Kapitel 37

Mit strahlenden Augen

Lorren führte mich über einen Hof. »Darüber haben wir doch vor allem debattiert«, erläuterte er in einem Ton unerschütterlicher Leidenschaftslosigkeit. »Wir mussten die Höhe deiner Studiengebühr festlegen. Das müssen wir bei jedem.«

Ich hatte inzwischen meine Selbstbeherrschung wieder gefunden und mich für mein unmögliches Benehmen entschuldigt. Er hatte gelassen genickt und angeboten, mich zur Quästur zu begleiten, um sicherzustellen, dass es wegen meiner »Gebühren« zu keinen Schwierigkeiten käme.

»Nachdem wir beschlossen hatten, dich auf die von dir vorgeschlagene Art und Weise zum Studium zuzulassen,« – Lorren machte eine kurze, bedeutsame Pause und suggerierte mir damit, dass es nicht ganz einfach gewesen sei – »standen wir vor dem Problem, dass es noch nie vorgekommen ist, dass man einem Studenten, der sich immatrikuliert, Geldmittel zur Verfügung stellt.« Er hielt wiederum inne. »Ein sehr ungewöhnlicher Fall.«

Lorren führte mich in ein Steingebäude, einen Korridor entlang und eine Treppe hinunter. »Hallo, Riem.«

Der Quästor war ein älterer, leicht reizbarer Herr, der noch reizbarer wurde, als er erfuhr, dass er mir Geld geben sollte und nicht umgekehrt. Nachdem ich meine drei Talente erhalten hatte, geleitete mich Meister Lorren wieder hinaus.

Plötzlich fiel mir etwas ein, und ich suchte in meiner Tasche herum, froh über den Anlass, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. »Ich habe hier eine Quittung von dem Buchladen.« Ich gab ihm den Zettel und fragte mich, was der Inhaber wohl denken würde, wenn der Leiter der Universitätsbibliothek zu ihm kam, um das Buch auszulösen, das ein schmutziges Straßenkind ihm verkauft hatte. »Meister Lorren, ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass Ihr Euch dazu bereit erklärt habt, und ich hoffe, Ihr haltet mich nicht für undankbar, wenn ich Euch noch um einen weiteren Gefallen bitte …«

Lorren warf einen Blick auf die Quittung, steckte sie ein und sah mich dann aufmerksam an. Nein, nicht aufmerksam. Und auch nicht fragend. Sein Gesicht war im Grunde vollkommen ausdruckslos. Keine Neugier. Keine Gereiztheit. Nichts. Wäre sein Blick nicht auf mich gerichtet gewesen, hätte ich geglaubt, dass er vergessen hatte, dass ich überhaupt da war. »Nur zu«, sagte er.

»Dieses Buch. Es ist das Einzige, was … aus dieser Zeit meines Lebens noch übrig ist. Ich würde es Euch sehr gerne wieder abkaufen – eines Tages, wenn ich das nötige Geld habe.«

Er nickte, immer noch mit ausdrucksloser Miene. »Das lässt sich einrichten. Mach dir keine unnötigen Sorgen um das Buch. Es wird genauso gewissenhaft aufbewahrt werden wie jedes andere in unserer Bibliothek.«

Lorren winkte einen vorbeigehenden Studenten zu sich.

Ein rotblonder junger Mann trat ängstlich näher. Er nickte dem Meister voller Hochachtung so ergeben zu, dass es beinahe einer Verbeugung gleichkam. »Ja, Meister Lorren?«

Lorren wies auf mich. »Simmon, das ist Kvothe. Jemand muss ihn herumführen, mit ihm die ganzen Formalitäten erledigen und so weiter. Kilvin möchte ihn an seinem Institut haben. Alles weitere überlasse ich dir. Wirst du dich darum kümmern?«

Simmon nickte und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Jawohl, Sir.«

Lorren machte ohne ein weiteres Wort kehrt und ging mit großen Schritten und wehendem Talar davon.

Simmon war jung für einen Studenten, aber trotzdem ein paar Jahre älter als ich. Er war größer als ich, aber sein Gesicht war immer noch jungenhaft, und er war jungenhaft schüchtern.

