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Die John-Deere-Vertragshandlung, ein niedriger Ziegelbau an der Route 250, stellte ihre neuen Traktoren am Straßenrand aus. Diese grünen und gelben Verlockungen ließen Harry das Was­ser im Mund zusammenlaufen. An die tausend Autofahrer ka­men täglich auf dem Weg nach Charlottesville an den Traktoren vorbei. Immer mehr Menschen zog es nach Albemarle County, Leute aus dem öffentlichen und diplomatischen Dienst, die auf fünf Morgen großen Grundstücken riesige Häuser kauften und deren Tempo von fahrbaren Rasenmähern bestimmt wurde. Sie gelüstete es wahrscheinlich kaum nach diesen Maschinen, die in einer ordentlichen Reihe aufgestellt waren. Aber die Leute vom Land fuhren in der Abenddämmerung vorbei, hielten an und spazierten um die neuesten Nutzfahrzeuge herum.

Harrys Maschine, ein 1958er 420S Traktor, schleppte einen Dungstreuer, zog einen kleinen Bodenfräser und war für sie wie ein Freund. Ihr Vater hatte den Traktor neu gekauft und liebe­voll gepflegt. Harrys Service-Heft, ein dickes Buch, war ange­füllt mit seinen Anmerkungen, denen sie jede Menge eigene hinzugefügt hatte. Das kleinere Benutzerhandbuch steckte ab­gegriffen und zerfleddert in einer Plastikschutzhülle.

Johnny Knatterton, wie Doug Minor seinen Traktor getauft hatte, knatterte und tuckerte noch immer. Im vorigen Jahr hatte Harry einen neuen Satz Hinterreifen gekauft. Die Originalreifen hatten am Ende den Geist aufgegeben. Aufgrund dieser erwie­senen Zuverlässigkeit wollte Harry wieder einen John Deere, den Rolls-Royce unter den Traktoren.

Nicht daß sie plante, Johnny Knatterton stillzulegen, aber ein Traktor mit 75 PS, mit einem Frontlader und Spezialgewichten für die Hinterräder, könnte viele von den größeren, schwierige­ren Arbeiten auf ihrer Farm übernehmen, die die Kräfte von Johnny Knattertons bescheidener PS-Zahl überstiegen. Der Grundpreis für das Gerät, das sie benötigte, belief sich auf ca. 29.000$ ohne Zubehör. Sie wurde jedesmal ganz verzagt, wenn sie an die Kosten dachte, die sie von ihrem Gehalt als Posthalte­rin unmöglich aufbringen konnte.

Mrs. Murphy und Tucker warteten in der Fahrerkabine von Harrys Transporter, auch ein Fahrzeug, das ersetzt werden müß­te. Das Supermannblau war verblaßt, die Kupplung war schon zweimal repariert worden, und Harry hatte insgesamt vier Sätze Reifen abgenutzt. Aber immerhin, der Ford fuhr. Die meisten Leute würden eher einen neuen Transporter kaufen als einen Traktor, aber für Harry, die zuallererst Farmerin war, hatte der Traktor Vorrang.

Sie schlenderte um die Maschinen herum, auf denen kein ein­ziger Schmutzfleck war. Manche hatten geschlossene Fahrerka­binen mit Klimaanlage, was ihr sündig vorkam; wenn man al­lerdings über ein Erdbienennest führe, wäre die geschlossene Kabine ein Segen. Es machte ihr Freude, zu träumen, hinaufzu­klettern, um das Lenkrad zu berühren, mit den Fingern über den Motorblock zu fahren. Deswegen kam sie am liebsten in der Abenddämmerung. Nicht so sehr, weil sie nicht mit den Händ­lern sprechen mochte. Sie kannte sie seit Jahren, und sie wuß­ten, daß sie keinen Penny besaß. Sie wollte ihnen nicht lästig fallen, weil sie keine ernsthafte Kundin war.

Sie öffnete die Tür ihres Transporters, die leise quietschte. Sie lehnte sich über den Sitz, stieg aber nicht sofort ein.

