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Ash Lawn, der Landsitz von James und Elizabeth Monroe, liegt hinter einer Reihe mächtiger englischer Buchsbäume. Zu Leb­zeiten des fünften Präsidenten und seiner Gattin reichten diese stacheligen Gewächse den Menschen vermutlich nur bis zur Taille. Heute strahlt ihre gewaltige Größe etwas Unheimliches aus, verleiht aber gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit. Der offizielle Eingang wird nicht mehr benutzt; die Besucher müs­sen an dem kleinen Andenkenladen vorbeigehen und erreichen das Haus über eine Nebenstraße.

Das warme Gelb der Schindeln wirkt einladend, schafft Ver­trautheit - man könnte sich vorstellen, in diesem Haus zu leben. Niemand könnte sich je vorstellen, in dem schönen, imposanten Monticello gleich hinter dem kleinen Hügel von Ash Lawn zu leben.

Harry spazierte mit Blair Bainbridge, ihrem neuen Nachbarn - allerdings war »neu« in Crozet ein relativer Begriff; Blair war vor mehr als einem Jahr zugezogen - zwischen den Buchsbäu­men auf dem Gelände herum. Als gefragtes Model war Blair ebensooft unterwegs wie in der Stadt. Vor kurzem aus Afrika zurückgekehrt, hatte er Harry um eine Führung durch das Heim der Monroes gebeten. Zum Verdruß von Harrys Exmann, dem Tierarzt Fair Haristeen, einem blonden Riesen, der die Dumm­heit, Harry verloren zu haben, längst bereute und seine Exfrau unbedingt wiederhaben wollte.

Was Blair betraf, so konnte niemand seine Absichten in punc­to Harry ergründen. Mrs. Hogendobber, die selbsternannte Ex­pertin für das Tier namens Mann, erklärte, Blair sei so unver­schämt maskulin und gutaussehend, daß die Frauen sich ihm jederzeit auf jedem Kontinent an den Hals werfen würden. Sie behauptete, er sei von Harry fasziniert, weil sie gegen seine männliche Schönheit immun sei. Mrs. Hogendobber hatte damit mehr als halbwegs recht, trotz gegenteiliger Behauptungen von Susan Tucker, Harrys bester Freundin und Züchterin ihrer Cor­gihündin.

Mrs. Murphy wählte den Schatten einer mächtigen Pappel, wo sie ein bißchen Gras aufscharrte und sich dann hinplumpsen ließ. Tucker umrundete sie dreimal, dann setzte sie sich neben sie, da sie die verhaßten Pfauen von Ash Lawn erspäht hatte. Auf dem Anwesen der Monroes wimmelte es von den schil­lernden Vögeln, deren himmlische Erscheinung von grotesken, häßlichen rosa Füßen verunstaltet wurde. Außerdem besaßen sie die abstoßendsten Stimmen der Vogelwelt.

»Oh, am liebsten würde ich diesen großen Angeber zu Boden strecken«, knurrte Tucker, als ein riesiges Männchen vorbei­stolzierte, dem kleinen Hund einen Todesstrahlblick zuwarf und dann weiterschritt.

»Der ist bestimmt zäh wie ein alter Schuh.« Mrs. Murphy ge­noß gelegentlich einen Zaunkönig als Leckerbissen, aber vor größeren Vögeln scheute sie zurück. Sie machte sich wohlweis­lich jedesmal ganz flach, wenn sie über sich einen großen Schatten bemerkte. Das beruhte auf Erfahrung, denn einst hatte ein rotschwänziger Habicht eins von ihren Brüderchen geraubt.

»Ich weiß nicht, warum Präsident Monroe sich diese Vögel hielt. Schafe, Kühe, sogar Truthähne - Truthähne kann ich ja verstehen -, aber Pfauen sind nutzlos.« Tucker sprang auf und drehte sich im Kreis, um nach etwas zu beißen, das in ihrem Fell saß.

»Flöhe? Ist jetzt die Jahreszeit«, bemerkte Mrs. Murphy mit­fühlend.

