Kapitel 92

Die Musik, die ihn zum Tanzen bringt

Das dürfte erst mal genügen«, sagte Kvothe und forderte den Chronisten mit einer Geste auf, die Feder niederzulegen. »Jetzt haben wir das Fundament gelegt. Eine Grundlage, auf der die Geschichte aufbauen kann.«

Kvothe erhob sich, lockerte die Schultern und streckte den Rücken. »Morgen werde ich euch einige meiner Lieblingsgeschichten erzählen. Meine Reise an Alverons Hof. Meine Kampfausbildung bei den Adem. Felurian …« Er nahm sich ein sauberes Leinentuch und wandte sich an den Chronisten. »Braucht Ihr noch irgendetwas, bevor Ihr zu Bett geht?«

Der Chronist schüttelte den Kopf. Er hatte den höflichen Rauswurf nicht überhört. »Nein, danke. Ich habe alles, was ich brauche.« Er packte seine Ledermappe und ging die Treppe hinauf, zu seinem Zimmer.

»Geh du auch, Bast«, sagte Kvothe. »Ich räume hier auf.« Er machte eine fortscheuchende Handbewegung, um dem Widerspruch seines Schülers zuvorzukommen. »Geh. Ich muss über die morgige Geschichte nachdenken. Sie nimmt nicht von selbst ihre Gestalt an.«

Bast zuckte die Achseln und ging mit vernehmlichen Schritten die Treppe hinauf.

Kvothe begann sein Feierabendritual. Er schaufelte die Asche aus dem großen schwarzen Kamin und holte Brennholz für morgen herein. Dann ging er wieder hinaus, um die Lampen neben dem Wirtshausschild zu löschen, und musste feststellen, dass er an diesem Abend vergessen hatte, sie zu entzünden. Er schloss die Tür ab und ließ, nachdem er kurz darüber nachgedacht hatte, den Schlüssel stecken, damit der Chronist hinauskönnte, falls er frühmorgens aufwachte.

Dann fegte er den Boden und wischte die Tische und den Tresen ab. Zum Schluss polierte er noch die Flaschen. Und während er das alles ganz methodisch und gründlich machte, war sein Blick in weite Ferne gerichtet. Er summte nicht, er pfiff nicht, und er sang auch nicht.

Auf seinem Zimmer ging der Chronist rastlos auf und ab. Er war müde, aber geistig viel zu überreizt, um einschlafen zu können. Er nahm die beschriebenen Seiten aus seiner Mappe und verstaute sie in einer Schublade der großen Kommode. Dann reinigte er die Spitzen seiner Federn und legte sie zum Trocknen aus. Er löste vorsichtig den Verband von seiner Schulter, schabte die Reste der stinkenden Salbe ab, warf sie in den Nachttopf, deckte diesen wieder zu und wusch sich die Schulter an dem kleinen Handwaschbecken.

Gähnend ging er zum Fenster und schaute hinaus. Doch von der kleinen Ortschaft war nichts zu erkennen. Keine Lichter. Nichts regte sich. Er öffnete das Fenster einen Spalt breit und ließ die frische Herbstluft herein. Dann zog er die Vorhänge zu, zog sich aus und legte seine Kleider über eine Stuhllehne. Schließlich nahm er auch noch den Eisenring ab, den er um den Hals trug, und legte ihn auf den Nachttisch.

Als er sich zum Bett umwandte, sah der Chronist zu seinem Erstaunen, dass irgendwann im Laufe des Tages die Bettwäsche gewechselt worden war. Das frische Leinen war angenehm steif und duftete nach Lavendel.

Nach kurzem Zögern ging der Chronist zur Zimmertür und schloss sie ab. Den Schlüssel legte er auf den Nachttisch, runzelte dann die Stirn, nahm das stilisierte Eisenrad, band es sich wieder um, löschte die Lampe und legte sich ins Bett.

Dann lag der Chronist fast eine Stunde lang schlaflos in seinem duftenden Bett und drehte sich hin und her. Schließlich seufzte er und schlug die Decke beiseite. Er zündete mit einem Schwefelhölzchen die Lampe an und stieg aus dem Bett. Er ging zu der schweren Kommode neben dem Fenster und packte sie mit beiden Händen. Erst wollte sie sich nicht von der Stelle rühren, doch als er sich dann mit dem Rücken dagegen stemmte, gelang es ihm, sie über den glatten Dielenboden zum anderen Ende des Zimmers zu schieben.

