14. Kapitel

Die Bibliothek kam ihm größer vor als sonst - und irgendwie stiller, als fehle etwas. Vielleicht lag es daran, daß er sehr selten allein hiergewesen war. In den letzten Jahren war er ja ohnehin nicht oft zu Hause gewesen, und eigentlich hatte er den Raum niemals betreten, ohne daß sein Vater dagewesen war. Der Anblick seines Vaters, der hinter dem wuchtigen Schreibtisch saß, telefonierte, an irgendwelchen Papieren arbeitete oder einfach nur dasaß, gehörte so untrennbar zu Marks Erinnerungen an diesen Raum wie die bis unter die Decke reichenden vollgestopften Bücherregale, das große Fenster in der Südseite mit seinen vielfarbigen Bleiglasscheiben und der Kamin, dessen Wände und Sturz schwarz von Ruß waren, obwohl Mark sich nicht erinnern konnte, ihn jemals brennen gesehen zu haben. Beinahe kam ihm die Situation absurd vor: Er war schließlich hier heraufgekommen, um nicht in der Nähe seines Vaters sein zu müssen, und trotzdem vermißte er ihn - und sei es nur aus Gewohnheit. Aber vielleicht bestand ja auch sein Leben weit mehr aus Gewohnheiten, als ihm bisher klar gewesen war.

Er schloß die Tür hinter sich, blieb einen Moment dagegengelehnt und mit geschlossenen Augen stehen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er war scheinbar ganz ruhig. Aber eben nur scheinbar. Auf einer - nicht sehr viel - tiefer gelegenen Ebene seines Denkens war er aufgewühlt und nervös; wenn er sich bisher geweigert hatte, über Marianne nachzudenken, dann nicht, weil ihm das, was geschehen war, gleich gewesen wäre oder ihn gar kalt gelassen hätte, sondern einzig, weil über sie nachzudenken auch bedeutet hätte, sich zugleich wieder dem Grund dieses schrecklichen Unfalls zu stellen: dem Traum. Wenn es ein Traum war.

Mark lächelte nervös. Was sollte es sonst gewesen sein? Er begriff im allerletzten Moment, daß er nun doch begonnen hatte, über genau das nachzudenken, vor dem er eigentlich davonlaufen wollte, und drängte den Gedanken mit Macht zurück. Wenigstens versuchte er es. Natürlich ging es nicht. Es war die alte Geschichte von dem Schatz und dem weißen Pferd: Versprich einem Mann einen Topf voller Gold, wenn er nicht an ein weißes Pferd denkt, und natürlich wird er an nichts anderes mehr denken können. Es hatte eine Zeit gegeben (sie lag ungefähr zwölf Stunden zurück), da hätte er über diesen Vergleich gelächelt. Jetzt machte er ihm angst.

Um sich abzulenken, löste er sich von seinem Platz an der Tür und begann ziellos im Raum umherzugehen. Sein Blick glitt über die ordentlich aufgereihten Buchrücken in den Regalen, verharrte bei dem einen oder anderen Titel und suchte nach irgend etwas, woran er sich festklammern, was ihn auf andere Gedanken bringen konnte. Aber die Bücher waren nicht sehr ergiebig. Es gab einige wenige Romane - sie waren fast allesamt ungelesen - und eine schier unüberschaubare Flut von Fachliteratur von seinem Vater. Die gesamte Bibliothek gehörte seinem Vater, und bei allem, was zwischen ihnen gewesen war, begann er manchmal zu vergessen, daß sein Vater nicht nur ein sehr harter, sondern auch ein sehr gebildeter Mann war, ein Mann, der seinen Beruf liebte und wirklich gut darin war und der einen großen Teil seines Lebens damit zugebracht hatte und es immer noch tat, zu lernen.

Vielleicht war es falsch gewesen, hierher zu kommen, dachte Mark. Hier oben war er in Gesellschaft seines Vaters, denn dieser Raum war so sehr Teil von ihm, wie es ein Zimmer nur sein konnte. Er trat vom Bücherregal zurück und spielte einen Moment lang ernsthaft mit dem Gedanken, wieder hinunterzugehen und in der Halle auf seinen Vater und Dr. Petri zu warten, wandte sich dann jedoch statt dessen um und trat an den Schreibtisch seines Vaters heran. Alles lag noch genauso da, wie er es am Morgen vorgefunden hatte, als er hereinkam und seinen Vater in der Gesellschaft der beiden Polizeibeamten sah.

Auch dies war keine angenehme Erinnerung. Er hatte die sonderbaren Blicke, mit denen ihn der ältere der beiden Beamten gemessen hatte, nicht vergessen, nur verdrängt, wie so vieles in letzter Zeit, und jetzt, als ihm der Anblick des Schreibtisches das Bild wieder deutlicher ins Gedächtnis zurückrief, erinnerte er sich auch wieder an das kurze, aber heftige Erschrecken im Gesicht seines Vaters, als er das Zimmer betrat. Und da war noch etwas gewesen.

