51. Kapitel

Haymar hob geblendet die Hand über die Augen, als das Pförtnerhäuschen explodierte. Er hatte alles genau gesehen, obwohl die gesamte Katastrophe weniger als zwei Sekunden in Anspruch genommen hatte - der Wagen war plötzlich ins Schleudern gekommen, hatte sich anderthalbmal um seine eigene Achse gedreht und dann die Pförtnerloge so mühelos zertrümmert wie ein Panzer, der eine Campingtoilette plattwalzte. Das allein hätten Morell und sein Begleiter noch gut überleben können - die Wagen, die Haymar und seine Männer fuhren, waren gut genug gepanzert, um noch eine ganze Menge mehr auszuhalten -, aber dann explodierte der Wagen plötzlich und mit unvorstellbarer Gewalt, als hätte ihn etwas gesprengt, das sehr viel mächtiger war als die Wucht der hundert Liter Benzin im Tank. Selbst Haymar und die beiden anderen Agenten spürten noch die Hitzewelle der Explosion, obwohl sie mindestens dreißig Meter entfernt waren.

»Ach du Scheiße!« entfuhr es Andres. Er war hinter Haymar halb aus dem Wagen gestiegen und dann mitten in der Bewegung erstarrt, als die Explosion erfolgte. »Was ist denn da los?« Lech, der auf der anderen Seite aus dem Wagen gesprungen war und seinem Ruf, schießwütig zu sein, wieder einmal alle Ehre machte, indem er bereits seine MPi in Händen hielt und den Sicherungshebel herumlegte, sagte gar nichts, sondern starrte nur aus schreckgeweiteten Augen auf die lodernde Feuersäule, die sich neben dem Tor in den Himmel hinaufwälzte. Keiner von ihnen machte auch nur eine Bewegung, um zurückzulaufen. Man mußte kein Spezialist in solchen Dingen sein, um zu wissen, daß dort drüben jede Hilfe zu spät kam. Morell, Zöhler und der Pförtner waren tot.

»Dieser Idiot!« sagte Andres mit Nachdruck. »Ich hab' immer schon gesagt, daß er ein beschissener Autofahrer ist!«

Haymar schwieg dazu. Im Moment war es ihm nur recht, wenn Andres glaubte, daß Morell einfach einen Fehler gemacht oder die Gewalt über den Wagen verloren hätte. Er wußte es besser. Er wußte nicht, was dort drüben passiert war, aber er dachte an Brauss' augenloses Gesicht und das Ding im Fernglas und an zwei weitere ausgebrannte Wagen, drüben am anderen Ende der Stadt, und plötzlich hatte er Angst. Worauf hatten sie sich da eingelassen?

Er verscheuchte den Gedanken, beugte sich noch einmal in den Wagen hinein und nahm eine Maschinenpistole aus dem Geheimfach unter dem Rücksitz. Anders als Lech wählte er keine der kleinen UZIs, die zu ihrer Standardausrüstung gehörten, sondern ein größeres Modell, klobiger, schwer zu handhaben und lauter, aber auch mit wesentlich mehr Durchschlagskraft und einem größeren Magazin. Er hatte das Gefühl, sie zu brauchen.

Während er sich bewaffnete, hatte Lech die beiden ineinandergekeilten Wagen umkreist und die Beifahrertür des demolierten Mercedes aufgerissen. Er stieß einen Fluch aus, beugte sich vor und begann einen reglosen Körper aus dem Wagen zu ziehen. Haymar und Andres beeilten sich, zu ihm zu kommen, aber Haymar versäumte es auch nicht, einen raschen Blick ins Innere des Krankenwagens zu werfen. Er hatte nicht vor, sich ein zweites Mal übertölpeln zu lassen.

Der Krankenwagen war leer, und als er als letzter auf der anderen Seite ankam und sah, wen Lech da aus den Überresten von Bergers Wagen herausgezerrt hatte, fluchte Haymar erneut, und diesmal sehr viel lauter. Es war Olbrich, einer von Bergers Leibwächtern. Einer seiner Ex-Leibwächter, genauer gesagt, denn jemand hatte ihm säuberlich die Kehle durchgeschnitten.

»Verdammte Sauerei!« fluchte Lech. Er fingerte nervös an seiner MPi herum. »Was geht hier vor.«

»Der Junge«, sagte Haymar düster. »Das war der Junge. Oder diese verdammten Bullen.«

Lech blickte ihn zweifelnd an. Er war zwar ein Hitzkopf, aber das bedeutete schließlich nicht, daß er auch dumm war. »Irgendwas stimmt hier doch nicht«, sagte er. »Verdammt, was geht hier überhaupt vor? Ich denke, wir haben es mit zwei Polizisten und einem dummen Jungen zu tun? Das hier waren Profis!«

Das war etwas ganz anderes, dachte Haymar. Und ich glaube nicht, daß du wirklich wissen willst, was. Laut sagte er: »Ich weiß es nicht. Aber in einem hast du recht. Hier stimmt was nicht. Los jetzt - in den Keller.«

Lech drehte sich zwar gehorsam um, machte aber nur einen einzigen Schritt und blieb dann wieder stehen. »Berger sagte-«

»Berger«, unterbrach ihn Haymar schneidend, »ist wahrscheinlich schon tot. Und wenn nicht, dann wird er es sein, wenn wir noch lange hier herumtrödeln.«

Hintereinander stürmten sie in das Haus und den langen Korridor entlang. Lech und Andres warfen im Vorüberrennen hastige Blicke in die Zimmer, die vom Gang abzweigten, und zumindest einmal schien Lech irgend etwas Verdächtiges gesehen zu haben, denn er jagte einen kurzen Feuerstoß aus seiner Waffe durch die Tür. Glas splitterte, und etwas fiel polternd um, aber Haymar machte sich nicht einmal die Mühe, nachzusehen, was Lech getroffen hatte. Sollte er ruhig schießen, wenn er wollte. Es würde nicht viel nutzen. Sie waren in Gefahr, das spürte er, aber was immer es war, das sie verfolgte - sie wurden es ganz bestimmt nicht mit diesen Waffen erledigen können.

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