht weitergezogen, um bis zu diesem Punkt zu gelangen, und hatten den ersten dieser beiden Tage ohne Schlaf verbracht. Sie hatten statt dessen alles erkundet.

Sie schüttelte den Kopf, schaute in die dunklen Bäume, roch Moos und Rinde und Wildblumen und wunderte sich darüber, daß so vieles in so kurzer Zeit geschehen konnte. Sie hörte, wie Stresa sich in der Dunkelheit vor ihr rastlos bewegte, und sie schaute wieder zurück.

»Hast du das Wesen gefunden?« fragte sie ihn, denn sie wußte nicht, wie sie es sonst hätte nennen sollen.

»Hssstt.« Stresa lachte. »Nicht das Wesen, Wren Elessedil. Die Wesen! Anscheinend hat es in dreihundert Jahren einige Veränderungen gegeben. Jetzt gibt es mehr als nur das eine.«

Aber vielleicht gab es sie ja immer schon, und nur eines war jemals gesehen worden, dachte sie plötzlich. Sie erhob sich und beobachtete das Herannahen des neuen Tages. Vor ihm, im Osten, warteten die Flugreiter und die Bürgerwehr und jenseits von ihnen, irgendwo im Grasland, die Kriecher. Hinter ihr, im Westen, lagen die Matted Brakes.

Mehr als eines. Nun denn.

»Warte auf mich, Stresa«, befahl sie, erhob sich erneut, denn es drängte sie, endlich zu beginnen. »Das Tal öffnet sich in ein weiteres kleines Tal, das sie genau hierherbringen wird. Es wird sicher nicht mehr lange dauern.«

Stresa wandte sich um und trat wieder in die Schatten zurück. »Ich werde ein wenig schlafen. Ich bin müde von all diesem Hin und Her. Es stinkt in den Brakes, weißt du. Pfffttt. Paß auf dich auf, bis du wieder hierher zurückkommst, Königin der Elfen.«

Sie ließ ihn schweigend gehen, wandte sich dann in östlicher Richtung den Bäumen zu und ging in das heller werdende Licht der Dämmerung hinein. Der Wald war hier lichter, und das kleine Tal, das sie erwähnt hatte, war ein breites Becken unterhalb der Höhenzüge, auf denen ablaufendes Wasser und Wind fast allen Bewuchs hinweggefegt hatten. Sie fand Faun fast sofort, und das kleine Wesen sprang ihr auf die Schulter und blieb dort sitzen, während sie durch die Bäume schritt. Der Plan würde funktionieren, sagte sie sich, und um sicherzugehen, ging sie ihn im Geiste noch einmal durch. Der Ablauf war denkbar einfach. Die Durchführung würde entscheidend sein. Und die Durchführung lag fast vollständig bei ihr.

Sie wanderte in das Tal hinab, folgte dem nördlichen Hang, wo die Schatten im zunehmenden Licht am tiefsten waren, und spähte über die jenseitigen Ebenen hinaus, wo ein leichter Dunst verbarg, was dort lag. Zur Vorbereitung hatten sie am Tag zuvor alles sorgfältig ausgekundschaftet. Die Bürgerwehr kannte das Gelände gut genug, um Vorteil daraus zu ziehen, und die Flugreiter hatten Verstecke in den Bäumen nahe der Brakes gefunden. Spiele in Spielen, dachte sie. Räder in Rädern. Sie dachte an Morrowindl zurück, wo sie gelernt hatte, mit den Schattenwesen Katz und Maus zu spielen und alles Wissen der Fahrenden, das Garth sie gelehrt hatte, anzuwenden. Sie dachte, wie weitsichtig ihre Mutter und ihr Vater gewesen waren, als sie sie in Garths Obhut gegeben hatten, weil sie wußten, welches Leben sie eines Tages würde führen müssen. Es war selbst jetzt noch seltsam, wenn sie dachte, wie vieles für sie aufgegeben worden war, aber es war nicht mehr so schwer, dies anzunehmen. Das Leben delegierte Verantwortlichkeit, wie es erforderlich war, und niemals zu gleichen Anteilen. Der Trick lag darin, nicht ängstlich zu werden, wenn man erfuhr, daß es so war.

