Kapitel 6
Der Preis des Erinnerns
Erst am frühen Abend des nächsten Tages kam der Chronist die Treppe herab in den Schankraum. Er war blass im Gesicht und wackelig auf den Beinen und trug seine Ledermappe unterm Arm.
Kote saß hinter dem Tresen und blätterte in einem Buch. »Ah, unser unfreiwilliger Gast. Wie geht’s dem werten Haupte?«
Der Chronist legte sich eine Hand an den Hinterkopf. »Es tut noch ein bisschen weh, wenn ich mich zu hastig bewege. Aber es funktioniert noch.«
»Freut mich zu hören«, sagte Kote.
»Ist das …« Der Chronist zögerte und sah sich um. »Sind wir hier in Newarre?«
Kote nickte. »Ihr seid hier sogar im Zentrum von Newarre.« Er machte eine weit ausgreifende, dramatische Handbewegung. »Eine blühende Metropole! Dutzende Einwohner!«
Der Chronist starrte den rothaarigen Mann hinter dem Tresen an und hielt sich dabei an einem Tisch fest. »Beim verkohlten Leibe Gottes«, sagte er, und ihm stockte der Atem. »Ihr seid es tatsächlich. Nicht wahr?«
Der Wirt blickte verdutzt. »Wie bitte?«
»Ich weiß, Ihr werdet es abstreiten«, sagte der Chronist. »Aber was ich vergangene Nacht gesehen habe …«
Der Wirt hob eine Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. »Ehe wir darüber sprechen, dass jener Schlag auf den Kopf bei Euch möglicherweise eine leichte geistige Verwirrung ausgelöst hat, sagt mir eines: Wie ist die Straße nach Tinuë?«
»Was?«, erwiderte der Chronist irritiert. »Ich war nicht unterwegs nach Tinuë. Ich war … oh. Nun, sie ist alles andere als sicher. Kurz vor Abbot’s Ford hat man mich ausgeraubt, und seither war ich zu Fuß unterwegs. Aber das war es wert, denn Ihr seid tatsächlich hier.« Der Chronist sah mit nun leicht besorgter Miene zu dem Schwert empor, das über dem Tresen hing. »Ich bin nicht hier, um Euch Unannehmlichkeiten zu bereiten, wirklich nicht. Ich bin auch nicht wegen des Preises hier, der auf Euren Kopf ausgesetzt ist.« Er lächelte matt. »Nicht dass ich überhaupt in der Lage wäre, Euch Unannehmlichkeiten zu machen –«
»Schön«, sagte der Wirt, zog ein weißes Leinentuch hervor und begann den Tresen zu polieren. »Wer seid Ihr dann?«
»Ihr könnt mich den Chronisten nennen.«
»Ich habe nicht gefragt, wie ich Euch nennen kann«, sagte Kote. »Wie ist Euer Name?«
»Devan. Devan Lochees.«
Kote hielt beim Polieren inne und hob den Blick. »Lochees? Seid Ihr ein Verwandter des Herzogs von …« Kote verstummte und nickte vor sich hin. »Ja, natürlich seid Ihr das. Nicht irgendein Chronist – der Chronist. Er starrte den schon etwas kahl werdenden Mann an, musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Na schau mal einer an. Der große Entlarver höchstpersönlich.«
Der Chronist war sichtlich froh darüber, dass ihm sein Ruf vorausgeeilt war. »Entschuldigt bitte, ich wollte mich gerade nicht aufspielen. Ich habe bloß seit Jahren nicht mehr von mir als Devan gedacht. Diesen Namen habe ich schon vor langer Zeit abgelegt.« Er warf dem Wirt einen vielsagenden Blick zu. »Ich nehme an, Euch selber ist so etwas auch nicht ganz fremd …«
Kote überhörte die unausgesprochene Frage. »Ich habe vor Jahren Euer Buch gelesen. Das Paarungsverhalten des Gemeinen Draccus. Es war für einen jungen Mann, der den Kopf voller Geschichten hatte, ausgesprochen erhellend.« Er senkte den Blick und fuhr mit dem weißen Tuch wieder die Tresenmaserung entlang. »Ich gebe zu, es war eine Enttäuschung zu erfahren, dass es gar keine Drachen gibt. Für einen Jungen ist das eine bittere Erkenntnis.«
Der Chronist lächelte. »Ehrlich gesagt, hat es mich selbst auch ein wenig enttäuscht. Ich suchte nach einer Legende und fand eine Echse. Eine faszinierende Echse zwar, aber dennoch weiter nichts als eine Echse.«
»Und jetzt seid Ihr hier«, sagte Kote. »Seid Ihr gekommen, um zu beweisen, dass es mich auch nicht gibt?«
Der Chronist lachte nervös. »Nein, wisst Ihr, wir haben gerüchteweise gehört –«
»Wir?«, fiel ihm Kote ins Wort.
