43 Der Schmarotzer

Auf fremden Planeten gibt es Dinge, die man auf der Erde nicht kennt. Sie brauchen gar nicht gefährlich zu sein, aber man muß mit ihnen umgeben können. Am besten, man hält sich an die Vorschriften.

Ruth hatte wieder ein Verbot der Sirianer übertreten. Sie hatte eine Pflanze gepflückt. Sie hatte die Pflanze nicht nur gepflückt, sondern auch mit ins Haus genommen. Sie hatte sie nicht nur ins Haus gebracht, sondern auch in einer Vase ins Zimmer gestellt. Und sie schlief in diesem Zimmer.

Als sich Cumulus aus der Erstarrung löste, in die er sich unter schreckhaften Eindrücken immer versetzte, verspürte er Schmerz. Ein Großteil seiner Wurzelarme war abgerissen. Mit seinen runden, gelben, doldenartig angeordneten Augen nahm er die ultraroten Strahlen seiner Umgebung auf. Er hing in einem bauchigen Gefäß, sein Unterleib lag im Wasser. Er mußte schleunigst alkali- und erdalkalihaltigen Nährboden finden, wenn seine Verletzungen ausheilen sollten. Mit seinen Geißeln schob er sich über den Rand des Gefäßes und begann seine Suche.

Er war ein wenig verärgert und ein wenig hatte er Angst. Die Umgebung war ihm fremd. Nirgends fand er die weiche, nachgiebige Magnesiterde, nirgends die belebende, angenehme Wärmeausstrahlung, die sonst immer vom Erdinnern heraufkam. Der Boden hier war kalt und hart. Langsam schob sich sein vielgegliederter Körper durch den Raum. Da hörte er ein Geräusch, und seine Augen reagierten auf einen Reiz, der von einem länglichen Körper ausging. Er wandte sich in diese Richtung und kroch mühsam an einem senkrechten Hindernis empor. Er hatte recht getan. Es war ein weicher, warmer Körper, und als er seine Wurzeln einbohrte, spürte er die sättigenden Calciumsalze. Er erneuerte zunächst seine verlorenen Gliedmaßen und gewann so neue Wurzelarme, die er ebenfalls sacht in die Tiefe führte. Das war zwar nicht der gewohnte Boden, aber doch besser als die Ödnis seiner übrigen neuen Umgebung.

Ruth hatte unruhig geschlafen, seltsame beklemmende Träume hatten sie gequält. Als sie nun erwachte, spürte sie einen Fremdkörper an der Schulter. Noch halb im Schlaf tappte sie hin, aber das Ding hielt wie angeklebt, und als sie heftiger zog, schmerzte es. Jetzt erst wurde sie ganz wach und sah ihre Pflanze auf der linken Schulter hocken. Sie schrie auf. Als sie sich aufrichten wollte, bemerkte sie, daß ihr linker Arm in seiner Bewegung behindert war. Es kostete sie ungeheure Anstrengung, ihn zu heben. Und dazu kam eine lähmende Müdigkeit, die im ganzen Körper saß. Sie sank wieder auf ihr Lager zurück und weinte hemmungslos.

So fand sie Jennie, die nach dem Rechten sah, weil Ruth nicht zum Frühstück erschienen war. Trotz ihres Entsetzens versuchte sie der Freundin zu helfen, aber ihr Zerren verursachte Ruth Schmerzen, die bis zum Herz hinunterreichten. Jennie holte den Arzt.

Dr. Ford war Chirurg. Wo er mit dem Messer heilen konnte, tat er es mit Begeisterung. Er entschloß sich auch in diesem Fall sofort zu einer Operation. Doch nach der Röntgendurchleuchtung wurde er sehr nachdenklich.

»... Wurzeln reichen bis zur Aorta«, sagte er. »Es ist zu spät zum Operieren. Hier kann niemand mehr helfen.«

»Vielleicht wissen die Sirianer, was zu tun ist«, hoffte Jennie.

Ihr Gastgeber war ein altes, ziegenbockähnliches Männchen. Mißbilligung sprach aus seinen Augen. Er sah das Gewächs auf Ruths Schulter und fragte erstaunt: »... es denn nicht freiwillig gegangen?«

Verständnislos sahen ihn die anderen an. Er griff ins Geflecht der Stengel und Blätter des Lebewesens und weckte es durch langsames Streicheln aus seiner Bewegungslosigkeit.

»Hier gehörst du doch nicht her«, sagte er zärtlich und leise. »... bist du denn ins Zimmer gekommen? Das sind Menschen. Sie tun dir nichts. Kriech hinaus. Draußen gibt es warmen, würzigen Boden. Laß los, ich bringe dich hinaus!«

Ein Zittern lief über die Haut der Blätter. Die gelbe Dolde drehte sich wiegend. Dann schob und wand sich eine Wurzel aus der Haut des Mädchens, eine andere folgte, sie krümmten und streckten sich, tasteten umher und ringelten sich schließlich ein.

Der Sirianer nahm das Wesen und trug es behutsam hinaus zu seiner Kolonie, einer weiten, ovalen Fläche mit Millionen Dolden aus perlenartigen gelben Kugeln. Er setzte es auf eine freie Stelle und beobachtete, wie es sich wohlig räkelte und die Wurzeln in die Erde senkte.

Das konnte ich wieder in Ordnung bringen, dachte der Sirianer und sah zu seinen Gästen hinüber, die in Gruppen vor dem Haus standen. Er war sehr nachdenklich. In seinem Blick war keine Spur von Freundschaft.

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