»Na, Kinder, was meint ihr? Sagenhaft, was?«

»Die sehen noch genau so aus wie letztes Mal.« Tucker war hungrig.

»Phantastisch, Mom, einfach phantastisch.« Mrs. Murphy führ gelegentlich auf Harrys Schoß mit, wenn sie Johnny Knatterton steuerte. »Ich persönlich würde mich für den mit der geschlos­senen Kabine entscheiden, dann kannst du für mich ein Körb­chen mit einem Handtuch reinstellen. Ich hab's gern gemüt­lich.«

»Los jetzt, wir fahren nach Hause.« Sie stieg in den Transpor­ter, ließ den Motor an und fuhr auf die Schnellstraße Richtung Westen.

Fünfzehn Minuten später hatte sie den Stadtrand von Crozet erreicht. Sie fuhr an der alten Del-Monte- Lebensmittelverpackungsfabrik vorbei und beschloß, beim Su­permarkt anzuhalten.

»Ich will nach Hause«, winselte Tucker.

»Wenn du fressen willst, muß ich dir Futter kaufen.« Harry sprang aus dem Wagen.

Tucker sah die Katze fragend an. »Glaubst du, sie hat verstan­den, was ich gesagt habe?«

»Nee.« Mrs. Murphy schüttelte den Kopf. »Purer Zufall.«

»Wetten, ich könnte aus dem Fenster springen?«

»Wetten, das könnte ich auch, aber ich renn doch nicht auf diesem Parkplatz rum, bei der Fahrweise, die die Leute drauf­haben.« Sie legte die Pfoten auf den Fensterrahmen und über­blickte den Platz. »Anscheinend braucht alle Welt Hundefut­ter.«

Tucker sah mit ihr hinaus. »Mim.«

»Wetten, das ist ihre Köchin. Sie ist mit dem Farmwagen da. Mim würde sich nie dazu herablassen, ihre Lebensmittel selbst einzukaufen.«

»Da dürftest du recht haben. Guck mal, da steht der silberne Saab, also ist Susan hier.«

»Und Ayshas grüner BMW. He, da ist ja der Falcon von Mrs. Hogendobber.«

»Und guck mal, wer da kommt - Fair. Hm-hm.« Tucker zwinkerte mit den Augen.

Als Harry mit einem Korb am Arm durch den Gang eilte, stieß sie als erstes mit Susan zusammen.

»Wenn du nicht viel kaufen willst, hättest du zu Shiflett's Market gehen und dir die Schlange an der Kasse ersparen kön­nen.«

»Er hat heute früher zugemacht. Zahnarzttermin.«

»Doch nicht schon wieder ein Wurzelkanal?« Harry zählte die Waren in Susans Einkaufswagen. »Gibst du eine Party oder so was? Ich meine, eine Party ohne mich?«

»Nein, du neugierige Nuß.« Susan stupste Harry an der Schul­ter an. »Danny und Brookie wollen grillen. Ich hab gesagt, ich kauf das Essen, wenn sie die Arbeit machen.«

»Danny Tucker am Grill?«

»Ja, stell dir vor, seine neue Freundin will Köchin werden, und er denkt nun, wenn er ein Interesse am Essen zeigt, das übers bloße Vertilgen hinausgeht, wird er bei ihr Eindruck schinden. Er hat seine Schwester überredet, ihm zu helfen.« »Überredet oder bestochen?«

»Bestochen.« Susans breites Lächeln war ansteckend. »Er hat versprochen, mit ihr und einer Freundin zum Gestüt Virginia in Lexington zu fahren, und dann will er sich die Washington und Lee University angucken, ohne Mom natürlich.«

Mrs. Hogendobber kam um die Ecke gefegt, ihr Wagen balan­cierte auf zwei Rädern. »Aus der Bahn, Mädels. Sonst verpaß ich die Chorprobe.«

Die zwei Frauen traten auseinander, und Miranda warf mit be­achtlichem Geschick Waren in ihren Wagen.

»Trefferquote hundert Prozent«, bemerkte Susan.

