Kapitel 70

Zeichen

Als ich am nächsten Morgen in aller Frühe erwachte, wusste ich nicht genau, wo ich war. Ich wusste nur, dass ich nicht da war, wo ich hätte sein sollen, und dass irgendetwas nicht stimmte. Ich hatte mich versteckt. Irgend jemand verfolgte mich.

Ich lag zusammengerollt in der Ecke eines kleinen Zimmers. Die Bettdecke hatte ich mir untergelegt und mich mit meinem Umhang zugedeckt. Ich befand mich in einem Wirtshaus … Langsam fiel es mir wieder ein. Ich hatte mir in einem Wirtshaus in der Nähe des Hafens von Imre ein Zimmer genommen.

Beim Aufstehen streckte ich mich vorsichtig, um meine Wunde nicht zu belasten. Ich hatte eine Kommode vor die einzige Tür des Zimmers geschoben und das Fenster mit einem Strick zugebunden, obwohl es so klein war, dass ein erwachsener Mann gar nicht hindurch gepasst hätte.

Als ich diese Vorsichtsmaßnahmen im kühlblauen Morgenlicht erblickte, war mir das ein wenig peinlich. Ich wusste nicht mehr, ob ich aus Furcht vor Attentätern oder Bettwanzen auf dem Boden geschlafen hatte. Wie dem auch sein mochte – es war nicht zu übersehen, dass ich in dieser Nacht keinen allzu klaren Kopf mehr gehabt hatte.

Ich nahm meinen Reisesack und meine Laute und ging nach unten. Erst mal musste ich Pläne schmieden und brauchte ein Frühstück und ein Bad.

Es war erst kurz nach Sonnenaufgang, und so kam ich im Badehaus schnell dran. Als ich mich gewaschen und den Verband erneuert hatte, kam ich mir schon fast wieder wie ein Mensch vor. Und nach einem Teller Rührei, Würstchen und Bratkartoffeln hatte ich das Gefühl, dass ich nun anfangen konnte, nüchtern über meine Situation nachzudenken. Es ist erstaunlich, wie viel leichter es einem fällt, konstruktiv nachzudenken, wenn man sich zuvor sattgegessen hat.

Ich saß in der hinteren Ecke des Schankraums und trank einen Krug frisch gepressten Apfelsaft. Ich fürchtete nicht mehr, dass sich Attentäter auf mich stürzen würden. Dennoch saß ich mit dem Rücken zur Wand und mit dem Blick zur Tür.

Die vorige Nacht hatte mich vor allem deshalb so mitgenommen, weil ich auf so etwas überhaupt nicht gefasst war. In Tarbean musste ich tagaus tagein damit rechnen, dass jemand versuchen würde, mich zu töten. Doch die zivilisierte Atmosphäre an der Universität hatte mich in falscher Sicherheit gewiegt. Ein Jahr zuvor hätte ich mich niemals so überrumpeln lassen. Und ein Angriff hätte mich ganz sicher auch nicht überrascht.

Die in Tarbean erworbenen Instinkte rieten mir zur Flucht. Lass diesen Ort und lass Ambrose und diese Fehde weit hinter dir zurück. Doch dieser Teil meines Bewusstseins sorgte sich nur um meine Sicherheit. Er hatte keinen Plan.

Ich konnte nicht fort. Ich hatte hier viel zu viel investiert. Mein Studium. Meine kleine Hoffnung, einen Schirmherrn zu finden, und meine große Hoffnung, wieder Zugang zur Bibliothek zu erlangen. Meine wenigen Freunde. Denna …

Seeleute und Hafenarbeiter kamen in den Schankraum, um zu frühstücken, und der Raum füllte sich mit leisem Stimmengewirr. Ich hörte in der Ferne eine Glocke läuten, und da fiel mir ein, dass ich in einer Stunde in der Mediho sein musste. Arwyl würde es bemerken, wenn ich fehlte, und er war in solchen Dingen nicht sehr nachsichtig. Ich kämpfte gegen das Bedürfnis, zur Universität zurückzulaufen. Ich wusste nur zu gut, dass man säumige Studenten bestrafte, indem man ihnen für das nächste Trimester höhere Studiengebühren aufbrummte.

