Kapitel 58

Namen für den Anfang

Es wäre schön, könnte man sagen, dass sich unsere Blicke begegneten und ich mich sofort zu ihr gesellt hätte. Es wäre schön, könnte man sagen, dass ich lächelte und wie ein Märchenprinz in wohlgesetzten Worten von angenehmen Dingen gesprochen hätte.

Doch leider läuft es im Leben nur selten so glatt. In Wirklichkeit stand ich einfach nur wie angewurzelt da. Es war Denna, die junge Frau, die ich vor so langer Zeit bei Roents Karawane kennengelernt hatte.

Wo ich jetzt daran denke, war seitdem ja nur ein halbes Jahr vergangen. Das ist nicht lange, wenn man einer Geschichte lauscht, aber viel Zeit, wenn man es gerade durchlebt, zumal, wenn man noch jung ist. Und wir waren beide noch sehr jung.

Ich erblickte sie, als sie eben die letzte Stufe der Treppe zum zweiten Rang erklomm. Sie hatte den Blick gesenkt und wirkte nachdenklich, fast traurig. Sie drehte sich um und ging in meine Richtung, ohne den Blick zu heben und ohne mich zu sehen.

Die Monate hatten sie verändert. War sie zuvor hübsch gewesen, so war sie nun wunderschön. Vielleicht bestand der ganze Unterschied auch darin, dass sie nicht die Reisekleidung trug, in der ich sie kennengelernt hatte, sondern ein langes Abendkleid. Aber Denna war es ohne jeden Zweifel. Ich erkannte sogar den Ring an ihrem Finger wieder, Silber mit einem hellblauen Stein.

Seit sich unsere Wege getrennt hatten, hatte ich im geheimsten Winkel meines Herzens törichte, liebevolle Gedanken über sie gehegt. Ich hatte daran gedacht, nach Anilin zu reisen und sie dort aufzuspüren, hatte daran gedacht, wie es wohl wäre, ihr zufällig auf der Straße zu begegnen, oder wenn sie mich an der Universität suchen käme. Doch im Grunde meines Herzens wusste ich, dass diese Gedanken weiter nichts als kindische Tagträume waren. Mir war klar: Ich würde sie nie wieder sehen.

Und da war sie nun, und ich war nicht im Mindesten darauf vorbereitet. Würde sie sich überhaupt an mich erinnern, an den unbeholfenen Jungen, mit dem sie vor so langer Zeit ein paar Tage lang gereist war?

Denna war noch etwa vier Meter entfernt, als sie den Blick hob und mich sah. Sie strahlte mit einem Mal, als wäre in ihr eine Kerze entflammt. Sie eilte mir entgegen, legte die Distanz zwischen uns mit drei aufgeregten Schritten zurück.

Einen Moment lang sah es aus, als würde sie mir direkt in die Arme laufen, doch im letzten Augenblick hielt sie sich zurück und sah sich zu den Leuten um, die hier saßen. Binnen eines halben Schrittes verwandelte sie ihr hocherfreutes Aufmichzustürmen in eine sittsame Begrüßung auf Armeslänge. Es geschah graziös, aber dennoch musste sie sich mit einer Hand an meiner Brust abstützen, weil sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.

Sie lächelte mich an. Es war ein warmes, liebliches, scheues Lächeln, wie eine Blüte, die sich öffnet. Es war freundlich und aufrichtig und auch ein wenig verlegen. Und als sie mich anlächelte, fühlte ich …

Ich weiß wirklich nicht, wie ich es beschreiben soll. Es wäre einfacher zu lügen. Ich könnte etwas aus irgendeiner Geschichte borgen und eine Lüge auftischen, die euch so vertraut vorkäme, dass ihr sie unbesehen schlucken würdet. Ich könnte sagen: Ich bekam weiche Knie. Oder dass es mir den Atem verschlug. Aber das wäre nicht die Wahrheit. Mein Herz pochte mir nicht bis zum Hals, und es blieb auch nicht stehen, und es setzte auch nicht einen Schlag aus. Das sind so die Dinge, die in Geschichten immer behauptet werden. Törichter Unfug. Übertreibungen. Schund. Aber …

