Kapitel 50

Verhandlungen

Imre liegt gut zwei Meilen östlich der Universität am anderen Ufer des Omethi. Da man von dort mit einem schnellen Pferdegespann in nur zwei Tagen in Tarbean war, hatten sich viele Adlige, Höflinge und wohlhabende Politiker in der Stadt niedergelassen. Man lebte dort nicht allzu fern vom Regierungssitz des Commonwealth und war doch weit weg vom Gestank nach Fisch und heißem Teer und dem Erbrochenen der betrunkenen Seeleute.

Imre war eine Kulturmetropole. Es gab dort Musiker, Dramatiker, Bildhauer, Tänzer; es gab Vertreter zahlreicher geringerer Künste, und auch der geringsten: der Poesie. Die Künstler kamen, weil Imre das bot, was Künstler am dringendsten brauchen: ein kompetentes und zahlungskräftiges Publikum.

Und Imre profitierte von der Nähe zur Universität. Der Zugang zu Kanalisation und Sympathielampen verbesserte die Luftqualität der Stadt. Gutes Glas war leicht erhältlich, und daher waren Fenster und Spiegel allgegenwärtig. Sogar Augengläser und andere Linsen gab es, auch wenn sie kostspielig waren.

Dennoch waren die beiden Städte einander nicht besonders wohlgesinnt. Den meisten Bürgern von Imre behagte der Gedanke gar nicht, dass sich dort drüben über tausend kluge Köpfe mit dunklen Mächten befassten. Wenn man einen von ihnen reden hörte, konnte man leicht vergessen, dass in diesem Teil der Welt seit fast dreihundert Jahren kein Arkanist mehr verbrannt worden war.

Umgekehrt sollte man erwähnen, dass man an der Universität die Einwohner von Imre ebenfalls mit einer gewissen Verachtung sah und sie als ausschweifend und dekadent empfand. Die in Imre so hochgeschätzten Künste galten an der Universität als nutzlos und frivol. Von Studienabbrechern hieß es oft, sie seien »über den Fluss gegangen«, was besagen sollte, dass Geister, die der akademischen Welt nicht gewachsen waren, sich damit begnügen mussten, in den Künsten zu dilettieren.

Und hüben wie drüben wurde letztlich geheuchelt. Die Studenten der Universität beklagten sich über die ach so frivolen Musiker und die sich aufplusternden Schauspieler und standen dann doch Schlange, um Eintritt für ihre Auftritte zu zahlen. Die Einwohner von Imre schimpften darüber, dass man sich in der Nachbarstadt in widernatürlichen Künsten übte, doch wenn ein Aquädukt einstürzte oder jemand ernstlich krank wurde, riefen sie schnell nach den an der Universität ausgebildeten Ingenieuren oder Ärzten.

Alles in allem glich die Lage einem schon seit langer Zeit bestehenden Waffenstillstand, bei dem sich beide Seiten beklagten, aber auch widerwillig Toleranz übten. Die von gegenüber waren ja schließlich durchaus zu etwas nütze, und man wollte eigentlich bloß nicht, dass die eigene Tochter so jemanden in die Familie brachte …

Da Imre eine Musik- und Theatermetropole war, könnte man meinen, dass ich dort viel Zeit verbrachte, aber das Gegenteil war der Fall. Ich war erst ein einziges Mal dort gewesen. Simmon und Wilem hatten mich in ein Wirtshaus mitgenommen, in dem ein Trio aufgetreten war – Laute, Flöte und Trommel. Ich ließ mir für einen halben Penny ein kleines Bier geben und nahm mir fest vor, den Abend mit meinen Freunden zu genießen …

Aber ich konnte einfach nicht. Nur Minuten, nachdem die Musik begonnen hatte, floh ich buchstäblich aus dem Saal. Ich bezweifle, dass ihr verstehen könnt, woran es lag, deshalb muss ich es wohl erklären.