»Hast du denn schon eine Unterkunft?«, fragte er, als wir losgingen. »Ein Zimmer in einem Gasthof oder so?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin heute erst angekommen. Ich musste erst mal die Zulassungsprüfung bestehen.«

Simmon wies nach links, auf einen breiten, von Bäumen gesäumten Weg. »Dann lass uns zuerst ins Mews, den Studententrakt, gehen.«

Ich blieb stehen. »Ich habe nicht viel Geld«, gestand ich. Ich hatte nicht vorgehabt, mir ein Zimmer zu nehmen. Ich war es gewöhnt, draußen zu schlafen, und ich wusste, dass ich meine drei Talente für Kleider, Essen, Papier und die Studiengebühren des nächsten Trimesters brauchen würde. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass die Meister gleich zwei Trimester so großzügig zu mir waren.

»Die Prüfung ist wohl nicht so gut gelaufen, hm?«, sagte Simmon mitfühlend, nahm mich beim Ellbogen und lotste mich auf ein weiteres graues Universitätsgebäude zu. Dieses war dreigeschossig, hatte viele Fenster, und von seinem Zentrum gingen etliche Flügel ab. »Mach dir nichts draus. Ich war beim ersten Mal auch schrecklich nervös und hab mir in die Hosen gemacht. Bildlich gesprochen.«

»So schlimm war es gar nicht«, sagte ich, und war mir der drei Talente in meinem Geldbeutel mit einem Mal bewusst. »Aber ich glaube, ich habe Meister Lorren gekränkt. Er wirkte so …«

»Kühl?«, fragte Simmon. »Distanziert?« Er lachte. »Lorren ist immer so. Elxa Dal hat angeblich einen Preis von zehn Goldmark ausgesetzt für den Fall, dass es jemand schafft, ihn auch nur ein einziges Mal zum Lachen zu bringen.«

»Oh. Na, da bin ich aber beruhigt. Er ist der Letzte, mit dem ich es mir verderben möchte. Ich freue mich schon darauf, viel Zeit in der Bibliothek zu verbringen.«

»Geh nur sorgsam mit den Büchern um, dann wirst du gut mit ihm auskommen. Er lässt sich normalerweise durch nichts erschüttern, aber seine Bücher hütet er wie eine Bärenmutter ihre Jungen. Ja, ich würde lieber mit einer Bärenmutter aneinander geraten, als von Lorren dabei ertappt werden, wie ich einen Knick in eine Seite mache.«

Simmon kickte ein Steinchen übers Kopfsteinpflaster. »Also gut. Im Mews hast du die Wahl. Für ein Talent bekommst du ein Etagenbett im Schlafsaal und einen Essensgutschein fürs Trimester.« Er zuckte die Achseln. »Nichts Besonderes, aber immerhin ein Dach über dem Kopf. Für zwei Talente bekommst du ein Bett im Doppelzimmer, für drei Talente ein Zimmer ganz für dich allein. Essen gibt’s dreimal täglich drüben in der Mensa.« Er zeigte auf ein lang gestrecktes, flaches Gebäude jenseits einer Rasenfläche. »Das Essen ist gar nicht so schlecht, solange man nicht anfängt, darüber nachzudenken, woher es wohl stammt.«

Ich überlegte. Ein Talent für zwei Monate Verpflegung und außerdem einen Schlafplatz im Trockenen – auf ein besseres Geschäft brauchte ich nicht zu hoffen. Ich lächelte Simmon an. »Das klingt doch genau richtig.«

Simmon nickte und öffnete die Tür. »Also dann Schlafsaal. Komm, lass uns einen Kämmerer suchen, und dann schreibst du dich ein.«

Der Schlafsaal für die nicht dem Arkanum angehörenden Studenten befand sich im dritten Stock des Ostflügels, am weitesten von den Badeeinrichtungen im Erdgeschoss entfernt. Die Unterkunft war, wie Sim es geschildert hatte – ganz schlicht. Aber die schmalen Betten waren immerhin frisch bezogen, und zu ihnen gehörte je eine verschließbare Truhe, in der ich meine Habseligkeiten unterbringen konnte.

Die unteren Etagenbetten waren bereits alle belegt, und so suchte ich mir am hinteren Saalende ein oberes Bett aus. Der Blick von dort oben durch eines der schmalen Fenster hinaus erinnerte mich an mein Versteck auf den Dächern von Tarbean, und das wirkte auf seltsame Weise tröstlich auf mich.