Geht an einem der ersten Wintertage hinaus, nach den ersten kräftigen Frösten. Sucht euch einen Weiher mit einer dünnen Eisschicht, die noch ganz frisch und glasklar ist. In Ufernähe wird das Eis euch tragen. Dann gleitet weiter hinaus, und weiter. Schließlich werdet ihr an eine Stelle kommen, an der die Eisschicht euch gerade noch trägt. Und dort werdet ihr empfinden, was ich empfand. Das Eis bricht unter euren Füßen weg. Ihr blickt nach unten und seht die weißen Risse, die spinnennetzförmig durchs Eis schießen. Es ist ganz still, aber durch eure Schuhsohlen spürt ihr das plötzliche Beben.

Das geschah, als Denna mich anlächelte. Ich will damit nicht sagen, dass ich mich fühlte, als stünde ich auf dünnem, wegbrechendem Eis. Ich fühlte mich wie das Eis selbst, mit einem Mal von Rissen durchzogen, die von der Stelle auf meiner Brust ausgingen, an der sie mich berührt hatte. Das Einzige, was mich noch zusammenhielt, war der Umstand, dass Abertausende Einzelstücke einander stützten. Wenn ich mich bewegt hätte, so fürchtete ich, wäre ich in tausend Teile zersprungen.

Vielleicht genügt es auch zu sagen, dass mich ein Lächeln gefangen nahm. Das klingt zwar auch wie aus irgendeiner Geschichte, kommt der Wahrheit aber sehr nahe.

Das Sprechen ist mir nie schwer gefallen. Eher im Gegenteil: Oft rede ich viel zu freimütig daher, und das hat dann peinliche Konsequenzen. Vor Denna jedoch war ich vollkommen sprachlos. Beim besten Willen brachte ich kein vernünftiges Wort heraus.

Ohne darüber nachzudenken, kamen die ganzen höfischen Manieren zum Vorschein, die mir meine Mutter eingepaukt hatte. Ich nahm Dennas ausgestreckte Hand in die meine, als hätte sie sie mir gegeben. Dann trat ich einen halben Schritt zurück und machte eine vornehme Verbeugung. Mit der freien Hand ergriff ich gleichzeitig den Saum meines Umhangs und raffte ihn nach hinten.

Was jetzt? Gemäß den Umgangsformen ein Handkuss. Aber welche Art von Kuss war in dieser Situation angemessen? In Atur senkte man lediglich den Kopf über die Hand. Kealdische Damen, wie die Tochter des Geldverleihers, mit der ich kurz zuvor gesprochen hatte, erwarteten, dass man mit den Lippen zart über ihre Fingerknöchel strich und dabei ein Kussgeräusch von sich gab. Und in Modeg presste man in Wirklichkeit die Lippen auf den Rücken des eigenen Daumens.

Aber wir waren hier im Commonwealth, und Denna sprach mit keinem ausländischen Akzent. Ein ganz normaler Kuss also. Ich berührte für die Dauer eines kurzen Atemzugs mit den Lippen ihren Handrücken. Ihre Haut war warm und duftete ein wenig nach Heidekraut.

»Stets zu Diensten, meine Dame«, sagte ich, richtete mich wieder auf und ließ ihre Hand los. Zum ersten Mal verstand ich den Sinn dieser formellen Begrüßung. Sie boten einem ein Verhaltensmuster für Situationen, in denen man absolut keine Ahnung hatte, was man sagen sollte.

»Meine Dame?«, erwiderte Denna und klang ein klein wenig erstaunt. »Also gut, wenn du darauf bestehst.« Sie ergriff mit einer Hand ihr Kleid und machte einen Knicks, und irgendwie gelang es ihr, es gleichzeitig anmutig, spielerisch und spöttisch wirken zu lassen. »Deine Dame.« Als ich ihre Stimme hörte, wusste ich, dass meine Vermutungen zutrafen. Sie war meine Aloine.