Ich konnte es nicht ertragen, der Musik nahe zu sein, ohne an ihr teilzuhaben. Das war, als würde man der Frau, die man liebt, dabei zusehen, wie sie mit einem anderen Mann ins Bett steigt. Nein. Nein, das trifft es nicht. Es war eher wie …

Es war eher wie mit den Dennersüchtigen, die ich in Tarbean gesehen hatte. Denner-Harz war natürlich eine verbotene Substanz, aber in den meisten Gegenden der Stadt scherte das niemanden. Die Harzklumpen wurden wie Bonbons in Wachspapier verkauft. Wenn man sie lutschte, erfüllten sie einen mit einem Hochgefühl, mit Glück und Zufriedenheit.

Ein paar Stunden später aber schlotterte man am ganzen Leib und gierte nach mehr, und diese Gier wurde umso größer, je länger man das Harz schon nahm. Einmal hatte ich in Tarbean ein Mädchen gesehen, das höchstens sechzehn Jahre alt war und das die typischen tief liegenden Augen und widernatürlich weißen Zähne einer schwer Süchtigen hatte. Sie flehte einen Seemann an, ihr das Stück Harz zu geben, das er höhnisch außerhalb ihrer Reichweite hielt. Er sagte, sie könne es haben, wenn sie hier auf der Straße nackt für ihn tanzte.

Sie tat es, ohne sich darum zu kümmern, wer alles zusah, und auch ohne sich darum zu kümmern, dass es fast Mittwinter war und sie bis zu den Knöcheln im Schnee stand. Sie zog sich aus und tanzte, und ihre mageren, bleichen Gliedmaßen zitterten, und ihre eckigen Bewegungen waren Mitleid erregend. Und als der Seemann dann lachte und den Kopf schüttelte, fiel sie im Schnee auf die Knie, weinte und flehte, umklammerte seine Beine, versprach alles zu tun, was er nur wollte …

So fühlte ich mich, als ich die Musiker spielen sah. Ich ertrug es nicht. Dass es in meinem Alltag keine Musik gab, war wie ein Zahnschmerz, an den ich mich gewöhnt hatte. Ich konnte damit leben. Aber das, was ich so dringend wollte, direkt vor meiner Nase zu sehen, war mehr, als ich ertragen konnte.

Und daher mied ich Imre, bis mich das Problem mit den Studiengebühren für mein zweites Trimester wieder über den Fluss führte. Ich hatte erfahren, dass Devi derjenige war, den man selbst in verzweifelten Situationen um ein Darlehen bitten konnte.

So überquerte ich also den Omethi auf der großen Steinbrücke und ging nach Imre. Devi lebte in einer kleinen Gasse hinter einer Metzgerei. Dieser Teil von Imre erinnerte mich an Waterside. Bei dem widerlichen Gestank nach ranzigem Fett, der aus der Metzgerei drang, war ich froh über die kühle Herbstbrise.

Ich stieg die schmale Außentreppe empor, blieb vor der schweren Tür stehen und sah die Gasse entlang. Es war ein riskantes Geschäft, auf das ich mich hier einließ. Ein kealdischer Geldverleiher konnte einen vor Gericht zerren, wenn man einen Kredit nicht zurückzahlte. Ein Gaelet aber würde einen in diesem Fall einfach zusammenschlagen oder ausrauben lassen oder beides. Es war nicht klug, was ich hier tat. Ich spielte mit dem Feuer.

Mir blieb aber nichts anderes übrig. Ich atmete tief durch, stellte mich aufrecht hin und klopfte an die Tür.

Die feuchten Handflächen wischte ich mir am Umhang ab und hoffte, dass sie einigermaßen trocken blieben, bis ich Devi die Hand schüttelte. Ich hatte in Tarbean gelernt, dass man Männern dieses Schlags möglichst selbstsicher gegenübertreten sollte. Es gehörte zu ihrem Geschäft, die Schwächen anderer Menschen auszunutzen.