Nach ungefähr einer Minute stand das schwere Möbelstück direkt vor der Zimmertür, und er legte sich wieder ins Bett, löschte die Lampe und fiel schnell in einen tiefen, friedlichen Schlaf.

Es war stockdunkel im Zimmer, als der Chronist aufwachte, weil sich etwas Weiches auf sein Gesicht drückte. Er schlug wild um sich, eher aus einem Reflex heraus als im Versuch, sich zu befreien. Sein erschrockener Schrei wurde von der Hand gedämpft, die ihm den Mund zuhielt.

Nach diesem kurzen Schrecken blieb der Chronist still liegen und regte sich nicht. Er atmete durch die Nase und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit.

»Ich bin’s bloß«, flüsterte Bast, ohne die Hand fortzunehmen.

Der Chronist sagte etwas, das aber durch die Hand nicht zu verstehen war.

»Wir müssen reden.« Vor dem Bett kniend sah Bast auf die dunkle, in die Decke gehüllte Gestalt des Chronisten. »Ich mache jetzt die Lampe an, und Ihr seid ganz leise. Verstanden?«

Der Chronist nickte unter Basts Hand. Kurz darauf flammte ein Streichholz auf, erfüllte das Zimmer mit einem rötlichen Flackern und Schwefelgeruch. Der sanfte Schein der Lampe breitete sich aus. Bast befeuchtete sich zwei Finger und löschte damit das Streichholz.

Leicht zitternd, setzte sich der Chronist im Bett auf und lehnte den Rücken an die Wand. Verlegen raffte er sich die Decke vor die Taille und sah zur Zimmertür hinüber. Die schwere Kommode stand immer noch davor.

Bast folgte seinem Blick. »Das zeugt von einem gewissen Mangel an Vertrauen«, bemerkte er trocken. »Hoffentlich habt Ihr seine Dielen nicht zerkratzt. Damit würdet Ihr ihn fürchterlich verstimmen.«

»Wie seid Ihr hier reingekommen?«, fragte der Chronist.

Bast hielt ihm reflexartig wieder den Mund zu. »Still!«, zischte er. »Wir müssen leise sein. Er hat Ohren wie ein Habicht.«

»Wie …«, setzte der Chronist noch einmal leiser an und hielt dann inne. »Habichte haben keine Ohren.«

Bast sah ihn verdutzt an. »Was?«

»Ihr sagtet, er hätte Ohren wie ein Habicht. Das ergibt keinen Sinn.«

Bast runzelte die Stirn und machte eine abschätzige Handbewegung. »Ihr wisst, was ich meine. Er darf nicht erfahren, dass ich hier bin.« Bast setzte sich auf die Bettkante und strich sich verlegen mit den Händen über die Hosenbeine.

Der Chronist hielt die Decke fest, die er sich um die Taille geschlungen hatte. »Und was wollt Ihr hier?«

»Wie gesagt: Wir müssen reden.« Bast sah den Chronisten ernst an. »Wir müssen darüber reden, warum Ihr hier seid.«

»Das ist mein Beruf«, erwiderte der Chronist gereizt. »Ich sammle Geschichten. Und wenn sich die Gelegenheit ergibt, gehe ich seltsamen Gerüchten auf den Grund und finde heraus, ob irgendwas Wahres daran ist.«

»Nur mal so aus Neugier gefragt: Was für ein Gerücht war es denn in diesem Fall?«, fragte Bast.

»Ihr habt offenbar mit einem Fuhrmann gesoffen, und dann ist Euch ihm gegenüber etwas herausgerutscht«, sagte der Chronist. »In Anbetracht der Umstände ziemlich leichtsinnig.«

Bast warf dem Chronisten einen zutiefst mitleidigen Blick zu. »Seht mich an«, sagte er, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen. »Und denkt nach. Würde ich mich mit einem Fuhrmann besaufen? Ich?«

Der Chronist öffnete den Mund. Und schloss ihn wieder. »Dann …«

»Er war eine Flaschenpost, die ich abgeschickt habe. Eine von vielen. Ihr wart nur zufällig der Erste, der sie fand und herkam, um nachzusehen.«

Der Chronist brauchte einen Moment, bis er diese Information verdaut hatte. »Ich dachte, ihr beide würdet euch hier verstecken.«

»Oh, natürlich verstecken wir uns«, erwiderte Bast bitter. »Wir sind hier so gut verborgen, dass er buchstäblich schon mit dem Inventar verschmilzt.«