»Was machst du denn hier oben ganz alleine?«, fragte Denna und sah sich auf dem zweiten Rang um. »Bist du überhaupt allein?«

»Ich war allein«, sagte ich. Und da mir nun nichts mehr einfiel, zitierte ich aus dem eben gesungenen Lied. »Doch nun steht unerwartet Aloine an meiner Seite.«

Sie lächelte geschmeichelt. »Aber wieso unerwartet?«, fragte sie.

»Ich dachte, du wärst schon gegangen.«

»Das war knapp«, erwiderte Denna neckisch. »Zwei Stunden lang habe ich darauf gewartet, dass mein Savien zu mir kommt.« Sie seufzte in tragischem Ton und setzte den Blick einer Heiligenstatue auf. »Schließlich, der Verzweiflung nah, beschloss ich, diesmal auf die alte Geschichte zu pfeifen und Aloine die Suche übernehmen zu lassen.« Sie lächelte schalkhaft.

»Waren wir dunkle Schiffe bei Nacht …«, zitierte ich.

»… die einander unbemerkt passierten«, ergänzte Denna.

»Felwards Fall«, sagte ich mit größtem Respekt. »Das Stück kennen aber wirklich nicht viele Leute.«

»Ich bin ja auch nicht viele Leute«, erwiderte sie.

»Diese Tatsache werde ich von nun an niemals außer Acht lassen«, sagte ich und verneigte mich übertrieben ehrerbietig. Denna schnaubte. Ich ging nicht darauf ein und sagte in ernsterem Ton: »Ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du mir heute Abend geholfen hast.«

»Kannst du nicht?«, erwiderte sie. »Na, das ist aber schade. Wie sehr kannst du mir denn danken?«

Ohne darüber nachzudenken, griff ich zum Revers meines Umhangs und löste das Abzeichen. »Nur so weit«, sagte ich und hielt es ihr hin.

»Ich …« Denna zögerte bestürzt. »Das ist doch nicht dein Ernst.«

»Ohne dich hätte ich es nicht errungen«, sagte ich. »Und etwas anderes Wertvolles besitze ich nicht – es sei denn, du möchtest meine Laute haben.«

Dennas dunkle Augen betrachteten mein Gesicht, so als wüsste sie nicht recht, ob ich mich über sie lustig machte oder nicht. »Ich glaube nicht, dass man sein Abzeichen überhaupt verschenken darf …«

»Doch, ich darf das«, sagte ich. »Stanchion hat gesagt, wenn ich es verliere oder verschenke, müsste ich mir ein Neues verdienen.« Ich nahm ihre Hand, öffnete sie und legte das silberne Abzeichen hinein. »Das bedeutet, dass ich damit tun kann, was ich möchte, und ich möchte es dir gerne schenken.«

Denna starrte das Abzeichen in ihrer Hand an und betrachtete mich daraufhin sehr aufmerksam, so als hätte sie mich bis dahin gar nicht richtig wahrgenommen. Einen Moment lang war ich mir meiner äußeren Erscheinung schmerzlich bewusst. Mein Umhang war abgetragen, und obwohl ich meine besten Kleider anhatte, lief ich doch praktisch in Lumpen herum.

Sie sah wieder auf ihre Hand und schloss langsam die Finger um das Abzeichen. Dann sah sie mich mit unergründlicher Miene an. »Ich glaube, du bist ein wunderbarer Mensch«, sagte sie.

Ich wollte etwas erwidern, aber Denna kam mir zuvor. »Aber«, sagte sie, »das wäre ein zu großer Dank für die Hilfe, die ich dir erwiesen habe. Da stünde ich anschließend in deiner Schuld.« Sie nahm meine Hand und drückte das Abzeichen hinein. »Und ich hätte es lieber, dass du mir zu etwas verpflichtet bist.«

Auf einmal lachte sie schelmisch auf. »So schuldest du mir immer noch einen Gefallen.«

Im Saal wurde es gerade merklich stiller. Ich sah mich verwirrt um, denn ich hatte ganz vergessen, wo ich war. Denna legte sich einen Zeigefinger vor den Mund und deutete auf die Bühne. Wir traten näher ans Geländer und schauten hinab. Ein alter, weißbärtiger Mann öffnete gerade einen seltsam geformten Instrumentenkasten. Ich stutzte erstaunt, als ich sah, was er darin hatte.

