6 Havarie

Das Unbekannte macht uns angst, besonders das bewegliche, lebende, handelnde Unbekannte. Es ist ein gesunder Trieb, der uns fremdes scheuen läßt. Aber – und das gilt genauso für andere Instinkte – hat er heute, hat er morgen noch Berechtigung?

Der Flugkörper verlor schnell an Höhe. Immer wieder lief ein Vibrieren durch den Rumpf, und dann wurden die Kreise der Kraterwälle auf dem Bildschirm ruckweise größer.

Der Ingenieur war auf den Absprung vorbereitet. Der Fallschirm saß fest an seinem Rücken, die Zellstoffhülle mit dem Handsender, den Sauerstoffkapseln und den Energontabletten lag neben der Luke zur Schleusenkammer.

Unbewegt hockte der Ingenieur am Schalttisch, über ein abgegriffenes Foto gebeugt – das Bild seiner Mutter. Er hatte keine Eile. Der steuerlose Flugkörper konnte noch lange treiben, ehe er Bodennähe erreichte. Vielleicht eine Viertelstunde, vielleicht auch noch viel länger.

Dann streiften die Blicke des Ingenieurs zufällig den Bildschirm, und mit einem unartikulierten, erschreckten Ruf sprang er auf. In das Sichtfeld schob sich langsam ein bewegter, glitzernder Keil: eine Wasserfläche, ein unbekanntes Meer auf diesem fremden Weltkörper. Der Ingenieur riß den Nothebel nach vorn, der ihm beide Luken der Schleusen zugleich öffnete, und ließ sich in die Tiefe fallen. Das Bündel mit den eisernen Rationen blieb im Raumschiff zurück.

Unzählige Male hatte der Ingenieur das Abspringen geübt. Er überwand den Schock der Fallbewegung und legte mechanisch die Hand an die Reißleine.

Noch befand er sich über dem Meer, das eine Hälfte des Horizonts erfüllte. Doch der Wind wehte gegen das Land, und als sich der Fallschirm geöffnet hatte, trieb er stetig gegen das Ufer zu.

Der Ingenieur konzentrierte alle Gedanken auf seine Landung. Er setzte hart auf und kappte sofort den Tragriemen. Der Fallschirm blähte sich noch einmal auf und flatterte mit den Windstößen am Boden streifend, landeinwärts.

Mühsam erhob sich der Ingenieur vom Boden. Die Anziehungskraft dieses Planeten war ungewohnt stark – sie drohte ihn in die Knie zu zwingen. Und dann durchlief ihn der Schauer einer unaussprechlichen Angst. Die Finger seiner Linken, die durch die Schutzhülle hindurch bis jetzt das Stückchen Papier der Fotografie gehalten hatten, lösten sich, und das bunte Bild flatterte zur Erde. Um ihn herum bewegten sich in langsamen, kriechenden Bewegungen mattschimmernde, kuppelförmige Gehäuse, jedes etwa zwei Meter hoch, jedes mit einem Greifer ausgerüstet, und eines dieser Dinge steuerte direkt auf ihn zu. Zwei Sekunden zögerte er, dann wandte er sich zur Flucht.

Er stolperte über glatte Krusten eines rotbraunen, glasigen Materials, das unter seinen Füßen splitterte. Er übersprang Gräben, durch die eine dampfende, schwarze Flüssigkeit träge dem Meere entgegenschlich. Er wich schulterhohen Mauerstreifen aus, die ohne ersichtlichen Zweck kreuz und quer durch das Ödland liefen.

Aber er hielt es nicht lange aus. Viel zu schwach waren die Muskeln seines an andere Schwereverhältnisse gewöhnten Körpers. Er strauchelte, raffte sich wieder auf und schleppte sich schließlich auf allen vieren weiter.

Das dunkle, fahrzeugartige Gebilde folgte ihm lautlos, nicht schnell, doch unbeirrt wie eine Maschine.

Schließlich war der Ingenieur am Ende seiner Kräfte. An eine der niederen Mauern gelehnt, sah er das Ding herankommen, näher und näher. Und dann schwenkte der Greifer aus und richtete sich auf seinen Oberkörper. Dicht vor seiner Brust hielt die metallene Zangenhand. Der Ingenieur preßte sich an die Wand und wagte nicht aufzusehen. Doch es blieb alles still. Allmählich faßte er wieder Mut und öffnete die Augen. Etwas Helles, Buntes schimmerte in der Greiferhand. Instinktiv griff er danach und willig lösten sich die Kuppen der Metallfinger. Es war das Bildchen seiner Mutter, das er zuvor achtlos hatte zu Boden fallen lassen.

Da richtete er sich aus seiner verkrampften Stellung auf und schöpfte wieder Hoffnung.

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