»Nein«, knurrte Tucker, während sie noch ein bißchen weiter­biß. »Bremsen.«

»Wie kommen die durch dein dickes Fell?«

»Weiß ich nicht, aber sie schaff en's.« Tucker seufzte, dann stand sie auf und schüttelte sich. »Wo istMom?«

»Überall und nirgends. Sie ist nicht weit weg. Setz dich hin, ja? Wenn du abhaust und einen von diesen dämlichen Vögeln jagst, krieg ich dafür die Schuld. Ich seh nicht ein, warum wir nicht ins Haus können. Ich verstehe ja, daß die Tiere von ande­ren Leuten nicht reindürfen, wie Lucy Fur, aber wieso wir nicht?« Der Name Lucy Fur, der wie Lucifer klang, paßte aus­gezeichnet zu der jüngeren von Reverend Jones' zwei Katzen, denn sie war ein Teufelskerl. »Wetten, Little Marilyn läßt uns durch die Hintertür rein?« Tucker zwinkerte. Sie wußte, daß Mim Sanburnes Tochter Tiere liebte.

»Gute Idee.« Die Katze wälzte sich im Gras, dann sprang sie hoch. »Komm, düsen wir los.«

»Wo hast du das denn her?« fragte Tucker, als sie zur Seiten­tür zockelten. Eine Bank unter einer kleinen Veranda verlieh dem Eingangsbereich ein einladendes Flair. Kein Mensch war weit und breit zu sehen.

»Das hat Susan gestern gesagt. Sie schnappt so was von ihren Kindern auf. Wie >man sieht sich<, wenn man sich verabschie­det.«

»Oh.« Tucker brachte der Sprache der Jugend nur begrenztes Interesse entgegen, weil der Jargon sich alle paar Jahre änderte.

Unterhalb des Hauptbereichs von Ash Lawn waren Fremden­führerinnen in zeitgenössischen Kostümen dabei, zu spinnen, zu weben, Fett für Kerzen zu schmelzen und zu kochen. Little Marilyn - Marilyn Sanburne junior, die seit kurzem geschieden war und ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte - war heute die verantwortliche Fremdenführerin in Ash Lawn. Ob­wohl erst Anfang Dreißig, hatte die jüngere Marilyn finanziell eine Menge für Ash Lawn sowie das William and Mary College getan. Das College unterhielt Haus und Grundstück von James Monroe und stellte die meisten Fremdenführerinnen. Little Ma­rilyn war stolze Absolventin des William and Mary College, wo sie so oft die Fächer gewechselt hatte, bis ihre Studienberater die Hoffnung aufgaben, daß sie je Examen machen würde. Schließlich hatte sie sich auf Soziologie verlegt, was ihrer Mut­ter ungemein mißfiel und folglich Little Marilyn um so besser gefiel.

Da Harry Absolventin des Smith College in Massachusetts war, gehörte sie nicht zum engeren Kreis von Ash Lawn, aber das Personal pflegte gute Beziehungen zur Gemeinde, so daß Harry und ihre Tiere sich dort willkommen fühlten. Natürlich kannten alle in Ash Lawn Mrs. Murphy und Tucker.

Die anderen Fremdenführerinnen waren an diesem 30. Juli Kerry McCray, eine kesse Rotblonde, die auf dem College Litt­le Marilyns Zimmergenossin gewesen war, Laura Freely, eine hochgewachsene, strenge Dame um die sechzig, und Aysha Gill Cramer, ebenfalls eine Collegefreundin von Little Marilyn. Da Aysha erst im April geheiratet hatte - ein schauerlich übertrie­benes gesellschaftliches Ereignis -, brauchten alle noch etwas Zeit, sich an den Namen Cramer zu gewöhnen. Danny Tucker, Susans sechzehnjähriger Sohn, arbeitete als Gärtner, und es machte ihm Spaß. Susan half im Andenkenladen aus, weil die Kassiererin sich krank gemeldet hatte.

Durch ein Kuddelmuddel bei der Einteilung waren Aysha und Kerry zur selben Zeit hier. Die zwei konnten sich nicht riechen. Zusammen mit Little Marilyn waren die drei von Kind an die besten Freundinnen gewesen, und auch noch die ganze Zeit auf dem College, wo sie derselben Studentinnen-Verbindung ange­hört hatten.