Zum Mittagessen gab es einen Teller Kartoffelsuppe, dazu Bohnen, Speck und frisches Schwarzbrot. Die langen Tafeln im Saal, an denen gut zweihundert Studenten Platz fanden, waren etwa zur Hälfte besetzt. Der Raum war erfüllt vom Gemurmel der Gespräche, von gelegentlichem Gelächter, vom Schaben der Löffel und Gabeln auf dem Blechgeschirr.

Simmon führte mich zum hinteren Ende des langen Saals, und zwei Studenten sahen auf, als wir näher kamen.

Simmon stellte sein Tablett ab und deutete mit einer Handbewegung auf mich. »Darf ich vorstellen, das ist Kvothe, unser jüngster Neuzugang.« Er wies auf die beiden anderen. »Kvothe, das sind die schlechtesten Studenten, die das Arkanum zu bieten hat – Manet und Wilem.«

»Wir kennen uns schon«, sagte Wilem. Er war der dunkelhaarige Kealde aus der Bibliothek. »Dann wolltest du also tatsächlich zur Zulassungsprüfung«, sagte er, leicht erstaunt. »Und ich dachte, du wolltest mir einen Bären aufbinden.« Er schüttelte mir die Hand. »Herzlich willkommen.«

»Mannomann«, murmelte Manet und musterte mich. Er war mindestens fünfzig Jahre alt, hatte struppiges Haar, einen grauen, zerzausten Vollbart und sah so aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen. »Bin ich so alt, wie ich mich fühle? Oder ist er so jung, wie er aussieht?«

»Sowohl als auch«, sagte Simmon vergnügt und ließ sich an der Tafel nieder. »Kvothe, Manet ist schon länger am Arkanum als wir alle zusammen.«

Manet schnaubte. »Also bitte. Ich bin schon länger am Arkanum, als irgendeiner von Euch auf der Welt ist.«

»Und doch immer noch nur ein einfacher E’lir«, sagte Wilem, und wegen seines kräftigen Siaru-Akzents erkannte ich nicht, ob es sarkastisch gemeint war oder nicht.

»Es gibt nichts Besseres, als ein E’lir zu sein«, entgegnete Manet ernsthaft. »Ihr werdet es bereuen, wenn ihr weiter aufsteigt. Glaubt mir. Das bringt nur Scherereien und höhere Studiengebühren.«

»Wir wollen unser Gildenabzeichen, Manet«, sagte Simmon. »Und am liebsten noch zu Lebzeiten.«

»Diese Gildenabzeichen werden doch auch völlig überschätzt«, sagte Manet, rupfte sich ein Stück Brot ab und tunkte es in seine Suppe. Es klang, als führten sie dieses Gespräch nicht zum ersten Mal.

»Wie ist es bei dir gelaufen?«, fragte Simmon Wilem gespannt.

»Sieben acht«, murrte der.

Simmon wirkte erstaunt. »Was ist denn passiert? Hast du einen von denen geschlagen?«

»Ich hab mich bei meiner Geheimschrift dumm angestellt«, erwiderte Wilem mürrisch. »Und Lorren hat mich nach dem Einfluss der Subinfudation auf die Modeganische Währung gefragt. Kilvin musste mir das übersetzen. Und selbst dann wusste ich keine Antwort darauf.«

»Es tut mir in der Seele weh, das zu hören«, sagte Sim leichthin. »Du hattest mich in den letzten beiden Trimestern ziemlich abgehängt. Früher oder später musste ich ja wieder aufholen. Ich bin dieses Trimester bei glatt fünf Talenten.« Er streckte eine Hand aus. »Wenn ich bitten dürfte.«

Wilem gab ihm einen Kupfer-Jot.

Ich sah zu Manet hinüber. »Bist du da gar nicht beteiligt?«

Er lachte schnaubend und schüttelte den Kopf. »Da hätte ich keine großen Chancen«, sagte er mit halbvollem Mund.

»Dann mal raus damit«, sagte Simmon. »Wie viel?«

»Eins sechs«, sagte Manet mit wölfischem Grinsen.

Ehe womöglich noch jemand auf die Idee kam, mich nach der Höhe meiner Studiengebühren zu fragen, ergriff ich das Wort. »Ich habe gehört, sie sollen von jemandem dreißig Talente verlangt haben. Sind solche Summen üblich?«

»Nicht, wenn man so vernünftig ist, sich am unteren Ende der Rangliste zu tummeln«, grummelte Manet.