»Was ist das?«, fragte Denna.

»Das ist eine alte Hof-Laute«, sagte ich voller Ehrfurcht. »Ich habe selber auch noch nie eine gesehen.«

»Das soll eine Laute sein?«, flüsterte Denna. »Ich zähle da vierundzwanzig Saiten. Wie soll denn das funktionieren? Das sind ja mehr Saiten als bei mancher Harfe.«

»So wurden sie früher gebaut, als es noch keine Metallsaiten gab und man noch nicht wusste, wie man einen stabilen langen Hals konstruiert. Es ist unglaublich. In diesem Schwanenhals steckt mehr Handwerkskunst als in vielen Kathedralen.«

Ich sah zu, wie der alte Mann sich auf dem Sitz niederließ. »Ich hoffe bloß, er hat sie schon gestimmt«, fügte ich leise hinzu. »Sonst müssen wir hier eine Stunde lang warten, während er an seinen Wirbeln schraubt. Mein Vater sagte immer, dass die Minstrels früher zwei Tage lang bespannen und zwei Tage lang stimmen mussten, um mal für zwei Minuten Musik aus so einer alten Hof-Laute herausholen zu können.«

Der alte Mann brauchte aber nur etwa fünf Minuten, bis die Laute gestimmt war. Dann begann er zu spielen.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich keinerlei Erinnerungen an seinen Vortrag habe. Obwohl ich noch nie eine Hof-Laute gesehen, geschweige denn gehört hatte, war meine Aufmerksamkeit viel zu sehr mit Denna beschäftigt, als dass er etwas anderes hätte aufnehmen können. Während wir nebeneinander am Geländer lehnten, sah ich sie immer wieder heimlich aus dem Augenwinkel an.

Sie hatte meinen Namen bisher nicht genannt und auch unsere gemeinsame Zeit auf Roents Karawane nicht erwähnt. Das hieß wohl, dass sie sich nicht an mich erinnerte. Und es war vermutlich auch nicht weiter verwunderlich, dass sie einen abgerissenen Jungen, den sie nur von ein paar Tagen auf der Straße kannte, bald wieder vergessen hatte. Dennoch schmerzte es mich ein wenig, denn ich hatte in den vergangenen Monaten immer wieder voller Zuneigung an sie gedacht. Es gab aber keine Möglichkeit, das jetzt anzusprechen, ohne töricht zu wirken. Lieber begann ich frisch von vorne und hoffte darauf, dass ich mich beim zweiten Mal als ihrer Erinnerung würdiger erwies.

Das Lied war zu Ende, ehe ich mich versah, und um meine Unaufmerksamkeit wettzumachen, applaudierte ich begeistert.

»Ich dachte, du hättest dich geirrt, als du vorhin den Refrain ein zweites Mal begannst«, sagte Denna zu mir, als der Beifall abebbte. »Ich konnte nicht glauben, dass du tatsächlich willst, dass eine Fremde in den Gesang einstimmt. So etwas habe ich noch nie erlebt – außer abends an einem Lagerfeuer.«

Ich zuckte die Achseln. »Man hatte mir gesagt, dass hier die besten Musiker auftreten.« Ich zeigte mit großer Geste auf sie. »Und ich bin einfach davon ausgegangen, dass irgend jemand den Part beherrscht.«

»Das hätte auch ins Auge gehen können«, sagte sie. »Ich habe darauf gewartet, dass jemand anderes einspringt. Um ein Haar wäre ich zu nervös dazu gewesen.«

Ich sah sie verwundert an. »Warum denn das? Du hast doch eine wunderschöne Stimme.«

Sie blickte verlegen. »Ich hatte das Lied bis dahin nur zweimal gehört. Und ich war mir nicht sicher, ob ich den Text noch ganz beherrsche.«

»Zweimal?«

Denna nickte. »Und das zweite Mal war vor gerade einer Spanne. Ein Paar hat es bei einem Diner in Aetnia aufgeführt.«

»Ist das dein Ernst?«, fragte ich ungläubig.