Nach dem Examen waren sie zusammen nach Europa gefah­ren und schließlich nach einem Jahr getrennte Wege gegangen. Sie schrieben sich Unmengen von Briefen. Kerry war als erste nach Crozet zurückgekehrt und hatte eine Anstellung bei der Crozet National Bank gefunden, die um die Jahrhundertwende als Lokalbank gegründet worden war, aber jetzt ganz Mittelvir­ginia bediente. Little Marilyn war wenig später gefolgt, hatte geheiratet, was schiefging, und sich scheiden lassen. Aysha war erst vor sechs Monaten nach Albemarle County zurückgekehrt. Ihr tadelloses Französisch und Italienisch waren hier nicht ge­fragt. Die Aussichten auf eine Karriere waren in diesem kleinen Winkel der Welt so minimal, daß Heiraten immer noch eine echte Karriere für junge Frauen darstellte, vorausgesetzt, sie fanden ein geeignetes Opfer.

Die Freundinnen knüpften wieder da an, wo sie aufgehört hat­ten. Aysha, in jüngeren Jahren ein bißchen pummelig, war zu einer hübschen Frau herangereift, die vor Ideen übersprudelte.

Little Marilyn, die sich gerade von ihrer Scheidung erholte, war noch deprimiert. Sie brauchte ihre Freundinnen.

Kerry, damals noch mit Norman Cramer verlobt, hatte Aysha und Little Marilyn oft eingeladen, abends mit ihnen essen, ins Kino oder zu einer nächtlichen Veranstaltung in die Blue- Ridge-Brauerei zu gehen.

Norman, schmächtig und schüchtern, hatte ein hübsches Ge­sicht, das große blaue Augen umrahmte. Er arbeitete ebenfalls in der Crozet National Bank, als Chefbuchhalter. Als aufregend hätte ihn wohl niemand spontan bezeichnet, daher kippten alle aus den Latschen, als Aysha ihn Kerry ausspannte. Keiner konnte begreifen, weshalb sie ihn wollte, außer daß sie die Dreißig überschritten hatte, ungern arbeitete und die Ehe als bequemen Ausweg sah.

Ihre Mutter, Ottoline Gill, die sich viel zu sehr in das Leben ihrer Tochter einmischte, schien von ihrem frischgebackenen Schwiegersohn begeistert. Das mag teils an dem freudigen Schreck gelegen haben, daß sie überhaupt einen Schwiegersohn bekam. Sie hatte Ayshas Zukunft schon verloren gegeben und immer wieder erklärt, ein Mädchen, das so schön und klug sei wie ihr Liebling, würde nie einen Mann finden. »Männer mö­gen dumme Frauen«, pflegte sie zu sagen, »und meine Aysha wird nicht das Dummchen spielen.«

Was immer sie spielte oder nicht spielte, sie hatte Norman be­tört, mit dem Ergebnis, daß Aysha und Kerry jetzt erbitterte Feindinnen waren, die kaum in zivilisiertem Ton miteinander reden konnten. Fern von Ayshas forschenden Blicken war Norman liebenswürdig zu Kerry, aber seine Liebenswürdigkeit wurde nicht immer erwidert.

Marilyn schickte Aysha zum Arbeiten nach unten und Kerry nach draußen zu den Sklavenquartieren. Das milderte die Span­nung ein wenig. Sie wußte, daß beide am nächsten Tag zu ihr kommen und sich über das Durcheinander beschweren würden. Kerry würde leichter zu beschwichtigen sein als Aysha, die nichts lieber sah, als wenn jemand emotional im Unrecht war. Aber weil Aysha gerne Fremdenführerin in Ash Lawn war, wollte Marilyn sie besänftigen, um ihrer selbst willen wie zum Wohl der Stätte. Es war schlimm genug, daß Aysha ihr Ärger machte, aber sich mit dieser Zicke von einer Mutter herumzu­schlagen, das war die Hölle. Und wenn Ottoline auf die Barri­kaden ging, dann würde Mim, Marilyns Mutter, sich ebenfalls einmischen, und sei es nur, um die überhebliche Ottoline in die Schranken zu weisen.