Faun schnatterte leise in ihr Ohr, und sie griff aufwärts, um sein flaumiges Fell zu streicheln. Wir müssen uns umeinander kümmern, dachte sie bei sich. Wir müssen lehren und lieben, wenn das Leben eine wirkliche Bedeutung haben soll. Aber zuerst müssen wir leider einen Weg finden, trotz dieser Wesen zu überleben, die uns daran hindern wollen, dies zu tun.

Sie fand Triss und die Bürgerwehr in ihrem Versteck am Eingang des Tales in einer Ansammlung von Pinien und dichtem Gestrüpp. Die jenseitigen Ebenen waren ruhig und dunstig, und das herannahende Licht vermischte sich mit dem Bodennebel, so daß er wie Schnee leuchtete. Feuchtigkeit lag in der Luft, und sie hatte einen stechenden, kupferartigen Geschmack auf der Zunge.

»Sie sind nicht einmal mehr eine Meile unterhalb unseres Verstecks«, informierte Triss sie leise und ruhig und mit klarem Blick, während er sie ansah. Er hatte dieselbe Art wie einst Garth. »Kundschafter beobachten ihr Herannahen, damit wir nicht überrascht werden. Seid Ihr bereit, Mylady?«

Sie nickte und verbarg Faun in dem Rucksack, den sie extra für ihn mitgenommen hatte. Faun würde sie auch nicht verlassen. »Schickt jemanden zu Tiger Ty, und laßt uns aufbrechen.«

Ein Bote wurde gesandt, und die Männer der Bürgerwehr, bewaffnet mit Langbogen und Köchern mit Pfeilen, glitten aus ihrem Versteck und bahnten sich ihren Weg durch dichte Gräser und Gestrüpp auf die Ebenen hinaus. Die Ebenen waren naß vom Tau, aber der Boden darunter noch so hart wie Fels. Sie gingen langsam und vorsichtig voran, kauerten sich nieder, wenn der Anführer ihnen das Zeichen dazu gab, und achteten aufmerksam auf herannahende Monster.

Tatsächlich war es so, daß sie sie eher hörten als sahen. Die schwer gepanzerten Körper erschütterten den Boden, waren jedoch weitaus leiser in ihren Bewegungen, als Wren gedacht hatte. Die vordersten Kundschafter blieben zurück, um zu berichten, daß die Kriecher vor ihnen und östlich von ihnen waren, nicht mehr als fünfhundert Meter entfernt. Es waren insgesamt acht dieser Wesen, und sie gingen zu zweit nebeneinanderher. Auch Sucher mit schwarzen Gewändern waren bei ihnen, und sie trugen das Wolfskopfemblem, so daß kein Irrtum möglich war. Wren war überrascht. Sie hatte zuvor keine Sucher gesehen. Aber ihre Anwesenheit änderte nichts, und so gab sie Triss den Befehl, die Bürgerwehr sollte ausschwärmen. Lautlos glitten die Männer in den Nebel davon und breiteten sich fächerförmig aus wie Geister.

Dann konnten sie nur warten. Die Sekunden vergingen betäubend langsam. Sie lauschten auf die Geräusche der Kriecher und auf die plötzliche Stille des Landes um sie herum, die ihr Kommen ankündigte. Triss murmelte etwas über den Nebel. Er sah sie an, und sie lächelte. Triss schaute fort. Selbst jetzt noch, nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten, hielt er Distanz. Sie war immerhin die Königin.

Der Himmel wurde allmählich heller, und der Nebel verzog sich.

Die ersten beiden Kriecher tauchten auf, materialisierten sich wie geisterhafte Erscheinungen riesig und wuchtig und ließen die schwarzgewandeten Gestalten neben sich klein wirken. Ungefähr zwanzig Sucher zählte Wren schnell.

Sie griff in ihre Tunika und nahm die Elfensteine hervor. Die Steine lagen angenehm in ihrer Handfläche und glitzerten wie kleine blaue Flammen. Nur ich kann sie gebrauchen, dachte sie. Sie schloß ihre Finger und wartete.

Als das zweite Paar Kriecher direkt vor ihr war, erhob sie sich, streckte die Elfensteine vor, rief die Magie darin herauf und ließ das blaue Feuer zuschlagen. Es schoß durch das Halblicht und den Nebel und schlug in das erste Schattenmonster ein. Die Kriecher wichen erschreckt zurück, als einer von ihnen rauchend und brennend zu Boden fiel. Die anderen wirbelten zu ihr herum, und sofort griff die Bürgerwehr an. Ein Regen von Pfeilen ging auf die Kriecher und die Schattenwesen nieder, und die Elfen stießen schrille Schreie aus. Einige Momente der Verwirrung entstanden, während der die Kriecher und ihre Wärter unsicher umhertaumelten, und dann gingen sie polternd zum Gegenangriff über und stürzten auf der Suche nach ihren Gegnern über das Grasland.