Sie nickte mit einem Blick, als hätte ich sie bei einer Notlüge ertappt. Eine dunkle Strähne fiel ihr ins Gesicht, und sie strich sie beiseite. »Also gut, ich habe den beiden vor dem Diner ein wenig beim Proben zugehört …«

Ich schüttelte den Kopf und konnte es kaum glauben. »Das ist wirklich erstaunlich. Es ist eine so schwierige Melodie. Und sich den ganzen Text zu merken …« Ich staunte einen Moment lang schweigend und schüttelte den Kopf. »Du hast ein unglaubliches Ohr.«

»Du bist nicht der erste Mann, der das sagt«, bemerkte Denna. »Aber du könntest durchaus der erste sein, der das sagt, während er meine Ohren auch tatsächlich betrachtet.«

Ich spürte, wie ich rot wurde, und dann hörte ich hinter uns eine bekannte Stimme. »Da bist du!« Als ich mich umwandte, erblickte ich Sovoy, meinen groß gewachsenen und gut aussehenden Freund und Mitverschwörer aus der Höheren Sympathie.

»Hier bin ich«, erwiderte ich, erstaunt, dass er nach mir suchte. Und noch weit mehr erstaunte mich, dass er so ungehobelt war, mich zu stören, während ich mich privat mit einer jungen Frau unterhielt.

»Dann sind wir ja jetzt alle vereint.« Sovoy lächelte mich an, ging zu Denna und legte ihr ganz beiläufig den Arm um die Taille. Dann sah er sie an und zog neckisch die Stirn in Falten. »Ich suche den ganzen Saal ab, um dir dabei zu helfen, deinen Sänger zu finden, und währenddessen seid ihr beiden hier oben längst die dicksten Freunde.«

»Wir sind uns zufällig über den Weg gelaufen«, sagte Denna und legte eine Hand auf seine, die auf ihrer Hüfte ruhte. »Ich wusste doch, dass du wiederkommst, und sei es nur, um etwas zu trinken.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf einen freien Tisch in der Nähe, auf dem nur zwei Gläser Wein standen.

Dann machten sie gemeinsam kehrt und gingen Arm in Arm zurück an ihren Tisch. Denna blickte sich zu mir um und machte mit den Augenbrauen eine Andeutung. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was dieser Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte.

Sovoy lud mich mit einem Wink ein, mich zu ihnen zu gesellen, und zog mir auch einen Stuhl herbei. »Ich konnte erst gar nicht glauben, dass du das warst«, sagte er zu mir. »Ich meinte, deine Stimme zu erkennen, aber …« Er zeigte auf den zweiten Rang. »Man ist hier oben als Liebespaar recht ungestört, aber der Blick auf die Bühne lässt doch einiges zu wünschen übrig. Ich wusste gar nicht, dass du Laute spielst.« Er legte Denna einen seiner langen Arme um die Schultern und zeigte sein reizendes Lächeln, das seine blauen Augen erstrahlen ließ.

»Ach, nur hin und wieder«, erwiderte ich und ließ mich auf dem Stuhl nieder.

»Was für ein Glück für dich, dass ich entschieden habe, dass wir beide heute Abend ins Eolian gehen«, sagte Sovoy. »Sonst hättest du dich nur von Echos und Grillen begleiten lassen können.«

»Dann stehe ich in deiner Schuld«, sagte ich und nickte ehrerbietig.