Mrs. Murphy, den Schwanz senkrecht aufgerichtet, fühlte das kühle Gras unter ihren Pfoten. Grashüpfer schossen vor ihr da­von wie grüne Insektenraketen. Sie hüpften, ließen sich nieder, hüpften weiter. Gewöhnlich jagte sie ihnen nach, aber heute wollte sie in das historische Wohnhaus, nur um zu beweisen, daß sie nicht die Absicht hatte, etwas kaputtzumachen.

Als der Tag sich neigte, waren die meisten Touristen gegan­gen. Einige hielten sich noch im Andenkenladen auf. Das Per­sonal von Ash Lawn begann mit dem Abschließen. Harry und Blair waren ins Haus gegangen, um zu sehen, ob Marilyn Hilfe brauchte.

Ein entferntes Dröhnen kam näher. Dann verkündeten ein Quietschen, ein Spotzen und ein Stottern, daß ein Motorrad auf dem Parkplatz zum Stehen gekommen war, nicht irgendein Motorrad, sondern eine schimmernde, vollkommen schwarze Harley-Davidson. Der Motorradfahrer war so abgerissen, wie seine Maschine glänzte. Er trug einen schwarzen deutschen Helm aus dem Zweiten Weltkrieg, eine schwarze, mit Chrom­sternen besetzte Lederweste, zerrissene Jeans, schwere schwar­ze Motorradstiefel, und um die Brust hatte er eine imposante Kette baumeln, die an einen altertümlichen Patronengürtel erin­nerte. Eine Motorradbrille mit dunklen Gläsern vervollständigte die Montur. Er war unrasiert, sah aber auf seine schmuddelige Art nicht übel aus.

Er schlenderte den gepflasterten Weg entlang, der zum Vor­dereingang führte. Tucker, die sich jetzt seitlich vom Haus bei den Sklavenquartieren befand, blieb stehen und bellte ihn an. Beide Tiere hatten sich vom Nebeneingang entfernt, um zu sehen, was vorging.

»Halt's Maul, Tucker, du verdirbst mir sonst meine Strate­gie«, warnte die Katze. Sie lag flach vor dem Besuchereingang und wartete nur darauf, daß mit dem Eintritt des Motorradfah­rers die Tür aufschwang, so daß sie hineinflitzen konnte. Wer immer die Tür öffnete, würde einen Schrei ausstoßen, wenn sie zwischen seinen Beinen durchsauste. Dann würde man ihr nachjagen oder sie locken müssen. Harry würde einen Tob­suchtsanfall bekommen. Jemand würde auf die Idee verfallen, Mrs. Murphy mit Futter oder vielleicht frischer Katzenminze aus dem Kräutergarten zu bestechen. Sie hatte alles geplant. Dann blickte sie hoch und sah den Hell's Angel zur Tür mar­schieren. Sie beschloß zu bleiben, wo sie war.

Er öffnete die Tür und wurde von Little Marilyn begrüßt.

»Willkommen im Heim von James und Elizabeth Monroe. Leider haben wir im Sommer nur von zehn bis siebzehn Uhr geöffnet, und jetzt ist es siebzehn Uhr dreißig. Ich bedaure sehr, aber Sie müssen morgen wiederkommen.«

»Ich geh hier nicht weg.« Er drückte sich an ihr vorbei.

Laura hörte den Wortwechsel vom Salon aus und trat zu Mari­lyn. Harry und Blair blieben im Wohnzimmer. Aysha war unten in der Sommerküche, und Kerry schloß die Sklavenquartiere ab.

»Sie müssen gehen.« Marilyn schürzte die Lippen.

»Wo ist Malibu?« Seine kehlige Stimme unterstrich die be­drohliche Erscheinung.

Blair kam in die Halle. »In Kalifornien.«

Der Motorradfahrer maß ihn von Kopf bis Fuß. Blair war ein großer, breitschultriger Mann in bester Kondition. Kein leichter Gegner.

»Sind Sie hier der zuständige Komiker?« Der Motorradfahrer zog ein kleines Klappmesser aus seiner Weste. Er ließ es ge­schickt mit einer Hand aufschnappen und stocherte damit in seinen Zähnen.