Um mich mit etwas zu beschäftigen, während ich meine Lage überdachte, holte ich meinen Umhang und nahm Nadel und Faden zur Hand. Der Dolch hatte einen etwa zwei Handspannen breiten Schnitt hinterlassen. Ich flickte die Stelle mit kleinen Stichen, so dass die Naht möglichst unauffällig blieb.

Und während meine Hände arbeiteten, schweiften meine Gedanken ab. Konnte ich Ambrose stellen? Konnte ich ihm drohen? Wahrscheinlich nicht. Er wusste, dass ich nichts gegen ihn in der Hand hatte. Aber vielleicht konnte ich einige der Meister davon überzeugen, was wirklich geschehen war. Kilvin wäre außer sich vor Empörung, wenn er erfuhr, dass die Attentäter einen Wünschelkompass verwendet hatten, und Arwyl …

»… blaue Flammen. Alle Mann tot, wie Puppen hin und her geschleudert, und das Haus völlig in Trümmern. Ich bin froh, dass ich da nicht eingeladen war, das kann ich dir sagen.«

Ich stach mir mit der Nadel in den Finger, als ich diesen Gesprächsfetzen aufschnappte. Ein paar Tische weiter saßen zwei Männer beim Bier. Der eine war groß und hatte eine Halbglatze, der andere war dick und hatte einen roten Bart.

»Du bist echt so ein richtiges Waschweib«, sagte der Dicke und lachte. »Du hörst dir jeden Klatsch und Tratsch an.«

Der Große schüttelte ernst den Kopf. »Ich war dort in der Schenke, als die Nachricht kam. Sie haben Leute zusammengetrommelt, die einen Wagen hatten, damit sie die Leichen bergen konnten. Die komplette Hochzeitsgesellschaft mausetot. Über dreißig Leute, abgestochen wie die Schweine, und dann haben sie das Haus niedergebrannt, mit blauen Flammen. Und das war noch nicht mal das einzige Seltsame daran, was ich so mitbekommen habe …« Er sprach leiser weiter, und in dem sonstigen Lärm im Schankraum konnte ich ihn nicht mehr verstehen.

Ich schluckte gegen die plötzliche Trockenheit in meiner Kehle an. Ich setzte den letzten Stich und vernähte den Faden. Dann legte ich den Umhang beiseite, sah, dass mein Finger blutete, und steckte ihn mir in den Mund. Ich atmete tief durch und trank einen Schluck.

Dann ging ich zu dem Tisch hinüber, an dem die beiden Männer saßen. »Seid ihr zufällig flussabwärts unterwegs?«, fragte ich.

Sie hoben den Blick, offensichtlich gereizt, dass ich sie unterbrach. Der Kahlköpfige nickte.

»Über Marrow?«, fragte ich und pickte auf gut Glück eine Stadt im Norden heraus.

»Nein«, erwiderte der Dicke. »Wir kommen aus Trebon.«

»Oh, wie schön«, sagte ich und überlegte mir hektisch eine plausibel klingende Lüge. »Ich habe Familie da oben, und ich will sie besuchen.« Ich geriet ins Stocken und überlegte krampfhaft, wie ich mich nach den weiteren Einzelheiten der Geschichte erkundigen konnte, die ich mit angehört hatte.

Meine Handflächen waren klitschnass. »Steht dort das Erntefest denn noch an, oder habe ich es schon verpasst?«, schloss ich ausgesprochen lahm.

»Das steht noch an«, sagte der Kahlköpfige und drehte mir demonstrativ die Schulter zu.