»Ich reiste gemeinsam mit einem alten Freund von Euch. Skarpi.«
»Hat er Euch unter seine Fittiche genommen, was?«, sagte Kote wie zu sich selbst. »Na schau mal einer an. Skarpis Lehrling.«
»Eher Kollege.«
Kote nickte, immer noch mit ausdrucksloser Miene. »Ich hätte mir denken können, dass er der erste sein wird, der mich findet. Gerüchtemacher, alle beide.«
Das Lächeln des Chronisten wurde säuerlich, und die ersten Worte, die ihm in den Sinn kamen, verkniff er sich.
»Also – womit darf ich Euch zu Diensten sein?« Kote legte das Leinentuch fort und setzte sein schönstes Wirtslächeln auf. »Mit Speis und Trank? Oder einem Zimmer für die Nacht?«
Der Chronist zögerte.
»Wir sind bestens bestückt.« Kote wies mit großer Geste hinter den Tresen. »Alter Wein? Met? Schwarzbier? Süßer Obstlikör! Zwetschge? Kirsche? Grüner Apfel? Oder Brombeere?« Kote deutete nacheinander auf die Flaschen. »Na, wonach steht Euch der Sinn?« Und während er sprach, wurde sein Lächeln immer breiter, und für ein freundliches Wirtslächeln bleckte er nun viel zu sehr die Zähne. Und sein Blick wurde zugleich kühl, ernst, wütend.
Der Chronist schlug die Augen nieder. »Ich dachte –«
»Ihr dachtet«, sagte Kote verächtlich und täuschte nun nicht einmal mehr ein Lächeln vor. »Das bezweifle ich doch sehr. Sonst hättet Ihr doch sicherlich auch daran gedacht, in welch immense Gefahr Ihr mich bringt, indem Ihr hier aufkreuzt.«
Der Chronist wurde rot. »Man sagt, Kvothe kenne keine Furcht«, wandte er ein.
Der Wirt zuckte die Achseln. »Nur Priester und Idioten kennen keine Furcht, und mit Gott stand ich nie auf gutem Fuße.«
Der Chronist runzelte die Stirn. Ihm war bewusst, dass er geködert wurde. »Hört mich an«, fuhr er mit ruhiger Stimme fort. »Ich habe äußerste Vorsicht walten lassen. Außer Skarpi weiß niemand, dass ich hier bin. Ich habe mit niemandem über Euch gesprochen. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, Euch zu finden.«
»Jetzt stellt Euch mal vor, wie erleichtert ich bin, das zu hören«, sagte Kote sarkastisch.
Offenkundig entmutigt, fuhr der Chronist fort: »Ich gestehe gern, dass mein Kommen womöglich ein Fehler war.« Er hielt inne und gab Kote Gelegenheit zu widersprechen. Kote widersprach ihm aber nicht. Der Chronist seufzte leise und fuhr fort: »Aber was geschehen ist, ist geschehen. Käme es Euch denn wirklich gar nicht in den Sinn …«
Kote schüttelte den Kopf. »Das ist alles lange her –«
»Nicht einmal zwei Jahre«, widersprach der Chronist.
»– und ich bin nicht mehr der, der ich einmal war«, fuhr Kote fort, ohne sich unterbrechen zu lassen.
»Nämlich?«
»Kvothe«, sagte er einfach nur und ließ sich keine weiteren Erklärungen entlocken. »Jetzt bin ich Kote. Ich bin der Wirt dieses Hauses. Und das bedeutet: Ein Bier kostet drei Scherflein, und ein Einzelzimmer Kupfer.« Er begann, mit großer Heftigkeit den Tresen zu polieren. »Wie Ihr schon sagtet – ›was geschehen ist, ist geschehen‹. Um die Geschichten sollen sich andere kümmern.«
»Aber –«
Kote hob den Blick, und einen Moment lang sah der Chronist an dem Zorn vorbei, der aus Kotes Augen funkelte. Einen Moment lang sah er den Schmerz dahinter, wie eine blutige Wunde, die zu tief war, um zu heilen. Dann wandte Kote den Blick ab, und es blieb nur der Zorn. »Was hättet Ihr mir denn anzubieten, das den Preis des Erinnerns wert wäre?«
»Alle glauben, Ihr wäret tot.«
»Ihr begreift es wirklich nicht, oder?« Kote schüttelte den Kopf, zwischen Belustigung und Verzweiflung hin und her gerissen. »Das ist doch der Sinn des Ganzen. Wenn man tot ist, sucht keiner mehr nach einem. Keine alten Feinde versuchen mehr, offene Rechnungen zu begleichen. Keiner kommt her und will Geschichten von einem hören«, sagte er bissig.
