23

»Nie, nie wieder werde ich mit dir reden!« zischte Mrs. Murphy.

»Nur einmal noch«, gurrte Dr. Parker, als sie der Katze die Tollwutimpfung verpaßte. »So, das hätten wir mal wieder.«

Die Ohren flach angelegt, machte Mrs. Murphy einen Buckel, dann schoß sie vom Behandlungstisch und raste durch das Zimmer.

»Murphy, beruhige dich.«

»Du hast mich angelogen, um mich hierherzukriegen«, heulte Mrs. Murphy.

Die Ärztin prüfte ihre Nadeln. »Sie hört gleich auf. Das macht sie einmal im Jahr, und ich nehme an, nächstes Jahr tut sie's wieder.«

»Ich werd dran denken, wenn das Jahr um ist. Dann steig ich nicht in den Wagen.« Murphy setzte sich, die Ohren immer noch angelegt, mit dem Rücken zu den Menschen.

»Komm«, redete Harry ihr zu.

Die geschmeidige Tigerkatze wollte sich nicht von der Stelle rühren oder ihrer Freundin auch nur das Gesicht zuwenden. Menschen zeigen die kalte Schulter. Katzen zeigen den kalten Körper.

Harry schob ihr eine Hand unter das Hinterteil, legte die ande­re um ihren Brustkasten und hob sie hoch. »Du warst ein tapfe­res Mädchen. Jetzt fahren wir nach Hause.«

Als sie in die Stadt zurückfuhren, starrte Mrs. Murphy aus dem Fenster, immer noch mit dem Rücken zu Harry.

»Schau, Murphy, ich find's grauenhaft, wenn du deinen Kol­ler kriegst. Die Spritzen sind zu deinem Besten. Nach dem, was du und Tucker letztes Jahr angestellt habt, kann ich euch un­möglich zusammen zu Dr. Parker schleppen. Es hat mich 123 Dollar gekostet, die Vorhänge in ihrem Wartezimmer zu erset­zen. Weißt du, wie lange ich arbeiten muß, um 123 Dollar zu verdienen? - Ich.«

»Ach, halt die Klappe. Ich will nichts davon hören, wie arm du bist. Mein Hinterteil tut weh.« »Heul doch nicht so. Murphy - Murphy, schau mich an.« Die Katze sprang herunter und kauerte sich auf den Boden.

Harry hob die Stimme. »Wag es bloß nicht, ins Auto zu pin­keln. Ich warne dich.« Sie fuhr schleunigst an den Straßenrand, stieg aus und machte die Beifahrertür auf. Sie nahm Murphy auf den Arm und ging mit ihr in ein Feld. »Wenn du mußt, mach hier.«

»Ich werde nicht tun, was du mir sagst.« Murphy hockte sich zwischen die Gänseblümchen.

Als Harry in Crozet ankam, waren Katze und Mensch total geschlaucht. Harry hielt vor Markets Laden. Als sie die Autotür öffnete, drückte sich Mrs. Murphy fix an ihr vorbei und rannte zur Ladentür.

»Mach auf, Pewter, mach auf. Sie foltert mich!«

Harry stieß die Glastür auf, und die Katze rannte zwischen ih­ren Beinen durch. Als Pewter das Klagen hörte, lief sie zu ihr, um ihre Nase zu berühren und sie tröstend zu beschnuppern.

»Was ist passiert?«

»Dr. Parker.«

»Oh.« Pewter leckte Mrs. Murphy mitfühlend die Ohren. »Das tut mir leid. Ich bin nach diesen ekligen Spritzen immer einen ganzen Tag krank.«

»Einmal, bloß ein einziges Mal will ich mit Harry zum Arzt gehen und zusehen, wie sie eine Spritze verpaßt kriegt.« Mur­phy plusterte den Schwanz auf.