»Du könntest dich revanchieren, indem du Simmon zum Partner nimmst, wenn wir das nächste Mal Corners spielen«, sagte er. »Dann müsste nicht immer ich für Verluste aufkommen, wenn der leichtsinnige Blödmann mit weiter nichts als einem Pärchen gegen die großen Trümpfe losgeht.«

»Abgemacht«, sagte ich. »Auch wenn’s schwer fällt.« Ich wandte mich an Denna. »Was ist mit dir? Ich schulde dir einen großen Gefallen. Wie kann ich mich bei dir revanchieren? Ich erfülle dir jeden Wunsch – so weit es im Rahmen meiner Fähigkeiten liegt.«

»Im Rahmen deiner Fähigkeiten«, wiederholte sie neckisch. »Was kannst du denn noch – außer so schön zu singen und zu spielen, dass es Tehlu und seine Engel zu Tränen rühren würde?«

»Ich glaube, ich könnte alles«, sagte ich leichthin, »wenn du es von mir verlangen würdest.«

Sie lachte.

»Es ist aber gefährlich, einer Frau so etwas zu sagen«, schaltete sich Sovoy ein. »Besonders dieser Frau hier. Sie ist in der Lage und schickt dich los, ein Blatt von dem singenden Baum am anderen Ende der Welt zu holen.«

Denna lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah mich mit ihrem Katzenblick an. »Ein Blatt von dem singenden Baum«, sagte sie nachdenklich. »Das ist gar keine schlechte Idee. Würdest du das tun?«

»Ja, das würde ich«, sagte ich und stellte erstaunt fest, dass ich es auch so meinte.

Sie schien es zu erwägen, schüttelte dann aber schelmisch den Kopf. »Ich möchte dich nicht so weit fortschicken. Ich hebe mir den Gefallen für ein andermal auf.«

Ich seufzte. »Dann stehe ich also weiterhin in deiner Schuld.«

»Oh nein!«, rief sie. »Eine weitere Last auf Saviens Herzen …«

»Mir ist das Herz so schwer, weil ich fürchte, dass ich nie deinen Namen erfahren werde. Ich könnte dich in Gedanken auch weiterhin Felurian nennen«, sagte ich. »Aber das könnte zu verhängnisvollen Verwirrungen führen.«

Sie musterte mich. »Felurian? Das könnte mir gefallen, wenn ich nicht wüsste, dass du ein Lügner bist.«

»Ein Lügner?«, erwiderte ich empört. »Mein erster Gedanke, als ich dich sah, war ›Felurian! Was habe ich getan? Dass ich mich dort drunten umschmeicheln ließ, war reine Zeitverschwendung. Könnte ich diese achtlos fortgeworfenen Momente rückgängig machen, so könnte ich mir nichts Schöneres erhoffen, als mich in einem Lichte zu wärmen, das dem hellen Sonnenschein nicht nachsteht.‹«

Sie lächelte. »Ein Lügner und noch dazu ein Dieb. Das hast du doch aus dem dritten Akt von Daeonica gestohlen.«

Sie kannte auch Daeonica? »Ich bekenne mich schuldig«, sagte ich. »Aber deshalb ist es nicht weniger wahr.«

Sie sah Sovoy mit einem Lächeln an und wandte sich dann wieder an mich. »Schmeichelei ist gut und schön, aber deshalb nenne ich dir noch längst nicht meinen Namen. Sovoy hat mir erzählt, dass du an der Universität gut mit ihm Schritt hältst. Das bedeutet, dass du dich mit dunklen Mächten befasst. Wenn ich dir meinen Namen nenne, könntest du eine schreckliche Macht über mich erlangen.« Ihr Mund war ernst, aber in ihren Augenwinkeln zeigte sich ein Lächeln.

»Das ist nur zu wahr«, erwiderte ich ebenso ernst. »Aber ich mache dir ein Angebot. Ich nenne dir im Gegenzug meinen Namen. Damit erlangst du dann ebenso Macht über mich.«

»Damit würdest du mir ja mein eigenes Hemd verkaufen«, sagte sie. »Sovoy kennt deinen Namen. Und falls er mir noch nicht gesagt haben sollte, wie du heißt, könnte ich es im Handumdrehen von ihm erfahren.«

»Wohl wahr«, sagte Sovoy, der erleichtert schien, dass wir uns daran erinnert hatten, dass er auch noch da war. Er nahm ihre Hand und küsste sie.