Die Mappe. Neben dem Telefon lag noch immer der gelbe Aktendeckel, den sein Vater hastig geschlossen und dann beinahe zu beiläufig zur Seite geschoben hatte.

Mark trat zögernd näher. Wenn er bedachte, mit welchem Vorsatz er hierhergekommen war, war es geradezu lächerlich, aber trotzdem meldete sich plötzlich sein schlechtes Gewissen. Mark empfand einen großen Respekt vor der Privatsphäre anderer, schon weil er erwartete, daß auch seine eigene unbedingt respektiert wurde. Trotzdem streckte er nach einem kurzen Zaudern die Hand aus und öffnete die Mappe.

Sie enthielt eine Anzahl engbeschriebener Schreibmaschinenseiten und zwei oder drei Fotokopien, die er nur überflog, ohne daß ihr Inhalt ihm etwas sagte - und zwei übereinanderliegende Polaroidfotos. Auf den allerersten Blick konnte er auf dem oberen kaum etwas erkennen; es schien nur ein rotweißschwarzes Durcheinander zu zeigen, in dem es keine festen Konturen oder identifizierbare Umrisse gab.

Dann ordneten sich die ineinanderfließenden Farben plötzlich vor seinen Augen, und Mark fuhr erschrocken zusammen.

Das Bild zeigte ein Gesicht. Es war vollkommen zerschmettert, und kaum mehr als die Überreste eines menschlichen Wesens waren zu erkennen, und trotzdem wußte er sofort, wer der Mann auf dem Foto war. Löbach.

Marks Finger begannen heftig zu zittern, und in seinem Magen rührte sich eine beginnende Übelkeit, aber er zwang sich trotzdem, das Bild genauer zu betrachten. Am Morgen hatte er die Nachricht von Löbachs Selbstmord zwar zur Kenntnis genommen, aber mehr auch nicht. Das hier jedoch war etwas anderes. Das Foto ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wie Löbach seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, und es machte aus einer bloßen Information plötzlich wieder ein menschliches Schicksal. Er hatte Löbach zwar kaum gekannt, aber das wenige, was er über diesen Mann gewußt hatte, paßte einfach nicht zu diesem Bild.

Löbach war Chemiker gewesen; ganz wie sein Vater ein Mann, dessen Handeln fast ausschließlich Vom Intellekt bestimmt wurde, nicht von Gefühlen - auf keinen Fall ein Mann, der seinem Leben ein derart brutales Ende setzen würde. Er hatte es nicht nötig, sich so umzubringen. Und Mark verstand die scheinbare Kälte, mit der sein Vater auf die Nachricht von Löbachs Tod - und vor allem auf dieses Foto - reagiert hatte, jetzt noch sehr viel weniger als am Morgen. Die beiden Männer waren, wenn schon nicht Freunde, so doch langjährige gute Bekannte und Kollegen gewesen, und am Morgen noch hatte er die scheinbare Gelassenheit, mit der sein Vater auf seine Vorwürfe reagierte, für pure Selbstverteidigung gehalten.

Jetzt bezweifelte er das. Niemand, der ein Bild wie dieses sah, hätte wenige Minuten danach eine Gelassenheit vorspielen können, die er nicht wirklich empfand. Irgend etwas mußte zwischen Löbach und seinem Vater vorgefallen sein, von dem er nichts wußte.

Mark tastete mit spitzen Fingern nach dem Foto und schob es zur Seite, um die andere Aufnahme zu betrachten, wobei er sorgsam darauf achtete, Löbachs zerschmettertes Gesicht auf dem Bild nicht zu berühren. Dann fiel sein Blick auf das Polaroidfoto darunter, und er vergaß das Gesicht des toten Chemikers auf der Stelle.

Es war keine weitere Aufnahme Löbachs, wie er ganz automatisch angenommen hatte. Das Bild zeigte den Ausschnitt einer roh mit schwarzer Ölfarbe angemalten Wand, auf die mit dunkelroten fahrigen Großbuchstaben ein einzelnes Wort geschmiert worden war.

AZRAEL.

Es war wie ein Schlag in Marks Gesicht. Sein Magen zog sich zu einem harten Klumpen zusammen, der kleine feurige Schmerzpfeile in jeden Winkel seines Körpers verschoß, und er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten und gleichzeitig das Blut aus seinem Kopf wich. Plötzlich schien sich das Zimmer um ihn zu drehen, und jetzt hörte er auch den Herzschlag wieder, ein dumpfes, nachhallendes Hämmern, zu schwer und zu langsam für den eines Menschen. Für einen Moment glaubte er verschwommene Gestalten zu erkennen, die rings um ihn herum auf dem Boden saßen und sich an den Händen hielten, und durch die farbigen Buchrücken auf den Regalen schimmerte zerbröckelnder grauer Betonputz.

Nein, dachte er verzweifelt. Nein!