»Arm oder Hintern?«

»Beides! Soll sie leiden. Dann kann sie nicht sitzen, und ich will sehen, wie sie einen Heuballen hochwuchtet.« Murphy leckte sich die Lippen. »Wenn sie die Tür aufmacht, laß uns zu Miranda rüberlaufen. Ich will Harry brüllen hören.«

»Wo ist Tucker?«

»Bei Susan.«

»He, sie geht raus. « Murphy folgte Harrys Turnschuh, und als die Tür aufging, flitzte sie hinaus, gefolgt von der nicht ganz so flinken Pewter. »Mir nach. «

Harry dachte, Mrs. Murphy wollte zum Wagen. Als die Katze sich nach links schlängelte, wußte sie, daß an diesem Tag mal wieder alles schiefgehen würde. Sie legte den Salat und die englischen Muffins auf den Autositz und ging den Katzen nach. Würde sie rennen, dann würde Murphy auch rennen, und zwar schneller als sie. Die Missetäterinnen schlenderten gemächlich hinter das Postamt.

»Murphy!« rief Harry, als sie die Gasse erreichte. Sie konnte unter einer blauen Hortensie am Gassenrand einen getigerten Schwanz hervorlugen sehen. Jedesmal, wenn sie Murphys Na­men rief, zuckte der Katzenschwanz.

Zwei Autos kamen von beiden Enden der Gasse aufeinander zugefahren, Kerry McCray in einem, Aysha und Norman Cra­mer in dem anderen. Kerry hielt hinter Markets Laden, und gleich nach ihr kam Hogan Freely, der neben ihr hielt. Norman zögerte einen Augenblick. Zu spät, um abzuhauen. Aysha koch­te vor Wut, als Harry ans Fenster trat.

»Hi, Harry.« Und den anderen hinter ihr rief Norman zu: »Hallo, Hogan. Hi, Kerry.«

Sie nickten und traten in den Laden.

»Wenn du durch die Gasse fährst, roll schön langsam. Mrs. Murphy und Pewter toben durch die Gegend.«

»Ich stell den Wagen hinter dem Postamt ab.« Er lächelte. Aysha nicht. »Wir müssen Papiertücher kaufen.«

»Norman.«

»Bloß eine Sekunde, Liebeleien. Bin gleich wieder da.«

Wortlos öffnete sie die Tür und ging ihm nach. Das fehlte noch, daß sie ihn allein mit Kerry da reingehen ließ.

Hin und her gerissen zwischen widersprüchlichen Impulsen, blieb Harry wie angewurzelt stehen. Sie wollte Murphy einfan­gen. Andererseits, sie war nur ein Mensch. Wenn Kerry und Aysha nun wieder durchdrehten? Da kam Mrs. Hogendobber in ihrer Schürze aus der Hintertür ihres Hauses. Harry winkte sie heran, erklärte schnell, was los war, und die zwei gaben sich große Mühe, nicht den Laden zu stürmen.

Pewter kicherte. »Schau sie dir an, diese beiden.«

Murphy schmollte. »Ich bin beleidigt. Soll sie mich auf Hän­den und Knien bitten, zum Wagen zurückzukommen.«

Im Laden griff sich jeder ein paar Sachen von den Regalen, um nicht zu auffällig zu wirken. Wie es der Zufall wollte, ka­men Susan Tucker und Reverend Jones herein.

»Was macht das Golfen?« fragte Herb Hogan.

»Die weiten Schläge klappen ganz gut. Die kurzen.« Hogan hielt den Daumen abwärts.

»Tut mir leid, das mit den Verlusten bei der Bank. Ich kann mir vorstellen, wie Sie das belastet.« Die tiefe, volltönende Stimme des Reverend bewirkte, daß sich der Angesprochene bereits besser fühlte.

»Ich habe das Problem hin und her gewendet. Von oben nach unten. Alles habe ich probiert. Und immer noch nichts gefun­den.«

Aysha und Norman traten zu ihnen. Kerry hielt sich im Hin­tergrund, aber sie dachte gar nicht daran zu gehen. Susan gesell­te sich zu der Runde, und Harry blieb einen Schritt zurück bei Kerry. Mrs. H. ging zu Market hinter die Theke.

»Es ist im Computer«, platzte Susan heraus.

»Susan, die Computertechniker haben unser System über­prüft.« Norman zog ein Gesicht. »Nichts.«

»Der Threadneedle-Virus.« Susan strahlte. »Harry und ich.«

»Nein, halt«, protestierte Harry.

»Also gut, es war Harrys Idee. Sie meinte, das Fehlen der Gelder wurde ein, zwei Tage nach der Threadneedle-Panik be­merkt und.«

»Die haben wir im Keim erstickt.« Norman verschränkte die Arme.

