60 Schicksal

Ein Mensch, der ein Glas Wasser trinkt, verurteilt damit Tausende von Bakterien zum Tod, die in seiner Magensäure umkommen. Ein Mensch, der durch eine Wiese geht, tötet mit jedem Tritt durchschnittlich fünf Kleinlebewesen – Würmer, Schnecken, Insekten. Aber er weiß es gar nicht.

Station 63 gab Alarm.

Station 62 wäre dem Katastrophenzentrum näher gewesen. Aber Station 62 existierte nicht mehr.

Von allen Seiten kamen die Hilfszüge. Wie immer standen die Menschen der Umgebung stumm vor den Türen ihrer Häuser. Wie immer hatten sie den Schatten vom Himmel fallen gesehen – einen Hammer? Eine Faust?

Neben ihnen hatte es eingeschlagen. Sie waren wieder einmal davongekommen.

Wann würde es sie treffen? Die Frage war in unzählige Gesichter gegraben.

Wie immer irrten einige Frauen heulend, mit Schaum vor dem Mund, durch die Straßen, lagen einige ohnmächtig, vom Schreck gefällt, im Staub.

Einmal schlug es da ein, einmal dort. Manchmal dauerte es lang vom einen bis zum nächstenmal, manchmal war die Pause nur kurz. Aber immer wieder kam es. Wie das Schicksal. Es war das Schicksal.

Und wie immer kam nun die Stunde der Priester.

Der Sergeant steuerte, der Leutnant saß neben ihm, beide starrten durch die gewölbte Glasscheibe.

Da schob er sich durch den Horizont – der quadratkilometerbreite Kreis, in dem alles zerstampft war. Der Rand verlief so scharf, daß Häuser klafften, wie von einem Messer auseinandergeschnitten. Und innerhalb lag das grauenvolle Muster eingezeichnet – ein riesenhafter, glatter Stadtplan, die Umrisse der Gebäude, das Gitter der Straßen, und darauf verstreute Punkte. Jeder Punkt – einst! – ein Mensch.

»... ist unmenschlich – das ist teuflisch«, flüsterte der Sergeant. »... ist es«, antwortete der Leutnant. »Wenn wir mehr über sie wüßten – wie sie leben, wie sie empfinden...« Der Sergeant führte die Frage nicht zuende.

»... wissen es aber nicht«, antwortete der Leutnant.

»... wie müssen sie uns hassen, hassen!« Der Sergeant war bleich vor Empörung, fast zitterte er.

»Hassen Sie uns?« fragte der Leutnant. Und er fügte leise, mehr für sich selbst, hinzu: »Vielleicht beten sie uns an...«

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