Ich hörte, wie ein schwerer Riegel beiseite gezogen wurde, die Tür öffnete sich, und vor mir stand ein Mädchen mit glatten, rotblonden Haaren, die ein süßes, koboldhaftes Gesicht umrahmten. Sie lächelte mich an. »Ja, bitte?«

»Ich möchte zu Devi«, sagte ich.

»Du hast sie gefunden«, erwiderte sie leichthin. »Komm nur herein.«

Ich trat ein, und sie schloss hinter mir die Tür und schob den Riegel wieder vor. Der Raum war fensterlos, aber gut beleuchtet, und es duftete hier nach Lavendel, was nach dem Gestank auf der Gasse eine willkommene Abwechslung war. An den Wänden hingen Gobelins, aber möbliert war der Raum nur mit einem kleinen Schreibtisch, einem Bücherregal und einem großen Himmelbett, dessen Vorhänge zugezogen waren.

»Bitte«, sagte sie und wies auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. »Nimm Platz.«

Sie setzte sich mir gegenüber und faltete die Hände. Ihr ganzes Gebaren brachte mich dazu, ihr Alter noch einmal neu einzuschätzen. Ich hatte mich geirrt, weil sie so klein war, aber viel älter als Anfang zwanzig konnte sie dennoch nicht sein – kaum das, was ich erwartet hatte.

Devi zwinkerte mir zu.

»Ich brauche ein Darlehen«, sagte ich.

»Wie wäre es erst einmal mit deinem Namen?« Sie lächelte. »Meinen kennst du ja schon.«

»Kvothe.«

»Tatsächlich?« Sie hob eine Augenbraue. »Von dir habe ich schon das eine oder andere gehört.« Sie musterte mich. »Ich hätte dich für größer gehalten.«

Das könnte ich von dir auch behaupten. Ich war ein wenig perplex ob der ganzen Situation. Ich hatte mich auf einen muskulösen Schlägertyp eingestellt und auf Verhandlungen mit kaum verhohlenen Drohungen und zur Schau gestellter Tapferkeit. Ich wusste nicht, was ich von dieser lächelnden jungen Frau halten sollte. »Was hast du denn gehört?«, fragte ich. »Doch hoffentlich nichts Schlechtes.«

»Gutes und Schlechtes.« Sie grinste. »Aber nichts Langweiliges.«

Ich faltete die Hände, damit sie nicht nervös herumnestelten. »Wie erledigen wir das denn jetzt?«

»Du bist kein großer Plauderer, hm?«, sagte sie und seufzte enttäuscht. »Also gut, dann kommen wir gleich zum Geschäftlichen. Wie viel brauchst du denn?«

»Nur etwa ein Talent. Acht Jots, genau gesagt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht machen. Tut mir Leid. Solche Kleinkredite rechnen sich für mich nicht.«

Ich runzelte die Stirn. »Und ab wann rechnet es sich für dich?«

»Ab vier Talenten«, sagte sie. »Das ist der Mindestbetrag.«

»Und die Zinsen?«

»Fünfzig Prozent alle zwei Monate. Wenn du also so wenig wie möglich leihen willst, macht das bis zum Trimesterende zwei Talente. Die Gesamtschuld kannst du dann mit sechs Talenten begleichen, wenn du magst. Aber solange ich den Kreditbetrag nicht zurück habe, macht es pro Trimester jeweils zwei Talente Zinsen.«

Ich nickte, nicht allzu erstaunt. Das war ungefähr das Vierfache dessen, was selbst der habgierigste kealdische Geldverleiher verlangte. »Aber dann würde ich ja Zinsen für Geld zahlen, das ich eigentlich gar nicht brauche.«

»Nein«, entgegnete sie und sah mir ernst in die Augen. »Du würdest Zinsen zahlen für Geld, das du dir geliehen hast.«