»Das ist es ja eben«, erklärte Harry. »Wie immer die Befehle lauteten, es muß da einen Zusatz gegeben haben, um eine Ver­zögerung zu erwirken und dann einen Geldtransfer auszulösen.«

»Eine Art Aussetzung.« Hogan rieb sich das Kinn, wie immer, wenn seine Gedanken rasten. »Äh-hm. Ich weiß nicht. Wir wis­sen aber, daß das Problem nicht im Computer ist; wenn wir also den Ablauf nachvollziehen können, wissen wir, woran wir sind.«

»Es könnte etwas ganz Einfaches sein, sagen wir mal, wenn man das Wort Threadneedle eingibt, erfolgt der Befehl, Geld zu entnehmen«, spekulierte Susan.

»Tja, meine Damen, bei allem gebührenden Respekt, so ein­fach ist das nicht. Wenn es das wäre, dann hätten wir es gefun­den.« Norman lächelte matt.

Den Blick auf Kerry gerichtet, flötete Aysha: »Schatz, laß uns gehen, sonst kommen wir zu spät zu Mutter zum Abendessen.«

»O ja, natürlich.«

»Ich glaube, ich pussel heute abend ein bißchen in der Bank herum. Ich kann am besten nachts arbeiten, wenn es ruhig ist. Ihr habt mich auf eine Idee gebracht, ihr zwei.« Hogan sah von Susan zu Harry.

Norman verdrehte die Augen. Aysha und Kerry sahen es bei­de. Mit betont ruhiger Stimme sagte er: »Aber Chef, daß Sie mir bloß nicht meine Dateien durcheinanderbringen.« Darauf folgte ein krampfhaftes Lachen.

»Keine Sorge.« Hogan griff nach seiner Lebensmitteltüte. »Diese Törtchen, Miranda - ein Gedicht.« Er ging.

Norman und Aysha folgten.

Kerry, die gegen den Drang ankämpfte, Aysha eins überzubra­ten, knallte ihren Eierkarton so fest auf die Theke, daß einige darin zu Bruch gingen. »O nein, was hab ich jetzt gemacht.«

Susan öffnete die Eierschachtel. »Die sind hin. Kerry, es ist nie so schlimm, wie man denkt.«

»Danke«, gab Kerry unsicher zur Antwort.

»Wo ist Tucker?« wollte Harry von Susan wissen.

»Zu Hause.«

»Ich geh Murphy holen. Sie will nicht mit mir sprechen. Mrs. H.. «

»Ja?«

»Heute war Tierarzttag. Wenn ich das Fellmonster nicht über­reden kann, mit mir nach Hause zu kommen, würden Sie so lieb sein und sie im Auge behalten? Sie wird zum Postamt gehen oder an Ihre Hintertür.«

»Ich laß sie zu Pewter in den Laden«, erbot sich Market. »Ei­nem Stückchen Lende kann Murphy nicht widerstehen.«

Er hatte recht. Beide Katzen kamen etwa eine Stunde später durch die Hintertür getänzelt.

Spät in dieser Nacht, als die Lichter aus waren, erzählte Mur­phy Pewter, was sie in der Bank gehört hatte. Sie saßen in dem großen Schaufenster und beobachteten, wie der Nebel sich her­absenkte.

»Du bist noch nie die Nacht über im Laden gewesen«, be­merkte Pewter. »Macht Spaß. Ich kann raus, wenn ich will, weil Market so ein Katzentürchen eingebaut hat wie bei euch, aber am liebsten sitze ich im Fenster und beobachte alles.«

»Nett von Market, daß ich hierbleiben darf. War auch nett von ihm, Harry anzurufen. Sie denkt wohl, mir würde eine Lektion erteilt. Von wegen. Das Datum merk ich mir.«

»Sie hat dich ausgetrickst. Sie hat dich sonntags zur Tierärztin gebracht. Extrafahrt.«

Mrs. Murphy dachte darüber nach. »Sie ist schlauer, als ich dachte. Was sie wohl Dr. Parker dafür bezahlt hat, extra in die Praxis zu kommen?«

Als Hogan vor der Bank vorfuhr, verbreiteten seine Schein­werfer in dem dichter werdenden Nebel ein diffuses Licht. Die Katzen konnten ihn gerade noch erkennen, als er den Vorder­eingang aufschloß und hineinging. Eine Minute später wurde oben Licht gemacht, ein verschwommenes goldenes Viereck.