Aber die Bürgerwehr wich bereits zum Waldrand hin zurück, feuerte Pfeile ab, schrie Flüche und rannte um ihr Leben. Die Kriecher waren groß, aber sehr schnell, und sie begannen den Abstand zu verringern. Wren behinderte sie mit einem Angriff blauen Feuers aus den Steinen, zog sich dabei aber mit Triss ebenfalls zurück. Der Kriecher, der zu Boden gegangen war, stand bereits wieder aufrecht, und alle acht kamen auf sie zu. Das war es, worauf sie gehofft hatte, was sie erwartet hatte, aber jetzt, wo es tatsächlich geschah, war es beängstigend. Als sie durch den Nebel taumelten, sah sie wieder den Wisteron auf Morrowindl vor sich, diesmal aber in achtfacher Ausführung, und sie mußte die Angst bekämpfen, die die Erinnerung hervorrief. Sie konnte das Kratzen der Klauen und das Zusammenschlagen der Kiefer und Scheren hören. Sie sah die Bäume im Westen in Sicht kommen, steckte die Elfensteine in ihre Tasche und stürmte davon.

Sie betraten das Tal vor den Kriechern und machten sich nicht die Mühe, ihren Schritt zu verlangsamen, um nachzusehen, ob sie verfolgt wurden, denn die Geräusche hinter ihnen waren unmißverständlich. Auf halbem Wege durch das Tal hindurch wandte Wren sich um, nahm die Elfensteine erneut hervor und sandte eine Wand blauer Flammen zum Eingang zurück. Sie konnte die Kriecher wütend aufschreien hören, ein Geräusch, das an das Kratzen rostigen Metalls erinnerte und schrill und unmenschlich klang. Die Kriecher drangen mit rauchendem Fleisch und dampfenden Rüstungen durch die Wand hindurch. Sie griff sie erneut an, erhob sich durch ihre Macht auf die Zehenspitzen und wurde so von der Magie aufrecht gehalten, daß sie dachte, sie könnte auf der Luft schweben. Erfüllt von ihrer Macht, begann sie herausfordernd zu schreien.

»Genug!« rief Triss und riß sie zurück. »Lauft, jetzt!«

Verärgerung über seine Einmischung flammte in ihren Augen auf. Sie schloß ihre Finger über den Elfensteinen und fuhr mit einem Keuchen herum und riß sich los. Aber sie tat, wozu er sie drängte, lief mit ihm in das jenseitige Tal hinein, in die Bäume und die kühlen Schatten. Sie atmete, als könne sie niemals wieder genug Luft in ihre Lungen bekommen, und spürte die Magie drängend und fordernd durch ihren Körper hindurchrauschen und spürte ihre Bitte, befreit zu werden, ihre Bitte, gebraucht zu werden. So viel Macht! Sie ballte die Hände zu Fäusten und lief weiter.

Sie eilten durch das Tal hinauf und in den jenseitigen Wald hinein, und die Elfenjäger bahnten Wren und Triss und einer Handvoll Männern der Nachhut den Weg. Die Kriecher kamen heran und rissen alles in ihrem Weg in Stücke, angefangen von Gestrüpp bis hin zu kräftigen Bäumen. Das Geräusch ihrer ZerStörung war erschreckend. Es funktionierte, dachte Wren. Es lief wie geplant. Aber die Kriecher waren zu schnell!

Auf einer Lichtung vor ihnen warteten die Flugreiter mit ihren Tragekörben. Die Bürgerwehr kletterte hinein, alle außer Triss, der darauf bestanden hatte, bei Wren zu bleiben. Die Rocks erhoben sich himmelwärts und verschwanden gen Westen. Wren überquerte die Lichtung zu den Bäumen und nahm erneut die Elfensteine hervor. Als die Kriecher erschienen und sich mit den Schultern wütend ihren Weg durch das Unterholz bahnten, sandte sie das Feuer erneut in das Gewirr gezackten Metalls und stachelbewehrter Glieder und verbrannte diesmal auch die andere Seite der Lichtung und verwischte alle Spuren der Flucht der Bürgerwehr. Unterdessen kamen die Monster immer näher.