»Nur bei Adligen«, erwiderte Wilem. »Also bei Scheißkerlen, die hier sowieso nichts verloren haben. Ich glaube, die treiben die Gebühren in die Höhe, bloß damit sie was haben, worüber sie sich beklagen können.«

»Mir ist das egal«, sagte Manet. »Sollen sie denen doch ordentlich Geld abknöpfen. Das hält meine Gebühren niedrig.«

Ich zuckte zusammen, als auf der anderen Seite des Tischs scheppernd ein Tablett abgestellt wurde. »Ich nehme an, ihr sprecht über mich.« Der das Tablett abgestellt hatte, war ein blauäugiger, gutaussehender junger Mann mit sorgfältig gestutztem Bart und hohen modeganischen Wangenknochen. Er war teuer gekleidet. An der Taille trug er einen Dolch. Er war der Erste, den ich hier an der Universität eine Waffe tragen sah.

»Sovoy?« Simmon schaute erstaunt. »Was machst du denn hier?«

»Das frage ich mich auch.« Sovoy sah auf die Sitzbank hinab. »Gibt es hier denn nicht einmal Stühle?« Er nahm Platz und bewegte sich dabei mit einer seltsamen Mischung aus anmutiger Vornehmheit und gekränktem Stolz. »Na toll. Als Nächstes esse ich dann direkt vom Tranchierbrett und werfe die Knochen hinter mich – für die Hunde.«

»Die Etikette gebietet dabei einen Wurf über die linke Schulter, Euer Hoheit«, sagte Manet, den Mund voller Brot, und grinste.

Sovoy blitzte ihn wütend an, doch ehe er etwas sagen konnte, ergriff Simmon das Wort. »Was ist denn geschehen?«

»Meine Studiengebühren wurden auf achtundsechzig Strehlaum festgesetzt«, erwiderte Sovoy empört.

Simmon blickte verwirrt. »Ist das viel?«

»Allerdings«, erwiderte Sovoy. »Und das gänzlich ohne Grund. Ich habe alle Fragen beantwortet. Die haben was gegen mich, das ist es. Mandrag vor allem. Und Hemme auch. Und außerdem weiß ja jeder, dass sie den Adel auspressen, wie sie es bei euch nie wagen würden.«

»Simmon ist adlig«, entgegnete Manet und wies mit einem Löffel auf ihn. »Und der scheint da keine Schwierigkeiten zu haben.«

Sovoy schnaubte verächtlich. »Simmons Vater ist ein Papp-Herzog, der sich in Atur vor einem Blech-König verneigt. In den Stallungen meines Vater haben sie einen längeren Stammbaum als die meisten aturischen Adligen.«

Simmon versteifte sich ein wenig, sah aber nicht von seinem Essen auf.

Nun wandte sich Wilem Sovoy zu, und seine dunklen Augen funkelten. Doch ehe er etwas sagen konnte, sank Sovoy ein wenig in sich zusammen und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. »Tut mir leid, Sim, nimm’s mir bitte nicht krumm. Es ist nur … es sollte dieses Trimester doch alles besser werden, aber statt dessen ist es jetzt noch schlimmer. Meine Apanage deckt nicht einmal mehr die Studiengebühren, und ich bekomme nirgends mehr Kredit. Weißt du, wie erniedrigend das ist? Ich musste meine Gemächer im Goldenen Pony aufgeben. Ich logiere jetzt im zweiten Stock des Mews. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte mir ein Zimmer mit jemandem teilen müssen. Was würde mein Vater sagen, wenn er das wüsste?«

Simmon, der den Mund voll hatte, zuckte die Achseln und machte mit seinem Löffel eine Geste, die wohl besagen sollte, dass er Sovoy nichts übel nahm.

»Vielleicht würde es günstiger für dich laufen, wenn du nicht so herausgeputzt da hineingehen würdest«, sagte Manet. »Lass einfach die seidenen Gewänder weg, wenn du zur Zulassungsprüfung gehst.«

»Ach ja?«, entgegnete Sovoy, und seine Wut flammte wieder auf. »Ich soll mich erniedrigen? Mir Asche aufs Haupt streuen? Mir die Kleider zerreißen? Nein. Die sind alle nichts Besseres als ich. Ich muss mich ihnen nicht beugen.«

Am Tisch herrschte einen Moment lang beklommenes Schweigen, und ich sah, dass Studenten von den anderen Tischen aus die ganze Szene verfolgten.