»Ich kann gut nachvollziehen, dass Ihr Euch hier ein wenig eingeschränkt fühlt«, sagte der Chronist. »Aber ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, was die schlechte Laune Eures Meisters mit dem Butterpreis zu tun haben soll.«

Basts Augen blitzten verärgert. »Sie hat ausschließlich etwas mit dem Butterpreis zu tun!«, sagte er durch zusammengebissene Zähne. »Und es ist verdammt noch mal mehr als nur schlechte Laune, Ihr ignoranter, erbärmlicher anhaut-fehn. Dieser Ort bringt ihn um.«

Bei diesem Ausbruch erbleichte der Chronist. »Ich … Ich bin kein …«

Bast schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte sich offensichtlich zu beruhigen. »Ihr versteht einfach nicht, was hier vor sich geht«, sagte er, ebenso zu sich selbst wie zu dem Chronisten. »Und deshalb bin ich hier, um es Euch zu erklären. Ich warte seit Monaten darauf, dass jemand kommt. Irgendjemand. Selbst alte Feinde, die noch eine Rechnung mit ihm offen haben, wären besser, als dass er so vor sich hin siecht. Aber Ihr seid besser, als ich gehofft hatte. Ihr seid genau der Richtige.«

»Wofür genau der Richtige?«, fragte der Chronist. »Ich weiß ja nicht einmal, was eigentlich das Problem ist.«

»Es ist … Kennt Ihr die Geschichte von Martin, dem Maskenbauer?« Der Chronist schüttelte den Kopf, und Bast seufzte. »Wie ist es mit Theaterstücken? Habt Ihr Der Geist und die kleine Gänsehirtin gesehen? Oder Der Halbpenny-König

Der Chronist runzelte die Stirn. »Ist das das Stück, in dem ein König seine Krone an einen Waisenjungen verkauft?«

Bast nickte. »Und der Junge wird dann ein viel besserer König als er. Die Gänsehirtin kleidet sich wie eine Comtesse, und alle sind ganz hingerissen von ihrer Anmut und ihrem Charme.« Er zögerte, suchte offenbar nach den richtigen Worten. »Versteht Ihr, es gibt einen grundlegenden Zusammenhang zwischen Schein und Sein. In meinem Reich weiß das jedes Kind, aber ihr Sterblichen scheint das nicht zu verstehen. Wir wissen, wie gefährlich eine Maske werden kann. Wir alle werden letztlich das, was wir vortäuschen zu sein.«

Der Chronist atmete ein wenig auf, da er sich hier nun auf vertrautem Terrain wähnte. »Das ist doch ganz einfache Psychologie. Wenn man einen Bettler in teure Kleider steckt, werden die Leute ihn wie einen Edelmann behandeln, und er wird daraufhin den an ihn gestellten Erwartungen gerecht.«

»Das ist nur ein nebensächlicher Aspekt davon«, sagte Bast. »Die Wahrheit liegt viel tiefer. Es ist …« Bast geriet für einen Moment ins Schwimmen. »Jeder erzählt in seinem eigenen Kopf eine Geschichte über sich. Ununterbrochen. Die ganze Zeit. Und diese Geschichte macht einen zu dem, der man ist. Wir gründen unser ganzes Leben auf diese Geschichte.«

Der Chronist runzelte die Stirn und öffnete den Mund, doch Bast gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. »Nein, hört mir zu. Jetzt habe ich’s. Man lernt ein Mädchen kennen. Sie ist schüchtern und bescheiden. Wenn man ihr sagt, dass sie schön sei, findet sie das lieb, glaubt einem aber nicht. Sie weiß: Schönheit liegt im Auge des Betrachters.« Bast zuckte widerwillig die Achseln. »Und manchmal genügt das ja auch.«

Seine Augen leuchteten. »Aber es gibt eine bessere Möglichkeit. Man zeigt ihr, dass sie schön ist. Man verwandelt seine Augen in Spiegel und betet mit seinen Händen ihren Körper an. Es ist nicht einfach. Aber wenn sie einem dann glaubt …«, Bast machte eine aufgeregte Geste, »verändert sich plötzlich die Geschichte, die sie in ihrem Kopf über sich selbst erzählt. Sie verwandelt sich. Sie wird nicht mehr als schön angesehen, sondern sie ist schön

»Was soll das alles bedeuten?«, erwiderte der Chronist unwirsch. »Ihr redet doch nur noch Unsinn.«

»Ich rede so gescheit daher, dass Ihr mir nicht folgen könnt«, entgegnete Bast gereizt. »Aber Ihr werdet gleich verstehen, was ich damit sagen will. Denkt daran, was er heute erzählt hat. Die Leute sahen in ihm einen Helden, und er ist in diese Rolle hineingeschlüpft. Er trug es wie eine Maske, aber irgendwann hat er selbst daran geglaubt. Es wurde die Wahrheit. Doch jetzt …« Er verstummte.