»Ich habe gehört, da oben soll es bei einer Hochzeit einen Unglücksfall gegeben haben …«

Der Kahlköpfige wandte sich wieder um und sah mich an. »Ich weiß nicht, wo du das gehört haben willst. Die Nachricht kam gestern Abend, und wir haben erst vor zehn Minuten hier angelegt.« Er sah mich scharf an. »Junge, ich weiß nicht, was du hier für ein Spielchen spielst, aber ich spiele da nicht mit. Zieh Leine, sonst gibt’s was auf’s Maul.«

Ich ging zurück an meinen Tisch. Das hatte ich verpatzt. Als ich mich hinsetzte, legte ich die Hände flach auf die Tischplatte, damit sie nicht zitterten. Eine Gruppe von Menschen brutal ermordet. Blaues Feuer. Seltsame Vorgänge …

Die Chandrian.

Am Abend zuvor waren die Chandrian in Trebon gewesen.

Ich trank meinen Saft aus, mehr aus einem Reflex heraus als aus Durst, stand auf und ging zum Tresen.

Nun wurde mir klar, worum es hier ging: Nach all den Jahren bot sich mir endlich die Gelegenheit, etwas über die Chandrian zu erfahren. Und es ging nicht darum, dass sie in irgendeinem Buch in der Universitätsbibliothek erwähnt wurden. Ich hatte die Chance, mir ihr Werk mit eigenen Augen anzusehen. Das war eine Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkam.

Aber ich musste schnell nach Trebon, solange den Leuten die Ereignisse noch frisch in Erinnerung waren. Bevor Neugierige oder Abergläubische zerstörten, was an Beweisen noch vorhanden war. Ich wusste nicht, was ich dort zu finden hoffte, aber alles, was ich über die Chandrian erfuhr, würde mein Wissen über sie mehren. So schnell wie möglich musste ich nach Trebon. Heute noch.

Die Morgengäste hielten die Wirtin auf Trab, und so legte ich einen Eisendeut auf den Tresen, damit sie mich überhaupt beachtete. Nachdem ich in der Nacht zuvor für das Zimmer und an diesem Morgen für das Frühstück und das Bad bezahlt hatte, stellte dieser Deut einen Großteil meiner Barschaft dar, und daher behielt ich einen Finger darauf.

»Was darf’s denn sein?«, fragte sie.

»Wie weit ist es nach Trebon?«, fragte ich.

»Den Fluss hinauf? Ein paar Tage.«

»Ich habe nicht gefragt, wie lange man dorthin braucht. Ich muss wissen, wie weit es ist«, sagte ich.

»Das ist kein Grund, frech zu werden«, erwiderte sie und wischte sich an ihrer schmuddeligen Schürze die Hände ab. »Den Fluss hinauf sind es etwa vierzig Meilen. Das könnte auch länger als zwei Tage dauern, je nachdem, ob du auf einem Lastkahn oder auf einem Segelboot fährst, und wie das Wetter ist.«

»Und wie weit ist es auf dem Landweg?«, fragte ich.

»Keine Ahnung«, murmelte sie und rief dann den Tresen hinab: »Rudd, wie weit ist es auf dem Landweg nach Trebon?«

»Drei oder vier Tage«, sagte ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht, ohne von seinem Becher aufzublicken.

»Ich fragte, wie weit?«, schnauzte sie. »Ist es weiter als auf dem Fluss?«

»Klar ist das weiter. Fünfundzwanzig Leagues. Und eine schlechte Straße. Bergauf.«

Um Himmels willen, wer gab Entfernungen denn heutzutage noch in Leagues an? Je nachdem, wo der Mann aufgewachsen war, entsprach eine League zwei bis dreieinhalb Meilen. Mein Vater hatte immer gesagt, League sei gar kein Längenmaß, sondern etwas, das den Bauern die Möglichkeit gab, ihre groben Schätzungen mit irgendeiner Zahl zu versehen.

Dennoch erfuhr ich so, dass Trebon fünfzig bis achtzig Meilen entfernt im Norden lag. Es war wahrscheinlich besser, vom ungünstigeren Fall auszugehen, also mindestens siebzig Meilen.