»Ja, für heute.« Blair verschränkte die Arme. Harry trat eben­falls in die Halle und stellte sich hinter Blair. »Die Damen ha­ben Sie informiert, daß Ash Lawn morgen geöffnet ist. Kom­men Sie dann wieder.«

»Mir ist dieser Laden scheißegal. Ich will Malibu. Ich weiß, daß sie hier ist.«

»Wer ist Malibu?« Harry schob sich nach vorn. Sie hatte den Verdacht, daß die Pupillen des Motorradfahrers geweitet waren, oder das Gegenteil, und daß er die Sonnenbrille trug, um diesen Zustand zu verbergen. Er hatte was genommen, und zwar kein Aspirin.

»Eine diebische Schlampe!« schimpfte der Motorradfahrer. »Ich bin hinter ihr her und weiß, daß sie hier ist.«

»Sie kann unmöglich hier sein«, entgegnete Marilyn. »Alle, die hier arbeiten, kennen sich untereinander, und von einer Ma­libu haben wir nie gehört.«

»Sie haben bloß den Namen nie gehört. Die ist gerissen. Sie hypnotisiert einen, nimmt sich, was sie will, dann packt sie zu wie eine Schlange!« Er hielt seine zwei Zeigefinger wie Fang­zähne, die zupacken wollen.

Aus dem Augenwinkel sah Harry Aysha durch die Hintertür kommen. Sie konnte weiter hinten auch Kerry sehen, die auf dem Weg zum Herrenhaus war. Der Motorradfahrer sah die beiden nicht. Harry drehte sich vorsichtig um und machte hinter dem Rücken mit den Händen ein Stoppzeichen. Blair hatte un­terdessen die Hand auf die Schulter des Motorradfahrers gelegt und drehte ihn sachte in Richtung Haupteingang.

»Kommen Sie. Sie werden sie heute nicht finden. Die Hälfte des Personals ist schon nach Hause gegangen.« Blairs Stimme triefte von Verständnis. »Ich weiß, was Sie meinen, manche Frauen sind wie Giftschlangen.«

Die beiden Männer gingen nach draußen. Mrs. Murphy starrte zu ihnen hinauf. Der Motorradfahrer roch nach Kokain, Schweiß und Schmieröl. Sie maß Gerüchen eine große Bedeu­tung bei.

Die Stimme des mürrischen Mannes zitterte ein kleines biß­chen. »Ach die, Sie haben ja keine Ahnung, wie die mit einem umspringen kann. Sie spielt mit deinem Körper und verwirrt deinen Geist. Das einzige, was sie je geliebt hat, waren Dol­lars.«

Blair erkannte, daß er den Kerl mit der Kiffervisage eigenhän­dig zu seinem Motorrad bugsieren mußte, da er keine Anstalten machte, sich von der vorderen Veranda zu entfernen. »Zeigen Sie mir Ihre Maschine.«

Mrs. Murphy sauste von einem Strauch zum anderen, behielt dabei die Männer im Auge und hörte jedes Wort. Tucker schoß vor ihr her.

»Tucker, bleib hinter ihnen.«

»Immer sagst du mir, was ich tun soll!«

»Weil du erst handelst und dann denkst. Halt dich hinter ih­nen. So merkt der Kerl nicht, daß du da bist, falls Blair Hilfe braucht. Überraschungsmoment.«

»Hm.« Der Hund sah ein, daß die Katze recht hatte.

»Sie wollte genug Kohle machen, damit sie zu Hause sitzen konnte, eine Lady sein.« Der Mann lachte verächtlich. »Ich dachte, die macht Witze. Eine Lady?«

Blair kam zu der schnittigen Maschine, die auf ihrem Kipp­ständer ruhte. »Ich wette, die wummert.«

»Klar, sie hat jede Menge Power.«

Blair fuhr mit der Hand über den Benzintank. »Hab mal eine Triumph Bonneville gehabt. Hat Öl verloren, aber die konnte surren, verstehen Sie?«

»Heißer Ofen.« Der Kerl schob die Unterlippe vor, als Zei­chen von Zustimmung, Anerkennung.