Dann trat sie wieder zurück und rannte mit Triss in die Dunkelheit vor ihnen. Stresa erschien plötzlich vor ihnen auf dem Weg und übernahm die Führung. Er sagte nichts, schaute nicht einmal zu ihnen zurück, während seine wuchtige Gestalt sich weitaus schneller bewegte, als es möglich schien, und er sie direkt auf die Düsterkeit zuführte, die den östlichen Rand jenes weiten Sumpfes begrenzte, der Matted Brakes genannt wurde.

Wren schaute einmal zurück, um sicherzugehen, daß die Kriecher ihnen noch immer folgten, und lief dann weiter. Sehr bald befanden sie sich in den Brakes. Kommt mir nach, kommt mir nach, wiederholte sie im Geiste wieder und wieder und hoffte inständig, daß es so sei. Ihr Plan zur Vernichtung der Kriecher war einfach. Es ging darum, sie auf den Ebenen mit soviel Männern anzugreifen, daß sie glaubten, sie seien eine Vorhut der Elfenarmee oder ein erheblicher Teil davon. Damit sollten sie in den Wald jenseits der Matted Brakes gelockt und einen Pfad hinabgeführt werden, den Stresa ausgewählt hatte und den sie nicht kannte. Er würde sie in eine Falle geleiten, der sie nicht würden entkommen können – in eine Falle, in der ihre Kraft und Verschlagenheit nutzlos sein würden.

Wie bei so vielen Dingen waren die Antworten auf die Gegenwart in der Vergangenheit verwurzelt, und in diesem Falle in den Liedern von Par Ohmsford und den Legenden der Shannaravorfahren.

Mit Stresa als Führer und Triss als Begleiter lockte sie die Schattenwesen tiefer in den Sumpf und verhinderte geschickt, daß sie jemals erkannten, daß sie keine Armee mehr jagten, sondern nur ein Mädchen, einen Mann und ein Wesen aus einer anderen Welt. Sie ließ das Feuer der Elfensteine in ihre Körper hineinschießen und in die Erde, über die sie hinwegtaumelten, in die Bäume mit ihren Weinranken und dem Moosbewuchs und in das übelriechende grüne Wasser um sie herum. Sie benutzte das Feuer, um sie zu verwirren und zu verärgern, um ihr Gleichgewicht und den Zweck ihrer Jagd zu stören. Einst hatte sie Angst gehabt, die Elfensteine zu gebrauchen. Aber das schien vor langer Zeit gewesen zu sein, so weit entfernt wie das Leben, das sie vor ihrer Reise nach Morrowindl und der Entdeckung ihres Vermächtnisses gekannt hatte. Sie war von ihren Ängsten befreit worden, als sie ihr Geburtsrecht als Königin der Elfen angenommen und ihr Volk aus Morrowindl herausgebracht hatte. Die Magie war jetzt eine Erweiterung ihrer selbst, ein Teil des Erbes, das ihr von ihrer Großmutter hinterlassen worden war, Feuer, das vom Blut ihrer Vorfahren gekommen war, um sie vor allem zu schützen, was auch immer sie bedrohen würde. Wenn sie nur stark war, so glaubte sie, konnte ihr kein Schaden zugefügt werden.

Der Tag klarte auf und ging dem Mittag zu. Sie aßen und tranken, wenn sie auf ihrer Flucht haltmachen konnten. Es waren kurze Aufenthalte, um darauf zu horchen, daß ihre Verfolger ihnen auch wirklich noch folgten. Die Brakes verdichteten sich zu einem Morast wirrer Wurzeln und Bäume, deren Zweige tief herabhingen, stillen, unergründlichen Wassers und Treibsands, der einen Menschen im Handumdrehen verschlingen konnte. Stresa wählte seinen Weg mit Sorgfalt, suchte den festen Boden und ging stetig voran. Zweimal holten die Kriecher sie unerwarteterweise ein, einmal bei einem Schlenker, durch den sie fast gefangen worden wären, das zweite Mal bei einem Angriff, der die eisenverkleideten Schrecken so schnell durch den Wald heranbrachte, daß sie beinahe zertreten worden wären. Der Sumpf schien keine abschreckende Wirkung auf sie zu haben. Die Kriecher durchquerten ihn, als bestünde er aus festem Untergrund. Wren konnte nicht sagen, ob einer verlorengegangen oder umgekehrt war. Sie hoffte, daß es nicht so war. Sie hoffte, daß sie sie noch alle hinter sich hatte und daß sie sie jagten. Sie waren zu diesem und keinem anderen Zweck geschaffen worden, und sie betete, daß ihr Instinkt sie auch dann noch weiter vorantreiben würde, wenn vernünftigere, weniger kräftige Wesen umkehrten.