Die Wirtin wandte sich wieder an mich. »Da hast du’s. Kann ich sonst noch was für dich tun?«

»Ich brauche einen Wasserschlauch, falls Ihr so etwas habt, oder wenn nicht, eine Wasserflasche. Und etwas Proviant für einen langen Ritt. Dauerwurst, Käse, Fladenbrot …«

»Äpfel«, schlug sie vor. »Ich habe heute Morgen schöne Red Jennies reingekriegt. Ideal für die Reise.«

Ich nickte. »Und was Ihr sonst noch so habt, das billig und transportabel ist.«

»Mit einem Deut kommst du da aber nicht weit«, sagte sie mit einem Blick auf den Tresen. Ich schüttete meinen Geldbeutel aus, und zu meinem Erstaunen kamen noch vier Deute und ein Kupferhalbpenny zum Vorschein, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn besaß. Ich war praktisch ein reicher Mann.

Sie nahm das Geld und ging in die Küche. Ich rang das Unbehagen nieder, wieder mittellos zu sein, und ging schnell im Geiste durch, was ich alles in meinem Reisesack bei mir hatte.

Als sie wiederkam, brachte sie mir zwei Fladenbrote, eine dicke Dauerwurst, die nach Knoblauch duftete, ein in Wachspapier eingeschlagenes kleines Stück Käse, eine Flasche Wasser, ein halbes Dutzend prachtvoll anzusehender roter Äpfel und einen Beutel Möhren und Kartoffeln. Ich dankte ihr herzlich und stopfte alles in meinen Reisesack.

Siebzig Meilen. Das konnte ich heute noch schaffen, wenn ich ein gutes Pferd hatte. Aber gute Pferde kosten Geld …

Es stank wieder nach ranzigem Fett, als ich an Devis Tür klopfte. Ich stand dort eine Minute lang und widerstand dem Drang, ungeduldig auf und ab zu gehen. Ich hatte keine Ahnung, ob Devi so früh schon auf den Beinen war, aber das war ein Risiko, das ich eingehen musste.

Schließlich öffnete sie die Tür und lächelte, als sie mich sah. »Na, das ist aber eine angenehme Überraschung.« Sie hielt mir die Tür auf. »Komm herein. Nimm Platz.«

Ich schenkte ihr mein schönstes Lächeln. »Devi, ich wollte nur –«

Sie runzelte die Stirn. »Komm rein«, sagte sie. »Ich führe an der Tür keine geschäftlichen Gespräche.«

Ich trat ein, und sie schloss hinter mir die Tür. »Setz dich. Es sei denn, du möchtest es dir lieber im Liegen bequem machen.« Sie wies mit einer neckischen Kopfbewegung auf das große Himmelbett in einer Ecke des Raums. »Du wirst nicht glauben, was ich heute früh für eine Geschichte gehört habe«, sagte sie belustigt.

Trotz der Dringlichkeit meines Anliegens zwang ich mich, locker zu bleiben. Devi ließ sich nicht gerne hetzen, und wenn ich es versucht hätte, hätte ich sie damit nur verärgert. »Was hast du denn gehört?«

Sie ließ sich auf ihrer Seite des Schreibtisches nieder und faltete die Hände. »Anscheinend haben heute Nacht zwei Rohlinge versucht, einem jungen Studenten die Geldbörse abzuknöpfen. Doch zu ihrem Entsetzen mussten sie feststellen, dass sie es mit einem angehenden Großmagier zu tun hatten. Er hat Feuer und Blitze auf sie herabbeschworen. Der eine ist seither blind, und dem anderen hat er einen solchen Schlag an den Kopf verpasst, dass er immer noch nicht wieder bei Bewusstsein ist.«

Ich saß einen Moment lang ganz still da und verdaute diese Neuigkeiten. Noch eine Stunde zuvor wäre das die beste Nachricht gewesen, die man mir hätte bringen können. Jetzt aber war es kaum mehr als eine Bagatelle, die mich nur ablenkte. Trotzdem musste ich die Gelegenheit nutzen, mehr über diese Geschichte zu erfahren. »Sie wollten mich nicht nur ausrauben«, sagte ich.