»Wie wäre es mit zwei Talenten?«, fragte ich. »Dann würde ich –«

Devi schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. »Wir verhandeln hier nicht. Ich informiere dich lediglich über meine Geschäftsbedingungen.« Sie lächelte. »Entschuldige bitte, das hätte ich gleich zu Anfang klarstellen sollen.«

»Also gut«, sagte ich resigniert. »Wo soll ich unterschreiben?«

Sie sah mich leicht verdutzt an. »Du musst nichts unterschreiben.« Sie öffnete eine Schublade und nahm ein braunes Fläschchen mit einem Glasstöpsel heraus. Dann legte sie eine lange Nadel daneben auf den Tisch. »Ich brauche bloß ein wenig Blut von dir.«

Ich saß wie erstarrt auf meinem Stuhl. »Keine Sorge«, sagte sie. »Die Nadel ist sauber. Und ich brauche bloß drei Tropfen.«

Schließlich fand ich meine Stimme wieder. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst.«

Devi neigte den Kopf zur Seite, und der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Das wusstest du nicht?«, fragte sie erstaunt. »Es ist selten, dass jemand zu mir kommt, der darüber nicht Bescheid weiß.«

»Ich kann nicht glauben, dass irgend jemand …« Ich verstummte. Mir fehlten die Worte.

»Es macht auch nicht jeder«, sagte sie. »Zu meinen Kunden zählen normalerweise nur Studenten und ehemalige Studenten. Die Leute auf dieser Seite des Flusses würden mich wahrscheinlich für eine Hexe halten – oder irgendetwas Ähnliches. Die Mitglieder des Arkanums aber wissen ganz genau, warum ich ihr Blut haben will und was ich damit tun kann.«

»Du bist auch Mitglied des Arkanums?«

»Ein ehemaliges«, sagte sie, und ihr Lächeln schwand ein wenig. »Ich wurde vor meinem Abgang aber noch zum Re’lar befördert. Ich kenne mich also aus, und wenn ich ein paar Tropfen Blut von dir hätte, könntest du dich nirgends vor mir verbergen. Ich könnte dich überall finden.«

»Und nicht nur das«, sagte ich ungläubig und dachte an die Wachspuppe von Meister Hemme, die ich zu Anfang des Trimesters geformt hatte. Das war nur ein Haar gewesen. Mit Blut konnte man eine viel wirksamere Verbindung herstellen. »Du könntest mich töten.«

Sie warf mir einen freimütigen Blick zu. »Für den neuen Star des Arkanums bist du aber wirklich schwer von Begriff. Denk doch mal darüber nach. Wie lange wäre ich wohl noch im Geschäft, wenn ich anfangen würde, Morde zu begehen?«

»Die Meister wissen davon?«

Sie lachte. »Natürlich nicht. Und weder die Polizei noch der Bischof noch meine Mutter.« Sie wies auf ihre Brust und dann auf mich. »Ich weiß davon, und du weißt davon. Das genügt normalerweise für eine gute Zusammenarbeit.«

»Normalerweise?«, sagte ich. »Und wenn ich das Geld bis zum Trimesterende nicht zusammenbekomme – was dann?«

Sie breitete die Hände aus und zuckte die Achseln. »Dann finden wir gemeinsam eine Lösung. Als vernünftige Menschen. Vielleicht könntest du für mich arbeiten. Mir Geheimnisse verraten. Mir anderweitig zu Diensten sein.« Sie lächelte, musterte mich mit einem lüsternen Blick, lachte über meine Verlegenheit. »Und im allerschlimmsten Falle, und wenn du gar kein Entgegenkommen zeigen solltest, könnte ich dein Blut wahrscheinlich zu einem guten Preis verkaufen und so meine Verluste wieder wettmachen. Jeder hat doch irgendwelche Feinde.« Sie zuckte die Achseln. »Aber so weit ist es noch nie gekommen. Die Drohung genügt normalerweise, um die Leute wieder zur Vernunft zu bringen.«