Es war zu spät. Die Schemen verdichteten sich zu Schatten. Die Tür in den Alptraum war geöffnet, bisher vielleicht nur einen winzigen Spaltbreit, und doch schon viel zu weit, um sie wieder zu schließen, denn da war plötzlich noch etwas, eine unvorstellbare Kraft, die sie weiter öffnete, die herüberdrängte, heraus aus der Welt des Unvorstellbaren in die des realen Schreckens. Die Schatten verdunkelten sich weiter, drohten zu Körpern zu werden und Gesichter zu bekommen. Und da war noch etwas. Das Ding, das plötzlich einen Namen bekommen hatte und damit Wahrhaftigkeit.

Die Tür wurde geöffnet, und sein Vater trat in Begleitung des Arztes herein, und im gleichen Moment zerplatzte die Vision wie eine Seifenblase - zurück blieb eine tiefe, allumfassende Leere, die sich jedoch bereits mit der vagen Ahnung einer kommenden Furcht zu füllen begann, die zwar noch immer gestalt-, aber nicht mehr namenlos war, und die ihn vielleicht schon jetzt vollends überwältigt hätte, wenn die beiden Männer auch nur einen Augenblick später erschienen wären. Mark fuhr mit einem Ruck hoch und schlug den Aktendeckel mit einer so heftigen Bewegung zu, daß Petri und sein Vater erstaunt mitten im Schritt innehielten und ihn anstarrten. Petri sah einfach nur verwirrt aus, während sein Vater für den Bruchteil einer Sekunde wieder auf die gleiche unerklärliche Weise alarmiert wirkte, die Mark an diesem Tag schon mehrmals an ihm beobachtet hatte. Dann erkannte er wohl die Ursache des Geräusches, und aus Erschrecken wurde für einen noch winzigeren Moment beinahe Entsetzen, dann Zorn. Einen Augenblick später hatte er sich wieder in der Gewalt.

»Mark?« fragte Petri. Er lächelte, wirkte aber trotzdem weiter beunruhigt. »Was ist mit Ihnen? Sie sind ja ganz blaß. Fühlen Sie sich nicht wohl?«

Mark trat hastig einen weiteren Schritt nach hinten und versuchte, Petris Lächeln zu erwidern. »Es ist nichts«, sagte er. »Ich bin nur... nervös. Wie geht es Marianne?«

»Sie schläft«, antwortete Petri. »Ich habe ihr etwas zur Beruhigung gegeben. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Mark. Ihr fehlt nichts Ernstes. Ein paar Stunden Ruhe und ein kalter Umschlag, damit die Schwellung zurückgeht, und sie ist wieder völlig in Ordnung. Aber was ist denn nun überhaupt passiert?«

Petri kam näher, während Marks Vater die Tür schloß und ihm zugleich einen fast beschwörenden Blick zuwarf. Mark ignorierte ihn. Es war ihm völlig gleich, was sein Vater Petri erzählt hatte oder nicht.

»Es war meine Schuld«, sagte er. »Ich fürchte, ich habe sie niedergeschlagen. Und ihr ist wirklich nichts Schlimmes passiert?«

Das war ganz bestimmt nicht das, was sein Vater hören wollte; vermutlich auch nicht das, was dieser Petri gerade erzählt hatte, wie der erstaunte Ausdruck auf dem Gesicht des Arztes vermuten ließ.

»Niedergeschlagen?«

Mark hob die rechte Hand und ballte sie für einen kurzen Moment zur Faust. »Nicht absichtlich«, sagte er. »Ich hatte einen Alptraum. Ich muß wohl geschrien haben. Sie wollte mich wecken, und ich habe um mich geschlagen -«

»- und die arme Marianne getroffen«, führte Petri den Satz zu Ende. »So etwas kann passieren, Mark. Sie brauchen sich wirklich keine Vorwürfe zu machen.«

»Wenn es überhaupt so war«, mischte sich sein Vater ein. »Mark ist aufgewacht, und da lag sie am Boden, das ist alles, was er weiß.«

»Ja, und meine Hand tut weh, Marianne ist bewußtlos, und ich habe geträumt, daß ich nach einem Gespenst geschlagen habe«, fügte Mark scharf hinzu. »Das ist alles, was ich weiß. Reicht das nicht?«

Petri mußte wohl spüren, daß zwischen ihnen noch sehr viel mehr war, was nicht ausgesprochen wurde, denn er hob besänftigend die Hand und wechselte plötzlich in einen anderen, berufsmäßigeren Ton. »Ein Alptraum? Darf ich fragen, was-«

»Nein«, unterbrach ihn Mark scharf. »Nur ein Alptraum. So etwas kommt vor. Ich brauche keinen Arzt, Doktor Petri.«

»Ich frage auch nicht als Arzt, sondern als Freund«, antwortete Petri. Marks bewußt unfreundlichen Ton ignorierte er mit der Gelassenheit eines Mannes, der einen Großteil seines Lebens mit Menschen zu tun hatte, die plötzlich mit dem Ende der Legende ihrer eigenen Unverwundbarkeit konfrontiert wurden und in ihrer Verbitterung einen Verantwortlichen suchten.

