14 Präparat 261

Die Operationstechnik entwickelt sich stetig weiter. An Stelle des Skalpells treten Elektroden, Vibratoren, Ultraschallköpfe. Die Mikrochirurgie blüht auf – kleinste, nur unter dem Mikroskop sichtbare Gefäße, Adern, Nerven werden zerteilt, abgebunden, neu vernäht. Der Arzt tritt an die heikelste Aufgabe, die seiner harrt: die Gehirnmikrochirurgie.

Es war, als ob ein Instrument aufklänge. Eine gewaltige Symphonie ertönte. Ein Brausen, Klingen, Hämmern und Zischen, ein Dröhnen und Läuten, Rasseln und Pfeifen schwoll zu schmerzender Lautstärke an. Und dann verschwanden die Zirp- und Zischlaute, die Akkorde der mittleren Tonlagen fielen weg, es blieben nur dumpfe Schläge, ein Gebrumm und Geröchel, das leiser und leiser wurde und erlosch.

Nun ergoß sich eine Fülle von Licht über ihn. Gelbe Sonnen tanzten, ein Reigen blauer Sterne drehte sich, farbige Tinten flossen von allen Seiten aufeinander zu, mischten sich, verschmolzen, breiteten sich in neuer Farbenpracht aus. Als hätte jemand einen Lichtschalter umgedreht, versank plötzlich ein Teil der Buntheit, das Rot verschwand, Violett wurde zu Blau, Orange zu Gelb, Braun wechselte zu Grün. Mit einem zweiten Schlag erloschen die gelben Töne. Die Welt war blau, von einem einzigen, unvorstellbar reinen ätherischen Blau, einem Blau, das von strahlender Helle über veilchenfarbene Schattierungen bis in tintiges Schwarz reichte.

Dann wurde es Nacht, und das Fühlen endete und das Denken erlosch...

Als er wieder erwachte, versuchte er die Augen zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Er versuchte um sich zu tasten, aber er spürte keine Gliedmaßen. Er sah nichts, hörte nichts, er empfand, roch und schmeckte nichts. Nur sein Denken sagte ihm, daß er existierte. Einzelne Erinnerungen glommen auf. Er bemühte sich, die vergangenen Ereignisse ins Gedächtnis zurückzurufen, und es glückte ihm. Ein Sturzbach von Gedanken überfiel ihn, Situationen wurden plastisch, als ob er sie noch einmal erlebte, und manchmal verschwamm der Unterschied zwischen Illusion und Wirklichkeit. Dann wieder riß die Regelung seines Verstandes die Führung an sich, und er fragte sich verwundert und nicht ohne leise Angst, was für ein Zustand ihn wohl beherrschte. Sein Denken war in diesen Momenten so klar, daß er den Verdacht verwarf, ein Traum könnte ihn narren. Er deklinierte lateinische Verben, ohne zu stocken. Er stellte sich selbst mathematische Probleme, und es gelang ihm, sie zu lösen.

Der Professor kam zum Schluß seiner Ausführungen.

»... wissen, meine Damen und Herren«, dozierte er, »... man Herzen von Kaninchen und die Haut von Menschen in Nährlösungen jahrelang am Leben erhalten hat. In unserem Institut sind wir nun einen gehörigen Schritt weitergekommen. Das Präparat, das ich Ihnen jetzt zeigen kann, ist ein menschliches Gehirn. Bitte, Präparat zweihunderteinundsechzig«, wandte er sich an seinen Assistenten. Der schob auf einem fahrbaren Tischchen ein Glasgefäß in der Größe eines Aquariums in den Saal. Es war mit einer opalisierenden Flüssigkeit gefüllt, durch feine Poren traten Glasbläschen vom Boden empor. In der Mitte schaukelte der pilzartige Körper eines Gehirns, infolge der Fahrbewegung zitterte es leicht, und es schien, als ob es davonschwimmen wollte. An einigen Stellen ragten Drähte in die graue Masse hinein.

»... haben die Operation vor sieben Stunden vorgenommen«, sprach der Gelehrte. »... Drahtsonden dienen zum Messen der Gehirnströme. Achten Sie bitte auf die Zeigerausschläge der Kontrollinstrumente. Sie erkennen daran, daß das Organ noch lebt und arbeitet. Es wird für uns sehr aufschlußreich sein, wie lange wir es am Leben halten können. Und nun danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.«

Beifall klang auf. Die Zuhörer erhoben sich von den Plätzen. Nach wenigen Minuten war der Saal still und menschenleer. Noch immer stiegen Bläschen im Gefäß auf. Aber es wurden merklich weniger.

In das unbeschwerte, freie Denken hinein drang etwas Unangenehmes – ein dumpfer Schmerz legte sich wie ein Reifen um ihn.

Sein Wunsch, das Problem seiner Situation zu lösen, wurde dringender. Sein Wille bäumte sich auf.

Es waren nur Fragen, keine Antworten: Wo bin ich? Was ist mit mir geschehen? Warum empfinde ich nichts von der Außenwelt?

Ganz plötzlich breitete sich ein Gedanke aus – die Ahnung von etwas Ungewöhnlichem, Schauerlichem, Exorbitantem...

Etwas ging mit ihm vor, das er sich nicht erklären konnte. Irgend etwas schwand, verflüchtigte sich, entströmte. Er begriff es nicht, aber die Tatsache allein war für ihn ein Schock. Ein Vibrieren wollte in ihm aufkeimen, aber es ging ohne Bewegung vor sich, es erstickte am Fehlen jegliches Greifbaren...

Leere griff nach ihm.

Noch lebte das einsame Bewußtsein, aber was es empfand, war nur noch Angst. Angst, namenlose, unendliche, schreckliche Angst.

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