»Jetzt sehen die Leute in ihm einen Wirt«, sagte der Chronist.

»Nein«, erwiderte Bast leise. »Vor einem Jahr sahen die Leute in ihm einen Wirt. Wenn sie gegangen waren, nahm er die Maske ab. Jetzt sieht er sich selbst als einen Wirt, und als einen gescheiterten noch dazu. Ihr habt ja gesehen, wie er war, als Cob und die anderen heute Abend hereinkamen. Ihr habt den Mann hinterm Tresen gesehen, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Früher war das mal Verstellung …«

Bast hob aufgeregt den Blick. »Aber Ihr seid genau der Richtige. Ihr könnt ihm helfen, sich daran zu erinnern, wie es früher war. Ich habe ihn seit Monaten nicht mehr so lebendig gesehen. Ich bin mir sicher, dass Ihr das hinbekommt.«

Der Chronist runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht recht …«

»Ich weiß, dass es funktionieren wird«, sagte Bast eifrig. »Ich habe so etwas ähnliches schon mal vor ein paar Monaten versucht. Ich habe ihn dazu gebracht, seine Memoiren zu schreiben.«

Da merkte der Chronist auf. »Er hat seine Memoiren geschrieben?«

»Er hat damit angefangen«, sagte Bast. »Er war sehr aufgeregt. Hat tagelang von nichts anderem gesprochen. Hat überlegt, womit er seine Geschichte beginnen soll. Und nach der ersten Nacht der Niederschrift war er wieder ganz der Alte. Er sah aus, als wäre er plötzlich drei Köpfe größer und als würden Blitze um seine Schultern leuchten.« Bast seufzte. »Aber dann ist irgendwas passiert. Als er am nächsten Tag las, was er geschrieben hatte, verfiel er in eine seiner finsteren Stimmungen. Und hat behauptet, das sei die schlechteste Idee gewesen, die er je gehabt hat.«

»Was ist mit dem, was er geschrieben hat?«

Bast knüllte imaginäres Papier zusammen und warf es hinter sich.

»Und was stand dort?«, fragte der Chronist.

Bast schüttelte den Kopf. »Er hat es nicht weggeworfen. Er hat es nur … in die Ecke geworfen. Jetzt liegt es seit Monaten auf seinem Schreibtisch.«

Die Neugier des Chronisten war kaum noch zu bremsen. »Könntet Ihr nicht einfach …« Er fuchtelte verschwörerisch mit der Hand. »Na ja. Das beim Aufräumen kurz mal verschwinden lassen?«

»Anpauen. Nein.« Bast schaute entsetzt. »Er war außer sich, nachdem er es gelesen hatte.« Bast erschauerte ein wenig. »Ihr wisst ja nicht, wie er ist, wenn er wirklich wütend wird. Und ich werde mich hüten, ihn in einer solchen Sache zu hintergehen.«

»Das wisst Ihr sicher selbst am besten«, sagte der Chronist.

Bast nickte nachdrücklich. »Genau. Und deshalb bin ich gekommen, um mit Euch zu sprechen. Weil ich das am besten weiß. Ihr müsst ihn davon abhalten, sich auf die dunklen Dinge zu konzentrieren. Wenn nicht …« Bast zuckte die Achseln und wiederholte die Geste, mit der er das imaginäre Papier zusammengeknüllt und fortgeworfen hatte.

»Aber ich zeichne die Geschichte seines Lebens auf. Die wahre Geschichte.« Der Chronist machte eine hilflose Geste. »Ohne die dunklen Seiten wäre es doch nur eine simple Geschichte über die F-« Der Chronist erstarrte mitten im Wort, und sein Blick huschte ängstlich zur Seite.

Bast grinste wie ein Kind, das einen Priester beim Fluchen ertappt hat. »Sagt es doch«, drängte er mit entzückt leuchtenden Augen, die zugleich hart und fürchterlich waren. »Sagt es.«

»Nur eine simple Feengeschichte«, beendete der Chronist den Satz, und seine Stimme klang dünn und blass wie Papier.