Freund? Um ein Haar hätte Mark schrill aufgelacht. Petri war alles, nur nicht sein Freund. Plötzlich empfand er ein so intensives Gefühl der Abneigung gegen diesen kleinen, dünnen Mann, der bei genauem Hinsehen doch so alt war, wie er ihn in Erinnerung hatte, daß es ihm schwerfiel, nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen. Dieser Mann war sein Feind ebenso wie sein Vater, wie Löbach und Prein und all die anderen, die Schuld daran trugen, daß sein Leben gescheitert war, bevor es richtig begonnen hatte. Er war vollkommen allein in einer Welt voller Feinde und unbekannter Gefahren, eingesperrt in eine unsichtbare Zelle, an deren Tür die Alpträume kratzten und -

Aufhören!

Der Befehl, obwohl er ihn sich selbst gegeben harte, zeigte Wirkung. Seine Gedanken hörten auf, sich in der Endlosschleife zu drehen, in die sie sich verfangen hatten, und plötzlich begriff er, wie lächerlich sie gewesen waren. Lächerlich, aber nicht im geringsten komisch. Er fragte sich, ob es für alles, was er seit gestern abend erlebt hatte, nicht vielleicht eine ebenso simple wie erschreckende Erklärung geben mochte: daß er dabei war, den Verstand zu verlieren. Möglicherweise erlebte er den Anfang einer beginnenden Paranoia. Und warum nicht? Viele Geisteskrankheiten waren erblich, und schließlich saß seine Mutter seit Jahren im Irrenhaus, und -

»Mark?«

Erst, als Petri ihn am Arm berührte und mit ziemlicher Kraft zugriff, wurde ihm klar, daß der Arzt ihn schon mindestens zwei- oder dreimal angesprochen hatte. »Was ist denn los mit Ihnen?«

»Nichts.« Mark machte sich mit sanfter Gewalt los und wollte einen Schritt zurückweichen, konnte es aber nicht, weil er schon unmittelbar vor dem Regal stand. Aber Petri schien instinktiv zu spüren, wie es in ihm aussah. Instinktiv? Mark begegnete dem Blick seines Vaters, und was er darin las, machte ihm klar, daß seine Gedanken wie mit glühenden Lettern geschrieben auf seinem Gesicht abzulesen sein mußten. Der Arzt wich selbst einen Schritt zurück und lächelte, ließ Mark aber keine Sekunde aus den Augen.

»Sie sind leichenblaß, und Sie zittern am ganzen Leib«, konstatierte Petri. »Erzählen Sie mir also nicht, daß Sie sich pudelwohl fühlen. Ich bin seit dreißig Jahren Arzt.«

»Die Geschichte mit Marianne ist mir ziemlich nahegegangen«, sagte Mark. Petris Blick blieb zweifelnd, und nach ein paar Augenblicken fügte er in leicht gereiztem Ton hinzu: »Außerdem habe ich eine anstrengende Nacht hinter mir und kaum geschlafen. Ich behaupte nicht, daß ich mich pudelwohl fühle.«

»Ich möchte Sie untersuchen«, sagte Petri.

»Wozu? Mir fehlt nichts.«

»Der Direktor deines Internats hat mir etwas anderes erzählt«, mischte sich sein Vater ein. »Immerhin hat er dich nach Hause geschickt, weil du längere Zeit krank warst.«

»Hat er nicht«, sagte Mark. Sein Vater legte fragend den Kopf auf die Seite, und Marks Vermutung wurde zur Gewißheit: Prein hatte ihm wohl tatsächlich genau diese Geschichte erzählt, um Mark zu schützen; nur für alle Fälle, falls er es sich auf dem Weg nach Berlin vielleicht doch noch überlegt und in Erwägung gezogen haben sollte, zurückzukommen. Nein, er wollte ihm keine Schwierigkeiten bereiten.

»Oder doch. Er hat vielleicht geglaubt, daß ich krank war. Ich habe simuliert.«

»Warum?«

Das Problem mit einer Lüge war, dachte Mark, daß sie meistens eine weitere nach sich zog, und dann noch eine und noch eine, bis man sich schließlich an der Spitze eines Lügengebäudes wiederfand, das unter seinem eigenen Gewicht zusammenzubrechen begann. Wahrscheinlich war es im Moment das klügste, wenn er seinem Vater die Antwort auf diese Frage schuldig blieb. Für einige Sekunden kehrte eine sehr unangenehme Stille ein.

»Also gut«, sagte Petri schließlich. Er klang ein bißchen enttäuscht. »Ich kann Sie leider nicht zwingen, vernünftig zu sein. Aber ich würde Sie wirklich in den nächsten Tagen gerne einmal in meiner Praxis sehen. Nur so, für einen allgemeinen Check-up. Was halten Sie davon?«

»Ich überlege es mir«, sagte Mark ausweichend.

»Tun Sie das.« Petri bewegte einen Moment unschlüssig die Hände und gab sich dann einen spürbaren Ruck. »Ich denke, es wird allmählich Zeit, wieder in die Praxis zu gehen. Meine Patienten warten.«

»Möchten Sie etwas trinken?« fragte Marks Vater.