Es war kurz nach Mittag, als sie den See erreichten.

Sie verlangsamten ihren Schritt, als sie herankamen, und veränderten ihre Bewegungen, um sich möglichst leise zu nähern. Hinter ihnen hallten die Geräusche ihrer Verfolger hart und bedingungslos durch den höhlenartigen Wald. Sie kamen schnell näher. Der See war riesig, voll von abgestandenem grünen Wasser und so still wie ein Grab. Er erstreckte sich in eine Nebelwolke hinein, die über ihm hing wie ein Leichentuch. Das Ufer verschwand zu beiden Seiten im Nebel, und die gegenüberliegende Seite war vollständig verborgen. Weinranken und Moos hingen wie Schleier von den umstehenden Bäumen herab, und wirres Wurzelwerk wand sich schlangengleich ins Wasser hinab. Rundum war Stille. Keine Vögel, keine Insekten, keine Fische, nicht einmal das Flüstern einer Brise störte das Schweigen. Hier stand die Zeit still, und das Leben gefror an seinem Platz. Alles verharrte in stummer Erwartung.

Hier, dachte Wren und hielt unwillkürlich den Atem an. Hier wird es beendet werden.

Aber es war keine Zeit für weitere Überlegungen. Die Kriecher kamen heran, walzten durch den Sumpf, zerschlugen und zerhackten und zerstörten, was nicht weichen wollte. Stresa wandte sich bereits nach rechts, wo das Ufer zu einem schmalen Streifen Land in die Mitte des weiten Sees hinausführte. Wren und Triss eilten ihm nach. Sie betraten die Brücke aus Erde und Wurzeln und begannen auf die Nebelwand zuzugehen. Wren schaute einmal zum Himmel. Sie erlaubte sich dies zum ersten Mal, seit sie aufgebrochen waren. Aber der Himmel war leer. Es war noch nicht soweit. Sie eilten weiter, traten leicht und leise auf und lauschten auf die Geräusche der Kriecher. Sie schaute über den See hinaus und suchte nach den Wesen, aber außer der glatten, undurchdringlichen Oberfläche war nichts zu sehen.

Sie hatten die Nebelwand fast erreicht, als die Kriecher aus dem Wald auftauchten und ruckartig stehenblieben. An ihren eisenbewehrten Körpern hingen Weinranken, und sie dampften vor Hitze. Sie walzten alles in ihrer Nähe nieder, während sie sich am Ufer des Sees zusammendrängten. Die Sucher waren noch immer bei ihnen. Als sie Wren erblickten, begannen sie ihr schnell zu folgen.

»Dort«, zischte Stresa plötzlich und wandte den Kopf ruckartig nach links.

Sie schaute hin und sah den Grat, der aus dem Wasser herausragte und wie verkrusteter Fels mit dichtem Moos- und Flechtenbewuchs aussah, so lange man nicht die beiden Dampfstrahlen sah, die von einem Ende aufstiegen, und erkannte, daß man Atemlöcher betrachtete. Zwei von ihnen waren dort, und drüben, fast im Nebel verborgen, ein weiteres. Die Wesen waren noch immer hier, genau wie zu Zeiten Wil Ohmsfords, Monster aus den Tiefen der Matted Brakes.

Stresa ging erneut voran, und sie eilte ihm nach und bemühte sich, nicht zu laufen, sondern versuchte statt dessen, sich so leise zu bewegen, wie eine Wolke am Himmel vorüberzog. Tu nichts, um sie zu stören, sagte sie sich. Laß sie noch ein wenig länger schlafen. Der Nebel hüllte sie ein, aber er war nicht dicht genug, um sie vor den Wesen, die sie verfolgten, zu verbergen. Die Kriecher befanden sich jetzt ebenfalls auf der Brücke, stellte sie fest, als sie schnell zurückschaute.

Aber nur zwei von ihnen!

