59 Psychotherapie

Die Maschinen wurden geschaffen, um den Menschen zu helfen. Schon das primitive Werkzeug vermag mehr als der Mensch mit seinen Gliedmaßen. Moderne automatische Maschinen demonstrieren ihre Überlegenheit so augenfällig, daß die Auseinandersetzung mit der Maschine auf einer fast persönlichen Ebene abläuft.

»... legen Sie sich ganz bequem zurück!« bat der Arzt. »... das Kissen weich?«

»Geben Sie sich doch nicht solche Mühe mit mir«, antwortete der Patient leise.

»Im Gegenteil«, protestierte der Arzt. »... werden alles tun, um Sie gesund zu machen!«

Der Patient verfiel sichtlich der Wirkung des Mittels, seine Züge wurden weich, die Augenlider glitten zu.

»Entspannen Sie sich«, befahl der Arzt. Er sprach leise und eintönig. »... schlafen jetzt ein... Alle möglichen Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf... Aber es ist alles nicht so schlimm... Es ist so, als ob es ein anderer erlebe... Es tut doch gut, einmal darüber zu sprechen... Dann ist gleich alles viel leichter... Also was war es, was Sie so sehr erschüttert hat? Sie gingen mit Ihrer Frau, die Sie so sehr geliebt haben, durch den Maschinensaal Ihrer Fabrik. Die Räder drehen sich, die Stanzen dröhnen, hören Sie es? Sie stehen vor den Pressen, Ihre Frau neben Ihnen... Und – wie geht es doch weiter?«

Der Arzt und sein Assistent standen neben der Couch. Gespannt blickten sie auf das Gesicht des Mannes hinunter, über das jetzt ein gequältes Zucken lief. Seine Lippen bewegten sich: »Suzanne... Ich hielt ihren linken Arm, ich wollte sie von den Preßhämmern wegziehen. Sie drehte sich herum, stolperte – instinktiv versuchte sie sich mit der rechten Hand irgendwo abzustützen, dabei geriet sie mit dem Unterarm unter die Preßform...«

Der Arzt warf seinem Assistenten einen Blick zu.

»Aber Suzanne ist doch nichts passiert! Sie lief weg, um sich verbinden zu lassen. Einige leichte Schürfungen, das war alles! Was erschüttert Sie dabei so?«

Der Patient begann wieder zu murmeln. Aber jedes Wort war zu verstehen: »... ist es eben. Der Hammer schlug ihr mitten auf den Unterarm, und sie hat es nicht einmal bemerkt! Erst als sie meinen Blick bemerkte, lief sie fort.

Suzanne ist ein Roboter!«

»Ihre Frau hatte in ihrer Kindheit einen Unfall. Sie trägt eine Unterarmprothese. Sie wagte nie, es Ihnen zu sagen. Das können Sie ihr doch verzeihen! Oder nicht?«

Der Kopf des Patienten sank noch ein Stück zurück, tief in die Bäusche des Kissens.

»... glaubten sich aber schon lange vorher von Robotern verfolgt«, sagte der Arzt. »Hatten Sie einmal ein böses Erlebnis mit einem Roboter? Erinnern Sie sich doch! Denken Sie zurück! War da nicht etwas, was Sie mir erzählen wollten?«

»... wuchs auf dem Land auf«, erklärte der Patient. Seine Augen blieben geschlossen. »Im Winter heizten wir einen eisernen Ofen, der an kalten Tagen richtig glühte. An einem solchen Tag saß meine Mutter einmal vor dem Ofen. Sie wandte ihm den Rücken zu. Da lehnte sie sich plötzlich ein wenig zurück und berührte das glühende Eisen.«

»... weiß«, sagte der Arzt. »... haben damals Ihre Mutter verloren. Das ist sehr traurig. Aber Sie waren ein junger, gesunder Bursche. Sie haben es doch längst überwunden.«

»... wissen nicht alles«, erwiderte der Patient. »... Rücken fing sofort zu brennen an. Er roch nach Zelluloid. Ich versuchte, das Feuer mit einem Tuch zu ersticken, aber als ich es einen Augenblick zurückzog, blieb etwas daran hängen! Ein Drahtgeflecht löste sich aus der Haut meiner Mutter! Sie war ein Roboter!«

»Nein!« gab der Arzt zurück. »... trug damals ein neues Kleid aus einem zellstoffumwobenen Kunststoffgeflecht. Der Zellstoff flammte sofort auf, der Kunststoff härtete sich im Feuer. Ihn haben Sie bemerkt. Sie haben sich geirrt. Das leuchtet Ihnen doch ein, nicht wahr?«

»... doch«, flüsterte der Patient.

»Es muß noch weiter zurückliegen«, wandte sich der Arzt zu seinem Assistenten. »... werde weiterforschen.« Er sprach wieder zum Patienten, der bleich in den Kissen lag. »... alles ist aber doch kein Grund, sich vor den Robotern zu fürchten. Noch nie hat ein Roboter einem Menschen etwas Böses getan. Vielleicht haben Sie noch etwas erlebt, etwas, was Sie erschreckt hat. Entsinnen Sie sich! War da einmal etwas? Vielleicht etwas, was noch weiter zurückliegt?«

Unruhig zuckte der Patient mit den Lidern. Furchen liefen über seine Stirn wie Stoßwellen übers Wasser. Wieder begann er zu reden: »Es war nicht lange vor dem Tod meiner Mutter. Ich spielte mit Georgy, dem Sohn des Nachbarn. Wir waren von unserem Herumtoben recht durstig geworden. Am Fenster stand ein Glas mit Salzsäure, ich hatte chemische Versuche gemacht. Georgy griff danach. Ich rief ›Nicht trinken‹ und rannte hinzu, aber er hatte schon das halbe Glas geleert. Dann erst merkte er es. Er hob die Hand zum Hals, dann bückte er sich, als müsse er sich übergeben. Er spuckte aber zuerst seine Zunge aus, dann einige Zähne und dann zwei gelbliche Knollen, von denen sich blättrige Schalen lösten. Ich sah Schrauben, mit denen die Zähne im Kiefer befestigt waren. Georgy war ein Roboter!«

»Ja«, gab der Arzt zu, »Georgy war ein Roboter. Er ist an die Zentrale eingeschickt und repariert worden. Seien Sie doch froh! Wäre er ein Mensch gewesen, wäre er kaum mit dem Leben davongekommen. So ist alles gut gegangen. Das müssen Sie doch zugeben!«

Der Patient nickte stumm.

»Nun«, sagte der Arzt, und er legte seine ganze suggestive Kraft in die Worte, erfüllt vom Willen, zu heilen. »Dann ist doch alles in Ordnung. Sie tragen nichts mehr mit sich herum, was Sie bedrückt. Sie sind nur müde und müssen jetzt schlafen. Wenn Sie aufwachen, werden Sie gesund sein!«

Er wiederholte betont: »Gesund sein!«

Der Patient regte sich ein wenig, dann zeigten tiefe Atemzüge an, daß er eingeschlummert war.

Der Assistent seufzte.

»... tun wir«, fragte er, »wenn uns noch einmal ein Fehler unterläuft?« Er klappte sein Schädeldach an den Scharnieren am Haaransatz hoch, um die Positronenschaltung zu kühlen.

Der Arzt sagte nichts. Aber er sah sehr besorgt auf das Gesicht des Menschen, das sich nun friedlich entspannt hatte.

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