»Hylta tiam«, fuhr Sovoy fort. »Es gibt hier nichts, was mir nicht zuwider wäre. Euer Wetter ist abscheulich, eure Religion barbarisch und prüde. Eure Huren sind unerträglich dumm und haben keinerlei Manieren. Eure Sprache vermag kaum auszudrücken, wie erbärmlich es hier ist …«

Sovoys Stimme wurde leiser, bis er fast nur noch zu sich selbst zu sprechen schien. »Mein Blut reicht fünfzig Generationen zurück. Und jetzt schau sich einer an, wo ich hier gelandet bin.« Er nahm den Kopf in beide Hände und blickte auf sein Tablett hinab. »Gerstenbrot. Bei allen Göttern, einem Manne ist es doch wohl bestimmt, Weizenbrot zu essen.«

Ich sah ihn unverwandt an und kaute dabei einen Bissen von dem frischen Graubrot. Es schmeckte köstlich.

»Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe«, sagte Sovoy mit einem Mal und erhob sich. »Das ist einfach nichts für mich.« Er stürmte davon und ließ sein Tablett auf dem Tisch stehen.

»Das ist Sovoy«, sagte Manet beiläufig zu mir. »Kein übler Kerl. Normalerweise ist er längst nicht so betrunken.«

»Ist er Modeganer?«

Simmon lachte. »Noch modeganer geht’s nicht.«

»Du solltest ihn nicht triezen«, sagte Wilem zu Manet. Sein starker Akzent erschwerte es mir herauszuhören, ob er den älteren Kommilitonen tadelte, aber sein dunkles Kealdengesicht blickte eindeutig vorwurfsvoll. Als Ausländer hatte er offensichtlich Verständnis für Sovoys Schwierigkeiten, sich an die Sprache und die Kultur des Commonwealth zu gewöhnen.

»Er macht wirklich schwere Zeiten durch«, räumte Simmon ein. »Könnt ihr euch daran erinnern, wie er seinen Diener entlassen musste?«

Manet, mit vollem Mund, tat mit beiden Händen so, als würde er auf einer imaginären Geige spielen. Er verdrehte die Augen und zeigte keinerlei Mitgefühl.

»Diesmal musste er seine Ringe verkaufen«, bemerkte ich. Wilem, Simmon und Manet sahen mich erstaunt an. »Er hatte helle Streifen an den Fingern«, erklärte ich und hob die Hände, um zu zeigen, was ich meinte.

Manet musterte mich nun etwas aufmerksamer. »Na schau mal einer an! Unser neuer Kommilitone ist ja offenbar mit allen Wassern gewaschen.« Er wandte sich an Wilem und Simmon. »Jungs, ich bin in Wettlaune. Ich wette drei Jots darauf, dass unser junger Kvothe hier ins Arkanum aufgenommen wird, noch ehe seine ersten drei Trimester um sind.«

»Drei Trimester?«, sagte ich erstaunt. »Sie haben mir gesagt, dass ich lediglich beweisen müsste, dass ich die Grundlagen der Sympathie beherrsche.«

Manet lächelte nachsichtig. »Das erzählen sie allen. Grundlagen der Sympathie ist eines der Seminare, durch das du dich durchkämpfen musst, ehe sie dich zum E’lir befördern.« Er wandte sich wieder an Wil und Sim. »Also, wie steht’s? Zwei Jots?«

»Ich halte dagegen.« Wilem sah mich mit einem entschuldigenden Achselzucken an. »Nimm’s mir bitte nicht übel. Es ist nur eine Wette.«

»Was wirst du denn studieren?«, fragte Manet, nachdem sie eingeschlagen hatten.

Die Frage traf mich unvorbereitet. »Na, alles, schätze ich mal.«

»So habe ich mich vor dreißig Jahren auch angehört«, kicherte Manet. »Und womit willst du anfangen?«

»Mit den Chandrian«, sagte ich. »Ich möchte so viel wie möglich über sie erfahren.«

Manet runzelte die Stirn und brach dann in Gelächter aus. »Na prima. Sim studiert übrigens Feen und Elfen. Wil glaubt an alle möglichen bescheuerten kealdischen Himmelsgeister und so.« Er blies sich lächerlich auf. »Und ich selbst kenne mich bestens mit Kobolden und Butzemännern aus.«

Ich spürte, dass ich rot wurde.

