Little Marilyn übergab Rick Shaw die Briefe noch am selben Abend. Als er kam, verpflichtete er alle zu Stillschweigen. Mim wollte wissen, was er zu unternehmen gedenke, was dabei herauskommen könne, und er antwortete schließlich: »Das weiß ich nicht genau, aber ich werde alles tun, um dahinterzukommen. Ich schiebe das nicht auf die lange Bank, da können Sie sich auf mich verlassen.«
»Mir bleibt nichts anderes übrig.« Sie schürzte die Lippen.
Nachdem er gegangen war, löste sich die Gruppe auf, um nach Hause zu gehen. Little Marilyn zog Harry still beiseite und fragte nervös: »Wärst du mir sehr böse - und glaub mir, ich würde es verstehen -, aber wenn nicht, hättest du was dagegen, wenn ich Blair frage, ob er mit mir nach Richmond zum Konzert fährt?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Weißt du, ich bin nicht sicher, wie es mit euch steht - nein, so wollte ich es nicht ausdrücken, aber.«
»Ist schon in Ordnung. Ich weiß es auch nicht genau.«
»Hast du ihn gern?« Sie merkte nicht, daß sie ihre Hände verkrampfte. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sie gerungen.
Harry holte tief Luft. »Er ist einer der bestaussehenden Männer, die mir je vor die Augen gekommen sind, und ich mag ihn. Ich weiß, dir gefällt sein lockiges Haar.« Sie lächelte. »Aber Blair ist zurückhaltend, gelinde gesagt. Er mag mich, aber ich glaube nicht, daß er in mich verliebt ist.«
»Weshalb dann der Streit auf der Party?«
»Zwei Hunde um einen Knochen. Ich frage mich, ob es um mich ging oder nicht vielmehr um Besitzansprüche.«
»O Harry, du bist zynisch. Ich glaube, beide haben dich sehr gern.«
»Sag mir, Marilyn, was bedeutet es für einen Mann, eine Frau gern zu haben?«
»Ich weiß, was sie sagen, wenn sie was von dir wollen.« Little Marilyn hielt inne. »Und sie kaufen dir Geschenke, sie geben sich alle Mühe, sie tun alles, um deine Aufmerksamkeit zu erringen. Aber ich bin keine Expertin in Sachen Liebe.«
»Wer ist das schon?« Harry lächelte. »Miranda vielleicht.«
»Sie hat George jedenfalls um den Finger gewickelt.« Dann hellte sich Little Marilyns Miene auf. »Weil sie wußte, daß der Weg zum Herzen eines Mannes durch den Magen geht.«
Beide lachten, worauf Mim und Mrs. Hogendobber sich nach ihnen umdrehten.
»Wie könnt ihr in so einer Situation lachen?« fuhr Mim sie an.
»Das löst die Spannung, Mutter.«
»Such dir eine andere Methode.«
Little Marilyn flüsterte Harry zu: »Ich könnte sie prügeln. Das würde bestimmt helfen.«
Harry flüsterte zurück: »Unterstützung wäre dir gewiß.«
»Mutter meint es gut, aber sie kann einfach nicht aufhören, allen zu sagen, was sie und wie sie es zu tun haben.«
»Wollt ihr beide wohl nicht so tuscheln!« befahl Mim.
»Wir haben über hohe Absätze als Waffe gesprochen«, schwindelte Harry.
»Oh.«
Little Marilyn nahm den Faden auf. »Nach all den Gewalttaten - Schüsse, Erdrosseln - unterhalten wir uns darüber, was wir tun würden, falls uns jemand angreift. Also, einfach die Schuhe ausziehen und ihn mit dem Absatz aufs Auge schlagen. So fest du kannst.«
»Grauenhaft. Oder ihn auf den Hinterkopf schlagen, wenn er rennt«, fügte Harry hinzu.
»Harry.« Mim starrte auf Harrys Füße. »Sie tragen doch nur Turnschuhe.«
»Erinnerst du dich an Delphine Falkenroth?« fragte Miranda Mim.
»Ja, das ist doch die, die gleich nach dem Krieg als Mannequin nach New York gegangen ist.«
»Als sie einmal ein Taxi anhielt, ist ihr ein Mann zuvorgekommen und hineingesprungen. Delphine sagte, sie hat sich an der Tür festgehalten und mit ihrem hohen Absatz so oft auf seinen Schädel eingeschlagen, daß er geflucht hat wie ein Besenbinder, aber er hat ihr das Taxi überlassen.« Sie machte eine kurze Pause. »Natürlich hat sie ihn geheiratet.«
»Ach, so hat sie Roddy kennengelernt? Das hat sie mir nie erzählt.« Mim genoß die Geschichte.
Harry flüsterte wieder mit Little Marilyn. »Der Pfad der Erinnerungen. Ich hole jetzt Mrs. Murphy und Tucker und mache, daß ich nach Hause komme.«
Sobald sie zu Hause war, rief sie Cynthia Cooper an, die bereits über die gefälschten Stempelfarben informiert war.
»Coop, mir ist was eingefallen.«
»Ja?«
»Sind Sie bei Hassett gewesen, um festzustellen, ob sich jemand daran erinnert, daß Kerry die Pistole gekauft hat?«
»Das war mit das erste, was ich getan habe, nachdem Hogan ermordet wurde.«
»Und?«
»Die Papiere stimmten überein, die Registriernummer des Führerscheins war identisch.«
»Aber der Verkäufer.«
»War in Urlaub. Einen Monat Camping in Maine. Müßte inzwischen zurück sein.«
»Sie gehen natürlich noch mal hin.«
»Sicher - aber ich hoffe, es wird nicht nötig sein.«
»Was haben Sie vor?«
»Streng geheim.«