Devi lachte. »Wusste ich doch, dass du das warst! Über den Studenten wussten sie weiter nichts, nur dass er rote Haare hat. Da war mir alles klar.«

»Und der eine ist tatsächlich blind? Und der andere immer noch bewusstlos?«

»Das weiß ich nicht mit Sicherheit«, räumte Devi ein. »Im zwielichtigen Milieu verbreiten sich Nachrichten schnell, aber meistens sind es bloß Gerüchte.«

Das lieferte mir die Idee für einen neuen Plan. »Hättest du nicht Lust, selbst auch ein paar Gerüchte zu verbreiten?«, fragte ich.

»Kommt drauf an.« Sie lächelte schalkhaft. »Wenn es was Aufregendes ist …«

»Erwähne meinen Namen«, sagte ich. »Lass sie wissen, wer es war. Und lass sie wissen, dass ich sehr wütend bin und den Nächsten, der mir nachstellt, töten werde. Ich werde ihn töten und auch seinen Auftraggeber. Dazu sämtliche Mittelsmänner, ihrer aller Familien, ihre Hunde und so weiter.«

Auf Devis hocherfreuter Miene machte sich Widerwillen breit. »Das wäre doch aber ein wenig arg grausam, findest du nicht? Ich weiß es ja zu schätzen, dass du an deinem Geldbeutel hängst«, sagte sie und warf mir einen neckischen Blick zu, »auf den ich ja auch gewisse Ansprüche habe. Aber das wäre dann doch –«

»Das waren keine Räuber«, sagte ich. »Die hatten den Auftrag, mich umzubringen.« Devi sah mich skeptisch an. Ich lüftete mein Hemd und zeigte ihr den Verband. »Das ist mein Ernst. Ich kann dir die Stichwunde zeigen, die einer der beiden mir beigebracht hat, bevor ich ihnen entwischt bin.«

Sie stand auf und kam um den Schreibtisch herum. »Zeig her.«

Ich zögerte, beschloss dann aber, dass ich ihr lieber ihren Willen lassen sollte, da ich sie ja noch um einen Gefallen bitten wollte. Ich zog mir das Hemd aus und legte es auf den Tisch.

»Der Verband ist schmutzig«, sagte sie, so als wäre das eine eigens gegen sie gerichtete Beleidigung. »Mach ihn ab.« Sie ging zu einem Schrank und kam mit einer schwarzen Arzttasche und einem kleinen Waschbecken wieder. Sie wusch sich die Hände und betrachtete dann die Wunde. »Du hast das ja nicht mal nähen lassen«, sagte sie ungläubig.

»Ich hatte keine Zeit«, erwiderte ich. »Ich musste weglaufen und mich die ganze Nacht verstecken.«

Sie überhörte das und machte sich daran, die Wunde zu säubern, mit einer Gründlichkeit, die mir verriet, dass sie an der Mediho studiert hatte. »Eine unebene Wunde, aber nicht tief«, sagte sie und nahm dann ein paar Sachen aus ihrer Tasche. »Trotzdem muss das genäht werden.«

»Ich hätte es selber gemacht«, sagte ich. »Aber …«

»… aber du bist ein Idiot und hast die Wunde noch nicht mal richtig gesäubert«, schloss sie. »Wenn sich das nun entzündet, geschieht es dir recht.«

Als sie mit dem Säubern fertig war, wusch sie sich in dem Waschbecken die Hände. »Ich will, dass du eins weißt: Ich mache das hier, weil ich eine Schwäche für hübsche Jungs habe und für Geistesgestörte und für Leute, die mir Geld schulden. Ich schütze damit eine Investition.«

»Jawohl, Ma’am.« Ich sog zischend Luft durch die Zähne, als sie das Antiseptikum auftrug.

»Und ich dachte, du blutest nicht«, sagte sie. »Schon wieder so eine Legende, die sich als haltlos erweist.«

»Apropos.« Mit so wenig Bewegung wie möglich zog ich ein Buch aus meinem Reisesack und legte es auf den Schreibtisch. »Ich habe dir dein Paarungsverhalten des gemeinen Draccus wieder mitgebracht. Du hattest recht, die neuen Abbildungen sind sehr interessant.«

»Wusste ich doch, dass es dir gefallen würde.« Wir schwiegen einen Moment, während sie begann, die Wunde zu nähen. Als sie dann wieder das Wort ergriff, hatte ihr Ton nichts Neckisches mehr an sich. »Hatten diese Kerle wirklich den Auftrag, dich zu töten?«