»Er kann dir sagen, wie ich heiße«, sagte ich abschätzig. »Aber er kann dir meinen Namen nicht geben. Das kann nur ich.« Ich legte eine Hand auf den Tisch. »Mein Angebot steht. Meinen Namen für deinen. Nimmst du an? Oder werde ich auf immer gezwungen sein, von dir als von Aloine zu denken?«

Ihre Augen funkelten. »Also gut«, sagte sie. »Aber du fängst an.« Ich beugte mich vor und forderte sie mit einem Wink auf, es mir gleichzutun. Sie ließ Sovoys Hand los und wandte mir ein Ohr zu. Mit der gebotenen Feierlichkeit flüsterte ich ihr meinen Namen ins Ohr. »Kvothe.« Sie duftete leicht nach Blumen, was vermutlich von einem Parfum herrührte, doch darunter war auch ihr eigener Duft wahrzunehmen. Sie roch nach grünem Gras und der freien Landstraße nach einem leichten Frühlingsschauer.

Dann lehnte sie sich wieder auf ihrem Stuhl zurück und schien darüber nachzudenken. »Kvothe«, sagte sie schließlich. »Der Name passt zu dir.« Ihre Augen funkelten, als hüte sie irgendein Geheimnis. Sie sprach meinen Namen langsam aus, als würde sie ihn kosten, und nickte dann. »Was bedeutet er?«

»Er bedeutet so manches«, erwiderte ich in meinem besten Taborlin-der-Große-Tonfall. »Aber so leicht lenkst du mich nicht ab. Ich habe bezahlt und unterstehe jetzt deiner Macht. Nennst du mir jetzt deinen Namen, dass ich dich damit ansprechen kann?«

Sie lächelte und beugte sich wieder vor, und ich tat es ihr nach. Als ich meinen Kopf zur Seite drehte, strich mir eine ihrer Haarsträhnen über die Wange. »Dianne.« Ihr warmer Atem war wie eine Flaumfeder an meinem Ohr. »Dianne.«

Wir lehnten uns wieder zurück. Als ich nichts sagte, fragte sie: »Und?«

»Jetzt kenne ich ihn«, versicherte ich ihr. »So gut wie ich meinen eigenen kenne.«

»Dann sag ihn.«

»Das spare ich mir auf«, sagte ich und lächelte. »Mit solchen Geschenken sollte man achtsam umgehen.«

Sie sah mich an.

Ich gab nach. »Dianne«, sagte ich. »Dianne. Und auch dein Name passt zu dir.«

Wir sahen einander eine ganze Weile an, bis ich bemerkte, dass Sovoy mich unverhohlen anstarrte.

»Ich gehe dann mal wieder runter«, sagte ich und erhob mich schnell von meinem Stuhl. »Wichtige Leute wollen mich kennenlernen.« Sobald sie ausgesprochen waren, krampfte ich mich innerlich zusammen wegen der Peinlichkeit dieser Worte, aber mir fiel keine Möglichkeit ein, sie wieder zurückzunehmen, die nicht ebenso peinlich gewesen wäre.

Sovoy erhob sich und schüttelte mir die Hand, zweifellos froh, mich los zu sein. »Toller Auftritt heute Abend, Kvothe. Man sieht sich.«

Denna hatte sich ebenfalls erhoben. Sie sah mir in die Augen und lächelte. »Ich hoffe auch, dass man sich sieht«, sagte sie und gab mir die Hand.

Ich schenkte ihr mein schönstes Lächeln. »Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Es war witzig gemeint, doch schon in dem Moment, da es mir über die Lippen kam, erschien es mir nur noch rüpelhaft. Ich musste schleunigst hier weg, bevor ich mich noch weiter blamierte. Ich schüttelte ihr schnell die Hand. Sie war weich, zart und kräftig. Ich küsste sie nicht, denn Sovoy war mein Freund, und unter Freunden macht man so etwas nicht.

Загрузка...