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Etwas war faul, und zwar in Sugar Hollow. Eine Gruppe von Grundschülern, die am Mittwoch eine Exkursion auf einem Naturpfad unternahm, stieß auf die Überreste eines Menschen. Bei der großen Hitze wimmelte die Leiche von Würmern.

Von dem Gestank tränten den Kindern die Augen, und einige mußten sich übergeben. Dann rannten sie wie der Teufel durch den Hohlweg zum nächsten Telefon.

Cynthia Cooper nahm den Anruf entgegen. Danach traf sie sich mit Sheriff Rick Shaw auf dem Parkplatz von Sugar Hol­low. Der Leiter des Zeltlagers, ein hübscher junger Mann von neunzehn Jahren namens Calvin Lewis, führte den Sheriff und seine Stellvertreterin zu dem grausigen Schauplatz.

Cynthia zog ein Taschentuch heraus und hielt es sich vor Mund und Nase. Rick bot Calvin eins an. Der junge Mann nahm es dankbar entgegen.

»Und Sie?« fragte er.

»Ich halt mir die Nase zu. Ich hab schon mehr von so was ge­sehen, als Ihnen lieb sein kann.« Rick ging zu der Leiche.

Cynthia, darauf bedacht, die Leiche nicht anzurühren und das Gelände ringsum nicht zu zertreten, nahm die schwärzliche Masse von Kopf bis Fuß in Augenschein.

Dann entfernten sie sich von dem Gestank und gingen zu Cal­vin, der wohlweislich Abstand gehalten hatte.

»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen, als Sie die Leiche ge­funden haben?« fragte Rick.

»Nein.«

Cynthia kritzelte etwas in ihr Notizbuch. »Mr. Lewis, wie sieht es mit abgebrochenen Zweigen aus, oder mit Schleifspu­ren, falls die Leiche durchs Unterholz gezogen wurde?«

»Nichts dergleichen. Wenn wir keine Pilze gesucht hätten - die Klasse soll verschiedene Pilzarten bestimmen -, ich glaube nicht, daß wir. äh, das da gefunden hätten. Ich hab's gerochen und bin, äh, meiner Nase gefolgt. Der Gestank war überall so stark, daß ich ihn zuerst nicht orten konnte. Wenn ich das ge­wußt hätte, dann hätte ich die Kinder ferngehalten. Leider haben einige die Leiche gesehen. Das wollte ich nicht - ich hätte ihnen gesagt, es sei ein totes Reh.«

Rick legte dem jungen Mann den Arm um die Schultern. »Ein ziemlicher Schock. Es tut mir leid.«

»Die Kinder, die das gesehen haben - ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll. Sie werden noch wochenlang Alpträume ha­ben.«

Cynthia sagte: »Es gibt eine Menge guter Therapeuten hier in der Gegend, die Erfahrung darin haben, Kindern über ein Trauma hinwegzuhelfen.« Sie verschwieg, daß die meisten Therapeuten nie in so enge Berührung kommen mit dem nack­ten Leben oder vielmehr dem nackten Tod.

Nachdem sie das Gelände um den Leichnam abgeriegelt hat­ten, warteten Cynthia und Rick auf ihre Mannschaft. Calvin ging wieder zu den Schülern auf dem Parkplatz.

Rick lehnte sich an eine große Eiche und zündete sich eine Zigarette an. »Ist lange her, seit ich so was zuletzt gesehen ha­be. Ein regelrechter Würmerhamburger.«

»Der ganze Rücken ist weggeschossen. Eine .357er Ma­gnum?«

»Größer.« Rick schüttelte den Kopf. »Muß einen lauten Knall gegeben haben.«

»Die Leute ballern doch dauernd mit Schießeisen in der Ge­gend herum.« Cynthia schnorrte eine Zigarette von ihrem Chef. »Auch wenn keine Jagdsaison ist.«

»Ja, ich weiß.«

»Noch ein paar Tage, und die Tiere hätten wohl die Arme ab­gerissen, und die Beine auch. Wenigstens ist die Leiche intakt.«

»Hoffen wir, daß uns das weiterhilft.« Er blies eine blaue Rauchwolke aus, was sich beruhigend auf ihn auswirkte. »Wis­sen Sie, hier hat es früher mal Schwarzbrennereien gegeben. Klares Bergwasser. Einfach ideal. Die Kerle hätten einen glatt abgeknallt. Die Hanfanbauer haben da subtilere Methoden. Hier auf alle Fälle.«

»Hier ist weit und breit keine Brennerei - glaub ich wenig­stens nicht.«

Rick schüttelte den Kopf. »Nicht mehr, seit Sugar Hollow für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Haben Sie das Zeug je getrun­ken?«

»Nein.«

»Ich schon, ein einziges Mal. Brennt wie der Teufel. Heißt ja nicht umsonst heiße Ware<.« Er sah über die Schulter zu der Leiche. »Bin neugierig, in was wir da reingeraten sind.«

»Schätze, das werden wir herausfinden.«

»Könnte eine Weile dauern, aber Sie haben recht. Jedesmal, wenn ein Mord geschieht, hoffe ich, daß es ein Einzelfall ist und nicht der Anfang von. Sie wissen schon.«

Sie wußte, er meinte einen Massenmörder. Bislang war so et­was in ihrer Gegend noch nicht vorgekommen. »Ich weiß.

Oje, da kommen Diana Robb und die Mannschaft. Wenn Dia­na mich rauchen sieht, kriege ich einen Grundkurs in Gesund­heit verpaßt.« Cynthia trat flugs ihren Zigarettenstummel in der weichen Erde aus.

»Würde das was nützen?«

»Aber sicher - bis zur nächsten Zigarette.«

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