Der Chronist ließ nicht locker. »Andere sagen, Ihr wäret nur ein Mythos.«
»Ich bin ein Mythos«, sagte Kote leichthin und machte dazu eine dramatische Handbewegung. »Eine ganz besondere Art von Mythos. Ein Mythos, der sich selbst erschafft. Die besten Lügen über mich sind die, die ich selbst in die Welt gesetzt habe.«
»Sie sagen, es hätte Euch nie gegeben«, berichtigte ihn der Chronist behutsam.
Kote zuckte gleichgültig die Achseln, und sein Lächeln schwand kaum merklich.
Einen schwachen Punkt witternd, fuhr der Chronist fort: »In manchen Geschichten seid Ihr nicht viel mehr als ein gemeiner, auf frischer Tat ertappter Mörder.«
»Auch das trifft zu.« Kote wandte sich um und polierte das Büfett hinter dem Tresen. Er zuckte wieder die Achseln, diesmal jedoch nicht ganz so beiläufig wie zuvor. »Ich habe Menschen getötet – und Wesen, die mehr als Menschen waren. Und jeder einzelne von ihnen hatte es verdient.«
Der Chronist schüttelte den Kopf. »In den Geschichten ist von einem Attentäter die Rede, nicht von einem Helden. Kvothe der Arkane und Kvothe der Königsmörder sind zwei ganz gegensätzliche Männer.«
Kote hielt mit dem Polieren inne und wandte nun den Rücken zum Schankraum. Er nickte einmal, ohne den Blick zu heben.
»Manche behaupten gar, es gäbe einen neuen Chandrian. Einen neuen Schrecken der Nacht. Und sein Haar sei rot wie das Blut, das er vergießt.«
»Die Leute, auf die es ankommt, kennen den Unterschied«, sagte Kote, wie um sich selbst zu überzeugen, aber seine Stimme klang müde und mutlos.
Der Chronist lachte leise auf. »Ja, das stimmt. Noch. Aber gerade Ihr solltet Euch doch im Klaren sein, wie schmal der Grat ist, der die Wahrheit von einer überzeugenden Lüge trennt. Die historische Wahrheit von einer unterhaltsamen Geschichte.« Der Chronist ließ seine Worte einen Moment lang wirken. »Ihr wisst doch, was davon letztendlich Bestand haben wird.«
Kote stand unbeweglich, das Gesicht zur Wand, die Hände auf das Büfett gestützt. Den Kopf hatte er leicht gesenkt, als ob ein großes Gewicht auf seinen Schultern laste. Er sagte nichts.
Der Chronist trat siegessicher einen Schritt vor. »Manche sagen, es gab da eine Frau –«
»Was wissen die denn schon?« Kotes Stimme schnitt wie eine Säge durch Knochen. »Was wissen die denn schon darüber, was wirklich geschehen ist?« Er sprach so leise, dass der Chronist den Atem anhalten musste, um ihn noch zu verstehen.
»Man sagt, sie –« Dem Chronisten blieben die Worte im schlagartig trockenen Halse stecken, denn im Saal machte sich mit einem Mal eine unnatürliche Stille breit. Kote stand mit dem Rücken zum Raum, die Stille im ganzen Leib und ein schreckliches Schweigen zwischen den zusammengebissenen Zähnen. Seine rechte Hand, die ein sauberes weißes Tuch hielt, ballte sich zur Faust.
Eine Handspanne entfernt zerplatzte eine Flasche. Erdbeerduft erfüllte die Luft, und man hörte Glassplitter klirren. Ein kleiner Lärm inmitten einer sehr großen Stille, aber es genügte. Es genügte, um die Stille in scharfe, kleine Splitter zu zerschlagen. Der Chronist fröstelte, als ihm auf einmal bewusst wurde, was für ein gefährliches Spiel er hier trieb. Das ist also der Unterschied zwischen dem Erzählen und dem Erleben einer Geschichte, dachte er wie benommen – die Angst.