»Mein Gott, Manet«, schaltete Sim sich ein. »Was ist denn in dich gefahren?«

»Ich habe gerade zwei Jots auf einen Jungen verwettet, der hier ist, um Gutenachtgeschichten zu studieren«, knurrte Manet und deutete mit seiner Gabel auf mich.

»Es geht ihm um Folklore, um volkstümliche Überlieferungen.« Wilem wandte sich an mich. »Willst du in der Bibliothek arbeiten?«

»Folklore gehört auch dazu«, wich ich schnell aus, eifrig bemüht, mein Gesicht zu wahren. »Ich will herausfinden, ob die Volksmärchen unterschiedlicher Kulturkreise Teccams Theorie der narrativen Septagie entsprechen.«

Sim wandte sich wieder an Manet. »Siehst du? Warum bist du denn heute so reizbar? Wann hast du denn zum letzten Mal geschlafen?«

»Nicht in dem Ton«, murrte Manet. »Ich hab gestern Nacht durchaus ein paar Stunden Schlaf abgekriegt.«

»Und was war gestern für ein Tag?«, drängte Sim weiter.

Manet hielt inne und sah auf sein Tablett. »Felling?«

Wilem schüttelte den Kopf und murmelte etwas auf Siaru.

Simmon blickte entsetzt. »Manet, gestern war Cendling. Ist es wirklich zwei Tage her, dass du das letzte Mal geschlafen hast?«

»Wahrscheinlich nicht«, sagte Manet unsicher. »Während der Zulassungsprüfungen verliere ich immer jegliches Zeitgefühl. Dann finden keine Seminare statt. Das bringt meine innere Uhr durcheinander. Und außerdem arbeite ich in der Werkstatt an einer größeren Sache.« Er verstummte, rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und sah dann zu mir hoch. »Du hast recht. Ich bin ein bisschen neben der Spur. Teccams Septagie, volkstümliche Überlieferungen und so weiter. Ein bisschen trocken für meinen Geschmack, aber warum sollte man das nicht studieren. Nichts für ungut.«

»Kein Problem«, sagte ich und wies mit einer Kopfbewegung auf Sovoys Tablett. »Schiebst du mir das bitte rüber? Wenn euer junger Edelmann nicht wiederkommt, esse ich sein Brot.«

Nachdem ich mich mit Simmons Hilfe bei den einzelnen Seminaren eingeschrieben hatte, ging ich zur Bibliothek, begierig, mich dort umzusehen, nachdem ich so viele Jahre lang davon geträumt hatte.

Als ich diesmal das Gebäude betrat, saß ein junger Mann am Empfang und pochte mit einer Feder auf ein Blatt Papier, auf dem viel umgeschrieben und durchgestrichen war. Als ich näher kam, machte er ein verdrießliches Gesicht und strich eine weitere Zeile durch. Sein Gesicht war für die Verdrießlichkeit wie geschaffen. Seine Hände waren blass und kraftlos. Sein blendend weißes Leinenhemd und die schöne blaue Weste sahen nach viel Geld aus. Der Teil von mir, der noch nicht lange aus Tarbean fort war, hätte ihm gern den Geldbeutel geklaut.

Er pochte noch ein paar Mal mit der Feder, ehe er sie dann mit einem schwer gereizten Seufzer niederlegte. »Name«, sagte er, ohne aufzusehen.

»Kvothe.«

Er blätterte im Register, fand die Seite, die er suchte, und runzelte die Stirn. »Du stehst nicht drin.« Er hob kurz den Blick, verzog dann wieder verdrießlich die Miene und widmete sich erneut den Versen, an denen er feilte. Als ich keine Anstalten machte zu gehen, schnippte er mit den Fingern, so als wäre ich irgendein Insekt. »Verfatz dich.«

»Aber –«

Ambrose legte erneut die Feder nieder. »Hör mal«, sagte er ganz langsam, so als würde er mit einem absoluten Einfaltspinsel sprechen. »Du stehst nicht drin.« Er wies mit übertriebener Geste mit beiden Händen auf das Register. »Du kommst nicht rein.« Er zeigte auf die Türen hinter sich. »Schluss, aus, Ende.«

»Ich habe gerade erst die Zulassungsprüfung bestanden.«

Er warf verärgert die Hände hoch. »Dann stehst du natürlich nicht drin.«

Ich zog meine Zulassungsbescheinigung aus der Tasche. »Das hat mir Meister Lorren persönlich gegeben.«