Ich nickte. »Sie hatten einen Wünschelkompass und ein paar Haare von mir. Daher wussten sie, dass ich rothaarig bin.«

»Ach du je. Kilvin wird schäumen, wenn er das erfährt.« Sie schüttelte den Kopf. »Bist du sicher, dass sie dir nicht bloß Angst einjagen sollten? Dich zusammenschlagen, um dir eine Lektion zu erteilen?« Sie hielt beim Nähen inne und sah mir ins Gesicht. »Du warst doch nicht so dumm, dir bei Heffron und seinen Jungs Geld zu pumpen, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. »Du bist der einzige Geldverleiher, dem ich was schulde, Devi. Deshalb bin ich auch heute hier.«

»Und ich dachte, du kämst mich nur mal nett besuchen«, sagte sie und wandte sich wieder dem Nähen zu. Ich meinte, eine leichte Gereiztheit gehört zu haben. »Lass mich das hier erst fertig machen.«

Ich dachte darüber nach, was sie erzählt hatte. Der Größere der beiden hatte gesagt: ›Bringen wir es hinter uns‹, aber das konnte alles Mögliche bedeuten. »Es ist möglich, dass sie mich nicht töten wollten«, gestand ich. »Aber der eine hatte einen Dolch. Und um jemanden zusammenzuschlagen, braucht man keinen Dolch.«

Devi schnaubte. »Ich brauche auch kein Blut, um die Leute dazu zu bringen, ihre Schulden zu begleichen. Aber es ist hilfreich.«

Ich dachte darüber nach, während sie den letzten Stich setzte und mir einen frischen Verband anlegte. Vielleicht hatten sie mich tatsächlich nur zusammenschlagen wollen. Vielleicht war es eine anonyme Nachricht von Ambrose gewesen, die besagte, dass ich ihn gefälligst mit Respekt behandeln sollte. Ein ganz banaler Einschüchterungsversuch. Ich seufzte. »Ich würde gerne glauben, dass dem so ist. Aber ich glaube es nicht. Ich glaube, die meinten es wirklich ernst. Das sagt mir mein Bauch.«

Sie sah mich ernst an. »Wenn das so ist, werde ich ein paar Gerüchte streuen«, sagte sie. »Das mit den Hunden lasse ich glaube ich lieber weg. Aber ich werde dafür sorgen, dass die Leute es sich zweimal überlegen, bevor sie einen solchen Auftrag annehmen.« Sie lachte kehlig. »Eigentlich überlegen sie es sich ja schon seit heute Nacht zweimal. Ich werde dafür sorgen, dass sie es sich dreimal überlegen.«

»Sehr freundlich von dir.«

»Kleinigkeit«, sagte sie, erhob sich und strich sich den Staub von den Knien. »Ein kleiner Freundschaftsdienst.« Sie wusch sich die Hände und trocknete sie sich dann achtlos an ihrer Bluse ab. »Dann schieß mal los«, sagte sie und nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz, nun wieder ganz die Geschäftsfrau.

»Ich brauche Geld für ein schnelles Pferd«, sagte ich.

»Du willst die Stadt verlassen?« Sie hob eine Augenbraue. »So hätte ich dich nicht eingeschätzt – als einen, der wegläuft.«

»Ich laufe nicht weg«, erwiderte ich. »Ich muss nur schnell eine lange Strecke zurücklegen. Siebzig Meilen bis heute Nachmittag.«

Devi bekam große Augen. »Ein Pferd, das dazu in der Lage ist, ist teuer. Wieso wechselst du nicht unterwegs an den Poststationen die Pferde? Das wäre schneller und billiger.«

»Da oben gibt es keine Poststationen«, erwiderte ich. »Ich muss den Fluss hinauf in die Berge. In eine kleine Stadt namens Trebon.«