Kote drehte sich um. »Was kann denn irgendeiner von denen über sie wissen?«, fragte er leise. Dem Chronisten stockte der Atem, als er Kotes Gesicht sah. Die gelassene Wirtsmiene glich einer zerborstenen Maske. Darunter kam ein gehetzter Blick zum Vorschein, Augen, halb in diese Welt gerichtet, halb, sich erinnernd, anderwärts.
Der Chronist musste an eine Geschichte denken, die er einmal gehört hatte. Eine von vielen. Die Geschichte handelte davon, wie Kvothe ausgezogen war, um sich seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Er musste einen Dämon überlisten, um es zu erlangen. Und als er es dann in der Hand hielt, musste er gegen einen Engel kämpfen, um es behalten zu können. Ich glaube daran, ertappte sich der Chronist zu denken. Bisher war es nur eine Geschichte, aber jetzt kann ich daran glauben. Das ist das Antlitz eines Mannes, der einen Engel getötet hat.
»Was kann denn irgendeiner von denen schon über mich wissen?«, fragte Kote, Zorn in der Stimme. »Was können sie über das hier wissen?« Er machte eine kurze, heftige Handbewegung, die alles zu umfassen schien, die zerbrochene Flasche, den Tresen, die ganze Welt.
Der Chronist schluckte gegen die Trockenheit in seiner Kehle an. »Nur das, was man ihnen erzählt.«
Tat tat, tat-tat. Likör aus der zerborstenen Flasche begann in unregelmäßigem Rhythmus auf den Boden zu tropfen. »Ahhhh«, seufzte Kote gedehnt. Tat-tat, tat-tat, tat. »Sehr geschickt. Ihr würdet meinen eigenen besten Trick gegen mich einsetzen. Ihr würdet meine Geschichte zur Geisel nehmen.«
»Ich würde die Wahrheit erzählen.«
»Nur an der Wahrheit könnte ich zerbrechen. Was könnte härter sein als die Wahrheit?« Ein mattes, spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Einen Moment lang hielt nur das leise Tropfen die Stille in Schach.
Schließlich ging Kote durch die Tür hinterm Tresen hinaus. Der Chronist stand beklommen im leeren Schankraum und wusste nicht, ob er hiermit nun abgewiesen war.
Ein paar Minuten später kam Kote wieder, einen Eimer Seifenlauge in der Hand. Ohne in die Richtung des Chronisten zu blicken, begann er, seine Flaschen vorsichtig und methodisch zu reinigen. Der Reihe nach wischte er den Erdbeerlikör von ihren Böden ab und stellte sie auf den Tresen zwischen dem Chronisten und sich, so als könnten sie ihn schützen.
»Dann habt Ihr also einen Mythos gesucht und einen Menschen gefunden«, sagte er, ohne die Stimme oder den Blick zu heben. »Ihr habt die Geschichten gehört, und nun wollt Ihr der Wahrheit auf den Grund gehen.«
Erleichtert legte der Chronist seine Mappe auf einem Tisch ab und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass ihm die Hände ein wenig zitterten. »Wir haben vor einiger Zeit Wind davon bekommen. Es war nur ein vages Gerücht. Ich habe wirklich nicht erwartet …« Der Chronist verstummte, mit einem Mal zaghaft. »Ich hatte Euch für älter gehalten.«
»Das bin ich auch«, sagte Kote. Der Chronist blickte verwirrt, doch ehe er etwas darauf erwidern konnte, fuhr der Wirt fort: »Und was führt Euch ausgerechnet in diesen nichtswürdigen Weltwinkel?«
»Eine Verabredung mit dem Grafen von Baedn-Bryt«, sagte der Chronist ein wenig aufgeblasen. »In drei Tagen in Treya.«
Der Wirt hielt beim Putzen inne. »Ihr wollt es in drei Tagen bis zum Gut des Grafen schaffen?«, fragte er.