Zu Marks Überraschung hob Petri die Schultern und sagte: »Warum nicht? Auf eine Minute kommt es nicht an. Aber wirklich nur einen Moment.«

Petri verabscheute Alkohol, das wußte Mark. Wenn er sich in den letzten Jahren nicht radikal geändert hatte, dann konnte es für diesen kurzen Dialog zwischen ihm und seinem Vater eigentlich nur einen Grund geben: Die beiden hatten noch etwas miteinander zu besprechen. Etwas, das wahrscheinlich nicht für Marks Ohren bestimmt war.

Während sein Vater zur Bar ging und zwei Cognacgläser füllte, glitt Marks Blick suchend durch das Zimmer und blieb schließlich wieder an dem Aktendeckel auf dem Schreibtisch hängen, und dann wußte er es.

»Sie haben von Löbach gehört?« fragte er.

In den beiden Cognacgläsern in den Händen seines Vaters fand ein winziges Erdbeben statt, und er wurde genauso blaß, wie Mark es vorhin gewesen sein mußte. Mark hätte Petri gar nicht mehr ansehen müssen, um zu wissen, daß er ins Schwarze getroffen hatte.

»Löbach? Nein. Was ist mit ihm?«

»Er ist tot«, antwortete Mark. »Selbstmord. Hat mein Vater Ihnen noch nichts erzählt?«

Den Ausdruck auf Petris Gesicht als Entsetzen zu bezeichnen, wäre untertrieben gewesen, dachte Mark. Willkommen im Club. Sein Vater und er waren ganz eindeutig nicht die einzigen, die Geheimnisse hatten.

»Selbst... mord?« krächzte Petri.

»Die Polizei geht bisher davon aus«, sagte Marks Vater hastig. Er hatte sich wieder gefangen und war zwar noch blaß, zitterte aber nicht mehr. Doch die Bewegung, mit der er Petri das Cognacglas reichte, war viel zu heftig. Einige Tropfen der goldbraunen Flüssigkeit spritzten auf Petris Jacke. Er bemerkte es nicht einmal.

»Ich wollte es Ihnen noch erzählen, aber nicht so... so undiplomatisch.« Er warf Mark einen ärgerlichen Blick zu. »Doktor Petri und Löbach sind seit dreißig Jahren befreundet, Mark.«

»Oh«, sagte Mark betroffen. »Das... das habe ich nicht gewußt. Es tut mir leid.« Das war ehrlich gemeint. Mark war bestürzt. Er hatte einen Schuß ins Blaue abgeben, aber Petri nicht verletzen wollen.

»Es gibt eine Menge Dinge, die du nicht weißt«, sagte sein Vater kühl. »Vielleicht fragst du mich das nächste Mal erst, ehe . du redest.«

»Selbstmord?« murmelte Petri verstört. Den kurzen Disput zwischen Mark und seinem Vater hatte er gar nicht mitbekommen. »Aber das... das kann doch gar nicht sein.«

»Es ist bisher auch nur eine Theorie«, sagte Marks Vater. »Und ich glaube auch nicht daran. Wahrscheinlich war es ein Unfall.«

Ja, dachte Mark, er hat sich nackt ausgezogen, das Wort AZRAEL an die Wand geschrieben und sich dann vom Balkon gestürzt. Natürlich war es ein Unfall. Was soll es sonst gewesen sein ?Die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber dann blickte er wieder in Petris Gesicht und brachte es einfach nicht fertig, sie auszusprechen.

»Es tut mir leid, daß Sie es so erfahren mußten«, sagte sein Vater.

»Das ist... schon in Ordnung«, antwortete Petri. Er fand seine Fassung jetzt wieder, aber das war nur äußerlich. Mark bedauerte seine Worte zutiefst. Er hätte viel darum gegeben, sie zurückzunehmen. Seltsam, wie schwer es war, jemanden zu verletzen, wenn man es wollte - und wie leicht, wenn man es nicht wollte.

»Ich muß jetzt wirklich gehen, fürchte ich.« Petri stellte das Glas auf den Schreibtisch zurück, ohne seinen Inhalt angerührt zu haben. »Wie gesagt: Meine Patienten warten. Ich komme am Abend dann noch einmal vorbei und sehe nach Marianne.«

Er ging überhastet. Marks Vater begleitete ihn bis zur Tür, aber nicht hinunter zum Ausgang, sondern Wartete nur, bis Petris Schritte auf der Treppe verklungen waren, ehe er sich mit einem Ruck wieder zu Mark herumdrehte. Seine Augen blitzten.

»Bravo!« sagte er. »Das war wirklich eine Meisterleistung. Stellst du dir so dein Leben als Erwachsener vor, daß du herumlaufen und Leute vor den Kopf stoßen kannst, wie es dir beliebt?«

»Ich wollte es nicht«, verteidigte sich Mark. »Ich wußte nicht, daß -«

»Du weißt eine ganze Menge nicht«, unterbrach ihn sein Vater. Er hob nicht einmal die Stimme, aber das mußte er auch nicht. Er hatte es stets verstanden, ganz ruhig zu bleiben und dabei trotzdem so verletzend wie eine Rasierklinge zu sein. Er war der einzige Mensch, den Mark kannte, der schreien konnte, ohne dabei laut zu werden.