»Also gut«, sagte sie. »Wie viel Geld brauchst du?«

»Ich brauche ausreichend Geld, um ein schnelles Pferd kaufen zu können – und zwar ohne großes Gefeilsche. Außerdem Geld für Kost und Logis, vielleicht auch für Schmiergelder … Zwanzig Talente.«

Sie lachte auf, fing sich dann wieder und hielt sich die Hände vor den Mund. »Nein. Es tut mir Leid, aber: Nein. Ich habe wirklich eine Schwäche für charmante junge Männer wie dich. Aber das geht nun wirklich nicht.«

»Ich gebe dir meine Laute«, sagte ich und schob den Lautenkasten mit einem Fuß vor. »Als Sicherheit. Und außerdem alles, was sich hier drin befindet.« Ich stellte meinen Reisesack auf den Tisch.

Devi holte Luft, so als wollte sie sich rundheraus weigern, zuckte dann aber die Achseln und schaute in den Sack. Sie zog mein Exemplar von Rhetorik und Logik hervor und dann meine Sympathielampe für den Handbetrieb. »Oho«, sagte sie neugierig, schaltete die Lampe an und richtete das Licht an die Wand. »Das ist interessant.«

Ich verzog das Gesicht. »Alles, bis auf das«, sagte ich. »Ich habe Kilvin versprochen, dass ich diese Lampe nicht aus der Hand gebe. Ich habe ihm mein Wort darauf gegeben.«

Sie sah mich mit freimütigem Blick an. »Aber du weißt doch: In der Not frisst der Teufel Fliegen.«

»Ich habe ihm mein Wort gegeben«, beharrte ich. Ich löste das Abzeichen des Eolian von meinem Umhang und legte es neben Rhetorik und Logik auf den Tisch. »Das hier ist auch nicht eben leicht zu ergattern.«

Devi ließ den Blick über die Laute, das Buch und das Abzeichen schweifen und atmete dann tief durch. »Kvothe, ich sehe, dass dir diese Sache wichtig ist, aber das geht einfach nicht. Für eine solche Summe bist du einfach nicht gut. Du bist ja kaum für die vier Talente gut, die du mir bereits schuldest.«

Das tat weh, vor allem, weil ich wusste, dass es stimmte.

Devi überlegte noch einmal kurz und schüttelte dann entschieden den Kopf.

»Nein, allein schon die Zinsen … In zwei Monaten würdest du mir über fünfunddreißig Talente schulden.«

»Oder etwas von entsprechendem Wert«, sagte ich.

Sie lächelte mich an. »Und was besitzt du, das fünfunddreißig Talente wert wäre?«

»Zugang zur Bibliothek.«

Devi erstarrte. Ihr leicht gönnerhaftes Lächeln gefror. »Du lügst.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß mit Sicherheit, dass es eine Möglichkeit gibt, da hineinzukommen. Ich habe diesen Zugang noch nicht gefunden, aber ich werde ihn finden.«

»Das klingt aber sehr hypothetisch«, erwiderte sie skeptisch. Doch in ihrem Blick lag etwas, das mehr war als nur ein Wunsch. Es ähnelte eher einem unstillbaren Hunger oder leidenschaftlichem Verlangen. Ich spürte, dass sie mit der gleichen Unbedingtheit in die Bibliothek wollte wie ich. Vielleicht sogar dringender.

»Das habe ich zu bieten«, sagte ich. »Wenn ich dir das Geld zurückzahlen kann, werde ich es tun. Und wenn nicht, dann gilt: Wenn ich einen Zugang zur Bibliothek finde, werde ich ihn mit dir teilen.«

Devi sah an die Decke, so als würde sie im Kopf nachrechnen. »Mit diesen Dingen als Pfand und dem möglichen Zugang zur Bibliothek kann ich dir zwölf Talente leihen.«

Ich erhob mich und schwang mir meinen Reisesack über die Schulter. »Es tut mir Leid, aber wir verhandeln hier nicht«, sagte ich. »Ich informiere dich lediglich über die Bedingungen für dieses Darlehen.« Ich lächelte entschuldigend. »Entweder zwanzig Talente oder gar nichts. Entschuldige bitte, das hätte ich gleich zu Anfang klarstellen sollen.«

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