»Meine erste war eine Norton. Und Ihre?«

»Sie mochten wohl die englischen Maschinen, wie?« Er lehn­te sich an das Motorrad. »Harley. Ich hatte immer eine Harley. Meine erste war ein 1960er Hog, 750 ccm, in Einzelteilen. Hab sie zusammengebaut. Dann hab ich für 'n Kumpel eine Ducati zusammengebaut, und eh ich mich's versah, hatte ich mehr Arbeit, als ich bewältigen konnte.«

»BMW?«

Der Motorradfahrer schüttelte den Kopf. »Nichts für mich. Geile Maschinen, aber ohne Seele. Und der Kolben statt Ket­tenantrieb - wenn du so 'ne Maschine in einen anderen Gang schaltest, gibt's einen Ruck. Macht dir den Pimmel kaputt.« Er lachte, zeigte kräftige, ebenmäßige Zähne. »Ketten gibt's natür­lich nicht mehr. Heute nehmen sie Riemen aus Kevlar.« Er deu­tete auf das Material des Raumfahrtzeitalters, das die Kette ersetzt hatte.

»Mein Dad hatte eine Indian.« Blair bekam glänzende Augen. »Was würde ich heute nicht für diese Maschine geben.«

»Eine Indian. Nicht schlecht. He Mann, kommen Sie, ich geb Ihnen ein Bier aus. Wir müssen uns mal richtig unterhalten.«

»Danke, ich hab eine Verabredung. Sie wartet im Haus auf mich. Ich komm aber später gern auf die Einladung zurück.«

Blair deutete mit dem Kopf in Richtung Ash Lawn, wo Harry am Ende des Weges stand, der zum Eingang führte. Sie wollte sich vergewissern, daß Blair keine Gefahr drohte.

»Ich wohne im Best Western.«

Blair lächelte. »Okay, danke.«

»Ich geh hier nicht weg, bevor ich das Miststück gefunden habe.«

»So entschlossen, wie Sie wirken, finden Sie sie bestimmt.«

Der Motorradfahrer tippte sich mit der Faust an den Kopf. »Blech in der Birne, Mann, Blech in der Birne, aber ich geb nie auf. Bis dann, Kumpel.« Er sprang auf seine Maschine, drehte den Zündschlüssel, und ein kräftiges Bollern erfüllte die Luft. Dann rollte er langsam die Zufahrt hinunter.

Mrs. Murphy beobachtete ihn, als er verschwand. »Motorräder wurden erfunden, um die Männerherde auszudünnen.«

Tucker lachte. Die beiden Tiere gingen mit Blair zurück.

»Was hast du da draußen gemacht?« fragte Harry, während die anderen Frauen aus dem Haus kamen und Blair umringten.

»Mich über Motorräder unterhalten.«

»Mit diesem Idioten?« Marilyn konnte es nicht fassen.

»Oh, so schlimm ist er gar nicht. Er sucht seine Freundin, und er wohnt im Best Western, bis er sie gefunden hat. Vielleicht trink ich sogar mal ein Bier mit ihm. Er ist gar nicht ohne.«

Kerry und Aysha waren inzwischen über die Suche nach Ma­libu informiert worden.

Laura sagte: »Haben Sie keine Angst vor ihm?«

»Nein. Er ist harmlos. Bloß ein bißchen bedröhnt, das ist al­les.«

Harry lachte. »Solange du nicht Malibu bist, ist er vielleicht harmlos.«

»Könnt ihr euch vorstellen, daß jemand Malibu heißt?« Ays­has eisiger Ton war durchtränkt von gesellschaftlicher Überheb­lichkeit.

»Ob mein Leben wohl besser liefe, wenn ich mich in Chatta­nooga umtaufen würde?« witzelte Kerry zum Vergnügen der anderen. Sie hätte Aysha am liebsten die Augen ausgekratzt.

Harry kicherte. »Petting. Als ich in Deutschland war, bin ich durch einen Ort gekommen, der Petting hieß. Ändere deinen Namen in Petting, dann wirst du fühlen, wie's ringsum prickelt.«

»O ja.« Laura Freelys aristokratische Stimme mit der perfek­ten Modulation verlieh jeder ihrer Äußerungen Gewicht. »Wenn ich mich recht entsinne, gibt es da auch Ortschaften, die Ficks­burg und Möse heißen.«

»Meine Damen« - Blair senkte den Kopf -, »ich muß doch sehr bitten.«

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