Aysha Cramer, die mit ihrer Mutter Ottoline vom anderen En­de des Ganges kam, stieß beinahe mit Mrs. Hogendobber zu­sammen. »Oh, Verzeihung, Mrs. Hogendobber.«

»Tüüt-tüüt!« Mrs. Hogendobber manövrierte sich geschickt um sie herum, und fort war sie.

Ottoline, die eine schulterfreie Bauernbluse trug, die den sah­nigen Teint ihrer Haut und ihres Busens zur Geltung brachte, schnappte sich die Einkaufsliste aus Ayshas Wagen. »Wenn du dich mit Quatschen aufhalten willst, nehm ich mir schon mal die Liste vor.«

Aysha zuckte die Achseln, während ihre Mutter weiterzog und um die Ecke bog. Aysha schob ihren Wagen zu Harry und Su­san hinüber. »Wir wissen, daß sie nicht beschickert ist.«

Mrs. Hogendobber trank keinen Alkohol.

»Chorprobe«, sagte Susan.

»Ich hoffe, daß ich in ihrem Alter auch noch so viel Energie habe«, meinte Aysha bewundernd. »Wie alt ist sie eigentlich?«

»Geistig oder körperlich?« Susan schob ihren Wagen vor und zurück.

»Mutter sagt, sie muß über Sechzig sein; denn sie war auf der High-School, als Mutter in der achten Klasse war«, informierte Aysha sie.

Freilich sagte Ottoline, diese unausstehliche Mistbiene, nie etwas Nettes über andere, es sei denn, es spiegelte ihre eigene eingebildete Herrlichkeit wider, daher war Ayshas Erklärung eine fingierte Variante von Mrs. Gills wahren Gedanken.

Wie aufs Stichwort kam Ottoline aus der entgegengesetzten Richtung, in der sie abgezogen war, durch den Gang getänzelt. Sie warf Waren in den Wagen, nickte Harry und Susan kurz zu, um dann ihren Weg durch den Gang fortzusetzen, wobei sie über die Schulter rief: »Aysha, ich hab's eilig.«

»Ja, Mumsy.« Dann senkte sie die Stimme: »Sie hat sich heute mit dem Dekorateur angelegt. Hat schlechte Laune.«

»Ich dachte, sie hätte gerade umdekoriert.«

»Vor zwei Jahren. Die Zeit rennt. Diesmal steht sie auf farb­neutral.«

»Besser als geschlechtsneutral«, witzelte Harry.

Aysha rümpfte die Nase. »Das ist überhaupt nicht komisch.«

»Ach komm, Aysha.« Harry konnte es nicht ausstehen, wenn Aysha oder sonst jemand sich aufführte wie ein humorloser Sittenwächter.

Abgesehen von einem gelegentlichen Anfall von Korrektheit, hatte Aysha sich ganz gut gemacht, fand Harry, ausgenommen ihre verhängnisvolle Überzeugung, eine Aristokratin zu sein. Es war eine klägliche Illusion, denn die Gills waren gleich nach dem Ersten Weltkrieg nach Albemarle County eingewandert. Schlimmer noch, sie waren aus Connecticut eingewandert. Trotz ihrer Yankee-Wurzeln stolzierte Aysha umher wie eine Schöne des Südens. Ihr frischgebackener Ehemann, nicht gera­de der Hellste, wenn es um Frauen ging, kaufte es ihr ab. Er nannte sie »Liebeleien«. Gott allein weiß, wie sie ihn nannte. Jungvermählte waren ziemlich abstoßend, egal, wer sie waren.

Susan fragte: »Aysha, du hast doch von diesem Threadneedle- Virus gehört. Morgen ist der große Tag. Bist du beunruhigt?«

»Himmel, nein.« Sie lachte, ihre Stimme schwang aufwärts, bevor sie sie senkte. »Aber mein Norman hat deswegen Bespre­chungen anberaumt. Die Bank nimmt das wirklich ernst.«

»Was du nicht sagst.« Harry lud noch ein paar Dosen Hunde­futter in ihren Einkaufswagen.