Dafür war Mark beinahe zum Heulen zumute. Er wußte, was nun kam, und er wußte auch, daß er nicht die geringste Chance hatte. Es war wie gestern nacht mit Prein: Er war mit dem festen Vorsatz hierhergekommen, diesen Kampf auszutragen, aber er machte alles falsch, was er nur falsch machen konnte. Seine Vorbereitungen waren gut, seine Argumente waren gut, aber das Timing war miserabel. Was nutzten die besten Waffen, wenn man sie sich ohne Gegenwehr aus der Hand schlagen ließ?

»Und was war das mit dem Internat?« fuhr sein Vater fort. Er kam näher, und wieder mußte Mark sich beherrschen, um nicht automatisch vor ihm zurückzuweichen. So, wie er schreien konnte, ohne laut zu werden, konnte er sich auch drohend bewegen, ohne irgend etwas wirklich zu tun. Er war weder besonders groß noch außergewöhnlich kräftig; und trotzdem hatte er in diesem Moment etwas von einer Lawine, die sich vielleicht nicht einmal besonders schnell, aber unaufhaltsam auf ihn zubewegte. »Dein Direktor hat mich heute morgen angerufen und mir mitgeteilt, daß du eine schwere Grippe hinter dir hättest. Aber offenbar hat er mich angelogen.«

»Offenbar«, antwortete Mark trotzig. »Er wollte mich wohl in Schutz nehmen.«

»Und du ihn.«

»Und?« fragte Mark herausfordernd. »Vielleicht wollte ich nicht, daß du über ihn herfällst und ihn auf deine übliche Art fertigmachst.«

»Ich mache niemanden fertig«, antwortete sein Vater betont. »Ich schätze es nur nicht, belogen zu werden, das ist alles.«

»Genausowenig wie ich.«

»Das klingt gut.« Sein Vater ging zum Tisch, leerte das Glas, das er für sich eingeschenkt hatte, mit einem Zug und nahm fast in der gleichen Bewegung das des Doktors zur Hand. Ohne Mark anzusehen, fügte er hinzu: »Und wann, bitte, habe ich dich belogen?«

Mark schwieg. Er hätte diese Frage erwarten müssen, wußte aber keine Antwort darauf. Er hatte gerade eine neue Lektion gelernt: Rhetorik allein half auch nicht weiter. Wenn er noch eine Chance haben wollte, aus dieser Runde nicht wieder als eindeutiger Verlierer herauszugehen, mußte er in die Offensive gehen.

»Also?«

»Du hättest es mir sagen können!« sagte Mark mit einer Geste auf den Aktendeckel.

»Löbach?« Sein Vater schnaubte. »Du warst doch hier, als diese beiden freundlichen Polizisten mir ihre Aufwartung gemacht haben, oder? Und wenn ich mich richtig erinnere, dann haben wir hinterher darüber gesprochen. Ziemlich ausführlich sogar.«

»Und das Bild?« fragte Mark.

»Ich wollte dir den Anblick ersparen«, antwortete sein Vater. »So hübsch ist es nicht.«

»Dieses Bild meine ich nicht.« Mark ging zum Tisch, klappte den Aktendeckel auf und fegte das Bild des toten Chemikers mit einer zornigen Handbewegung zur Seite. »Ich meine das hier.«

Sein Vater hatte sich - wenigstens äußerlich - vollkommen in der Gewalt. Er blieb ganz ruhig, während Mark das Foto mit beiden Händen ergriff und es fast triumphierend in die Höhe hob. »Also?«

Er hätte das Bild nicht anfassen sollen. Wahrscheinlich war es Einbildung, ein übriggebliebenes Teil des wieder zerbrochenen Puzzles, das sich irgendwie auf die falsche Seite der Barriere verirrt hatte, aber für einen Moment hatte er das Gefühl, daß sich das dicke Blatt unter seinen Fingern... bewegte. Es schien zu pulsieren, als wäre es kein Stück Papier, sondern ein Kokon, in dem etwas Lebendiges, Fleischiges war, das sich bewegte und hinauswollte.

»Was bedeutet das?« fragte er mühsam. Sein Herz jagte - aber war es wirklich sein eigener Pulsschlag, den er hörte, oder war es das dumpfe steinerne Schlagen eines Alptraumherzens?

»Ich habe keine Ahnung«, sagte sein Vater. Er klang überzeugend - aber seine Hände verrieten ihn. Als er das Glas hob und einen winzigen Schluck trank, zitterten sie. »Die Polizei hat mich dasselbe gefragt, und ich habe ihnen dasselbe geantwortet wie dir jetzt: Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wahrscheinlich war Löbach vollkommen verrückt. Die Polizei hat Drogen in seiner Wohnung gefunden.«

Das Bild bewegte sich jetzt ganz deutlich in seinen Händen. Er konnte es sehen. Wieso sah sein Vater es nicht?