Bast lächelte breit. »Von uns Fae habt Ihr keine Ahnung, wenn Ihr denkt, da gäbe es keine dunklen Seiten. Aber ganz abgesehen davon ist dies eine Feengeschichte, denn Ihr tragt sie für mich zusammen.«

Der Chronist schluckte mühsam und schien sich dann wieder zu fangen. »Ich will doch nur sagen, dass das, was er erzählt, eine wahre Geschichte ist, und wahre Geschichten haben unerfreuliche Seiten. Seine mehr als andere, fürchte ich. Sie sind verworren und verwickelt und …«

»Ich weiß ja, dass Ihr ihn nicht dazu bringen werdet, diese Dinge auszulassen«, sagte Bast. »Aber Ihr könntet ihn ein bisschen antreiben. Ihr könnt ihm helfen, dass er mehr bei den guten Seiten verweilt: seinen Abenteuern, den Frauen, den Kämpfen, seinen Reisen, seiner Musik …« Bast hielt unvermittelt inne. »Nein … nicht der Musik. Fragt nicht danach, und fragt auch nicht danach, warum er keine Magie mehr praktiziert.«

Der Chronist runzelte die Stirn. »Aber wieso? Seine Musik scheint doch …«

Basts Ausdruck verdüsterte sich. »Lasst es einfach«, sagte er mit Nachdruck. »Das sind keine ergiebigen Themen. Ich habe Euch vorhin schon einmal gebremst«, sagte er und klopfte dem Chronisten vielsagend auf die Schulter, »als Ihr ihn fragen wolltet, was bei seiner Anwendung der Sympathie falsch gelaufen ist. Da wusstet Ihr es nicht besser. Jetzt wisst Ihr es besser. Konzentriert Euch auf seine Heldentaten und seine Klugheit.« Er fuchtelte mit der Hand. »Eben auf diese Dinge.«

»Es ist wirklich nicht an mir, ihn in die eine oder andere Richtung zu lenken«, sagte der Chronist steif. »Ich zeichne nur die Geschichte auf. Und diese Geschichte ist es, worauf es ankommt.«

»Ich scheiße auf Eure Geschichte«, entgegnete Bast in scharfem Ton. »Ihr tut, was ich Euch sage, oder ich zerbreche Euch wie ein Stöckchen.«

Der Chronist erstarrte. »Wollt Ihr damit sagen, dass ich jetzt für Euch arbeite?«

»Ich will damit sagen, dass Ihr mir gehört.« Basts Gesichtsausdruck war todernst. »Und zwar ganz und gar. Ich habe Euch hierher gelockt, auf dass Ihr meinen Zwecken dient. Ihr habt an meinem Tisch gegessen, und ich habe Euch das Leben gerettet.« Er deutete auf die nackte Brust des Chronisten. »Ihr gehört mir dreifach. Das macht Euch gänzlich zu meinem Eigentum. Zu einem Werkzeug meines Willens. Ihr werdet tun, was ich Euch sage.«

Der Chronist hob das Kinn ein wenig, und seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Ich werde tun, was ich für richtig halte«, sagte er und hob langsam eine Hand, hin zu dem kleinen Metallstück, das auf seiner nackten Brust ruhte.

Basts Blick huschte kurz dorthin. »Meint Ihr etwa, ich spiele hier ein Spielchen?«, fragte er ungläubig. »Meint Ihr wirklich, Eisen könnte Euch schützen?« Bast beugte sich vor, schlug die Hand des Chronisten beiseite und ergriff das dunkle Metallrad, bevor sich der Chronist überhaupt regen konnte. Sofort versteifte sich Basts Arm, und vor Schmerz kniff er die Augen zu. Als er sie wieder aufschlug, waren sie blau, so blau wie tiefes Wasser oder die Abenddämmerung.