Als sie bemerkte, wie ich guckte, ließ sie ein wenig die Schultern hängen. »Also was denn«, sagte sie freundlich. »Als du hierher kamst, hast du erwartet, einen stiernackigen Gaelet mit vernarbten Fingerknöcheln anzutreffen. Du kamst hierher, um ein Geschäft mit jemandem abzuschließen, der nicht zögern würde, dich grün und blau zu prügeln, wenn du auch nur einen einzigen Tag mit den Zahlungen in Verzug geraten würdest. Meine Methode ist viel besser. Und auch einfacher.«

»Das ist doch Wahnsinn«, sagte ich und erhob mich. »Nie im Leben.«

Devis fröhliche Miene schwand. »Jetzt reiß dich mal zusammen«, sagte sie, nun unverhohlen verärgert. »Du führst dich ja auf wie irgendein dahergelaufener Bauer, der glaubt, ich wolle seine Seele kaufen. Es ist doch nur ein klein wenig Blut, damit ich dich im Auge behalten kann. Eine absolute Banalität.« Sie machte mit beiden Händen eine beschwichtigende Geste. »Also gut. Weißt du was? Ich leihe dir die Hälfte des Mindestbetrags.« Sie sah mich erwartungsvoll an. »Zwei Talente. Macht es das für dich einfacher?«

»Nein«, erwiderte ich. »Es tut mir Leid, dass ich deine Zeit vergeudet habe, aber das kann ich nicht tun. Gibt es hier in der Gegend noch andere Gaelets?«

»Selbstverständlich«, sagte sie. »Aber ich bin nicht sonderlich geneigt, mit derartigen Informationen zu dienen.« Sie neigte fragend den Kopf zur Seite. »Heute ist doch Cendling, nicht wahr? Musst du nicht bis morgen Mittag deine Studiengebühren bezahlt haben?«

»Ich werde das Geld schon irgendwie auftreiben«, erwiderte ich.

»Oh, das wirst du bestimmt, wo du doch so ein kluges Kerlchen bist.« Devi entließ mich mit einer Handbewegung. »Aber denk an die liebe Devi, wenn dir in zwei Monaten irgendein Scherge die Zähne aus deinem hübschen Köpfchen tritt.«

Anschließend ging ich durch die Straßen von Imre und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen und eine Lösung für mein Problem zu finden.

Die Chancen standen nicht schlecht, dass ich einen Kredit über zwei Talente würde abbezahlen können. Ich hoffte im Handwerkszentrum schnell aufzusteigen. Sobald es mir erlaubt war, dort eigene Projekte zu verfolgen, konnte ich damit richtig Geld verdienen. Dazu musste ich nur lange genug an der Universität bleiben. Es war alles nur eine Frage der Zeit.

Das war es, was ich eigentlich brauchte: Zeit. Ein weiteres Trimester. Denn wer wusste schon, welche Möglichkeiten sich mir in den nächsten zwei Monaten eröffnen würden?

Doch gleichzeitig war mir natürlich klar, dass das Ganze keine gute Idee war. Ich würde damit nur in Schwierigkeiten geraten. Also beschloss ich, meinen Stolz hinunterzuschlucken und zu sehen, ob mir Wil, Sim oder Sovoy die acht Jots leihen konnten, die mir noch fehlten. Seufzend fand ich mich damit ab, dass ich nun ein Trimester lang draußen schlafen würde und mir mein Essen irgendwo abstauben musste. Schlimmer als während meiner Zeit in Tarbean konnte es sowieso nicht kommen.

Ich wollte mich gerade auf den Rückweg zur Universität machen, als ich am Schaufenster einer Pfandleihe vorüberkam. Und da verspürte ich wieder das alte Kribbeln in den Fingern …

»Was kostet die siebensaitige Laute da?«, fragte ich.

»Vier Talente«, antwortete der Inhaber mit einem freundlichen Lächeln. Ich vermutete, dass er noch neu in der Branche war – oder betrunken. Pfandleiher sind niemals fröhlich, nicht einmal in so reichen Städten wie Imre.