»Du lügst!« sagte er.

Obwohl er nahe daran war, vor Angst laut aufzuschreien, konnte er das Foto nicht loslassen. Es pulsierte immer heftiger in seinen Händen. Es atmete.

»Kaum«, antwortete sein Vater gelassen. »Ich lüge nur, wenn es nötig ist. Und hier ist es nicht nötig. Warum sollte ich dich anlügen? Worüber?«

Etwas kratzte an den Wänden. Von innen. Unsichtbare Klauen aus stahlhartem Horn fuhren scharrend über Putz und Beton. Was geschah mit ihm? Begann es jetzt auch tagsüber? Im Wachen? Verlor er jetzt wirklich den Verstand?

»Was bedeutet dieses Wort?« beharrte er. »Du weißt es.«

»Azrael?« Sein Vater zuckte mit den Schultern und trank einen weiteren Schluck. »Irgend etwas aus der Bibel... Der Name eines Engels, glaube ich. Warum?«

»Weil ich ihn kenne«, antwortete Mark. Es fiel ihm immer schwerer, überhaupt noch zu reden. »Ich habe von ihm geträumt, in der vergangenen Nacht und auch vorhin. Als ich Marianne niedergeschlagen habe, da habe ich mich gegen ihn gewehrt.«

»Gegen einen Engel?« Sein Vater lachte, aber irgendwie klang es eher wie das Bellen eines Hundes. Eines sehr großen Hundes. »Wird das jetzt hier eine Geistergeschichte? Ich meine - fängst du mittlerweile an, Stimmen zu hören?«

Irgendwie gelang es Mark endlich, das Bild fallen zu lassen. Es flatterte auf die Tischplatte hinab und drehte sich dabei so, daß die belichtete Seite oben lag und Mark die dunkelroten Buchstaben weiter lesen konnte.

»Ich weiß nur, daß ich seit zwei Tagen schlechte Träume habe«, antwortete er, »und daß du mir etwas verschweigst. Was bedeutet Azrael?«

»Das habe ich dir gesagt«, antwortete sein Vater. »Und mehr weiß ich nicht. Aber ich beginne mich mittlerweile etwas anderes zu fragen, Mark. Was bedeutet dein Verhalten?«

»Lenk nicht ab«, sagte Mark, aber sein Vater machte nur eine zornige Geste.

»Das tue ich nicht«, sagte er. »Fällt dir eigentlich nicht selbst auf, wie du dich benimmst, seit du nach Hause gekommen bist?«

»Ich benehme mich -«

»- wie ein dummer Junge, der nicht weiß, was er will! Mark, ich habe versucht, dieses Gespräch zu vermeiden, aber ich fürchte, das war ein Fehler. Sprechen wir uns aus. Hier. Jetzt.«

Mark deutete auf das Bild. »Darüber?« Seit er es nicht mehr in der Hand hielt, fühlte er sich besser. Der Schrecken war noch da, aber er klang jetzt rasch ab.

»Nein, verdammt noch mal, nicht darüber!« Sein Vater fegte die Fotografie mit einer zornigen Bewegung vom Tisch. »Über dich! Was zum Teufel ist eigentlich in dich gefahren? Du hast also die Schule hingeschmissen, um nach Hause zu kommen, und ich nehme auch nicht an, daß du wieder dorthin zurückkehren willst? Was hast du jetzt vor?«

»Das hatten wir schon, oder?«

»Ja. Aber noch nicht zu Ende diskutiert.«

»Und das habe ich auch nicht vor«, sagte Mark scharf. »Und wenn du es ganz genau wissen willst, ich bin auch nicht nach Hause gekommen. Ich habe nicht vor, lange hierzubleiben.«

»Selbstverständlich nicht« Sein Vater seufzte erneut und sehr tief. »Du bist nur hierhergekommen, um mir einmal so richtig die Meinung zu sagen, nicht wahr? Und was hast du als nächstes vor? Willst du nach Australien auswandern und Känguruhs züchten?«

»Ich will -«

»Du weißt gar nicht, was du willst«, behauptete sein Vater. Er leerte sein Glas, stellte es mit einer übertrieben heftigen Bewegung auf den Tisch zurück und ließ fast eine Minute verstreichen, ehe er fortfuhr: »Du willst einfach nur protestieren. Dich auflehnen. Aber wogegen? Gegen mich? Bitte. Sag mir, was du zu sagen hast, wenn du glaubst, dich dann wohler zu fühlen. Wer weiß, vielleicht habe ich ja wirklich Fehler gemacht, ohne es zu merken. Ich werde dir zuhören. Also?«

Aber darüber wollte er nicht reden. Nicht jetzt. Er wollte über dieses Bild reden und über seine Träume. Und trotzdem: Jetzt, wo sein Vater das Thema einmal angesprochen hatte, antwortete er beinahe ohne sein Zutun. »Fehler? Ja, so kann man es auch nennen. Du hast mich bestohlen!«

»Interessant«, sagte sein Vater ruhig. »Und was habe ich dir gestohlen?«

»Meine Jugend«, antwortete Mark. »Die letzten sechs Jahre meines Lebens. Und meine Mutter.«

Das saß. Sein Vater zog den Kopf zwischen die Schultern. Er sagte nichts, doch Mark spürte, daß er seine Selbstsicherheit vielleicht zum ersten Male wirklich erschüttert hatte. »Glaubst du das wirklich?« fragte er.