»Und wenn er dich huckepack hierher getragen hätte«, entgegnete Ambrose und tunkte ostentativ seine Feder in die Tinte. »Und jetzt hör auf, meine Zeit zu stehlen. Ich habe zu tun.«

»Deine Zeit stehlen?«, entgegnete ich. Ich verlor allmählich die Beherrschung. »Hast du eine Ahnung, was ich durchgemacht habe, um es bis hierher zu schaffen?«

Ambrose sah zu mir hoch, nun mit einem Mal belustigt. »Lass mich raten«, sagte er, legte die Hände flach auf den Tisch und erhob sich. »Du warst immer klüger als die anderen Kinder in dem Ein-Nutten-Kaff, aus dem du stammst. Deine Rechen- und Lesefertigkeiten ließen die anderen Dorfbewohner vor Ehrfurcht erstarren.«

Ich hörte, wie die Eingangstür hinter mir geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ambrose beachtete das nicht. Er kam hinter dem Empfang hervor und lehnte sich vorn ans Pult. »Deinen Eltern war klar, dass du etwas ganz Besonderes bist, und deshalb haben sie jahrelang gespart, dir ein Paar Schuhe gekauft und dir aus der Schweinedecke ein Hemd genäht.« Er rieb den Stoff meiner neuen Kleider zwischen den Fingern.

»Es war eine monatelange Wanderschaft, du musstest Hunderte von Meilen auf Maultierkarren mitfahren. Aber letztendlich …« Er machte mit beiden Händen eine ausladende Geste. »Gelobt seien Tehlu und das Heer seiner Engel! Du hast es geschafft! Jetzt bist du hier! Mit strahlenden Augen und nichts als Flausen im Kopf!«

Ich hörte Gelächter und sah mich um. Zwei Männer und eine junge Frau waren während seiner Tirade hereingekommen. »Ambrose, was bringt dich denn so in Rage?«

»Diese verdammten Studienanfänger«, meckerte Ambrose und ließ sich wieder auf seinem Platz hinter dem Empfang nieder. »Kommen in Lumpen hier herein und tun so, als ob ihnen der Laden gehört.«

Die drei Neuankömmlinge gingen zu der Tür mit der Aufschrift MAGAZIN. Sie musterten mich von Kopf bis Fuß, und ich kämpfte gegen die Verlegenheit an. »Gehen wir heute Abend ins Eolian?«

Ambrose nickte. »Natürlich. Um sechs.«

»Willst du gar nicht nachsehen, ob die drinstehen?«, fragte ich, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

Ambrose wandte sich wieder zu mir, sein Lächeln nun strahlend, aber alles andere als freundlich. »Hör mir zu, ich gebe dir jetzt mal einen Rat. Bei dir zu Hause warst du etwas Besonderes. Hier aber bist du bloß irgendein Junge mit einer großen Klappe. Also sprich mich mit Re’lar an, geh zurück in deinen Schlafsaal und danke dem Heidengott, zu dem du betest, dass wir hier nicht in Vintas sind. Mein Vater und ich würden dich wie einen tollwütigen Köter an einen Pfahl ketten lassen.«

Er zuckte die Achseln. »Oder tu das nicht. Bleib hier. Mach eine Szene. Brich in Tränen aus. Besser noch: Schlag mich.« Er lächelte. »Dann prügle ich dich windelweich und sorge dafür, dass du rausfliegst.« Er griff wieder zur Feder und wandte sich erneut seinen Versen zu.

Ich ging.

Ihr glaubt vielleicht, dieser Zwischenfall hätte mich entmutigt. Ihr glaubt vielleicht, ich fühlte mich im Stich gelassen, meine Kindheitsträume von der Universität auf grausame Weise zerschmettert.

Doch ganz im Gegenteil. Es gab mir neue Sicherheit. Ich hatte mich dort recht fehl am Platze gefühlt, bis Ambrose mir auf seine Weise gezeigt hatte, dass zwischen der Universität und den Straßen von Tarbean gar kein großer Unterschied bestand. Wo auch immer man ist – die Menschen sind im Grunde doch gleich.

Und außerdem kann einen Wut nachts warm halten, und verletzter Stolz kann einen Mann zu wahren Wundertaten anstacheln.

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