Sie blieb abrupt stehen und zischte Stresa und Triss zu, sie sollten auf sie warten. Zwei waren nicht genug! Sie brauchte sie alle! Sie wirbelte herum, nahm die Elfensteine hervor und hielt sie vor sich hin. »Nein!« hörte sie Stresa rauh aufschreien. Aber sie sandte das Feuer dennoch aus, ließ es über das stille Sumpfwasser fliegen und in die Kriecher prallen, die am Ufer kauerten. Sie schleuderte Flammen in sie hinein wie Pfeile, die alles verbrannten und versengten. Die Kriecher wichen zurück und krallten sich in die Erde. Sie spürte, wie sich im See etwas rührte. Noch nicht! Die Kriecher am Ufer taumelten umher, und ihre schwarzgewandeten Wärter versuchten sie zu beruhigen. Einer der Sucher verschwand schreiend unter einem Gewirr von Eisenklauen.

Leichte Wellen breiteten sich langsam über das schillernde, grüne Wasser aus. Wren atmete tief ein. Ruhig, ruhig!

Dann schlug sie erneut zu, das Elfenfeuer prallte in die Kriecher, und dieses Mal kamen sie alle auf sie zu und donnerten in einem wütenden Angriff auf die Brücke.

Jetzt war überall in dem See Bewegung. Wren bemerkte ein langsames Verlagern der Grate, eine Versammlung dunkler Umrisse und sah das alles aus den Augenwinkeln, während sie hinter Triss und Stresa hereilte. Sie sah sie plötzlich auf beiden Seiten und dann auch vor sich und hinter sich, und sie erkannte die Gefahr, in der sie schwebte. Wenn die Wesen jetzt angriffen, würde keiner von ihnen davonkommen. Es waren Monster des Sumpfes, älter als die Brut von Schattenwesen und so unerbittlich wie die Zeit. Ihnen hatte sie die Kriecher zugeführt. Sie waren schon dort gewesen, als Wil Ohmsford und Amberle Elessedil die Brakes auf der Suche nach dem Blutfeuer vor mehr als dreihundert Jahren durchquert hatten. Sie hatten zwei der Elfenjäger verschlungen, die gesandt worden waren, um den Talbewohner und die Frau zu schützen. Sie hoffte jetzt, daß sie auch die Kriecher verschlingen würden.

Vor ihnen war eine Insel, wenig mehr als ein flacher Streifen felsverkrusteter Erde, die mit Gestrüpp und einer kleinen Gruppe von Zypressen bewachsen war. Die Brücke führte auf diese Insel und wand sich dann jenseits wieder weiter. Bar allen Lebens lag sie allein im Nebel.

»Beeile dich!« hörte sie Stresa zischen.

Sie schaute erneut zurück und sah die Kriecher, alle acht, wie sie sich ihren Weg über das von Wurzeln durchsetzte Stück Land bahnten, das sich hinter ihr erstreckte. Die Sucher liefen hinterher. Einige schrien, und die meisten kämpften darum, nicht zerquetscht zu werden. Die Kriecher waren außer Kontrolle, weil sie ihre Beute so nah sahen, und spürten, daß sie sie in wenigen Augenblicken erwischen konnten. Sie kamen sehr schnell heran, ohne auf die Gefahren um sie herum zu achten. Sie vertrauten allein auf ihre Kraft und ihre Panzer. Die Elfenmagie mochte vielleicht brennen, aber sie konnte nicht zerstören. Jäger dachten nur daran zu jagen, niemals daran, sich zu verbergen, niemals daran, zurückzukehren. Einer glitt aus und fiel, zappelte einen Moment lang in dem stehenden Wasser des Sees herum, bevor er sich wieder herauskämpfen konnte.

Kommt mir nach, zischte sie ihnen lautlos zu. Kommt und seht, was ich für euch geplant habe.

Dann war sie auf der Insel und wandte sich erneut um, während sich das Feuer der Elfensteine in ihrer Hand bereits aufbaute. Sie empfand Kälte, als sie erkannte, daß sie vielleicht schon zu lange gewartet hatte und daß der erste Kriecher nur noch weniger als fünfzig Meter entfernt war. Sie zwang die Magie schnell herauf und ließ das Feuer nicht in die Kriecher, sondern in den See um sie herum schießen, in die Grate mit ihren Atemlöchern, in die Wesen.