»Ich glaube, daß ich die letzten sechs Jahre nicht in diesem verdammten Internat zubringen wollte«, antwortete Mark. »Ich glaube, daß ich ein ganz normales Elternhaus haben wollte. Vater und Mutter. Freunde. Keinen freundlichen Direktor und Klassenkameraden. Ich wollte hier sein. Bei euch.«

»Du weißt, daß das nicht möglich war«, antwortete sein Vater. »Deine Mutter ist krank, und -«

»- und du hattest keine Zeit«, fiel ihm Mark bitter ins Wort. »Weil du dich ja um die Firma kümmern mußtest, nicht wahr? Deine verdammte Firma. Sie stand immer an erster Stelle.«

»Ja«, sagte sein Vater ungerührt. »Sie hat es immer getan, und sie wird es immer tun. Meine Arbeit ist mein Leben. Deine Mutter hat das von Anfang an gewußt. Und sie hat es akzeptiert.«

»Ja, so ungefähr hat sie es auch ausgedrückt«, sagte Mark böse. »Heute morgen, als ich sie in der Irrenanstalt besucht habe.«

»Krankenhaus«, verbesserte ihn sein Vater. »Nicht Irrenanstalt. Das ist ein Unterschied. Was hast du vor? Willst du mir mit aller Gewalt weh tun? Es ist dir gelungen - falls es dich befriedigt, das zu hören.«

»Du kannst es nennen, wie du willst«, antwortete Mark erregt. »Für mich bist du schuld daran, daß sie dort ist.«

Ein weiterer Tiefschlag, der aber diesmal ohne Wirkung blieb, vielleicht, weil sein Vater ihn erwartet hatte. Er sah ihn nur lange und traurig an, schüttelte den Kopf und schloß dann für einen Moment die Augen, und von der Tür her sagte eine Stimme: »So war es nicht, Mark.«

Mark und sein Vater fuhren zugleich erschrocken herum. Keiner von ihnen hatte bemerkt, daß Petri zurückgekommen war und offensichtlich schon lange genug unter der Tür stand, um einen Großteil ihres Gesprächs mit angehört zu haben.

»Ich habe meine Tasche vergessen«, sagte der Arzt. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Sillmann. Ich wollte nicht indiskret sein, aber ich habe Ihr Gespräch mitgehört. Ich finde, Sie sollten es ihm sagen.«

»Bitte, Doktor«, sagte Marks Vater gepreßt. »Das hier ist eine Familienangelegenheit. Nehmen Sie es mir nicht übel - aber das geht Sie wirklich nichts an.«

»Was solltest du mir sagen?« fragte Mark scharf.

»Nichts«, sagte sein Vater.

»Daß es nicht seine Schuld ist«, sagte Petri. »Dein Vater kann nichts für das, was deiner Mutter zugestoßen ist, Mark. Es ist nicht seine Schuld.«

»Seien Sie still, Doktor!« sagte Marks Vater scharf. »Ich verbiete Ihnen, sich in Dinge zu mischen, die Sie nichts angehen!«

Petri ignorierte ihn. Er kam näher und blieb auf halber Strecke zwischen der Tür und Mark wieder stehen. »Es ist nicht die Schuld deines Vaters, Mark«, sagte er noch einmal. »Ich weiß, daß es für dich so aussehen muß, aber das stimmt nicht.«

»Petri, Sie -«

»Vater, bitte!« sagte Mark. »Laß ihn reden. Es ist sowieso zu spät.« Er wandte sich wieder an den Arzt. »Was wollen Sie damit sagen, Doktor?«

»Du hast all die Jahre über geglaubt, daß dein Vater die Schuld am Schicksal deiner Mutter trägt, nicht wahr?« fragte Petri. »Und ich nehme an, du hast ihn dafür gehaßt.«

Mark schwieg. Gehaßt? Prein hatte ihm am vergangenen Abend die gleiche Frage gestellt, und da hatte er ebensowenig eine Antwort gefunden wie jetzt. Vielleicht wollte er es gar nicht.

Aber sein Schweigen schien Antwort genug; zumindest für Petri. Der Arzt sah plötzlich sehr traurig aus. Er sah noch einmal in Richtung seines Vater und sagte leise: »Es ist besser, wenn Sie es ihm erzählen, Herr Sillmann. Früher oder später müssen Sie es sowieso. Er beginnt sich zu erinnern.« Er seufzte, schüttelte ein paarmal den Kopf und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Erst nach einigen Sekunden blickte er wieder zu Mark hoch.

»Setz dich, Mark. Ich möchte dir etwas erzählen.«

Загрузка...