»Ihr könnt euch vorstellen, was los ist, wenn Konten durch­einandergeraten, aber Norman glaubt, das eigentliche Ziel ist die Federated Investments Bank in Richmond, und das Ganze dient nur dazu, einen Tumult zu erzeugen, während sie, wer immer das ist, bei FI zuschlagen.«

Susan stellte die naheliegende Frage: »Warum ausgerechnet bei FI?«

»Denen ist es in letzter Zeit nicht gutgegangen. Neuer Präsi­dent, drastische personelle Veränderungen, Hunderte von Leu­ten wurden entlassen. Wer ist besser geeignet als ein FI- Angestellter, um einen Plan auszuhecken, bei dem Computer als Waffe dienen? Norman sagt, am zweiten August wird FI ver­hedderter sein als eine Angelschnur.«

»Meine Damen!« Von Sonderangebotsschildern für Holzkoh­le eingerahmt, winkte Fair vom Ende des Ganges herüber.

Aysha lächelte Fair zu, dann überprüfte sie Harrys Miene auf verräterische Anzeichen von Gefühlsregungen. Harry lächelte ebenfalls und winkte zurück. Sie hatte ihren Exmann gern.

»So, ich muß abschieben, im doppelten Sinne des Wortes.« Susan steuerte zum Ausgang. »Danny wird Crozets jüngstes Schlaganfallopfer sein, wenn ich nicht mit seinem Essen er­scheine.«

»Ich muß auch Essen machen.«

»Harry, du willst kochen?« Aysha konnte es nicht fassen.

Harry wies auf ihren Wagen. »Tucker und Mrs. Murphy.«

»Grüß sie von mir.« Aysha verschwand unter klingendem Ge­lächter in die andere Richtung.

Die Hände in die Hüften gestemmt, erschien Ottoline am Gangende. »Beeil dich, ja?«

Harry kam ans Ende des Ganges, wo Fair auf sie wartete. Er tat so, als würde er Holzkohle im Sonderangebot kaufen.

»Wie geht's?«

»Gut, und dir?«

»Ich krieg mehr Griffelbeinrisse zu sehen, als ich zählen kann. Zu viele Trainer überfordern ihre jungen Pferde auf diesem festen Boden.« Griffelbeinrisse sind bei jungen Rennpferden ein häufiges Problem.

Harry besaß drei Pferde; eins davon, noch ziemlich neu, war ein Geschenk von Fair und Mim. Mim hatte Harry seit neue­stem in ihr Herz geschlossen. Tatsächlich schien die hochmüti­ge Mrs. Sanburne in den letzten paar Jahren erheblich sanftmü­tiger geworden zu sein.

»Uns geht's richtig gut zu Hause. Komm doch mal vorbei, dann reiten wir den Yellow Mountain rauf.«

»Okay.« Fair nahm mit Freuden an. »Morgen sieht's schlecht aus, aber wie wär's mit übermorgen? Ich komm um sechs vor­bei. Bis dahin dürfte es sich ein bißchen abgekühlt haben.«

»Prima. Welches Pferd willst du?«

»Gin Fizz.«

»Okay.« Sie wollte weiter; Katze und Hund waren bestimmt mürrisch vom langen Warten.

»He, ich hab gehört, du warst gestern mit Blair Bainbridge in Ash Lawn. Ich dachte, er ist gar nicht in der Stadt.« Fair betete, er möge bald wieder aus der Stadt verschwinden - am liebsten morgen.

»Er hat die Aufnahmen beendet, und anstatt bei seiner Familie vorbeizuschauen, ist er gleich nach Hause gekommen. Er ist ziemlich groggy, glaube ich.«

»Wie kann man groggy sein, wenn man sich Klamotten an­zieht und vor der Kamera Pirouetten dreht?«

Harry weigerte sich, darauf einzugehen.

»Da bin ich nun wirklich überfragt, Fair, mich hat nie jemand gebeten, als Model zu arbeiten.« Sie schob weiter. »Dann bis übermorgen.«

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