Der See explodierte in Geysiren, die Hunderte von Fuß in die Luft schössen, als sich die dunklen Umrisse himmelwärts hoben wie aus dem Wasser springende Wale. Auf der Brücke wurden die Kriecher langsamer. Sie waren verwirrt, was da vor sich ging, und ihre Eisenkiefer knackten, und ihre Klauen schabten auf der Erde. Der See brodelte und schäumte um sie herum, und dann griffen die Wesen an. Sie fuhren aus dem stehenden Grün heraus, aus dem unermeßlich tiefen, schattenhaften Dunkel, und rissen die Kriecher von der Brücke herab. Die Monster schlugen wild um sich, konnten aber im Wasser keinen Voneil erringen und wurden außer Sichtweite gezogen. Die Sucher nahmen schreiend den gleichen Weg. Es geschah so schnell, daß es vorbei war, fast bevor es begonnen hatte. Es dauerte nur Sekunden, während der der See gewaltig aufgewühlt wurde, die Dunkelheit sich erhob und Eisen und Fleisch um sich schlugen. Und dann waren die Kriecher fort.

Bis auf einen, denjenigen, der der Insel am nächsten gewesen war. Dieser kam heran, stampfte über die Überreste der schmalen Brücke und erschütterte die Erde mit der Wut seines Angriffs. Wren verlagerte das Feuer, um ihn zu treffen, aber er kam durch die Flammen hindurch, als wären sie nicht mehr als goldene und scharlachrote Blätter. Kurz darauf befand er sich bereits auf der Insel. Er war so riesig, daß er den ganzen Sumpf jenseits der Stelle ausschloß, an der sich die letzten Wellen wieder zu einer stillen, leeren Oberfläche glätteten. Triss schrie und sprang mit gezogenem Schwert zu Wrens Verteidigung heran. Stresa schrie wild auf, und sogar Faun war aufgetaucht, hatte sich aus dem Rucksack befreit und kreischte vor Angst.

Dann schnellte schneller als ein Gedanke ein dunkler Umriß aus dem Nebel herab, und Spirits Klauen zerrten am Kopf des Kriechers, rissen ihn zurück und stießen ihn beiseite. Der Kriecher sprang auf die Füße und wirbelte zornig herum. Spirit strich an ihm vorbei, beschrieb eine Kurve, schwang herum und griff ihn ein zweites Mal an und schlug ihn noch weiter zurück. Triss ergriff Wren um die Taille, warf sie sich über die Schulter und rannte über die Insel und zurück auf die Brücke. Nein! wollte sie ihn warnen. Die Wesen sind noch immer dort draußen! Aber der Atem war aus ihren Lungen herausgepreßt worden, und sie konnte Triss nur erfolglos mit den Fäusten bearbeiten. Faun schnatterte vor ihnen mit Stresa.

In den tiefen Schatten des Sees entstand neuerliche Bewegung.

Aber Tiger Ty hatte die Aufgabe nicht vergessen, die Wren ihm zugeteilt hatte, und Spirit strich ein drittes Mal über den See, ignorierte den Kriecher und kam auf die Brücke zu. Da Spirit ihnen gefolgt war, seit sie den Sumpf betreten hatten, war er jetzt bereit, sie in Sicherheit zu bringen. Seine Klauen streckten sich nach einem sicheren Halt auf dem Steg aus, und der große Rock hielt sich dort lange genug, daß Triss Wren wie einen Sack Federn Tiger Ty zuschieben und ihr hinauf folgen konnte, daß Faun hinterhereilen und sogar Stresa hinaufgehoben werden konnten. Dann erhob sich Spirit erneut und entkam gerade eben den riesigen Kiefern, die sich aus dem Sumpf streckten, über die Brücke fuhren und erfolglos zuschnappten.

Sie stiegen langsam hoch, und Wren richtete sich auf, zog ihre Haltegurte fest und schaute hinab. Der letzte der Kriecher kauerte auf der Insel. Auf allen Seiten wurde er von den Schrecken des Sees gefangengehalten. Schatten sprenkelten ihn wie eine Krankheit. Er konnte nicht entkommen und würde dort in dem Sumpf sterben wie die anderen. Wren starrte ihn unverwandt an und empfand nichts.

Spirit durchbrach den Nebel und flog in das Sonnenlicht über den Wolken. Wren mußte in der plötzlichen Helligkeit blinzeln. Der Sumpf und alles, was in Nebel und Dunkelheit verborgen war, verschwand unter ihnen.


Wie Morrowindl, in die Vergangenheit verbannt...

Wren wandte ihr Gesicht der Sonne zu und schaute nicht mehr zurück.

Загрузка...