»Oh«, sagte ich und versuchte erst gar nicht, meine Enttäuschung zu verhehlen. »Dürfte ich sie mir mal ansehen?«

Er gab sie mir. Sie machte nicht viel her. Das Holz war unregelmäßig gemasert, und der Lack an einigen Stellen verkratzt. Die Bünde waren aus Darm und mussten dringend gewechselt werden, aber das war mir egal, denn ich spielte meist ohne Bünde. Der Resonanzkörper war aus Rosenholz gefertigt und versprach also kein allzu differenziertes Klangbild. Andererseits verschaffte man sich mit einem Rosenholzkorpus in einem gut besuchten Schankraum leichter Gehör. Ich klopfte mit einem Finger an das Holz, und es klang zwar nicht schön, aber ganz ordentlich. Um einen Vorwand zu haben, die Laute noch etwas länger in der Hand halten zu können, begann ich sie zu stimmen.

»Ich könnte bis auf drei fünf runtergehen«, sagte der Mann hinter dem Ladentresen.

Ich spitzte die Ohren, denn er klang ein wenig verzweifelt. Mir wurde klar, dass eine nicht eben schöne und nicht mehr neuwertige Laute in einer Stadt, in der vor allem Adlige und wohlhabende Musiker lebten, wahrscheinlich nicht leicht an den Mann zu bringen war. Ich schüttelte den Kopf. »Die Saiten sind alt«, sagte ich. In Wirklichkeit waren sie bestens in Ordnung, aber ich hoffte, dass er das nicht beurteilen konnte.

»Das stimmt«, sagte er und versicherte mich so seiner Unwissenheit. »Aber neue Saiten kosten nicht die Welt.«

»Mag sein«, erwiderte ich. Dann verstimmte ich die einzelnen Saiten jeweils um Haaresbreite. Ich schlug einen Akkord an und lauschte dem leicht schiefen Klang. Argwöhnisch betrachtete ich den Hals der Laute. »Ich glaube, der Hals hat einen Knacks.« Dann spielte ich einen Moll-Akkord, der sogar noch übler klang. »Hört Ihr das?« Ich schlug den Akkord noch einmal an, diesmal lauter.

»Drei zwei?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Sie ist nicht für mich«, sagte ich, wie um ihn zu berichtigen. »Sie ist für meinen kleinen Bruder. Damit der kleine Mistkerl meine Laute endlich mal in Ruhe lässt.«

Ich schlug noch einen Akkord an und verzog das Gesicht. »Kann sein, dass ich ihn nicht besonders mag, aber ihm eine Laute mit angeknackstem Hals zu kaufen – so gemein bin ich dann doch nicht.« Ich machte eine Kunstpause. Als nichts geschah, fügte ich hinzu: »Jedenfalls nicht für drei zwei.«

»Glatte drei Talente?«, sagte der Inhaber.

Dem äußeren Anschein nach hielt ich die Laute ganz gelassen in der Hand. Doch für andere nicht wahrnehmbar, klammerte ich mich so fest daran, dass mir die Fingerknöchel weiß wurden. Ich kann nicht hoffen, dass ihr das versteht. Als die Chandrian meine Truppe ermordeten, vernichteten sie damit alles, was ich an Familie und Heimat je besessen hatte. Doch in mancher Hinsicht war es, als die Laute meines Vaters in Tarbean zerstört worden war, schlimmer gewesen. Das war, als hätte ich einen Arm oder ein Bein oder ein Auge verloren. Ohne meine Musik war ich jahrelang nur halb lebendig in Tarbean herumgelaufen, wie ein verkrüppelter Veteran oder ein wandelnder Leichnam.

