Über die Kräfte, die die Atome zusammenhalten und aneinanderbinden, wissen wir einiges, wenn auch nicht alles. Die Kräfte, die den Menschen zum Handeln zwingen, sind uns noch weitgehend unbekannt. Manches Unglaubliche, was auf diesem Gebiet geschieht, geht vielleicht auf naturwissenschaftliche Ursachen zurück. Manches mag auch nur der Einbildung entspringen. Aber auch für Einbildungen muß es Ursachen geben.
Eines Nachmittags kramte ich sie oben am Speicher aus. Sie war grau und unansehnlich – eine altmodische Stoffpuppe, wie man sie um die Jahrhundertwende auf Kanapees und Schaukelstühlen finden konnte. Doch als ich den Staub mit dem Ärmel fortwischte, sah ich, daß sie noch tadellos erhalten war. Ohne Zögern nahm ich sie mit mir und gab sie meiner Tochter zum Spielen.
Am nächsten Nachmittag beobachtete ich die Kleine vom Fenster aus – sie stand an der Brücke, die hinter unserm Haus die Isar überquert. In der einen Hand hielt sie ihren großen bunten Ball, in der anderen die Puppe. Und plötzlich hob sie den Arm und warf den Ball in einem weiten Bogen in den Fluß, dann drehte sie sich um und lief hastig unserem Hause zu. Als ich sie später wegen dieses Vorfalles zur Rede stellte, konnte sie mir keine Erklärung geben.
Drei oder vier Tage später kam ich zufällig in ihr Spielzimmer. Das Kind sah blaß und müde aus und hatte Schatten unter den Augen. Aber noch etwas fiel mir auf, ein unangenehmer Geruch wie von verbrannten Lumpen. Er rührte offenbar vom Ofen her. Als ich die Kamintür öffnete, schlug mir eine Wolke beizenden Rauches entgegen. Er kam von einem unansehnlichen glimmenden Bündel – ich konnte gerade noch erkennen, daß es die Reste des Wollbären waren, den ich für das liebste Spielzeug meiner Tochter gehalten hatte. Bei dem Anblick brach das Kind in helles Weinen aus. Trotz meines eindringlichen Fragens stammelte es jedoch nur: »... Puppe, die Puppe!« Diese saß in einer Ecke auf dem Kinderschemel und schien mit einem fast boshaften Blick zu uns herüber zu sehen.
Ich nahm die Puppe, die das Kind offenbar irgendwie schreckte, mit mir und setzte sie – einem plötzlichen Einfall folgend – ins Zimmer meiner Schwiegermutter.
Sie erinnern sich vielleicht daran, daß diese im März ihren Besuch bei uns plötzlich abbrach und mit allen Anzeichen von Verstörtheit abreiste. Heute erst fällt mir auf, daß dies auch die Zeit ist, seit der sie ihr Rubinhalsband nicht mehr trägt.
Damals kam mir dies alles noch scherzhaft vor. Ich will jetzt nicht aufzählen, was für Experimente ich noch mit der Puppe vorgenommen habe – schwerwiegende Folgen hatte nur das letzte:
Gestern habe ich die Puppe dem Jungen des Wegmachers gegeben. Ich wollte sehen, ob der Bengel, dessen liebste Beschäftigung es war, im Wald hinter der Stadt herumzustreifen und Vögel zu fangen, mit der Puppe fertig würde.
Heute brach das Feuer aus. Trotz aller Löschversuche brannte der Wald vollkommen ab. Auch ich beteiligte mich an den Feuerwehrarbeiten – bis ich den Wegmacherjungen am Rande des Feuers stehen sah. Er stand an einer Felsgruppe und starrte in die Flammen. Nicht weit von ihm lag die Puppe...
Nun habe ich sie vor mir am Schreibtisch. Da lehnt sie an einem Bücherstoß und ihre gläsernen Augen blicken mich merkwürdig an. Zwingend ist dieser Glanz in den starren Pupillen, eine unerklärlich lähmende Macht geht von ihnen aus. Ich bin nicht mehr mein eigener Herr. Meine Gedanken laufen anders, als ich will. Unheimliche Wünsche steigen in mir auf – und ich muß ihnen nachgeben.
Ich weiß noch nicht, was ich tun werde.
Aber es wird etwas ganz Seltsames sein.