»Fleißig«, sagte Pewter. Sie leckte eine Pfote und putzte sich damit das Ohr.

Die Stunden vergingen, und in den anderen Gebäuden gingen die Lichter aus. Schließlich flimmerten nur noch ein paar Neon­lichter in Schaufenstern oder über Schildern. Die Straßenlater­nen glühten. Die Katzen dösten ein, dann machte Mrs. Murphy die Augen auf.

»Pewter, wach auf. Ich hör einen Wagen hinter uns.«

»Die Leute fahren immer durch die Gasse.«

Eine Tür wurde zugeschlagen, sie hörten das Knarzen von Schuhen. Dann erschien eine Gestalt an der Ecke. Wer immer das war, kam von der anderen Seite der Gasse. Sie konnten nicht erkennen, wer es war oder von welchem Geschlecht, denn der Nebel war jetzt ganz dicht. Im Nu hatten graue Schwaden den Menschen verschluckt.


Hogan mußte in seinem Büro ständig blinzeln. Seine vom Computerbildschirm erschöpften Augen brannten. Sein Hirn brannte auch. Er hatte alles mögliche versucht. Hatte das Wort Threadneedle eingegeben. Er besann sich auf die »Ungültig«- Befehle. Dann beschloß er, die Kundenkonten noch einmal durchzusehen. Es könnte ja etwas auftauchen, das Norman ent­gangen war. Eine ungewöhnliche Überweisung oder ein Aus­landstransfer. Er konnte die Konten schnell durchgehen, weil er diese Leute und ihre kleinen Unternehmen kannte. Um Mitter­nacht war er am Ende des Buchstabens »H« angelangt. Ein fremder und dennoch vertrauter Name sprang ihm in die Augen.

»Huckstep«, sagte er laut. »Huckstep.« Er gab das Paßwort ein, um das Konto aufzurufen. Es war am dreißigsten Juli auf die Namen Michael und Malibu Huckstep eröffnet worden, ein Gemeinschaftskonto. Natürlich - der Ermordete. Er mußte be­absichtigt haben, in der Gegend zu bleiben, sonst hätte er kein Konto eröffnet. Das hieß, er hatte eine Karte mit seiner Unter­schrift und der von seiner Frau. Hogan wollte nach unten gehen, um die Karteien zu überprüfen, doch vorher rief er noch den Betrag auf dem Konto auf: 4218,64 Dollar. Keine große Sum­me, aber genug. Er rieb sich die Augen und sah auf seine Arm­banduhr. Nach zwölf. Zu spät, um Rick Shaw anzurufen. Das würde er morgen früh als erstes tun.

Derweil wollte er hinuntergehen, um die Unterschriftskarten zu prüfen. Er stand auf, verschränkte die Finger und streckte die Hände über den Kopf. Seine Knöchel knackten genau in dem Moment, als die Kugel aus einer .357er in seine Schulter jagte. Er machte den Mund auf, um den Namen seines Angreifers zu rufen, aber zu spät. Die nächste Kugel zerriß sein Herz, und er knallte auf seinen Stuhl.

Die Katzen im Laden hörten die Schüsse.

»Schnell!« maunzte Mrs. Murphy, und die beiden stürmten aus dem Katzentürchen. Während sie zur Bank rannten, hörten sie an der Ecke durch den dichten Nebel Schritte in die andere Richtung laufen.

»Verdammt! Verdammt!« fluchte die Tigerkatze.

»Was ist?«

»Wir hätten hintenrum gehen sollen, um das Auto zu sehen.«

»Zu spät... « Die ziemlich kleine, aber rundliche graue Katze sauste zur Bank.

Sie kamen nur wenige Minuten nach den Schüssen bei der Vordertreppe an und blieben an der Tür so plötzlich stehen, daß sie übereinander purzelten und auf einer Gestalt landeten, die zusammengesackt auf der Schwelle lag, eine rauchende .357er in der Hand. »O NEIN!« schrie Mrs. Murphy.

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