Norman Cramers Trauerfeier war so gedämpft, wie Hogan Freelys pompös gewesen war. Die untröstliche Aysha mußte von ihrer Mutter, die in makellosem schwarzem Leinen erschien, gestützt werden. Ottoline konnte Ayshas Gram nicht ertragen, aber da aller Augen auf ihr und ihrer Tochter ruhten, gab sie sich so nobel, wie sie nur konnte. Zwar war es zum Teil Schau, aber teils auch nicht; denn Ottoline lebte für und durch ihre Tochter.
Die Einwohner von Crozet, die wie betäubt waren durch diesen letzten Mord, saßen reglos in den Bänken. Laura Freely war nicht da, was angemessen war, befand sie sich doch in tiefer Trauer. Reverend Jones ersparte ihnen den Sermon, daß der Tod einen ins Reich der Herrlichkeit erhebe. Das wollte im Augenblick niemand hören. Sie wollten, daß Kerry McCray vor Gericht gestellt und verurteilt wurde. Wäre Hängen im Strafgesetzbuch noch vorgesehen gewesen, sie hätten verlangt, sie baumeln zu sehen. Auch diejenigen, die ihr zunächst die Gunst des Zweifels gewährt hatten, waren durch das Geld auf ihrem Konto und die Motorradkluft auf ihrem Dachboden ins Schwanken geraten.
Mrs. Hogendobber sagte den Leuten dauernd, daß die Gerichte entscheiden, nicht die öffentliche Meinung. Niemand hörte auf sie. Susan war als Neds Frau besonders vorsichtig. Harry sagte wenig. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, daß noch nicht alle Karten auf dem Tisch lagen.
Sie saß vorne in der vierten Bankreihe auf der rechten Seite der Kirche; die Bänke waren nach dem Kriterium zugewiesen, wann eine Familie nach Albemarle County gekommen war. Die Minors hatten sich vor mehr als zwei Jahrhunderten hier angesiedelt. Ein Minor hatte sogar die lutherische Kirche von Crozet gegründet und lag auf dem alten Friedhof dahinter begraben. Die Hepworths, die Familie ihrer Mutter, gehörten der anglikanischen Kirche an und hielten in Ostvirginia ihre eigene Bank in der ersten Reihe besetzt.
Harry blieb noch sitzen, als der Gottesdienst zu Ende war und die Versammelten nacheinander hinausgingen. Sie forschte unauffällig in ihren Gesichtern. Harry suchte nach Antworten. Jeder konnte in die Sache verstrickt sein. Sie stellte sich jede einzelne Person vor, wie sie den Motorradfahrer tötete, dann Hogan und schließlich Norman. Was für ein Mensch konnte so etwas tun? Dann stellte sie sich Kerrys Gesicht vor. Konnte sie töten?
Vermutlich könnte jeder töten, um sich oder seine Familie oder Freunde zu verteidigen, aber vorsätzlicher Mord, kaltblütiger Mord? Nein. Sie konnte sich ohne weiteres vorstellen, daß Kerry in Rage Aysha umbrachte oder Norman, aber nicht, daß sie ihn verfolgte oder sich hinten in seinem Wagen versteckte, plötzlich auftauchte und ihn an den Straßenrand fahren ließ, um ihn dann mit einer Kordel zu erdrosseln. Das paßte nicht zu ihr.
Harry ging nach draußen. Der bedeckte Himmel verhieß Regen, aber er mußte sein Versprechen erst noch einlösen. Blair und Fair warteten auf sie.
»Seid ihr beide ein Team oder so was?«
»Wir dachten, wir könnten zusammen zum Friedhof gehen. Das hält uns davon ab, uns in die Wolle zu kriegen, oder nicht?« Fair zuckte die Achseln.
»Ihr beide habt doch was vor.«
»So was Mißtrauisches«, erwiderte Blair sanft. »Ja, wir haben vor, uns wie Gentlemen zu benehmen. Ich glaube, wir schämen uns beide dafür, wie wir uns bei Mim aufgeführt haben. Wir haben beschlossen, in der Öffentlichkeit als vereinte Front aufzutreten und dir weitere Peinlichkeiten zu ersparen.«
»Beachtlich.« Harry stieg schwerfällig ins Auto.