Bast beugte sich vor und näherte sein Gesicht dem des Chronisten. Der Schreiber geriet nun richtig in Panik und versuchte sich seitwärts aus dem Bett zu schieben, doch Bast packte seine Schulter und hielt ihn fest. »Hör mir zu, Menschenwurm«, zischte er. »Du solltest mich nicht mit meiner Maske verwechseln. Du siehst eine mit Sonnenlicht gesprenkelte Wasseroberfläche und vergisst die kalte, dunkle Tiefe, die darunter lauert.« Die Sehnen in Basts Hand knirschten leise, als er den Eisenring fester umschloss. »Hör mir zu. Du kannst mir nichts anhaben. Du kannst nicht weglaufen und dich nicht vor mir verstecken. Ich werde nicht zulassen, dass du dich mir widersetzt.«

Und während er das sagte, hellten sich Basts Augen auf, bis sie so blau waren wie ein wolkenloser Mittagshimmel. »Ich schwöre dir beim Mark meiner Knochen: Wenn du dich meinem Willen widersetzt, wird der kurze Rest deines Lebens eine Symphonie der Qualen sein. Ich schwöre es bei dem Stein und der Eiche und der Ulme: Ich mache dich zu meinem Freiwild. Ich werde dir ungesehen folgen und jeden Freudenfunken, den du empfindest, ersticken. Du wirst nie wieder die Berührung einer Frau erleben, nie mehr einen ruhigen Atemzug, keinen Moment mehr des Seelenfriedens.«

Basts Augen waren nun von dem blassbläulichen Weiß eines Blitzes, und seine Stimme klang scharf. »Und ich schwöre bei dem Nachthimmel und dem ewig wandernden Mond: Wenn du meinen Herrn und Meister in die Verzweiflung führst, werde ich dich aufschlitzen und in dir herummatschen wie ein kleines Kind in einem Schlammpfuhl. Ich werde eine Fiedel mit deinen Därmen beziehen, und dann darfst du darauf spielen, derweil ich dazu tanze.«

Bast beugte sich weiter vor, bis nur noch Zentimeter ihre Gesichter trennten. Seine Augen waren nun so weiß wie Opale, so weiß wie der Vollmond. »Du bist ein gebildeter Mann. Du weißt, dass es keine Dämonen gibt.« Bast lächelte ein schreckliches Lächeln. »Es gibt nur die Meinigen.« Bast beugte sich noch weiter vor, und nun roch der Chronist Blumenduft in seinem Atem. »Und du bist nicht klug genug, um mich zu fürchten, wie man mich fürchten sollte. Du kennst nicht einmal den ersten Ton der Musik, die mich zum Tanzen bringt.«

Bast löste sich von dem Chronisten und wich einige Schritte von dem Bett zurück. Am Rande des flackernden Lichtscheins der Kerze stehend, öffnete er die Hand, und das Eisenrad fiel mit einem dumpfen Scheppern auf den Dielenboden. Nach einem Moment atmete Bast tief durch und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.

Der Chronist blieb, wo er war, blass und schwitzend.

Bast hob das eiserne Rad an seinem zerrissenen Band auf und knotete es mit flinken Fingern wieder zusammen. »Hört mal, es gibt keinen Grund, warum wir nicht Freunde sein könnten«, sagte er sachlich-nüchtern und hielt dem Chronisten das geflickte Halsband hin. Seine Augen waren jetzt wieder von einem menschlichen Blau, und sein Lächeln war herzlich und charmant. »Es gibt keinen Grund, warum wir nicht alle das bekommen könnten, was wir wollen. Ihr bekommt Eure Geschichte. Er bekommt eine Gelegenheit, sie zu erzählen. Ihr erfahrt die Wahrheit. Er erinnert sich daran, wer er in Wirklichkeit ist. So hat jeder etwas davon, und anschließend gehen wir alle bester Dinge unserer jeweiligen Wege.«

Der Chronist ergriff das Halsband, und seine Hand zitterte ein wenig. »Und was bekommt Ihr?«, fragte er. Seine Stimme war nur noch ein trockenes Flüstern. »Was soll für Euch dabei herausspringen?«

Auf diese Frage war Bast offenbar nicht gefasst. Er stand einen Moment lang still und beklommen da, seine ganze Anmut wie fortgewischt. Einen Moment lang sah es so aus, als würde er in Tränen ausbrechen. »Was ich will? Ich will nur meinen Reshi wiederhaben«, sagte er leise und klang dabei ganz verloren. »Ich will, dass er wieder so ist, wie er früher war.«

Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Bast rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und schluckte. »Ich bin schon viel zu lange fort«, sagte er plötzlich, ging zum Fenster und öffnete es. Mit einem Bein schon draußen, hielt er noch einmal inne und sah sich zu dem Chronisten um. »Soll ich Euch noch etwas bringen, bevor Ihr schlafen geht? Einen Schlummertrunk vielleicht? Oder noch eine Decke?«

Der Chronist schüttelte benommen den Kopf, und Bast winkte zum Abschied, stieg zum Fenster hinaus und schloss es vorsichtig hinter sich.

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