»Ich habe hier zwei zwei für Euch«, sagte ich freimütig und zog meinen Geldbeutel hervor. »Entweder Ihr nehmt es, oder dieses hässliche Ding kann die nächsten zehn Jahre auf einem Regal Staub ansetzen.«

Ich blickte ihm in die Augen und achtete geflissentlich darauf, mir nicht anmerken zu lassen, wie dringend ich die Laute wollte. Ich hätte alles getan, um diese Laute behalten zu können. Ich hätte nackt im Schnee getanzt. Ich hätte schlotternd seine Beine umklammert und ihm versprochen, alles zu tun, was er nur wollte.

Ich legte zwei Talente und zwei Jots auf den Ladentresen zwischen uns, fast das gesamte Geld, das ich für die Studiengebühren des nächsten Trimesters gespart hatte. Und die Münzen klackten, als ich sie hinlegte.

Er blickte mich prüfend an. Ich legte noch einen weiteren Jot hin und wartete. Und wartete. Und als er endlich die Hand nach dem Geld ausstreckte, blickte er so unfroh und abgespannt, wie ich es von Pfandleihern gewohnt war.

Devi öffnete mir die Tür und lächelte. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell wiedersehe. Komm herein.« Sie verriegelte die Tür hinter mir und ging zu ihrem Schreibtisch. »Nicht dass ich enttäuscht wäre«, sagte sie und sah sich mit einem verschmitzten Lächeln zu mir um. »Ich habe mich schon darauf gefreut, Geschäfte mit dir zu machen.« Sie nahm Platz. »Dann also zwei Talente, ja?«

»Doch lieber vier«, erwiderte ich. Das reichte gerade für die Studiengebühren und ein Bett in Mews. Ich hätte auch unter freiem Himmel schlafen können, aber meine Laute hatte etwas Besseres verdient.

»Wunderbar«, sagte sie und zog das Fläschchen und die Nadel hervor.

Meine Fingerspitzen sollten unversehrt bleiben, also piekste ich mir in den Handrücken, ließ drei Tropfen Blut in das braune Fläschchen rinnen und reichte es Devi.

»Steck die Nadel mit rein«, sagte sie.

Ich tat es.

Devi betupfte den Glasstöpsel mit einer klaren Flüssigkeit und verschloss das Fläschchen dann damit. »Ein sehr praktischer Klebstoff von deinen Freunden vom anderen Ufer«, erklärte sie. »So kann ich die Flasche nicht öffnen, ohne sie zu zerbrechen. Wenn du deine Schulden beglichen hast, übergebe ich sie dir unbeschädigt, und dann kannst du ruhig schlafen, in dem Wissen, dass ich nichts davon für mich behalten habe.«

»Es sei denn, du hättest das entsprechende Lösungsmittel«, entgegnete ich.

Devi schaute gekränkt. »Vertrauen ist nicht gerade deine Stärke, hm?« Sie wühlte in einer Schublade herum, holte ein Stück Siegelwachs hervor und erwärmte es an ihrer Schreibtischlampe. »Du hast vermutlich keinen Siegelring, oder?«, fragte sie und ließ das Wachs auf den Stöpsel rinnen.

»Wenn ich Schmuckstücke zum Verkaufen hätte, wäre ich nicht hier«, sagte ich freimütig und drückte meinen Daumen in das Wachs. Er hinterließ einen gut sichtbaren Abdruck. »So geht’s doch auch.«

Devi ritzte mit einer Diamantnadel eine Nummer in die Flasche und zog dann ein Blatt Papier hervor. Sie schrieb etwas darauf und wartete, bis es getrocknet war. »Damit kannst du zu jedem Geldverleiher auf beiden Seiten des Flusses gehen«, sagte sie und reichte mir das Blatt. »Es war mir eine Vergnügen. Lass bald wieder etwas von dir hören.«

Ich kehrte an die Universität zurück, mit genug Geld im Beutel und dem beglückenden Gefühl des Lautengurts auf der Schulter. Die Laute war aus zweiter Hand und alles andere als schön, und sie hatte mich Geld und Blut und Seelenfrieden gekostet.

Doch ich liebte sie wie mein eigen Fleisch und Blut.

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