»Ich habe mich verspätet«, gestand der Chronist. »Man hat mir in der Nähe von Abbott’s Ford das Pferd gestohlen.« Er sah aus dem Fenster. Draußen wurde es schon dunkel. »Aber ich bin gern bereit, auf etwas Schlaf zu verzichten. Ich würde dann morgen früh aufbrechen, dann hättet Ihr wieder Ruhe vor mir.«
»Nun, ich will Euch natürlich keinen Schlaf kosten«, sagte Kote sarkastisch. »Ich kann das alles auch in einem Atemzug erzählen.« Er räusperte sich. »Ich lebte bei einer Theatertruppe, ich reiste, ich liebte, verlor, vertraute und wurde betrogen. Schreibt das nieder und verbrennt es.«
»So dürft Ihr das bitte nicht verstehen«, beeilte sich der Chronist zu sagen. »Wir können uns die ganze Nacht dafür Zeit nehmen, wenn Ihr mögt. Und morgen früh auch noch ein paar Stündchen.«
»Wie überaus gnädig«, entgegnete Kote barsch. »Ihr erwartet, dass ich Euch meine Geschichte in einer einzigen Nacht erzähle? Ohne Zeit, mich zu sammeln? Ohne Zeit, mich vorzubereiten?« Sein Mund verzog sich zu einem Strich. »Kommt nicht in Frage. Geht mit Eurem Grafen die Zeit vertändeln. Mit so etwas will ich nichts zu tun haben.«
Der Chronist sagte schnell: »Wenn Ihr sicher seid, dass Ihr –«
»Allerdings.« Kote stellte mit energischer Geste eine Flasche auf den Tresen. »Ich brauche ganz gewiss länger dafür. Und heute Abend hört Ihr nichts davon. Eine richtige Geschichte braucht Vorbereitung.«
Der Chronist runzelte nervös die Stirn und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Ich könnte den ganzen morgigen Tag darauf verwenden, Eure Geschichte aufzuzeichnen …« Er verstummte, als er sah, dass Kote den Kopf schüttelte. Nach kurzer Pause setzte er neu an und sagte fast wie im Selbstgespräch: »Wenn ich in Baedn ein Pferd bekomme, kann ich Euch morgen den ganzen Tag Zeit lassen, einen Gutteil der Nacht und auch noch einen Teil des nächsten Tages.« Er rieb sich die Stirn. »Ich hasse Nachtritte, aber –«
»Ich brauche drei Tage«, sagte Kote. »Da bin ich mir sicher.«
Der Chronist erbleichte. »Aber … der Graf.«
Kote machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Kein Mensch braucht drei Tage dafür«, sagte der Chronist mit Entschiedenheit. »Ich habe Oren Velciter befragt. Oren Velciter. Er ist achtzig Jahre alt und hat so viel erlebt, als wäre er zweihundert. Fünfhundert, wenn man die Lügen mitrechnet. Und er ist zu mir gekommen«, sagte der Chronist mit besonderem Nachdruck. »Und er hat nur zwei Tage gebraucht.«
»Das ist mein Angebot«, erwiderte der Wirt. »Ich mache das entweder richtig oder gar nicht.«
»Wartet mal!« Mit einem Mal heiterte sich die Miene des Chronisten auf. »Ich habe das Pferd falsch herum aufgezäumt«, sagte er. »Ich werde einfach den Grafen besuchen und dann wiederkommen. Dann könnt Ihr Euch soviel Zeit nehmen, wie Ihr mögt. Ich könnte sogar Skarpi mitbringen.«
Kote schenkte dem Chronisten einen durch und durch verächtlichen Blick. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich noch hier wäre, wenn Ihr wiederkommt?«, fragte er ungläubig. »Und wieso glaubt Ihr, es stünde Euch bei allem, was Ihr wisst, frei, einfach wieder fortzugehen?«
Der Chronist wurde sehr still. »Wollt –« Er schluckte und setzte neu an. »Wollt Ihr damit sagen, dass –«
»Ich brauche drei Tage für die Geschichte«, fiel Kote ihm ins Wort. »Und angefangen wird morgen. Das will ich damit sagen.«
Der Chronist schloss die Augen und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Der Graf würde natürlich außer sich sein vor Wut. Gar nicht abzusehen, was es kosten würde, seine Gnade wiederzuerlangen. Aber … »Wenn das die einzige Möglichkeit ist, nehme ich das Angebot an.«
»Das hört man gern.« Der Wirt lächelte halbherzig. »Sind drei Tage denn wirklich so ungewöhnlich?«
Der Chronist setzte wieder seine ernste Miene auf. »Drei Tage sind sehr ungewöhnlich. Aber andererseits –« Etwas von seiner Selbstgefälligkeit schien von ihm abzufallen. »Andererseits –«, er machte eine Geste, wie um zu sagen, dass Worte hier nicht weiterhalfen, »seid Ihr ja schließlich Kvothe.«
Der Mann, der sich Kote nannte, schaute hinter seinen Flaschen hervor. Ein Lächeln spielte um seine Lippen. Ein Funkeln lag in seinem Blick. Und er wirkte mit einem Mal größer.
»Ja, das bin ich wohl«, sagte Kvothe, und seine Stimme klang eisern.