Kapitel 25

Zwischenspiel: Nachgefragt

Kvothe hieß den Chronisten mit einer Geste die Feder absetzen und streckte sich. »Es ist lange her, dass ich das letzte Mal daran gedacht habe«, sagte er. »Wenn Ihr herausfinden wollt, weshalb ich der Kvothe wurde, über den man sich Geschichten erzählt, solltet Ihr hierauf Euer Augenmerk richten.«

Der Chronist runzelte die Stirn. »Wie meint Ihr das?«

Kvothe schwieg einen Moment lang und blickte dabei auf seine Hände. »Wisst Ihr, wie oft man mich im Laufe meines Lebens zusammengeschlagen hat?«

Der Chronist schüttelte den Kopf.

Kvothe hob den Blick und zuckte unbekümmert die Achseln. »Ich weiß es auch nicht. Man sollte ja meinen, dass einem so etwas im Gedächtnis bleibt. Man sollte meinen, dass ich noch weiß, wie viele Knochen man mir gebrochen hat. Dass ich mich an die Wunden und die Verbände erinnere.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich erinnere mich nicht daran. Ich erinnere mich an den kleinen Jungen, der dort in der Dunkelheit schluchzte. Ich habe dieses Schluchzen noch heute, nach all den Jahren, klar und deutlich im Ohr.«

Der Chronist runzelte wieder die Stirn. »Ihr sagt doch selbst, dass Ihr nichts tun konntet.«

»Ich hätte durchaus etwas tun können«, sagte Kvothe, »und ich habe es nicht getan. Ich traf meine Wahl, und ich bereue es bis zum heutigen Tag. Knochen wachsen wieder zusammen. Aber diese Reue wird man ein Leben lang nicht mehr los.«

Kvothe erhob sich. »Nun aber genug von Tarbeans dunkler Seite.« Er streckte sich, die Hände hoch erhoben.

»Wieso, Reshi?«, platzte Bast hervor. »Wieso bist du dort geblieben, obwohl es so schrecklich war?«

Kvothe nickte, als hätte er die Frage erwartet. »Wohin hätte ich denn gehen sollen, Bast? Alle Menschen, die ich kannte, waren tot.«

»Nicht alle«, widersprach Bast. »Es gab noch Abenthy. Zu dem hättest du gehen können.«

»Hallowfell war Hunderte Meilen entfernt, Bast«, sagte Kvothe und ging hinter den Tresen. »Hunderte Meilen – und ich hatte nicht einmal mehr die Landkarten meines Vaters. Hunderte Meilen – und das ohne einen Wagen, auf dem ich hätte fahren oder schlafen können. Ohne irgendwelche Hilfe, ohne Geld, ohne Schuhe. Es wäre vielleicht möglich gewesen. Aber nicht für ein Kind, das immer noch unter dem Schock litt, seine Eltern verloren zu haben …«

Kvothe schüttelte den Kopf. »Nein. In Tarbean konnte ich wenigstens betteln und stehlen. Es war mir ja nur mit großer Mühe gelungen, einen Sommer lang in den Wäldern zu überleben. Aber im Winter?« Er schüttelte den Kopf. »Da wäre ich entweder verhungert oder erfroren.«

Kvothe schenkte sich nach und gab dann einige Prisen Gewürze in seinen Becher. Mit nachdenklicher Miene ging er zu dem großen Kamin. »Aber du hast natürlich recht. Ich hätte es überall besser gehabt als in Tarbean.«

Während er ins Feuer blickte, zuckte er die Achseln. »Aber der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier. Es ist immer schwierig, aus einem Trott herauszukommen, in den man einmal verfallen ist. Vielleicht empfand ich es sogar als gerecht. Das war meine Strafe dafür, dass ich nicht da war, um ihnen beizustehen, als die Chandrian kamen. Meine Strafe dafür, dass ich nicht gemeinsam mit meiner Familie in den Tod gegangen war.«

Bast machte den Mund auf, machte ihn wieder zu und starrte mit gerunzelter Stirn auf die Tischplatte.

Kvothe sah sich zu ihm um und lächelte mild. »Ich will damit nicht sagen, dass das vernünftig war, Bast. Empfindungen sind nicht notwendigerweise vernünftig. Ich empfinde es heute auch nicht mehr so, aber damals empfand ich es so. Das weiß ich noch.« Er wandte sich wieder zum Feuer. »Der Ausbildung durch Ben verdanke ich ein so gutes Gedächtnis, dass es manchmal schon beängstigend ist.«

Kvothe nahm einen kleinen Stein aus dem Feuer und ließ ihn in seinen Holzkrug plumpsen. Es zischte. Im Raum verbreitete sich der Duft von Nelken und Muskat.

Er rührte seinen Apfelwein mit einem langen Löffel um und kehrte an den Tisch zurück. »Und außerdem musst du bedenken, dass ich nicht bei klarem Verstand war. Ich stand immer noch unter Schock, mein Verstand schlief gewissermaßen. Ich brauchte etwas oder jemanden, um ihn aufzuwecken.«

Er nickte dem Chronisten zu, der beiläufig seine Schreibhand ausschüttelte und sein Tintenfass wieder entkorkte.

Kvothe lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich musste an Dinge erinnert werden, die ich vergessen hatte. Ich brauchte einen Grund dafür, dort fortzugehen. Und es dauerte Jahre, bis ich jemanden traf, der das schaffte.« Er lächelte zu dem Chronisten hinüber. »Bis ich Skarpi kennen lernte.«

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